Flucht über die Nordsee 90. Gefahr in Anmarsch

ahorn

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Erbarmungslose Wildnis


Gefahr in Anmarsch

„Komm zurück! Da kommen wir nicht durch.“
„Da können wir rüberspringen und dann ist es nicht mehr weit.“ Jenny deutete zum Horizont.
Zwischen dem Ende der Welt und ihnen stand die Rettungsbake. Die wie ein kleiner Hochsitz aus dem Watt spross.
„Nur weil du meine große Schwester bist, heißt das lange nicht, dass du recht hast“, schnauzte sie Sabrina an.
„Hätte ich dir das bloß nie erzählt.“
„Ach, jetzt habe ich schuld.“
„Nein! Ich liebe dich. Ich bin an allen Schuld. Als mein Vater mir sagte, dass er und deine Mutter. Erst war ich eifersüchtig, dann sah ich dein Foto.“ Sie fluchte: „Scheiße!“, derweil sie ihr rechtes Bein aus einem Rinnsal zog, das von Sekunde zu Sekunde anschwoll. „Ey! Das Schwein wollte dich erst zureiten und dann verkaufen. Der eigene Vater mit seiner Tochter. Ich muss kotzen! Ich musste was tun. Gebettelt habe ich, er sollte dich mir schenken. Ich habe ihm erzählt, ich wollte schon immer eine eigene Sklavin.“
Sabrina holte auf, hielt sie kurz am Arm. „Aber es war meine Idee, über das Watt zu fliehen.“
„Dann beeile dich. Komm, spring!“
Jenny sprang. In einem hohen Bogen überquerte sie das Wasser. Sie landete. Das Watt am Priel weich, morastig, gab nach. Erst ihre Beine, dann ihr Oberkörper verschwand in den Fluten.
„JENNY“, schrie Sabrina aus Leibeskräften und brach zusammen.

Sie wusste nicht mehr, wie sie es auf die Rettungsbake geschafft hatte, ihre Augen waren vom Meerwasser, von den Tränen, getrübt. Sie hockte nur da und starrte auf die See, dessen Spiegel sich allmählich senkte.
Ein lebloser Körper, das Gesicht im Grab, stieß an die rettende Insel. Sie war angekommen.
Sabrina zog mit letzter Kraft den Laib der Freundin, der Schwester auf das Holz, faltete ihre Hände und schloss ihre Augen. Sie sah zum wolkenlosen Himmel, band ihren Gürtel ab und knotete eine Seite an ein Querholz. Die Schlaufe in der Rechten glitt sie ins Wasser.
Den Riemen um ihren Hals wartete sie auf die Ebbe. ENDE


Tanja warf kopfschüttelnd das Buch auf den Wohnzimmertisch. Was Mädchen heutzutage lasen? Sie zuckte mit den Schultern, drehte sich eine Locke. Woher sollte sie das Wissen? Was las sie früher? An Tom Sawyer konnte sie sich erinnern, wie Huckleberry Finn allen auf der Nase tanzte. Enid Blytons Fünf Freunde oder Green Knowe von Lucy M. Boston vergas sie nie. Am ehesten erinnerte sie sich an Emil und die Detektive von Erich Kästern . Wie hatte sie das Buch gehasst. Ihre Mutter hatte es ihr aufgedrängt, um ihre Deutschkenntnisse zu verbessern. Sie sah sie neben der Tür in der kleinen Hütte, aristokratisch. Der Regen prasselte auf das mit Löchern übersäte Blechdach. Ihr Magen knurrte und sie verlangte, dass man die Wurzel nicht vergessen durfte. Sie zupfte an ihrer Nase. Vermutlich bildete sie sich desgleichen ein. Was war Realität, was Fantasie.

Sie stand auf, schritt zum Wohnzimmerspiegel, drückte ihre Nase ans Glas platt, quetschte die Finger in ihre aufgedunsene Taille, streckte sodann die Zunge heraus und murmelte: „Wo bleibt er nur?“, anschließend schnappte sie sich ein orange Sommerkleid vom Esstischstuhl, schlüpfte hinein und trottete in die Küche.
Nachdem sie die Terrassentür geöffnet und tief die Morgenluft inhaliert hatte, stellte sie den Wasserkocher an. Sie hing einen Teebeutel in ihren Pott und schnappte sich ein Brötchen aus dem Beutel. Die Brötchen, eine Flasche Milch und „De Telegraaf“ hatte der Vermieter vor die Terrasse gelegte.
**Das Wasser kochte. Sie goss den Tee auf, stellte den Wasserkocher ab und schlug die Tageszeitung auf, während aus einem Radio die Stimme ein Sprecher die aktuellen Nachrichten verlas.
„Deutscher Manager in einem Hotel nahe dem Hauptbahnhof mit einem Kugelschreiber im Hals Tod aufgefunden“, hörte sie, dabei griff sie sich ans Genick und schüttelte sich angewidert.
**Es klopfte an der Haustür. Sie schlang den Gürtel des Kleides um ihre Taille, band eine Schleife und eilte zur Tür.

„Aishe?“
Tanja blieb fast das Herz stehen. Mit jedem hätte sie gerechnet, jedoch nicht mit ihr. Was sollte sie mit ihr anfangen, denn sie wartete auf ihn? Ihr Plan schloss ein Zusammentreffen beider aus. Am einfachsten wäre es Aishe rasch heraus zu komplimentieren oder sie in einen anderen Raum zu verfrachten. Die Frage für Tanja war wie. Eins konnte sie nicht riskieren, und zwar enttarnt zu werden.
„Lass mich rein!“
Tanja atmete tief ein, sortierte all ihre Gedanken, all ihre Erinnerungen, all ihre Erfahrungen und öffnete die Tür.
„Wo hast du gesteckt? Ich habe andauernd versucht, dich anzurufen“, log sie.
„Frag nicht so viel. Du musst weg. Wo ist Svenja?“
Tanja strich über Aishes Oberarm und hauchte ihr einen Kuss auf den Mund. „Beruhig dich!“ Sie ergriff Aishes Hand. „Du zitterst am ganzen Leib. Erzähl!“
Aishe biss auf ihre Unterlippen. „Ich bin nicht die Frau, für die du mich hältst.“
Tanjas hob ihre Augenbrauen. „Nicht Aishe?“
„Doch, doch. Beruflich.“
„Du arbeitest nicht als Systemadministratorin im Krankenhaus.“
„Als Administratorin im Krankenhaus schon“, druckste sie, „aber nicht für die Klinik.“ Sie leckte über ihre Oberlippe. „Fürs Bundeskriminalamt.“
Tanja verdeckte ihren Mund und gluckste. „Du bist ein Bulle?“
„Nicht direkt. Weitestgehend bin ich für die EDV zuständig. Es ist ein geheimes Rechenzentrum.“
Zuzwinkernd strich Tanja über Aishes Schulter. „Was ist daran verwerflich? Du hättest es mir sagen können.“
„Alles geheim. Wäre auch nicht schlimm bis … wie soll ich es sagen, ich eines Tages auf Unstimmigkeiten stieß. Eine Art verschworene Gruppe von Polizisten, nicht allein aus Deutschland, die, wie sagt man, außerhalb des legalen Rahmens tätig waren und sind - Deckname Schwarze Witwe.“
Tanja vermochte mit dem Geschwafel nichts anzufangen. Sie ahnte gewiss, inwiefern es für sie bedeutsam war.
„Und?“
„Ich fasse mich kurz. Wir müssen weg.“
Sie erzählte Tanja, dass sie es ihrem Vorgesetzten gemeldet und jener erstaunt ihrer Qualitäten sie auf einen Geheimeinsatz geschickt hätte. Sie hatte den Auftrag, eine Inhaftierte auszuhorchen. Die Behörden nahmen sie unter einem banalen Vorwand in Haft. Anschließend steckte man sie in die Zelle von Tita de Klandt. Jene Frau, deren Wissen sie erforschen sollte. Eine Frau, welche am Tag zuvor verstorben war. Einzig ihre Mitgefangene vermochte von ihr etwas zu berichten. Wer sie war und weshalb sie hinter Gittern saß. Obgleich sie kaum Bedeutendes erfuhr, was sie nicht aus einer Akte erfahren hätte.
„Sie hat ihr andauern gesagt, sie sei Tanja Sengbein und säße zu Unrecht ein. Verstehst du!“
„Meinst du, Tanja ist für mich?“
„Hast du etwas zu trinken?“

Tanja war interessiert daran, was Aishe ahnte oder wusste, jedenfalls mehr, als es ihr lieb war. Sie mochte Aishe, dennoch war sie ihr egal. Der Zeitpunkt war ein verkehrter. Sie hatte nicht vor das Ferienhaus zu verlassen.
Tanja ergriff ihre Handtasche, schritt in die Küche, holte einen Teepott mit einem Segelboot Motiv aus dem Küchenschrank.
Mit zitternden Fingern fischte sie einen Teebeutel aus ihrer Tasche, hing ihn in den Pott und goss Wasser hinein.
„Du und deine Boote?“
„Trink, solange er warm ist.“
„Schmeckt ja grauenvoll!“
„Malve-Tee beruhigt.“
Aishe nahm einen Schluck und flüsterte: „Am selben Tag bekam ich eine Einzelzelle und am nächsten Morgen war ich Tita de Klandt.“
„Die haben dich hereingelegt.“
„Dachte ich zuerst. Ich kannte ja Tanjas Geschichte von dir.“
Tanja kratzte sich am Genick.
Am Vormittag verlangte ein Polizeibeamter aus Belgien, sie zu sprechen, fing sie den Faden wieder auf. Sie gab sich als Tanja aus, worauf er sich für sie einsetzte, um sie aus dem Gefängnis zu befreien.
Aishe schmunzelte. „War eine richtige Abenteuerreise.“ Sie wedelte mit ihrer Hand. „Ist dir auch so warm.“
„Nein! Trink! Der Tee kühlt.“
„In Belgien angekommen, kontaktierte mich ein deutscher Beamter. Gunnar Müller hieß er.“
Sie hatte ihre Prüfung bestanden, berichtete sie Tanja, denn auf den belgischen Polizisten war sie angesetzt. Er solle Kontakte zur Mafia haben und ein Leck sein.
„Wer war es?“
„Joos van Düwen!“
„Hast du ihn überführt?“
„Nein! Joos ist einer der nettesten Menschen, die ich kenne.“
Zuerst war sie nicht der Annahme, verkündete sie, denn er besorgte ihr einen Job in einem Bordell. Ihr Führungsoffizier wäre begeistert darüber gewesen. Einerseits sollte sie den Laden übernehmen, anderseits Joos ablenken. Denn sie wussten, wer seine Kontaktpersonen waren.
„Wer?“
„Josephine und Fridolin!“
Tanja zog ihre Augenbrauen zusammen.
„Deswegen habe ich ihn geheiratet. Dass wir uns vor dem Hotel getroffen hatten, war kein Zufall“, erklärte Aishe.

„Aishe?“
„Es tut mir leid. Ich weiß, du warst in ihn verliebt aber ...“
„Nichts aber.“ Tanja nahm sie in die Arme und küsste sie. „Ich lieb nur dich. Fridolin und ich sind nur Freunde. Er hat mich gebeten, es dir vorzuspielen. Er wollte dich eifersüchtig machen. Er hat dich geliebt“, verkündete Tanja emotionslos.
„Hat?“
„Er hat eine andere. Stephanie!“
Aishe kratzte sich an der Nase. „Stephanie?“
Tanja grinste. „Du kennst sie als Stephen.“
Aishe klatschte in die Hände. „Ich ahnte, ich wusste, dass sie kein Kerl ist!“
„Dergleichen war.“
„Wie?“
Tanja dachte nach, wie sie ihre Annahme mit Beweisen unterlegen konnte, damit Aishe endlich verschwand.
„Sie war bis vor einem Jahr Stephen. Soweit es mir Fridolin erzählt hat, war dies der Preis, welchen er zu zahlen hatte. Ursprünglich sollte er erst nach der Hochzeit angepasst, operiert werden, aber da er seit dem Motorradunfall ohnehin kein Glied mehr besaß.“
Aishe fasste sich an den Bauch. „Ich glaube, Malve-Tee ist nichts für mich. Das kann nicht sein?“
Tanja hielt ihr den Anhänger entgegen. „Schau. Es ist Malve-Tee.“
„Quatsch! Deine Stephanie hat mir erzählt, dass sie in einem Frauengefängnis eingesessen hatte. Mit oder ohne Penis dergleichen gibt es in keinem Land.“ Sie wedelte sich Luft zu. „Allah! Sie ist Tita de Klandt!“ – „Wieso Preis?“ – „Wir müssen weg!“
Tanja schmunzelte. „Preis! Sie sagte mir, wenn er dazu gehören will, müsste er einen Preis zahlen. Eins und ein ist zwei, so einfach ist das.“
„Wer ist sie?“
Die Zähne flechtend, lehnte sich Tanja vor und breitete ihre Arme aus und raunte: „Sie sind überall“, derweil sie Aishe zuzwinkerte. „Woher wusstest du, dass ich hier bin?“

„Ich habe“, druckste Aishe, „Stephen einen Sender in das orange-braune Kostüm gesteckt, das du mir geschenkt hattest. War eine wilde Fahrt. Nebenbei recherchierte ich für einen flüchtigen Bekannten. Ich fand seinen Wagen verlassen in der Nähe des Reiterhofs. Ich bin dann wieder zurück zu den Bunkern.“
„Bunker?“
„Das Signal war kurzzeitig dort. Kam direkt zum Zugriff, obwohl ...“
„Zugriff?“
„Stillschweigen. Jedenfalls traf ich auf Joos und Valentin. Der war zugekifft, als käme er gerade aus einem Coffeeshop. Das Signal war auch kurz hier in der Nähe gewesen und da wir“, sie schmunzelte, „des Öfteren …“,
Tanja kratzte sich und hob ihre Augenbrauen. „Ich weiß.“

„Außerdem“, ergänzte Aishe. „Wenn Stephanie Stephen, dann würde Fridolin mit seinem eigenen, zumindest Stiefbruder verkehren.“
„Mache dir darüber keine Sorgen. Fridolin ist nicht Vales Sohn. Er wurde angenommen“, konterte Tanja, um das Problem zu lösen.
„Woher willst du das wissen.“
Wut stieg in Tanja empor. „Was so Männer nach dem Sex brabbeln!“
„Du und Valentin?“
„Entschuldige.“ Tanja küsste Aishe. „Ich lieb nur dich. Trotzdem hat er für mich bezahlt.“
„Er hat dich ..?“
„Beim ersten Mal mit Sicherheit, aber …“
Aishe lehnte ihren Kopf zur Seite.
„Zwei oder dreimal haben wir“, log sie Aishe an.
Die Ehe hätte er ihr versprochen, verkündete Tanja. Er wollte sich von Franziska trennen. Pläne hatte er geschmiedet. Er wollte mit ihr in die Karibik auswandern. Sie konnte Segeln und er das Leben genießen. Bei dem Gedanken schoss Übelkeit in ihr hoch. Er erzählte ihr, dass er die Aussicht auf ein Vermögen hätte. Dann erfuhr sie bei ihrer Hochzeit von Bärbel, dass ihr Geliebter hinter die Sache mit dem Schließfach gekommen war. Von welchem sie gesprochen hatte, hatte sie keinen blassen Schimmer.
**Dieser alte Gockel war doppelgleisig gefahren, dabei hatte er kein Wissen, dass der Schatz nicht aus Geld bestand, wie ihr Bärbel lachend mitteilt hatte. Was in Wirklichkeit drin war, hatte sie ihr nie verraten.
Sie löste das Verlöbnis unter einem Vorwand und schlug vor, Valentin könne eine Wohnung in Passau anmieten. Mit einer monatlichen Apanage wäre sie gern bereit seine Gelüste weiterhin zu befriedigen, somit doppelter Gewinn für sie, aber kein Verlust für ihn. Wer hätte etwas dagegen, wenn ein Großvater ein zweimal die Woche sein Enkelkind besuchte? Sie strich über ihren Busen. Ein Trick, jener ihr mit Ergebnis gelungen war. Das letzte Hindernis wollte Josephine für sie beseitigen.

Aishe tupfte sich die Stirn und schwankte. „Josephine, was hat sie damit zu schaffen?“
Tanja druckste: „Josephine?“ Sie strich über Aishes Wange, auf der sich Schweißperlen bildeten. „Erzähle weiter.“
„John Neumann, gleichfalls einer von dieser Bande. Ich habe es nur zu spät herausgefunden, hat mich auf sie angesetzt.“
Er fand heraus, dass Josephine eine Gespielin suchte, schilderte Aishe. Josephine kannte sie nicht. Sie besuchte sie regelmäßig, um, wie Josephine sagte, sie in die Welt der Frauenliebe einzuführen. Sie hätte sich in ihre beste Freundin verliebt und wollte sie beglücken.
„Sie war ekelerregend, hat sie mit dir das gleichermaßen veranstaltet“, wetterte Aishe.
Tanja kniff ein Auge zu. „Was?“
„Zuerst ein Hundehalsband umgelegt, dann wie ein Rüde bestiegen.“
Tanja zuckte mit den Achseln. „Ich kenne ihre Sexpraktiken nicht. Wir hatten nie etwas miteinander. Trafen uns manchmal, schauten einen Porno und masturbierten. Das war alles“, log sie.
„Wir müssen weg“, keuchte Aishe. „Sie hat mich erkannt. Ich hätte schlafen sollen. Eine Stunde hätte gereicht.“ Sie öffnete ihre Handtasche, zerrte mit zitternder Hand einen Autoschlüssel heraus. „Du musst fahren. Von ihr wusste ich von eurer Aktion am Reiterhof, ahnte was“, ihr Atem vibrierte, „und habe Joos einen gleichlautenden Brief geschickt. Ich wusste nicht, dass ich voll ins Wespennest gestochen habe. Verstehst du, Tita de Klandt will deine Identität. Macht mit den beiden …“ Aishe röchelte, rang nach Luft.

Tanja drehte sich eine Locke. Wenn es dem war,
dann war ihr Plan voll daneben gegangen. Nicht sie war die Täterin, sondern das Opfer. Sie versuchte, all ihre Gedächtnisfetzen zu sortieren. Wenn Aishe die Wahrheit sagte, dann gab es ein Resultat. Klara war Tita und sie war wahrlich Tanja, Tanja Sengbein. Damit konnte Klara nur als Tanja weiter existieren. Wenn diese verschwand.
„Komm, geh in die Küche, trink was, dann hauen wir ab“, forderte Tanja Aishe auf.
Aishe torkelte in die Küche. Kaum hatte sie die Küchentür hinter sich gelassen, schallte ein kurzer, erstickter Schrei aus dem Raum. Stille.



Tierfracht

„Meno, mein Genick schmerzt mir noch immer.“
„Ha, ha, was soll ich sagen. Werd in einen Kofferraum gequetscht.“
Fridolin wandte sich kurz um. „Die paar Minuten!“
Tami wies zur Windschutzscheibe. „Hey Macker, pass auf, sonst schiebst uns in Graben.“
„Wo fahren wir überhaupt hin?“, fragte Svenja, die rechts neben ihrer Freundin auf der Rückbank saß.
„Eher warum der Chauvi“, erboste sich Tami und trat gegen den Fahrersitz.
Sie warf ihren Kopf zurück, verschränkte die Arme und kippte gegen die Rückenlehne.
„Habe ich euch längst gesagt.“ Fridolin klopfte auf das Lenkrad. „Ihr seid direkt in einen Polizeieinsatz gelaufen.“
„Deshalb mopst Joos Karre“, wetterte Tami.
„Er hat mich gebeten, seinen Wagen zur Kapelle zu fahren.“
„Kapelle?“, doppelte Tami.
„Mit Alina ist wirklich alles klar?“, fragte Svenja nach.
„Ja! Wir treffen uns mit Vale.“
„Wenn?“
Svenja nickte. „Seinem Vater!“
„Ich muss mal. Halt an!“, nörgelte Tami.
„Jetzt nicht!“

Dieses weibische Genörgel und Gezeter ging ihm auf den Nerv. Er hatte andere Probleme. Zumindest hatte er Klara befreit.
Wenn Josephine neben ihm gestanden hätte, als sie ihn anrief, dann hätte er ihr die Augen ausgekratzt. In ein Schließfach hatte sie seine Verlobte gesteckt. Alle Geschwindigkeitsbegrenzungen hatte er missachtet, war zum Bahnhof gerast und fand das Gepäckfach. Aber wie vermochte er, sie unbemerkt herauszuholen, jener Anlage zu entnehmen. Er zermarterte sich den Kopf, stürmte durch das Gebäude und entdeckte, das Schicksal erbarmte sich, einen Schrankkoffer, jener zur Dekoration neben einer in einem Brautkleid steckenden Schaufensterpuppe stand. Die Puppe in ihrer leblosen Art ihm zuzwinkerte, sie ihn bat, sie aus dem Verlies zu befreien, mit ihr die Hochzeitsreise zu begehen.
**Sein letztes Bargeld der Boutiquebesitzerin in die Hand gedrückt, war er, den Koffer hinter sich herziehend, zum Schließfach gezockelt. Tippte das Passwort ein und erstarrte. Josephine war der Teufel, der Leibhaftige. Er hätte es sich denken können. Mehrere Kombinationen hatte er ausprobiert. Dem Aufgeben nahe, mit dem Gedanken schwanger, sich der Polizei zu stellen, tippte er das Geburtsdatum und zum Auffüllen der letzten vier Stellen das Datum des Tages ein – Klaras angeblicher Todestag.
In einer unbeobachteten Sekunde hievte er den Paketsack in den Koffer, wobei sie ein Röcheln als Lebenszeichen abgab.
**Die Fahrt durch Amsterdam zog sich für ihn empfunden in die Länge, der Verkehr war nicht zum Aushalten. Erst weit außerhalb der Stadt fand er einen einsamen Feldweg. Er befreite sie aus ihrem Gefängnis, löste ihre Fessel und sie, als wäre nichts geschehen, verpasste ihm eine Ohrfeige. Dann küssten sie sich, wie sie sich nie zuvor geküsst hatten. Ihr Plan war gescheitert. Aber sie hellwach im Verstand plante erneut. Denn Josephine hatte es nicht bemerkt. Die winzige Kamera an seinem Revers, die ihre Tat aufgezeichnet hatte.

Er liebte sie. Sein Beistand war nicht gespielt, weil er an ihrem Leidensweg schuldig war. Nein! Seit der letzten Nacht war er nicht mehr zu Gänze verantwortlich. Sein Vater und Franziska waren die Quelle. Hätten sie ihr Liebesnest nicht im Bunker aufgeschlagen, dann hätte er es nie entdeckt, niemals Josephine davon berichtet. Somit wäre sie nie auf den Gedanken gekommen, ihre perversen Gelüste auszuleben. Das Buch, welches sie mit Klara verschlungen hatte, nach zuspielen.
**Er hatte sich damals verspätete, schlich sich in die Scheune. Da sah er sie. Josephine und Klara umschlugen. Er beobachtete, wie sich leckten, wie sie gegenseitig an ihren Genitalien fummelten, stöhnten, quiekten. Ihn machte es an. Geilte ihn auf.
Klara bekleidete sich, küsste Josephine auf den Mund, steckte ihre Zunge tief in ihren Rachen. Josephine stand auf und schrie, bölkte das Mädchen an, welches er bereits einmal gesehen hatte, aber nicht wusste, wer es war. Erst in diesem Moment erblickte er sie. Sie hockte unweit der beiden und zog sich ihren Slip über ihr Becken. Josephine amüsierte sich. Dazu kommen hätte, sie können, spottete Josephine. Das Mädchen sprang auf die unter ihr zusammenbrechende Treppe.
Aufgebracht lief Klara zu ihr, beugte sich über den Abgrund und Josephine schlug ihr mit einem Kantholz gegen den Schädel, sodass Klara zusammensackte und herunterstürzte.
Erst in diesem Moment zog er sich seine Hose hoch, rannte bis zur Kante über das Stroh. Anton beugte sich über Klara, blickte ihn an, schrie ihn an, was sie hier täten. Josephine kletterte, den übrig gebliebenen Rest der Treppe herunter und befahl ihm, ihre Klamotten zu holen. Er sammelte ihre verstreuten Sachen ein, dann hangelte er sich hinab. Josephine, Klara und Anton waren verschwunden, die Dritte lag mit einer Kopfwunde leblos am Boden. Fessel mich, ich komme schon klar, lauf weg, kommandierte sie ihn. Er band ihre Fesseln, band ihre Gelenkte und stülpte einen Jutesack über ihren Kopf.

Vor der Scheune übergab er Josephine ihre Sachen, fragte, was mit der anderen geschehe, woraufhin Anton ihm antwortete, dass Gunnar sich um sie kümmere. Er setzte sich in Anton Wagen, auf seinem Schoß Josephine, auf der Rückbank die bewusstlose Klara. Die ganze Fahrt streichelte er Josephines nackte Haut, ihre Brüste, ihre Vulva, sie lächelte Anton an, wobei ihr Korpus bebte.
**Anton legte Klaras schlaffen Körper auf den Bunkerboden, Josephine sich auf die Liege. Es war das erste Mal, dass es Sex hatte. Seitdem war er ihr hörig. Er spielte den schwarzen Mann, sodann verließ er die Anlage.
**Kein Auge hatte er zugetan in dieser Nacht, dachte fortwährend an das Mädchen in der Scheune. Am Morgen hielt er es nicht mehr aus. Er ritt zur Scheune.

„Ich muss mal“, zeterte Tami und stieß mit dem Fuß gegen die Mauer der Kapelle.
„Warte!“
„Kannst du nicht aufhalten“, flüsterte Svenja.
„Nein!“, zog sie durch die Zähne. „Geht nicht!“
„Wieso?“
Tami flüsterte: „Weißt doch, wo ich immer meine Sachen verstaue“.
„Ja.“
„Mein Handy, beim Reiten.“
„Wie?“
„Es war im Weg! Wollte?“
„Und!“
„Doofe Frage!“
Svenja verdeckte ihre Lippen und kicherte.
„Das ist nicht witzig!“
„Solange dich niemand anruft.“
„Hatte schon zwei!“
„Ich habe nichts gehört.“
„Vibrationsalarm“, zischte sie zuerst, dann bölkte sie: „Ich muss mal!“

Ihre Augen waren ihm vertraut, dabei war er in England, um sie auf ihre Rolle vorzubereiten. Er gab sich nicht zu erkennen, hatte nur Angst, denn was sie ihm sagte, erschütterte ihn.
**Die Arme, die Beine am Bett gefesselt, den Mund geknebelt, die Augen verbunden misshandelten sie die ganze Nacht zwei oder drei Männer. Im Detail vermochte sie es nicht mehr zu sagen. Durchweg ihr Stöhnen und das dämonische Lachen von Josephine, wie sie sagte, vernahm sie. Bis der Stich einer Nadel sie erlöste, sie einen der Kerle hörte, wie er ihr schöne Träume wünschte. Jener ihr daraufhin versprach, dass sie die Hochgenüsse ab morgen jeden Tag bis zum Ende ihres Lebens genießen werde.
**Wie sie den Mistkerlen entronnen war, hatte sie verdrängt, vergessen. Nur dass sie mit ihrer Mutter nach Südafrika geflohen war, war für sie in jenen Tagen von Belang. Für ihn war sie die stärkste Frau.
Fast zwei Jahre später erfuhr sie, hatte sie ihm erzählt, dass ihre Freundin, ebenfalls im südlichen Afrika lebte. Ein paar Kilometer von ihrer neuen Heimat entfernt. Sie lernte Tanjas Vater kennen. Einen exzellenten Arzt, wie sie ihn beschrieben hatte. Sie faste den Entschluss, den Beruf der Krankenschwester zu ergreifen. Die Arbeit gefiel ihr, bis sie schwanger wurde. Wie ihre Freundin war sie guter Hoffnung.
Ihr Kind kam früher als berechnet. Sie war dabei, ihre Sachen im Schwesternwohnheim zu packen, da setzten die Wehen ein.
Die Geburt verlief ohne Komplikationen, der Schreck folgte ein Tag später. Ihre Freundin, die zwei Wochen zuvor ein Frühchen zur Welt gebracht hätte, schlenderte Arm in Arm mit Josephine in ihr Krankenzimmer. Josephine überreichte ihr, wie sie ihm gesagt hatte, nicht nur ein Strauss Rosen, nachdem die Freundin das Zimmer verlassen hatte, sondern verriet ihr durch die Blume, wer sie im Bunker misshandelt hätte.

„Ich muss mal“, nörgelte Tami.
„Mir ist langweilig“, nölte Svenja und wedeltet mit ihrem Rock. „Außerdem ist mir warm.“
Er sah auf seine Armbanduhr. „Dann lasst uns hineingehen.“
„Kann ich vorher …“
„Nein“, harschte er Tami an.
Hätte er damals bereits gewusst, wer ihre Freundin in Südafrika gewesen war. Hätte er dann anders gehandelt? Nein! Dafür liebte er sie zu sehr. Wie leicht hätten sie von vornherein gemeinsam geplant, sich nicht gegenseitig behindert.
Einerlei. Vergangenheit blieb Vergangenheit und jede Weggabelung verlangt nach neuen Entschlüssen.
**Auf eine gewisse Weise liebte er gleichfalls Tanja. Keine Liebe ihrer Körper verflocht sie. Sie verbannt mehr. Es waren die Stunden, in denen es kein gestern, kein heute existierte, keine Familie, keine Verwandte, keine Freunde. Nur sie zwei vereint im Gespräch, in der Freude, im Vergnügen. Jeder konnte sein, wie er war, ohne Konventionen. Wenngleich er manchmal den Eindruck spürte, sie suche seine körperliche Nähe.
**Einmal hatte sie ihm einen Fingerzeig gegeben, dass sie einen Bruder oder etwas Ähnliches hätte. Klar! Wer hat keine Eltern, Anverwandte oder Geschwister, nichts Außergewöhnliches, obgleich diese in manchen Situationen eher ein Ballast waren. Wenn? Was ging ihm ein Bruder an, welcher ein paar Jahre jünger als Tanja, unter Umständen selbst eine Familie hatte. Aber ihren Bruder als Tochter auszugeben, wie sein Vater behauptete, ein anderes Ding. Obschon es in ihren Plan passte.
**Dabei sah er es Antonia nicht an. Für ihn war er in seiner Grazilität ein Mädchen. Anderes das Girl an seiner Seite. Einzig und allein ihre enge Reiterhose, die Kurven an ihrem Oberkörper verrieten ihm ihr Geschlecht. Ansonsten wäre sie für ihn als Junge durchgegangen.
Die Szene bei der Party von Josephine hätte ihm ein nächstes Warnzeichen sein sollen.
**Klara und er gingen vorher essen. Sie verzaubernd herausgeputzt. Er stolz an ihrer Seite zu sein. Denn er sah ihren wahren Liebreiz. Sie kamen in ihr Hotel. Klara wollte sich als Stephen fertig machen. Da saßen sie in der Lobby, die ganzen Schnepfen, kichernd, ein Glas Prosecco in der Hand.
Es wäre Zeit gewesen. Sekunden danach betrat Tanja in den Armen von Aishe die Halle. Er machte sich keine Gedanken, ob sie sich kannten oder nicht. Aishe hatte er seit dem Abitur nicht mehr gesehen und Josephine rief lauthals Stephen. Klara zischte ihm ein knappes ‚Ich schaff das schon‘ entgegen, dann schnappte er sich Aishe und verschwand.
**Am nächsten Morgen berichtete Klara ihm, dass alles nach Plan gelaufen wäre. Tanja, der Ansicht, wäre, sie sei Stephen. Tanja wusste, wen sie traf. Er hatte ihr den Deal angeboten. Verrückt genug dafür war sie.
**Es lief alles wie am Schnürchen. Josephine berichtet ihm, dass Klara angebissen hätte. Verständlicherweise verwundert, erboste ihm dieses, immerhin war er mit Klara zusammen. Bei dem Gedanken, wie sich beide umschlangen, sich küssten, sich streichelten, überkam ihn ein Brechreiz. Er schloss seine Augen, malte sich aus, wie sie sich intim berührten. Sein Magen verknotete sich.
**Josephine hatte nie ihren Namen ausgesprochen. Aber außer seiner Klara kam keine weitere Frau infrage. Obgleich Klara eine körperliche Nähe zu Josephine bestritt, berichtete jene ihm ausführlich über jedes amouröses Abenteuer. Seine Klara war einzig bedacht darauf, ihn zu schützen.
Klara hatte ihm erzählt, dass die Dritte von damals verschollen wäre. Daher musste Josephine sich zwei Doubles suchen, um dann von außen das Spiel zu lenken.

An einem Abend ändert sich alles. Er baute Tanjas Küche auf und Klara schnatterte wie immer pausenlos. Sie kam auf die Idee, Antonias Zimmer rosa zu streichen. Sie zwinkerte. Er dachte, das Blinzeln von ihr wäre eine Bestätigung seiner damaligen Annahme, dass jenes Mädchen an Tanjas Seite eine Nichte von ihr wäre und damit den Grund der Hochzeit unterstrich. Klara zog ihr mausgraues Kostüm an, sagte ihm, sie hätte etwas zu erledigen und sie wäre vor dem Morgengrauen nicht zurück. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihrem angeborenen Geschlecht angemessen gekleidet das Haus oder ihr Hotelzimmer verließ.
**Sofern sie zu zweit schritten, waren sie ein normales Paar. War sie allein unterwegs, machte er sich Sorgen.
Er fuhr zum Hof, nicht mit seinem Wagen, sondern mit Josephines Porsche. Sein BMW stand beim Vater, der ihn am Nachmittag mit nach Passau genommen hatte.
**Den Farbeimer in der Hand entschied er sich, mit seinem Wagen zurückzufahren. Er zielte nicht darauf ab, Josephines Liebling zu bekleckern.
**Er beeilte sich, denn er hatte sich am Vormittag mit Tanja verabredet, um gemeinsam einen heimeligen Abend zu verbringen.
Im Bad epilierte er sich seine Beine, duschte sich, steckte die Nase in ihren Kleiderschrank und inhalierte ihr Parfüm.
Die Kerzen angezündet, eine Flasche Wein, zwei Gläser bereitgestellt, erwartete er ihre Ankunft.
**Er musste eingeschlafen sein. Die Kerzen waren halb abgebrannt. Klara stand vor ihm, aufgewühlt, als hätte sie den Leibhaftigen gesehen. Ihm fiel fast das Herz ins Höschen. Ihr schien er vollkommen egal. Sie stürzte sich auf ihn, umschlang ihn, küsste ihn, als könne sie damit alles Geschehene von sich abspülen. Sie hatten das erste Mal Sex miteinander.

Klara verkleidet sich zu Stephen, denn sie musste zur Bahn, wie sie ihm erklärte. Sie hatte Franziska gesagt, sie hätte einen Gerichtstermin in München. Kaum hatte sie die Wohnung verlassen, stürmte Tanja hinein und entschuldigte sich für ihr Verspäten. Sie hätte eine alte Freundin getroffen, jene benötigte für ein paar Tage einen fahrbaren Untersatz. Stephen hätte ihr erlaubt, dafür Josephines Sportwagen zu nehmen. Es war das erste Mal, dass der Name Josephine über Tanjas Lippen floss. Gut! Sie kannte sie von der Party, aber wie sie es sagte, klang vertraut, bedenkenlos, als wüsste sie von ihrer Freundschaft.
**Seine Gedanken schwirrten. Er bedauerte, Josephines Wagen wäre auf dem Hof. Sie zerrte ihn vom Sofa. Der Klopfer schmetterte ihm sodann dort entgegen. Sie hatte ihn gebeten, den Flitzer zu einer Pension zu überführen und dort den Schlüssel dem Nachtportier zu übergeben. Sie erklärte ihm, in ihrer überzeugenden Art – er konnte ihr nie etwas ausschlagen - einen anderen Termin wahrnehmen zu müssen. So wie in dieser Nacht hatte er sich nie in seinem Leben geschämt.

„Boa ey, ist das geil“, staunte Svenja. „Die vielen Segelschiffe an der Decke. Eine richtige Piratenkapelle.“
Tami ging zur rechten Kapellenmauer, strich über den Putz. „Überall Bilder von Booten.“ Sie wandte sich zu Svenja um. „Schau! Das Schiff sieht aus wie das auf deiner Fensterbank.“ Sie kicherte. „Es heiß sogar wie dein Großvater, Nahne Tütken.“
Svenja rannte zu ihr. „Das gibt es doch nicht.“
Tami stellte sich auf ein Bein, umschloss ihren Kopf mit den Armen und deutete eine Pirouette an. „Nur die Ballerina fehlt. Die aussieht, wie von‘ner Spieluhr.“

Er dachte an den Polterabend. Erst in dieser Nacht verbündeten sie sich. Zwei Down-Quarks und ein Upquark verschmolzen zu einem Neutrum, welches unbeeinflusst vom Magnetfeld der Mitmenschen sich seinen Weg bahnte.
**Josephine hatte ihn angerufen, ihn zur Lola bestellt, obwohl sie Schwulen- und Lesbenbars hasste. Dabei schlief sie zumindest mit einer Frau. Sie tat alles, um ihren Erfolg zu erreichen.
**Sie waren auf dem Weg zu ihrem Hotel, da offerierte sie ihm, Tanja wäre Klara sowie ihren Plan. Alina wollte sie verkaufen. Sie hatte herausbekommen, inwiefern das Kind adoptiert und ihre unzweifelhafte Familie aus dem Mafiamilieu, wie sie andeutete, eine Menge Geld zahle. Das Spiel mit der Entführung in den Bunker ideal. Eine bessere Ablenkung gab es nicht.
Unter einem Vorwand verabschiede er sich, fuhr zu Tanjas Wohnung. Klara lag im Bett und schlief. Er weckte sie und erzählte ihr, was er von Josephine erfahren hatte. Sie beruhigte ihn. Immerhin würden sie und er wachen, dabei schalte ihr Lachen durchs Schlafzimmer, Josephine hätte gar nicht die Chance, ihren Streben in die Tat umzusetzen. Denn sie würde längst gefesselt im Bunker liegen. Angsterfüllt. Mehr hatten sie nicht vor. Ihr kein Haar krümmen. Ihren Geist brechen, Rache genug. Klara küsste.
**In voller Ekstase verschmolzen, begrüßte Tanja sie mit den Worten, sie sollten sich nicht stören lassen und schritt zu ihrem Kleiderschrank. Klara sprang vor ihm ab, berichtete Tanja, das von ihm Erfahrende und kleidete sich an. Die beiden Frauen zwinkerten ihn unisono an, forderte ihn auf, mitzukommen. Wie früher, der alten Zeiten wegen. Er verstand nicht, was sie meinten, trotzdem folgte er Tanjas Ruf, obgleich er sich schämte. Er konnte ihr nie etwas abschlagen.

Das Fahrgeräusch eines Lieferwagens drang in die Kapelle.
„Oh! Da kommt wer“, murmelte Svenja und rannte aus der Kapelle.
Fridolin strich mit den Fingern über die Nahne Tütken. Gab es da nicht die Geschichte von den Rohdiamanten, die dieser Tütken versteckt hielt? Es wäre Zufall, aber verlockend. Auf der Farm, die er von Josephine als sein Anteil bekommen hatte, dem zukünftigen Hort des Friedens, auf dem Klara und er eine Familie gründen wollte, lag eine stillgelegte Mine.
**Ein Lieferwagen mit der Aufschrift „Internationale Tiertransporte“ fuhr vor. Der Fahrer stieg aus, ging zu einem Busch und stellt sich breitbeinig vor das Grün.
„Männer“, zürnte Svenja und drehte ihren Gürtel zurecht. Worauf ein Briefumschlag zu Boden segelte, zudem sie sich bückte. Sie riss ihn auf und zog ein Foto heraus. Die Augenbrauen zusammen gezogen, zupfte sie an ihrem Ohrläppchen. Ein Mann, eine Frau Arm in Arm vor fernöstlicher Kulisse. Svenja verdeckte ihre Lippen und wandte das Foto. „Ich habe geheiratet. Liebe Grüße Lisselotte“, flüsterte sie, dann legte sich eine behaarte Hand auf ihren Mund, drückte ein Tuch auf ihre Nase.
**Der Fahrer des Lieferwagens zog Svenjas schlaffen Körper zum Fahrzeug, öffnete die rechte, hintere Ladetür, warf sie hinein, kletterte hinterher und schloss sodann die Klappe.



Atemlos

Josephine drehte die Pfanne gleich eines Tennisschlägers in ihrer Hand und sah auf die Frau, die mit aufgerissenen Augen auf dem Boden lag und hechelte. Sie hätte sich nie vorgestellt, dass sie mit einer Pfanne jemanden niederstrecken würde. Sie, die nicht einmal ein Spiegelei zu braten vermochte. Sich zur Küchentür umschauend, trat sie gegen den zuckenden Körper. Keine Reaktion, kein Aufschrei entlockte sie ihm. **Ein zweiter Tritt gegen die Nieren bestätigte die physische Abwesenheit der Person. Sie hockte sich nieder, zerrte die Handtasche von dem verkrampften Arm, sprang auf und versteckte sich hinter dem Türblatt. Schritte von Damenschuhen kamen näher. Sie öffnete die Tasche und lächelte das Eisen an.

„Aishe.“ Tanja sprang in die Küche, kniete sich vor Aishe nieder und rüttelte sie. „Aishe!“
Sie schnalzte, hob die Pistole auf Hüfthöhe und stieß das Blatt der Küchentür zur Seite. „Freundin, Schwester.“
Tanja drehte sich mit einem Ruck um. „Josephine!“
„Überrascht?“
„Weniger.“
Josephine wies mit der Waffe zur Terrassentür. „Die Tür aufzulassen, ist dumm.“
„Was willst du?“
Ihr Haar über die Schultern schleudernd, deutete sie auf einen Küchenstuhl. „Setz dich!“
„Was willst du?“, wiederholte Tanja und gehorchte.
„Mit dir reden Jannette oder …“, sie grinste, „soll ich dich bei deinem richtigen Namen nennen Stephen.“
„Jetzt spinnst du total“, stellte Tanja fest.
„Ich weiß es. Leugnen zwecklos.“
Tanja grinste. „Du warst schon immer verrückt. Erinnerst du dich noch an meine Puppe?“
„Ach ja, die Lisa. Grausiges Ding.“
„Was du gemacht hast?“
Josephine hob ihren linken Arm und krallte die Finger. „Ihr die Augen ausgekratzt. Es war mir ein Vergnügen.“
„Ich habe dich deswegen gehasst.“
„Quatsch, verehrt hast du mich. Angebetet! Ich war das, was du nie warst. Ein Mädchen.“
„Dafür“, Tanja wies auf die Pistole, „planst du, mich abzuknallen.“
„Gibst du es zu.“
„Was?“
„Dass du Stephen bist.“
Tanja verdrehte ihre Augen, grinste und flüsterte: „Bist du jetzt Bellatrix Lestrange!“
Josephine lachte. „Zweimal an einem Tag gelobt zu werden, erst als Schlange, dann als Bellatrix, das geht runter wie Öl.“
Tanja senkte ihren Kopf und schüttelte diesen. „Josephine“, sie schaute sie an, „denk nach? Wenn ich ein Mann bin, wie soll ich ein Kind zur Welt gebracht haben.“ Sie strich über ihren Bauch. „Wie sollte ich schwanger sein.“
„Schwanger du? Zu viel gefressen“, sie fuchtelte mit der Waffe und schürzte ihre Lippen. Sollte sie ihr Geheimnis preisgeben? Überlegte sie. Was hatte sie zu verlieren? „Wie ich hast du ein Kind zur Welt gebracht.“
Tanja griente. „Dann erzähl mir deine Lügengeschichte.“

„Mein Ex wollte immer ein Balg. Kannst du dir das vorstellen? Ich schwanger, aufgebläht, wie ein Hefekloß, herumlaufen wie eine Schildkröte und danach meine Figur. Bekommt man nie wieder hin. Eine Leihmutter habe ich ihm organisiert, gevögelt hat er sie. Hat ihm gewiss Spaß bereitet. Ich habe mir den Bauch ausgestopft, einen Mutterpass besorgt. Weißt du, für Geld bekommt man alles. Dann ab in den Spanienurlaub auf eine abgelegene Finca.“
Tanja nickte. „Das soll ich durchgezogen haben.“
„Nicht du allein. Dafür bist du zu behämmert.“
Ein Auge zugekniffen, lächelte Tanja sie an „Habe ich etwa eine Anzeige aufgegeben?“
Woraufhin Josephine das Lächeln erwiderte. „Hattet ihr nicht nötig. Genug Auswahl war vorhanden.“
„Wo?“
„Bei meinem Großvater.“
Tanja starrte zur Decke. „Ich kenn deinen Opa nicht.“
„Aaron van Düwen.“
Die Lippen gepresst, tippte Tanja an ihre Schläfe. „Van Düwen du heißt Mükke.“
„Meine Mutter hat eben nicht Joos‘ Nachnamen angenommen.“
„Joos ist dein Vater?“
„Ernährer ja. Erzeuger ganz bestimmt nicht.“
„Armes Kind!“ Tanja stand auf. „Deshalb bist du verrückt geworden?“
„Sitzen bleiben!“ Josephine öffnete Aishes Handtasche.
Was sie alles mit sich trägt, fuhr es ihr durch den Sinn.
Sie schritt zum Küchenschrank, schnappte sich ein Geschirrtuch, warf es Tanja auf den Schoß und kommandierte: „Durchreißen“.
„Bitte, wenn du meinst?“
„Binde deine Fessel an den Stuhl fest.“
Tanja verrichtete, was sie abverlangte.
Josephine sah sich um, sodann ergriff sie eine Rolle Küchenfolie. „Um Arm und Armlehne.“
Mit der Rolle auf ihren linken Arm klopfend, griente Tanja sie an. „Wie?“
Josephine rollte ein Stück der Folie ab, drückte dieses auf Tanjas Hand, dabei drohte sie mit der Waffe. Dann holte sie eine Handschelle aus Aishes Tasche, schloss diese um Tanjas linkes Handgelenk und der zweiten Lehne.
„Jetzt musst du mir zuhören“, wetterte sie. „Kennst du noch Nicoletta“
„Nein! Wer ist sie?“
„Eine Mitschülerin von dir. Hatte allerlei Spaß mit ihr.“ Sie schwang ihren Kopf. „Fridolin mit ihr definitiv gleichfalls.“ Sie leckte über ihre Oberlippe. „War echt heiß nach unserm Spiel, konnte gar nicht genug bekommen. Dann warst du ein letztes Mal im Internat. Du hast mich nicht gesehen, aber ich habe dich beobachtet. Danach bist du mit ihr aufs Zimmer gegangen. Ich bin sofort in den Garten gelaufen. Wen erblicke ich, wie Tarzan die Ranken hochklettern? Wen?“
Tanja zuckte mit den Achseln.
„Fridolin. Als ich später mal wieder da war, war sie verschwunden. Komisch.“
Es entsprach zwar nicht der Wahrheit, denn was wusste sie schon, jedoch es passte zu dem, was ihr dieser Gunnar gesteckt hatte. Jedenfalls war sie hinter ihren perfiden Plan gekommen. Sie abzulenken, in die Irre zu führen, hatten sie sich ausgeheckt. Sie blickte zu der bewusstlos daliegenden Aishe.

Die Lippen gespitzt, pfiff Tanja ein kurzes Lied. „Erwischt. Wir hatten einen flotten Dreier. Und! Kein Zeugnis, dass ich Stephen bin.“
„Den Beweis brauchte ich nicht. Ich wusste es, ahnte es immer. Indizien. Nie spielten wir als Kinder Doktorspielchen. Du hättest dich enttarnt. Dann auf dem Reiterhof, nur mit Klara teiltest du dir ein Zimmer. Nie bist du mit zum Baden. Nie hast du zusammen mit den anderen Mädels geduscht.“
Josephine hob ihre Augenbrauen, selten ertappte sie sich dabei, die Wahrheit zu sagen.
Tanja hob die Schultern. „War prüde.“
Warum zog sie alles in die Länge? Wut keimte in Josephine auf.
„Wie gesagt, ich ahnte es schon früher.“

Neugierig war sie gewesen, erklärte Josephine. Da war dieser Junge, welcher nicht da war. Antons und Franziskas Sohn. Sie schlich sich eines Tages ins Büro. Da las sie, dass der Boy im Internat lebte. Ein Bursche in einem Mädcheninternat, kaum zu glauben. Sie hörte sich bei den Mädchen um. Nur ein Girl hatte ein Einzelzimmer, Jannette! Nett soll sie gewesen sein, wissensdurstig, eher ein Nerd, hielt sich mehr im Hintergrund. Klar, diese Jannette konnte nur Stephen sein. Heimlich beobachtete sie ihn, wenn sie mal bei den Großeltern und dies kam selten vor, berichtete sie mit Pathos, denn auch dieses entsprach der Wahrheit. Sie erfuhr, dass sie sich öfters bei den van Düwen aufhielt, grundlegend war das tabu, anderseits war er der Sohn des Gärtners und der Haushälterin. Erst ein Foto brachte sie auf den richtigen Weg.
**War sie auf dem Holzweg? War niemand dahintergekommen? Sie kniff ein Auge zu. Bestand die Möglichkeit? Es kam von der Zeit nicht hin. So gut kannte sie die Geschichte der van Düwen. Es blieb nur eine Variante übrig. Sie hatten die Verwirrtheit des Alten ausgenutzt.

„Och! Warst du eifersüchtig?“
Josephine fuchtelte mit der Pistole vor Tanjas Gesicht. „Damals schon. Ich kannte nicht die wahren Hintergründe.“
Tanja gähnte. „Die wären?“
Josephine nährte sich der Gefesselten, bis ihre Nasenspitze sie haarscharf berührte. „Du bist nicht Antons und Franziskas Junge, sondern Antons und Marias Kind.“ Sie zog ihren Oberkörper zurück. „Oder soll ich Sophia sagen.“

„Habe ich das jemals bestritten. Ich gebe mich als Tanja aus. Du weißt warum?“
Was sollte das Spiel und warum starte sie andauernd zu Aishe. Sie machte sie verrückt.
„Gib es endlich zu“, schrie Josephine.
Tanja starrte auf die Mündung. „Gut, weil du es bist. Ich habe gelogen. Du hast die besseren Argumente. Lass den Scheiß, du weißt, dass ich nicht Tanja bin.“
Josephine zielte auf ihren Kopf.
Daraufhin hob Tanja ihre Schultern. „Okay, wenn es dir Freude macht, erzähle ich weiter, aber beschwere dich dann nicht, falls du einschläfst. Nach unserer Aktion im Bunker spielten alle verrückt. In Sicherheit wollten sie mich bringen. Wir sind nach Lesotho gezogen. Meine Mutter gab sich dann als Maria und ich als Klara Weber aus.“ Sie verdrehte ihre Augen. „Zufrieden?“

Was erzählte sie für einen Blödsinn.
„Meinst du, wir haben das nicht herausgefunden?“
„Wer wir?“
„Fragt nicht so blöd. Du weißt es genau.“ Josephine zog ihre Augenbrauen zusammen. „Ich habe es herausbekommen, indessen geglaubt hat es mir keiner. An der Nase habt ihr uns herumgeführt. Glaubst du, die Entführung war gespielt. Aber mein alberner Vater fuchtelte dazwischen, obwohl ich immer gesagt habe, dass Jannette die Auserwählte ist und sie es nicht sein kann, da sie ein Junge ist.“
Tanja lachte. „Welche Auserwählte! Welcher Sekte hörst du den an?“
„Schnauzte! Sprich nicht in diesem Ton über die Familie.“
„Beruhig dich. Du warst gerade dabei, mir zu erklären, dass ich Seraphine bin.“
„Ha! Du hast dich verquatscht. Ich habe den Namen nicht genannt.“
Tanja gähnte. „Hat mir Stephanie genannt. Ich dachte ...“
„Schweig!“

Es war in der Scheune, fuhr sie fort. Tanja und sie hatten Sex miteinander. Da hatte sie Jannette erblickt. Sie hatte ihre Hand unter dem Rock und masturbierte. Nicht wie ein Junge, wie ein Mädchen rieb sie sich und starrte nicht auf sie, sondern an ihnen vorbei. Erst später wusste sie, wen sie angeglotzt und warum sie sich selbst befriedigt hatte.

Tanja grinste sie an. „Du widersprichst dir.“
Natürlich widersprach sie sich, war ja ihre Absicht. Denn sie hatte es gelernt, nicht in der Uni, sondern von ihren Verrückten. Erlebtes, Gehörtes und Gesponnenes miteinander zu verweben. Andere an der Nase herumzuführen, Vorteile zu gewinnen. Er war ihr Leben und dieses im wahrsten Sinne des Wortes. Denn sie hat es gestaltet. Wer sie war. Wie sie war. Wo sie war. Niemanden erlaubte sie, ihre Existenz infrage zu stellen.
„Quatsch! Bin ich Psychologin oder du!“ Sie drückte die Mündung der Waffe an Tanjas Brust. „Du wolltest immer ein Mädchen sein, wurdest nie gezwungen!“
„Weil ich eins bin“, erboste sich Tanja.
„Zum Beweis schickst du einen Brief, dass du in bester Erwartung und demnächst ein Kind gebären wirst.“
„Habe ich nicht.“
„Gibst du endlich zu, dass du nie schwanger, dass Nicolette für euch das Kind ausgetragen hat“, zürnte Josephine.
„Ich habe dir nie einen Brief geschrieben. Weshalb? Ich kannte dich nicht.“
„Hast du auch nicht. Klara war es, das Miststück.“ Sie ballte eine Faust. „Wieder wollte ihr uns hineinlegen.“ Ihre Lippen bebten. „Saht euch immer ähnlich. Kleine Korrekturen im Gesicht reichten aus, um die Identitäten zu tauschen.“

Es hatte ihr viel Geschick abverlangt, ihren Vater davon zu überzeugen, dass er sie mit nach Südafrika nahm, erklärte sie, um endlich ein Geständnis von ihr zu bekommen. Mit zwei Blumensträußen wäre sie zuerst zu Tanja gegangen. Diese feindseligen Augen voller Hass, die falsche Güte machten sie skeptisch. Dann an Klara Bett, das Kind in ihrem Arm, die glückliche Mutter, die sie nicht spielte. Es war tief in ihrem Herzen. Denn sie hatte das, was sie nie vermochte. Josephine ging, nahm sich vor, ihren Auftrag zu erfüllen und Klara ins Reich der Vorfahren zu schicken. Aber sie war verschwunden und von einem zweiten Kind keine Spur.

„Kannst du dir vorstellen, welchen Ärger ich bekommen habe?“
„Nö!“
„Dann hatte es das Schicksal gut mit mir.“ Josephine verschränkte die Arme und klopfte mit dem Lauf der Pistole auf ihren Unterarm. „Da kommt da so ein Typ in meine Sprechstunde und behauptet, er sei Stephen Dohnhöfer.“ Sie tippte mit der Waffenmündung an ihre Schläfe. „Er glaubte, ich würde ihn nicht erkennen. Klara stand vor mir.“ Sie grinste. „Zumindest habe ich den Auftrag erledigt!“
„Wie meinst du das?“, harschte sie Tanja an.
„Wie ich es gesagt habe und halte die Fresse!“
Sie brachte sie zum Wahnsinn. Josephine zweifelte langsam selbst an ihrer Wahrnehmung.
Tanja blies eine Strähne von ihrer Stirn. „Es war Stephanie, sie war früher Stephen … blabla. Hast du mir schon tausendmal erzählt.“
„Schnauze“, schrie sie. „Ich habe genug Lügen von dir gehört.“ Sie kam auf eine Idee. „Gottesurteil!“
„Wie bitte?“
Mit einem dämonischen Lächeln auf den Lippen sah Josephine zur Zimmerdecke. „Lass den Herrn entscheiden, ob du Klara oder Stephen.“ Sie hob ihr rechtes Bein, stieß mit dem Absatz ihres Pumps gegen die Rückenlehne des Stuhls, bis dieser samt Tanja zu Boden fiel.

Sie hatte die Schnauze voll von dem Gelabere. Ohne ihr eines Blickes zu würdigen, fasste sie sich unter den Rock, zog sich den Slip aus und warf diesen zur Seite.
**Tanja rollte ihren Kopf über die Fliesen. „Was soll das?“
Josephine hockte sich vor Tanjas Schopf nieder. „Absolut leicht! Wenn du Klara bist, weißt du, wie man eine Frau beglückt. Wir hatten nur einmal das Vergnügen miteinander und ich weiß warum. Solltest du Stephen sein, in seiner Art ist er ja Hetero, weißt du konkret, wie man einen Schwanz lutscht.“ Sie hob ihren Rock, bis der Stoff über Tanja Gesicht liegen blieb. „Aber ich glaube nicht, dass du dann eine Ahnung hast, wie man eine Frau zum Höhepunkt treibt. Es liegt an dir. Im ersten Fall bist du frei. Im zweiten“, sie drückte die Waffe auf ihren Slip, „wird das von den Ärzten erschaffende von mir zunichtegemacht.“
„Du bist irrsinnig“, schrie Tanja.

Tanjas Lobeshymnen rannen ihr wie Öl herunter. Denn waren nicht die Wahnsinnigen die Einzigen, die klar bei Verstand, die Wahrheit erkannten. Sie nie den Zwang verspürten, sich hinter Masken zu verstecken. Oder durch ihren Weitblick, ihr Genie zu höheren erkoren, die einzig geeigneten Weltenlenker.
„Leck mich!“
Erst zaghaft, zurückhaltend spürte Josephine Tanjas Zunge. Sie tastete, suchte den richtigen Ort und fand ihn ohne Umwege. Das Saugen, das Lutschen brachte sie in Ekstase. Sie schwang ihre Hüfte, um sie zu unterstützen, näher bei ihr zu sein. Sie legte die Pistole ab, zerrte sich ihr Kleid über ihre Schultern und knetete ihre Brüste. Sodann griff sie sich an den Rücken, öffnete ihren Büstenhalter, ließ ihn über ihre Arme gleiten. Immer heftiger pulsierte ihr Becken. Ihre Brüste hüpfen nur gehalten von ihren Fingern. Sie verlangte es jetzt, ihr Inneres schrie. Mit beiden Händen riss sie Tanjas Slip vom Laib. Versenkte ihr Antlitz zwischen ihren Schenkeln. Tanjas Beine zitterten, ihre Arme vibrierten. Tiefer, immer tiefer versank sie in ihr. Fester, immer fester drückte sie ihr Gesäß auf Tanja Gesicht. Dem Atemstillstand nahe durchfuhr es ihr. Sie reckte sich, ihre Glieder weit hinter ihren Körper und krähte.
Stille.

Sie fiel schlaff zwischen Tanja Schenkel und streichelte ihre zarte Haut.
„Hast noch einmal Glück gehabt, Klara“, stöhnte sie.
Erleichtert stand sie auf. Tanjas Kopf lag auf der Seite, die Augen leer. Ihre Zunge hing aus ihrem Mund.
Josephine stupste sie an. „Komm hoch. Ich glaube dir.“
Kein Zucken ging durch den Körper. Sie hatte ihren Auftrag erfüllt.
Ein Stöhnen schallte durch die Küche. Aber nicht über Tanjas, sondern über Aishe Lippen drang er. Aishe hob ihren Kopf. Josephine erfasste ihre Pistole, richtete sie auf die weiterhin Daliegende und krümmte ihren Zeigefinger.



Doppelte Falle

Er war derart fasziniert über seinen Fund, dass er nicht bemerkte, wie Antonia die Kapelle verlassen hatte. Nur das Geräusch eines Wagens säuselte in seinem Ohr. Er packte das andere Girl am Oberarm, zerrte es, obwohl es sich wehrte, in die Sakristei und verriegelte die Tür.
Mit Angst in den Gliedern sprintete Fridolin durch die Kapelle, hoffte, dass ein Fremder über den Schotter der Zufahrt gebrettert war. Es lag nicht in seiner Absicht, seinem Willen, Tanjas Tochter oder etwaigen Bruder auszuliefern.

Klaras Möhre war schrottreif, wie oft hatte er ihr angeboten, einen neuen Wagen zu kaufen. Auf den letzten Meter zur Scheune war er liegengeblieben. Er hatte sich vorgenommen, Alina zu befreien, nicht wie von Josephine geplant, sie zu verkaufen. Denn, wenn sein Vater recht hatte, hätte er seine eigene Tochter verschachern. Er ließ den Wagen stehen, marschierte zu Fuß weiter. Er war gerade ein paar Meter gegangen, da sichtete er Joos Volvo.
**Der Wagen war nicht abgeschlossen und der Schlüssel steckte im Zündschloss. Er ging zurück, schleppte Josephines nebst seinen Sachen zu Joos Karre. Da erblickte er sie. Antonia sowie die Fremde ritten, wie vom Teufel gejagt, auf einem Feldweg auf Joos Wagen zu. Es war ein Wink des Schicksals.
**Nachdem er das Gepäck ins Gras gelegt hatte, schlich er sich an. Betäubte erst Antonia, dann schnappte er zu.
Sie waren zur falschen Zeit am falschen Ort. Er wollte dem Mädchen keine Schmerzen zufügen. Er war kein Verbrecher. Ein Draufgänger, ein Tunichtgut, ein skrupelloser Hochstapler, jener war er. Hatte er eine andere Wahl? Nein! Der Plan seiner Geliebten machte ihn nicht zum Mörder, dies nicht, indessen zum Verbrecher. Ein für ihn notwendiges Übel war es, damit sie in Frieden leben konnten.

Igor schritt auf ihn zu. „Hier euer Lohn!“ Er übergab ihm einen Aktenkoffer und grinste. „Es macht immer Spaß mit den richtigen Leuten Geschäfte zu machen.“
„Wo bring ihr sie hin?“
„Soll dir egal sein“, grummelte Igor, schritt um den Wagen herum, setzte sich auf den Beifahrersitz. Ein ihm Fremder startete den Transporter und sie brausten davon.
Wie sollte er je wieder Tanja unter die Augen treten? Dabei wollten sie Josephine ausliefern.
Nachdem er seine Geliebte befreit hatte, fuhren sie zu ihrer Pension. Einen Schal musste sie um ihren Hals wickeln, damit niemand ihre Wunden sah. Es war ihre Idee. In der Zeit, in der sie duschte, buchte er für sie einen Flug Ostend-Brügge nach Paris mit Anschlussverbindung nach Johannesburg. Sie hatte lachend mit Tanjas südafrikanischen Pass gewedelt. Jedenfalls erklärte sie dieses ihm, studiert hatte er jenen nicht. Entwendet hatte sie das Dokument ihr gestohlen, oder trickreich der gutmütigen Tanja entrissen.
Den deutschen Personalausweis hatte ihr Tanja im Hotel übergeben. Dass Tanja eine südafrikanische Staatsangehörigkeit neben der Deutschen hatte, war für ihn neu.

Josephine kurbelte das Fenster der Fahrertür hinab. „Habe mich verspätet. Alles klar gegangen?“
„Ja. Doch“, stotterte er. „Hier der Geldkoffer“
„Wir teilen später. Wo ist dein Wagen?“
„Anstatt dir neue Klamotten zu kaufen, hättest du eher hier sein können“, schnauzte er sie an. Er musste sich abreagieren. Die Schuld, jene er auf sich geladen hatte, von sich zu schreien, entlastete ihn.
Josephine zupfte am Ausschnitt ihres cremefarbenen Rüschenkleides.
Es stand ihr überhaupt nicht, dachte er nur.
Sie wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht. „Bei der Hitze hält es niemand aus. Hast du meinen Koffer?“
Bei dem Wort klopfte sein Herz. Nachdem er sich von Klara verabschiedet hatte, fuhr er zu Josephines Hotel. Wie viele Sachen sie hatte, aber nur einen Koffer, eher für Handgepäck. Mit ihren Kleidern über den einen Arm, ihren Handtaschen über den anderen, schleppte er den Koffer bis zur Rezeption. Natürlich hatte sie nicht bezahlt. Wie die Frau mit den langen schwarzen Haaren hinter dem Tresen ihn anstarrte, denn gebucht hatte Fridolin das Einzelzimmer unter seinen Namen. Peinlich!
**Im Wagen stopfte er eilends die Utensilien, mit denen Josephine Klara gequält hatte, in ihren Koffer.
„Alles im Auto. Ich komme mit.“
„Das kann ich allein. Schau lieber, ob uns niemand beobachtet.“
Sie brauste davon und verschwand hinter der Kapelle. Sekunden später hielt sie erneut vor seinen Füßen.

„Warum hast du die Kiste von meinem Alten?“
„Ach! Klaras Möhre hatte den Geist aufgegeben und er stand einfach da.“
Das Herz blieb Fridolin stehen. Er hatte ihren Vornamen ausgesprochen, anstatt Stephen. Den Fehler revidieren auffällig. In der Hoffnung, Josephine hätte nichts vernommen, griente er sie an.
„Wo?“
Erleichtert über ihre Frage, schloss er kurzfristig die Augen, bevor er ihr antwortete. „Bei der Scheune!“
„Hat er dich gesehen?“
„Nein.“
„Dann ist ja alles gut gegangen.“ Sie blinzelte ihm zu. „Meine Kleider habe ich in deinen Koffer gelegt. Was dagegen?“
„Nein. Nein“, stotterte Fridolin, während er vor Erleichterung tief ausatmend. Sie hatte nichts bemerkt. „Wann geht dein Flieger von Münster?“
Josephine sah auf ihre Armbanduhr. „In knapp sieben Stunden. Keine Sorge das schaffe ich. Deiner von Bremen?“
„In acht Stunden. Es ist der Letzte. Ich beeile mich.“

Dass sie ihren Flug nie antrat, amüsierte Fridolin. Es war zwar nicht jenes, was sie für Josephine geplant hatten; gewiss, ein paar Jahre hinter Gittern war für sie eine Genugtuung und Josephine eine Lehre. Denn sie konnte nicht ahnen, dass Klara vor ihrem Abflug das Video zusammen mit einer anonymen Anzeige der Polizei übermittelt hatte.
„Wir sehen uns dann morgen auf dem Trafalgar Square, mein Schatz“, hauchte sie ihm zu, winkte mit den Fingern, brauste zur Einfahrt und bog rechts ab.
***Er dachte nicht mehr an das Mädchen in der Sakristei, nicht mehr an Antonia, dafür lief er zu seinen Wagen, um das Spiel zu beendigen.

Fridolin setzte sich ans Steuer. Er würde nie den Flieger nach London nehmen. Sein Flug ging erst nach München, dann nach Johannesburg. Er dachte mit Magenschmerzen an Tanja, an Antonia sowie Aishe, betrachtete sein Spiegelbild im Rückspiegel und setzte den Blinker links.



FahrerFlucht

Valentin kletterte aus dem Beichtstuhl, lief zur Sakristei.
„Komm raus!“
„Wer sind sie?“
„Valentin Oberländer“
Tami wischte ihr Handy an ihrer Reithose ab, sodann sah sie sich um. „Wo ist Svenja?“
„Wer?“
„Svenja. Meine Nichte Svenja?“
Valentin kratzte sich hinter dem rechten Ohr. „Du moanst Otonia!“
„Nein Svenja!“
Er winkte ab. „Ach vastehe! De Otonia de is aba a Bub!“
Tami zog ihren linken Mundwinkel herauf. „Egal! Wo ist sie hin?“
Valentin eilte zur Kapellentür. „Ea is mid meina varuggtn Bua weg“. Er drehte sich um, scheuchte sie, als wäre sie ein Huhn. „Mach di liaba foat oda ruaf de Polizei!“
Sie hielt ihr Handy in die Höhe. „Hab ich.“
Er verließ die Kapelle. Tami folgte auf den Fuß.
„Denn is ‚s jo guad i mua hiterha!“, fluchte Valentin.
„Wohin?“
„De Lotte hod mi de ganze Zeid betrogn bei ihr dahoam san de Klunka.“
Er rannte hinter einen Busch, setzte sich in seinen Wagen.
Tami öffnete die Beifahrertür und hüpfte auf den Sitz. „Was ist mit Alina?“
„Ois Guad. Tscha di!“
Sie verschränkte die Arme und stemmte ihre Füße gegen das Armaturenbrett. „Ich komme mit.“
„Auf dei eigends Risiko“, grummelte Valentin, startete den Wagen. Nach einem Blick nach rechts drückte er das Gaspedal bis zum Anschlag durch, sodass die Reifen den Splitt hochschleuderten.

Er hatte kaum die Ausfahrt erreicht, da fuhr ein betagter Passat auf das Grundstück. Obwohl er auswich, stieß er mit seinem linken Kotflügel gegen den des Einfahrenden. Ohne weiter darauf zu achten, bog er rechts ab.

Der Fahrer des gerammten Fahrzeuges streckte seine Faust aus dem geöffneten Fenster. „Arschloch!“, schrie er und wandte sich zu einer Frau um. „Magda, hast du das gesehen. Der haut einfach ab.“
Ohne auf eine Antwort von ihr zu warten, wendete er sein Gefährt. Die Dame legte den Reiseführer, den sie studiert hatte, auf ihren Schoß. „Herbert überlasse das der Polizei. Ich habe mir das Kennzeichen gemerkt.“
„Ich bin die Polizei!“
Magda atmete tief durch. „Aber nicht in Belgien. Wir wollten uns die Kapelle ansehen.“
Herbert zwirbelte seinen Schnauzbart. „Kapelle hin oder her. Wo ist er lang?“
„Rechts“, stöhnte sie.
„Also Links.“



Genial bis zum Schluss

Sie war genial. Josephine stellte das Autoradio an und trällerte mit Genuss mit. Es war zwar nicht nach ihrem Plan gelaufen, aber der Zufall hatte sie in ihre Arme gelegt. Quasi Doppelmord. Sie strich über den Aktenkoffer, schielte zu der Schatulle, welche im Fußraum lag. Sie hatte alles, was sie wollte. Fridolin war dämlich, derart dämlich, dass er nicht ein Wort darüber fallen gelassen hatte. Dabei wäre sie gern dabei gewesen, seinen dämlichen Blick zu genießen. Dabei war sie längst kein er mehr, wobei ihre Gedanken eher auf Aishe zielten.
Dies war der einzige Fehler, denn sie gemacht hatte. Dabei war es einleuchtend. Wer glotzte einem streng muslimischen Mädchen unter den Rock? Nahm sie beim Sport- oder Schwimmunterricht teil, teilte sie mit anderen Mädchen das Zimmer bei einer Schulfreizeit? Weshalb sie ihn zuerst in Aarons Internat und später weiterhin versteckt hielten, war ihr einerlei. Ging ihr nichts an. Dabei war es für sie im Nachhinein einleuchtend. Wen drängte es nicht irgendwann zur eigenen Familie, zu den eigenen Wurzeln? Dies galt zwar nicht für sie, denn sie hatte andere Ziele. Höhere Ziele. Ihr Auftrag, den sie nicht kannte, jedoch dem war sie sich sicher, auf dem rechten Weg. Das Entscheidende für sie war, dass sie niemand mehr enttarnen konnte. Klara war tot, Stephen war tot. Wenngleich der Tod mehr oder weniger endgültig war.

„Blödsinn! Was man ist, kann man nicht werden. Irren ist menschlich“, hörte sie ihre eigene Stimme und setzte den Blinker.
Zumindest hatte sie Aishe, sie schmunzelte, Stephen gezeigt, wer die Herrin war. Ihr Lachen hallte ihr von der Windschutzscheibe entgegen. Egal! Sie war tot wie Klara. Weshalb hatte sie sich derart merkwürdig verhalten? Hinter Gittern sehen, aus dem Verkehr ziehen, wollte sie Klara. Dieses hätte ihr gereicht, sie wusste zu viel.
Warum ihre Großmutter nach dem Kind verlangte, sie dafür sogar bezahlte, war ihr schleierhaft. Sie presste ihre blutroten Lippen.
Fridolin hatte ihr die Tipps gegeben, ohne dass er ahnte, damit sein mickriges Leben zu retten. Zumindest würde er im Knast seinen Spaß haben. Dabei hatte sie nur vor, ihn zu quälen, bis sie sein nichtsnutziges Leben auslöschte. Es kam ihr jetzt entgegen, dass Valentin sie bei ihren Spielen beobachtet hatte. Valentin Aussage, die Videobeweise vom Bahnhof, seine Präsente am Tatort sowie die Nettigkeiten, welche sie in Fridolins Koffer gelegt hatten, würden ihn bis zum Ende seines Lebens erfreuen.
Unbeobachtet von ihm hatte sie im Schutz der Kapelle die Beifahrertür ihres Wagens, sowohl den Kofferraum von Joos Gefährt, geöffnet. Danach ihr graues Kostüm vom Vorabend in Fridolins Koffer gestopfte. Das Kostüm, dass sie ihm am Nachmittag aufgenötigt hatte, um mit ihm im Fourier den Kaffee einzunehmen. Sie grinste. Wenngleich aufnötigen auf Fridolin eher weniger zutraf. Manchmal konnte sie sich nicht dem Gedanken verwehren, dass Fridolin daran Freude hatte, sich ihre Kleider überzustreifen, damit sie ihn später bestrafen konnte. Er stand darauf.
„Jedem Tierchen sein Pläsierchen“, murmelte sie.
Die Langhaarperücke, die sie entdeckt hatte, sowie Aishe Handtasche inklusive ihrer Waffe dazu gesellt. Ihre Kleider, die sie in seinem Koffer gelegt hatte, bewiesen, verstärkten eindeutig, inwieweit Fridolin ein Doppelleben führte.
Sie war aus der Nummer raus, hatte ein Alibi. Für die Behörden war sie seit dem gestrigen Abend in London. Tanja, sie hatte sich an den Namen gewöhnt, war unter ihrem Namen dorthin geflogen. Wenngleich sie sich noch nicht bei ihr gemeldet hatte. Aber was sollte schiefgehen. Allerdings musste sie zuvor ihren Porsche wieder am Bahnhof abstellen. Sie war genial.



Freund oder Feind

„Los! Komm aus deinem Loch.“
Mit einer Revolvermündung an seiner Schläfe stieg Joos die letzten Stufen der Leiter hinauf und putze sich sogleich demonstrativ den Dreck von seiner Hose ab. „Habe ich es doch gewusst.“
Gewusst. Geahnt. Die Möglichkeit nicht ausgeschlossen. Aber, dass er ihm einen Lauf entgegenhalten könnte, eher verdrängt.
Anton grinste ihn an.
**Ein Grinsen, welches Joos mit dem Flechten seiner Zähne beantwortete. „Unkraut wie dich kann man nicht vernichten!“
Er grinste weiterhin.
„Hast dich gut versteckt, obwohl du mir behilflich warst.“ Joos schnalzte. „Egal! Jetzt habe ich dich überführt.“ Er starrte ihm ins Gesicht. „Anton!“ Er drückte seinen Zeigefinger an den Lauf. Sodann schob er die Waffe von sich weg und zischte: „Du willst mich bestimmt nicht erschießen, immerhin habe ich dein Leben gerettet“, dabei grinste er ihn an.

Da schritt er den Zeigefinger wie Cicero beim Plädoyer erhoben vor Anton auf und ab, missachtete die auf ihn gerichtete Waffe und versuchte Anton klarzumachen, inwiefern Gertrud nicht Alfons Schwester, sondern Geliebte war.
Es hatte für ihn den Anschein, als spiele Anton auf Zeit. Keine Gegenrede, keinen Kommentar vernahm er von ihm. Auf wen wartete er. Wouters saß gewiss bei einer Tasse Tee und Buttergebäck auf dem Sofa und hielt seiner Gattin die Hand.
**Er steigerte sich. Der Philosoph verwandelte sich zu Sherlock Holmes. Mit spitzer Zunge, allerdings ohne Pfeife, versuchte er ihm plausible zu erklären, dass Stephen Klaras Cousin und beide ein Kind gezeugt hätten, welches bei Bärbel als deren Neffe lebte.
**Joos mutierte zu Colombo. Den Rumpf gebeugt, die Hände auf dem Rücken zum Gebet gefaltet, stach er zu.
Es schien für Joos, als hätte er Anton getroffen. „Hör auf, wie ein geiler Hahn herumzustolzieren, und halte die Klappe! Stephen ist seit über dreißig Jahren Tod“, schrie dieser ihn an.
Er verharrte, blickte auf den Lauf des Revolvers. Anton ließ die Waffe, den Zeigefinger weiterhin am Abzug, sinken. „Jetzt erzähl ich dir eine Geschichte. Die Wahrheit! Das eine oder andere deckt sich, mit deinem Gelaber den Rest,“ er leckte über seine Lippe, „kennst du bestimmt gleichfalls.“

Es war eine merkwürdige Situation für ihn. Das erste Mal in seinem Leben stand er einem Menschen gegenüber, den er nicht nur all die Jahre für tot gehalten, sondern früher als Freund bezeichnet hatte. Er hörte ihm zu.
„Wie dir bekannt, war ich Polizeischüler und ja, ich habe einen Linken krankenhausreif geschlagen. Mit dem Unterschied, dass sie mich nicht entließen, dafür in ein anderes Bundesland versetzten und ich kein Kriminaler mehr wurde. Zum Streifendienst hatten sie mich degradiert. Na ja, einen kleinen Sonderauftrag haben sie mir aufgedrückt. Ich sollte Alfons abfischen.“
Was erzählte er ihm? Was hatte es zu bedeuten? „Wie?“
„Schnauze, habe ich gesagt!“ Anton hob eine Waffe. „Nehme deine dämliche Sonnenbrille ab! Ich will dir ins Auge sehen.“
Joos hielt abwehrend die Hände vor seinem Laib. Anton hatte die besseren Argumente. Er nahm seine Brille ab und steckte sie in seine Hemdtasche.
„Damals wusste man nicht viel über die Reichsbürger, wie sie sich heute nennen. Sie waren eben Verrückte. Ich kam dann hinter sein Geheimnis. Waffenhändler war er. Ich also hin und habe meine Erkenntnis gemeldet. Und sie! Sie lachten mich aus. Etwas Neues wollten sie wissen. Wer die Hintermänner waren. Viel konnte ich nicht beitragen. Ich schloss meine Ausbildung ab. Sie gaben mir einen neuen Befehl. Eine junge Frau sollte ich beschützen. Personenschutz nennt man das heute. Steiler Zahn, lange Beine, Wespentaille, geiler Arsch und“, Anton fasste an seine Brust, „Titten zum Versinken.“
Dass Anton derart alte Kamellen aus dem Hut zauberte, verwunderte ihn. Jedoch, dass er ihm deshalb eine Kugel zwischen die Rippen treiben wollte, für ihn ein wenig übertrieben.
„Maria?“
„Blitzmerker!“

Manchmal teilten sie sich ein Bett, berichtete Anton weiter gingen auf Partys. Bei einer Studentenparty traute er seinen Augen nicht.
Joos versuchte, sich zu erinnern. Er hatte Maria auf einer Party kennengelernt. Aber dass er Anton Maria ausgespannt hatte, war ihm damals nicht bekannt, vermutet, jedoch nicht gewusst. Er öffnete den Mund, wollte ihm anbieten bei einem guten Roten die Sache aus der Welt zu schaffen, da faselte Anton bereits weiter: „Da stand Lisselotte vor mir, hatte mich nicht erkannt. Wie verändert sie war. Einen Mini, der kaum ihre Muschi verbarg, waffenscheinpflichtigen Schuhe und einen Büstenhalter trug sie, mit dessen Inhalt sie die Männer anmachte.“
Er schluckte seine Einladung herunter, denn seine Neugier packte ihn.
Sie verschwand kurzzeitig mit Maria aus der Küche, fuhr Anton fort, nachdem sie zurückgekommen war, zerrte sie ihn ins Schlafzimmer. Sie erklärte ihm, dass sie gegen Alfons ausgesagt und wie Maria eine neue Identität bekommen hätte.
**Diese Erkenntnis, wenn sie von Anton nicht erfunden war, war neu für ihn. Brachte sie ihm weiter? Er hörte ihm zu.
„Bärbel Tütken nannte sie sich. Mir war damals nicht bekannt, dass Maria als Sophia Tütken geboren war. Wir fickten dann.“ Anton grinste und zischte: „Wir sind ja nicht verwandt“, dabei sah er zu Boden. „Früher kam sie nie aus dem Beichtstuhl raus.“
Für ihn war Anton total durchgeknallt, denn seine Aussage war paradox. Entweder er hatte, wie er ihm gesagt hatte, Alfons und Nahnes Schmugglerleben ausgekundschaftet, dann waren ihm die Schwestern bekannt oder er war in Unkenntnis, somit seine Geschichte erlogen. Außerdem, warum sollte sich Liselotte als Bärbel ausgeben? Hätte Nahne dies mitbekommen?
„Am selben Abend lernte ich ihren Freund kennen.“ Anton lachte. „Doc! Wir sind im Anschluss zu ihm. War eine heiße Nacht.“
Joos zog seine Stirn kraus. „Mit Maria?“
„Klar! Zu viert macht es am meisten Spaß.“
Die Jahre vergingen, skizzierte er Joos. Maria beichtete ihm, dass sie einen anderen kennengelernt hatte. Er war verheiratet, jedoch dieser Umstand war ihr egal. Anton sagte ihr die Wahrheit. Aus Wut oder falsch verstandener Liebe, er hatte keine Ahnung mehr. Sie wusste zwar, dass er Alfons Ziehsohn, aber nicht, dass Alfons unbestraft davongekommen war. Es durste ihr nach Rache. Sie hatte weiterhin Beweise, jene sie niemanden präsentiert hätte. Er fuhr sie zu ihm. Alfons wollte sie im Gasthof treffen.
**Wen Anton mit dem Verheirateten meinte, war ihm einleuchtend. Bloß, er verstand den Sinn nicht. Für einen kurzen Moment hatte er das Gefühl, als spräche er nicht zu ihm.
„Aufgebracht war sie danach. Nicht mehr wiederzuerkennen. Doc kam dann auf die Idee mit dem Friedenscamp. Er hatte Kontakte.“
Zum Abschluss hatten sie sich vorgenommen, die Bombe platzen zu lassen, gab Anton ihm zu verstehen. Alfons bloßzustellen, wäre ihre Absicht gewesen. Wobei er das Wort bloßzustellen dermaßen betonte, als stünde Alfons in der Scheune und beobachtete sie.
Er zielte auf Joos und bölkte: „Dann kamst du dazwischen. Musstest du unbedingt Maria in der Kirche vögeln!“
Dieses war nun zu viel für ihn. „Nichts ist passiert. Es war nur ein Spaß.“
„Schnauze!“

Maria, Bärbel und Doc wären anschließend nach Indien, gab Anton zum Besten. Franziska ist mit ihnen mitgefahren. Alfons schäumte. Sie war noch nicht volljährig. Gertrud rief ihn dann an. Franziska hätte sich bei ihr gemeldet. Sie war schwanger. Alfons gab ihm den Auftrag, sie zurückzuholen und zu ehelichen. Der Ehre wegen, wie er unterstrich. Denn der Kindsvater war längst verheiratet. Er war bereits am Koffer packen, da rief Maria ihn an. Sie war gleichfalls in Umständen und hatte ihren Ex-Freund auf Sri Lanka getroffen, dieser war der Ansicht, er wäre der Vater ihres Ungeborenen.
**In diesem Moment stand für ihn fest, dass Anton seine Worte nicht an ihn wandte. Denn er, und dieses wusste Anton, hatte nie das Lager mit Franziska geteilt. Konnte es sein? Hatte Alfons seinen Tod genauso vorgetäuscht wie Anton? Lebte er, hörte er mit?
„Du hast sie genervt. Sie wollte weg von dir!“
Joos verstand, wen Anton damit meinte. „Sie hat mich geliebt.“
„Träume süß.“
Er spürte Franziska in Südindien auf, beschrieb Anton, Doc und Bärbel waren bei ihr. Die beiden planten, weiter nach Malaysia zu reisen. Doc hätte ein Angebot von einer Klinik erhalten und sie wollte ihn heiraten.
Anton schmunzelte. „Begeistert sah er nicht aus. Ich bin dann mit Franziska nach Sri Lanka, habe mich heimlich mit Maria getroffen. Unter Tränen gestand sie mir, dass sie bar ohne Geld.“ Er spuckte auf den Boden. „Von Bärbel hatte ich erfahren, inwieweit dein Vater
nach einem Hausmeisterehepaar Ausschau hielt. Ärger hatte ich längst genug. Was glaubst du, was meine Vorgesetzten mir flöteten. Zugegebenermaßen wurde ich dafür bezahlt, auf Maria aufzupassen. Das tat ich dann ja wieder.“

Zum Teil deckten sich seine Aussagen mit der Wahrheit. Nur er hatte sich nicht mit Maria getroffen, jedenfalls nicht auf Sri Lanka. Später, nachdem er sich von Maria getrennt hatte, hatte sie ihm diese Lügengeschichte aufgetischt. Zumindest wusste er endlich, von wem er die Sache mit dem Hausmeisterposten erfuhr. Doch, und dies blieb für ihn ein Rätsel, von wem hatte es Bärbel erfahren.
**Es gab nur ein Problem, sinnierte Anton. Seine Vorgesetzten verlangt, dass Maria in Deutschland wohnte. Es musste ein grenznaher Ort sein, damit er zumindest bei Gefahr im Verzug, rasch bei ihr war. Maria kam dann auf die Idee. Sie kannte eine Krankenschwester aus der alten Klinik von Doc, die in der Nähe von Aachen wohnte. Dort gab es ein gutes
Kinderheim. Denn sie wollte das Kind nicht.
Joos überlegte, wen er meinte. Es kam für ihn nur eine Frau infrage. „Olga!“
„Bingo! Wie sie sich immer über dich lustig gemacht hat. Du warst echt der Ansicht, Olgas Tochter, wäre dein Sprössling. Vollidiot! Du hast nicht einmal mitbekommen, dass ich mit Maria ein Verhältnis hatte. Ich bin ein Mann. Franziska habe ich nie berührt.“ Er lachte.
Sein Lachen hallte derart wider, dass Joos jeden Moment Alfons Gesicht erwartete. Jedoch nichts geschah.
Anton zuckte mit seinen Schultern. „Die hatte ja ihren Spaß mit Valentin und er wusste nicht, dass Stephen sein Sohn war, dachte, ich wäre der Vater. Nebenbei hatte Doc mir anvertraut, wo sie es gezeugt hatten, nachdem er es ihr besorgt hatte. Falsch, sie ihn verführt hatte. Er konnte keine Kinder bekommen.“ Er kratzte sich an der Wange. „Kinderkrankheit.“
Er verwirrte ihn immer mehr. Vor Sekunden dachte er noch, er drückte ihm eine Vaterschaft auf, zog er Valentin in Zentrum seiner Geschichte.
„Stephen verstarb, ein Geburtsfehler.“
Es wäre sein Einfall gewesen, gab Anton zu. Regelmäßig besuchte er Marias Tochter im Heim, wie bezaubernd sie war. Ob es sein Spross oder von einem anderen war ihm egal. Es musste daraus. Aber wie? Es hatte keine Identität. Existierte offiziell nicht. Er bekniete Franziska. Es waren Kleinkinder. Wer schaute nach, ob Junge oder Mädchen. Er versprach ihr, ihrem Sohn ein würdiges Begräbnis zu geben. Nur wo? Maria hatte einen passenden Ort, an dem sie als Kind ihr Glück gefunden hatte. Ein Frack eines Fischerbootes mit hohem Mast am Nordseestrand gleich hinter dem Deich schwärmte sie. Sie fuhren mit dem toten Jungen dorthin und begruben ihn unter den Planken des Rumpfes direkt am Mast.

Joos versuchte, sich zu konzentrieren, soweit es ihm seine Lage erlaubte. Immerhin zielte Anton mit einem Revolver auf ihn. Klara wäre nie in einem Heim gewesen. Er hätte dies zu unterbinden gewusst. Somit blieb für ihn nur eine Erklärung. Jedenfalls strich er Alfons als Zuhörer. Erstens war er tot, zweitens was ging es ihm an, ob irgendein Mädchen im Heim gewesen war. Es wäre denn, er wäre sein Enkel, und dieses schloss er eigentlich aus, Bärbel, wahrlich Liselotte.
Anton unterbrach seine Gedanken. „Sie wollte spazieren gehen. Ich ließ sie, folgte ihr unauffällig. Sie ging in ein weiß getünchtes Holzhaus unweit des Deiches. Lange verweilte sie nicht. Mit einem vollbärtigem Herrn verließ sie das Haus. Der
Mann schrie sie an, dass sie an allen Schuld und er nicht ihr Vater sei.“
Wen Anton als vollbärtig tituliert stand für ihn fest, passte es doch in seine Geschichte. „Nahne!“
„Ich sagte doch, du weißt alles“, zischte Anton. „Nur eins gegebenenfalls nicht. Seitdem habe ich sie nie wiedergesehen. Weg war sie, verschwunden.“
Joos riss seinen Mund auf.
„Du wunderst dich. Deine Theorie kommt ins Wanken. Sei beruhigt. Gesehen habe ich sie nie wieder. Trotzdem ist mir bekannt, an welchem Ort sie sich aufhält. Ihr geht es prächtig. Hat einen Mann, eine Tochter, lebt im Frieden.“ Er fuchtelte mit dem Revolver.
„Ach, dir wird es ohnehin verwehrt sein, irgendjemanden davon zu verkünden. Meinen Halbbruder hat sie geheiratet und ihre Schwester wollte sogar mit ihr in eine Wohnung ziehen.“
„Bärbel?“

„Schnauze! Ein bisschen Zeit zum Denken hast du noch. Marias Tochter wurde älter. Es musste in die Schule, aber wie als Junge.“
Er hatte sich dann Aaron anvertraut, informierte Anton Joos. Der hatte gleich eine Lösung. Im Internat fiel sie nicht auf.
„Trotzdem wollte ich herausbekommen, wer dieser Mann mit dem Vollbart war. Er war inhaftiert. Hatte an jenem Tag des Besuches Freigang. Nach dessen Entlassung freundeten wir uns an. Bei einem Besäufnis klärte ich ihn auf, dass er eine Enkeltochter hatte. Seine Frau war hin und weg.“
**Ob er, konnte er nicht sagen. Tanja war geboren, bestätigte Anton. Sie verbrachte ihre Ferien bei den beiden. Anton passte auf.
Inwiefern Anton seine Worte an diesen Mister X sendete, der, da war er sich sicher, lauschte, oder an ihn spielte für ihn in diesem Moment keine Rolle. Er bestätigte jedoch damit, dass er nie, zumindest damals, davon etwas gewusst hatte, was Nahne und Alfons trieben. Nicht einmal zu der Zeit, als sie gemeinsam mit Nahne fischten. Joos schmunzelte. Anton war es gewesen, der den Kontakt hergestellt hatte. Unwissend. Unwissend darüber, dass Alfons und er Nahne seit Jahren bereits kannten. Er seit Kindertagen und Alfons … Anton war blind. Gleichfalls blind zu sehen, zu ahnen, wer das Mädchen war. Jedenfalls war es nicht Klara. Für ihn blieb einzig eine Möglichkeit, sie war Jannette. Denn Tinette war es nicht. Beim Zugriff am Bunker schlug sie auf, enttarnte sich ihm. Sie war wie er bei der Polizei. Aishe. Ob dieses ihr echter Name war, hatte sie ihm nicht gebeichtet. Er ging nicht davon aus. Sie hatte ihm auch nicht gestanden, weshalb sie Fridolin geheiratet hatte. Brauchte sie auch nicht. Es war ihm klar. Klar, wie der Grund, weshalb sie sich für ihn auf dem Hof eingeschlichen hatte. Denn, hätte er selbst die Aufgabe übernommen, hätte er sie gesehen.

War es Zufall oder Schicksal. Bei einem
Spaziergang am Deich traf er Doc, erzählte ihm Anton, während er weiter an Aishe dachte. Er konnte nicht von ihr los.
In Docs Arm eingehängt Olga und an der Hand Klara, hörte er Antons Stimme. Die Mädchen freundeten sich sofort an. Bärbel und Doc hätten sich getrennt, obwohl sie weiterhin zusammenarbeiten. Er wäre damals für eine Stiftung tätig gewesen, dem PFC. Olga hätte für die gleiche Organisation in Deutschland als Krankenschwester gearbeitet.
Anton war doch nicht derart blind, wie er dachte, jedoch war Doc nie für die Stiftung tätig. Wie er förderte er sie, nicht mehr, nicht weniger.
Doc hätte einen Ausweg für ihr größtes Problem gehabt, denn aus einem Girl würde eine Lady, stellte Anton fest. Er verschrieb ihr Pubertätsblocker. Anton beschrieb ihm unterstützt durch seine Gestik genau, wie aus einem Jungen ein Mädchen wurde, wie er es von Doc erfahren hätte, unterstrich er.
„Dabei hatte ich nicht mit denen Alten gerechnet.“
„Was haben meine Eltern damit zu schaffen?“
„Verguckt hatten sie sich in das Girl. Es sah Seraphine ähnlich, durfte in ihre Privatgemächern.“
„Lass Seraphina da heraus!“
„Ein weiteres Übel entpuppte sich.“ Anton krümmte seinen Finger und schrie: „Dabei warst du das Problem.“

Joos hörte ihn nicht, denn Anton hatte sich verraten. Ohne zu wissen, in seiner Rage die Wahrheit gesagt. Warum hatten sie sich darüber erkundigt, wie aus einem Jungen ein Mädchen würde? Er war zu lange Polizist. Die ewigen Verbrechen hatten seine Sinne verwirrt. Er dachte immerfort an Gewalt, Zwang. Dabei lag die Schuld bei Alfons. Seine verschrobene Weltsicht hatte sie getrieben. Was war verwerflich daran? Ein Junge wollte lieber ein Mädchen sein. Jedoch dem Vater zu beichten, dass der Enkel eine Enkelin war, in Alfons perfiden Geist undenkbar. Stephen war nicht gestorben, wie es Anton ihm gesagt hatte, obwohl? In einer gewissen Weise war er tot. Er lebte jedoch als Jannette weiter.
Anton trommelte auf seinen Lippen. „Das Kind musste in Obhut gebracht werden. Für die Ehe mit Franziska hatte ich von Alfons ein ausreichendes Vermögen erhalten. Ich kaufte mir die Farm in Lesotho. Jedoch wie das Mädchen dorthin bekommen als Stephen vertrackt. Den Weg war verschleiern effektiver. Franziska zog zurück zu ihrem Vater, meldete ihn dort ihn an. Der Hof von Alfons war damals besser gesichert als Fort Knox. Jetzt kam Müller ins Spiel. Ich kannte ihn eher flüchtig. Trotzdem hasste ich ihn und das hatte seinen Grund. Müller hatte herausgefunden, dass ein Mädchenhändlerring arabische Kinder von Belgien nach Namibia verfrachten wollten. Weshalb der Ring diesen Umweg auf sich nahm, war mir egal, immerhin verhalf mir dieser Umstand zu einer Lösung. Das Paket war geschnürt. Sogar mit Absegnung von“, er sah nach herauf, „ganz oben.“ Anton schlug sich an seinen Schädel. „Dann kamen Fridolin, Klara und Josephine dazwischen, sowie du Vollidiot. Ich hätte es damals längst merken müssen. Na ja, du kamst zu deiner Freude“, donnerte er.

Warum er bei dem Wort Freude an Tanja dachte, beschämte ihn. Jedoch weshalb? Weil sie eine Transsexuelle oder minderjährig war, als sie zusammen verkehrten. Nein. Das Erste war es nicht. Das Zweite konnte nicht sein, wenn sie aus Stephen entsprang. Auch in dieser Situation vermochte er zu rechnen. Er nahm es immer an, da sie zur Schule ging. Das eine war es nicht, das andere war es nicht. Die Scham, die er empfand, kam tief aus seinen Inneren. Nein. Derart pervers war er nicht, dies waren andere, die Bösen. Er gehörte zu den Guten.
**Was war verwerflich daran, sich an jungen Frauen zu ergötzen? Genoss es nicht jeder Mann, sich an Frauenkörpern zu reiben, deren Haut straff, nicht unter der Einwirkung der Gravitation sich dehnte. Er gab sicherlich Ausnahmen. Aishe gehörte zu ihnen. Im Geist eine reife Frau, jedoch einen Körper nannte sie ihr Eigen, der einer Sechzehnjährigen zugestand.
Joos zitterte. „Wie?“

„Schnauze!“
Er fügte sich, blieb stumm und glitt in die Vergangenheit. Er dachte wieder an Asihe. Was interessierte Antons Geschwafel. Er nahm sich vor, nicht mehr zuzuhören.
„Olga, ihre Tochter und ihr Lover gingen zurück nach Deutschland. Klara startete eine Lehre als Krankenschwester und ich verweilte mehr in Durban als in Lesotho. Ich bin ein Mann, trieb mich in Bordellen herum. Ich lernte Ommo kennen. Eine andere Sache war komplexer, Klara wollte unbedingt ihr Abitur bauen. Ein widerlicher Kerl hatte ihr das eingeredet. Ein schmieriger Typ, der Doc einen Krankenwagen besorgt hatte.“
Joos erwachte kurz aus seiner Lethargie und murmelte: „Redest du von mir?“
Anton zielte auf ihn. „Von wem sonst. Total aufgelöst war Doc, als er mit Klara zurückkehrte. Aufgeflogen waren sie. Wir mussten die Zelte abbrechen. Aber wie? Erneut war das Schicksal, uns holt. Kein anderer als Müller saß bei Ommo an der Bar. Er hatte Marias Papiere. Sie musste sterben und Klara gleich mit. Denn wir hatten herausbekommen, dass sie hinter ihr her waren. Wer gesungen hatte, habe ich nie erfahren. Aber wie? Täter sollten nicht übrig bleiben. Es war Ommos Idee. Er würde überall erzählen, dass ich Klara auf den Strich schickte. Ihre Mutter mich daraufhin dann ungehalten erschoss. Damit sie dafür nicht einfuhr, sollte sie von einer Kobra gebissen werden. Begräbnis Schluss. Es blieb nur Klara übrig. Zwei Tote ohne Leichen machbar, hingegen drei. Wir benötigten ein Double. Ob es Ommos oder Müllers Idee war, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls sahen sie sich im Milieu um. Eine arme Seele musste es sein, an dem sich niemand erinnerte. Eine Prostituierte. Auswahl hatten sie genügend. Aus einem bestimmten Grund gefiel mir der Plan nicht mehr. Ich wollte Klara heraushalten. Warum sollte mich nicht die Nutte ins Jenseits befördern? Gründe gab es bestimmt genug. Wir brauchten nur einen Zeugen, der die Tat beobachtete. Einen Volltrottel hatten wir.“

Joos spürte, wie der Dämon in ihm erwachte. Er hatte es geahnt, gewusst.
„Ihr Scheine!“
„Wer ist ein Schwein? Du bist nicht allein. Ihr könntet euch zusammenschließen. Weshalb Klara dann aufschlug und meine Flinte geladen war, verwunderte mich doch. Heute weiß ich es. Ihr hattet euch bereits verbündet. Weißt du, wie ich euch auf die Schliche gekommen bin. Ihr Bauch. Sie hatte bereits entbunden. Ihr seid pervers. Gunnar, du und“, er schritt auf Joos zu, drückte die Mündung seines Revolvers an dessen Bauch, „Klara. Schau mich nicht derart verwundert an. Du denkst dir bestimmt, woher ich es weiß.Du heute hier, das ist der Beweis. Was ich noch mehr verabscheue, ist, dass Gunnar dann einen Unschuldigen geopfert hatte. Der arme Junge.“
Er spürte den Druck der Mündung, während Anton sich umsah und schrie: „Aishe du kannst herauskommen. Ich weiß, dass du da bist.“
Der Name seiner Geliebten weckte seinen Willen zu leben. Er wollte zu ihr, sie beschützen.
Joos packte den Lauf des Revolvers. Ein Schuss donnerte durch die Scheune.
Er sah das Blut aus seinem Körper dringen. Antons vergilbtes Doppelrippunterhemd färbte sich rot.


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ahorn

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Gefahr in Anmarsch

»Komm zurück! Da kommen wir nicht durch.«
»Da können wir rüber springen und dann ist es nicht mehr weit.« Jenny deutete zum Horizont.
Zwischen dem Ende der Welt und ihnen stand die Rettungsbake, die wie ein kleiner Hochsitz aus dem Watt spross.
»Nur weil du meine große Schwester bist, heißt das Lange nicht, dass du recht hast«, schnauzte sie Sabrina an.
»Hätte ich dir das bloß nie erzählt.«
»Ach jetzt habe ich schuld.«
»Nein! Ich liebe dich. Ich bin an allen Schuld. Als mein Vater mir sagte, dass er und deine Mutter. Erst war ich eifersüchtig, dann sah ich dein Foto. Scheiße!«, fluchte sie und zog ihr rechtes Bein aus einem Rinnsal, welches von Sekunde zu Sekunde anschwoll. »Ey! Das Schwein wollte dich erst zureiten und dann verkaufen. Der eigene Vater mit seiner Tochter. Ich muss kotzen! Ich musste was tun. Gebettelt habe ich, er sollte dich mir schenken. Ich habe ihm erzählt, ich wollte schon immer eine eigene Sklavin.«
Sabrina holte auf, hielt sie kurz am Arm. »Aber es war meine Idee über das Watt zu fliehen.«
»Dann beeile dich. Komm, spring!«
Jenny sprang. In einem hohen Bogen überquerte sie das Wasser. Sie landete. Das Watt am Priel weich, morastig gab nach. Erst ihre Beine, dann ihr Oberkörper verschwand in den Fluten.
»JENNY«, schrie Sabrina aus Leibeskräften und brach zusammen.

Sie wusste nicht mehr, wie sie es auf die Rettungsbake geschafft hatte, ihre Augen waren vom Meerwasser von den Tränen getrübt. Sie hockte nur da und starrte auf die See, dessen Spiegel sich allmählich senkte.
Ein lebloser Körper, das Gesicht im Grab, stieß an die rettende Insel. Sie war angekommen.
Sabrina zog mit letzte Kraft den Laib der Freundin, der Schwester auf das Holz, faltete ihre Hände und schloss ihre Augen. Sie sah zum wolkenlosen Himmel, band ihren Gürtel ab und knotete eine Seite an ein Querholz. Die Schlaufe in der Rechten glitt sie ins Wasser.
Den Riemen um ihren Hals wartete sie auf die Ebbe. ENDE


Tanja warf kopfschüttelnd das Buch auf den Wohnzimmertisch. Was Mädchen heutzutage lasen? Sie zuckte mit den Schultern, drehte sich eine Locke. Woher sollte sie das Wissen. Was las sie früher? An Tom Sawyer konnte sie sich erinnern, wie Huckleberry Finn allen auf der Nase tanzte. Enid Blytons Fünf Freunde oder Green Knowe von Lucy M. Boston vergas sie nie. Am ehesten erinnerte sie sich an Emil und die Detektive von Erich Kästern . Wie hatte sie das Buch gehasst. Die Mutter hatte es ihr aufgedrängt, um ihre Deutschkenntnisse zu verbessern. Sie sah sie neben der Tür in der kleinen Hütte, aristokratisch. Der Regen prasselte auf das mit Löchern übersäte Blechdach, der Magen knurrte und sie verlangte, dass man die Wurzel nicht vergessen durfte. Sie zupfte an ihrer Nase. Vermutlich bildete sie sich desgleichen ein. Was war Realität, was Fantasie.

Sie stand auf, schritt zum Wohnzimmerspiegel, drückte die Nase ans Glas, quetschte die Finger in ihre aufgedunsene Taille, streckte sodann die Zunge heraus.
»Wo bleibt er nur?«, murmelte sie, schnappte sich das orange Sommerkleid vom Esstischstuhl, schlüpfte hinein und trottete in die Küche.
Nachdem sie die Terrassentür geöffnet und tief die Morgenluft inhaliert hatte, stellte sie den Wasserkocher an. Sie hing einen Teebeutel in ihren Pott und schnappte sich ein Brötchen aus dem Beutel. Die Brötchen, eine Flasche Milch und »De Telegraaf« hatte der Vermieter vor die Terrasse gelegte.
Das Wasser kochte. Sie goss den Tee auf, stellte den Wasserkocher ab und schlug die Tagezeitung auf.
»Deutscher Manager in einem Hotel nahe dem Hauptbahnhof mit einem Kugelschreiber im Hals Tod aufgefunden«, murmelte sie, griff sich ans Genick und schüttelte sich angewidert.

Es klopfte, schlug an der Haustür. Sie schlang den Gürtel des Kleides um ihre Taille, band eine Schleife und eilte zur Tür.

»Aishe?«
Tanja blieb fast das Herz stehen. Mit jedem hätte sie gerechnet, jedoch nicht mit ihr. Was sollte sie mit ihr anfangen, denn sie wartete auf ihn. Ihr Plan schloss ein Zusammentreffen beider aus. Am einfachsten wäre es Aishe rasch heraus zu komplimentieren oder sie in einem andern Raum zu verfrachten. Die Frage für Tanja war wie. Eins konnte sie nicht riskieren, und zwar enttarnt zu werden,
»Las mich rein!«
Tanja atmete tief ein, sortierte all ihre Gedanken, all ihre Erinnerungen, all ihre Erfahrungen und öffnete die Tür.

»Wo hast du gesteckt. Ich habe andauernd versucht, dich anzurufen«, log sie.
»Frag nicht so viel! Du musst weg. Wo ist Svenja?«
Tanja strich über Aishes Oberarm und hauchte ihr einen Kuss auf den Mund. »Beruhig dich!« Sie nahm die Hand ihrer Freundin. »Du zitterst am ganzen Laib. Erzähl!«
Aishe biss auf ihre Unterlippen. »Ich bin nicht die Frau, für die du mich hältst.«
Tanjas Stirn fiel in Falten. »Nicht Aishe?«

»Doch, doch. Eher beruflich.«
»Du arbeitest nicht als Systemadministratorin im Krankenhaus.«
»Als Administratorin im Krankenhaus schon«, druckste sie, »aber nicht für die Klinik.« Sie leckte über ihre Oberlippe. »Fürs Bundeskriminalamt.«
Tanja verdeckte ihren Mund und gluckste. »Du bist ein Bulle?«
»Nicht direkt. Weitestgehend bin ich für die EDV zuständig. Ist ein geheimes Rechenzentrum.«
Zuzwinkernd strich Tanja über Aishes Schulter. »Was ist daran verwerflich? Hättest es mir sagen können.«
»Alles geheim. Wäre auch nicht schlimm bis ... wie soll ich es sagen, ich eines Tages auf Unstimmigkeiten stieß. Eine Art verschworene Gruppe von Polizisten, nicht allein aus Deutschland, die wie sagt man, außerhalb des legalen Rahmens tätig waren und sind - Deckname Schwarze Witwe.«
Tanja vermochte mit dem Geschwafel nichts anzufangen. Sie ahnte gewiss, inwiefern es für sie bedeutsam war.
»Und?«

»Ich fasse mich kurz. Wir müssen weg.«
Sie erzählte Tanja, dass sie es ihrem Vorgesetzten gemeldet und jener erstaunt ihrer Qualitäten sie auf einen Geheimeinsatz geschickt hätte. Sie hatte den Auftrag, eine Inhaftierte auszuhorchen. Die Behörden nahmen sie unter einem banalen Vorwand in Haft, anschließend steckte man sie in die Zelle von Tita de Klandt. Jene Frau, deren Wissen sie erforschen sollte. Eine Frau, welche am Tag zuvor verstorben war. Einzig ihre Mitgefangene vermochte von ihr etwas zu berichten. Wer sie war und weshalb sie hinter Gittern saß. Obgleich sie kaum Bedeutendes erfuhr, was sie nicht aus einer Akte erfahren hätte.
»Sie hat ihr andauern gesagt, sie sei Tanja Sengbein und säße zu Unrecht ein. Verstehst du!«
»Meinst du, Tanja ist für mich?«
»Hast du etwas zu trinken?«

Tanja war interessiert daran, was Aishe ahnte oder wusste, jedenfalls mehr, als es ihr lieb war. Sie mochte Aishe, dennoch war sie ihr egal. Der Zeitpunkt war ein verkehrter. Sie hatte nicht vor das Ferienhaus zu verlassen.
Tanja ergriff ihre Handtasche, schritt in die Küche, holte einen Teepott mit einem Segelboot Motiv aus dem Küchenschrank.
Mit zitternden Fingern fischte sie einen Teebeutel aus ihrer Tasche, hing ihn in den Pott und goss Wasser hinein.

»Du und deine Boote?«
»Trink, solange er warm ist.«
»Schmeckt ja grauenvoll!«
»Malve-Tee beruhigt.«

»Am selben Tag bekam ich eine Einzelzelle und am nächsten Morgen war ich Tita de Klandt.«
»Die haben dich reingelegt.«
»Dachte ich zuerst. Ich kannte ja Tanjas Geschichte von dir.«
Tanja kratzte sich am Genick.

Am Vormittag verlangte ein Polizeibeamter aus Belgien, sie zu sprechen, fing sie den Faden wieder auf. Sie gab sich als Tanja aus, worauf er sich für sie einsetzte, um sie aus dem Gefängnis zu befreien.
Aishe schmunzelte. »War eine richtige Abenteuerreise.« Sie wedelte mit ihrer Hand. »Ist dir auch so warm.«
»Nein! Trink! Der Tee kühlt.«
»In Belgien angekommen kontaktierte mich ein deutscher Beamter. Gunnar Müller hieß er.«
Sie hatte ihre Prüfung bestanden, berichtete sie Tanja, denn auf den belgischen Polizisten war sie angesetzt. Er solle Kontakte zur Mafia haben und ein Leck sein.
»Wer war es?«
»Joos van Düwen!«
»Hast du ihn überführt?«
»Nein! Joos ist einer der nettesten Menschen, die ich kenne.«
Zuerst war sie nicht der Annahme, verkündete sie, denn er besorgte ihr einen Job in einem Bordell. Ihr Führungsoffizier begeistert darüber. Einerseits sollte sie den Laden übernehmen, anderseits Joos ablenken. Denn sie wussten, wer seine Kontaktpersonen waren.
»Wer?«
»Josephine und Fridolin!«
Tanja zog die Augenbrauen zusammen.
»Deswegen hab ich ihn geheiratet. Dass wir uns vorm Hotel getroffen hatten, war kein Zufall«, erklärte Aishe.

»Aishe?«
»Es tut mir leid. Ich weiß du warst in ihn verliebt aber ...«
»Nichts aber.« Tanja nahm sie in die Arme und küsste sie. »Ich lieb nur dich. Fridolin und ich sind nur Freunde. Er hat mich gebeten, es dir vorzuspielen. Er wollte dich eifersüchtig machen. Er hat dich geliebt«, verkündete Tanja emotionslos.
»Hat?«
»Er hat eine andere. Stephanie!«
Aishe kratzte sich an der Nase.»Stephanie?«
Tanja grinste. »Du kennst sie als Stephen.«
Aishe klatschte in die Hände. »Ich ahnte, ich wusste, dass sie kein Kerl ist!«
»Dergleichen war.«
»Wie?«
»Sie war bis vor einem Jahr Stephen. Soweit es mir Fridolin erzählt hat, war dies der Preis, welchen er zu zahlen hatte. Ursprünglich sollte er erst nach der Hochzeit angepasst, operiert werden, aber da er seit dem Motorradunfall eh kein Glied mehr besaß.«
Aishe fasste sich an den Bauch. »Ich glaube, Malve-Tee ist nichts für mich. Das kann nicht sein?«
Tanja hielt ihr den Anhänger entgegen. »Schau. Es ist Malve-Tee.«
»Quatsch! Deine Stephanie hat mir erzählt, dass sie in einem Frauengefängnis eingesessen war. Mit oder ohne Penis dergleichen gibt es in keinem Land.« Sie wedelte sich Luft zu. »Allah! Sie ist Tita de Klandt!« – »Wieso Preis!« – »Wir müssen weg!«
Tanja schmunzelte. »Preis! Sie sagte mir, wenn er dazu gehören will, müsste er einen Preis zahlen. Eins und ein ist zwei, so einfach ist das.«
»Wer ist sie?«
Die Zähne flehend, lehnte sich Tanja vor und breitete ihre Arme aus. »Sie sind überall«, raunte sie, wobei sie Aishe zwinkerte. »Woher wusstest du, dass ich hier bin?«

»Ich habe«, druckste Aishe, »Stephen einen Sender in das orange-braune Kostüm gesteckt, das du mir Geschenk hattest. War eine wilde Fahrt! Nebenbei für recherchierte ich für einen flüchtigen Bekannten. Ich fand seinen Wagen verlassen in der Nähe des Reiterhofs. Bin dann wieder zurück zu den Bunkern.«
»Bunker?«
»Das Signal war kurzzeitig dort. Kam direkt zum Zugriff, obwohl ...«
»Zugriff?«
»Stillschweigen! Jedenfalls traf ich auf Joos und Valentin, zugekifft war er, als käme er gerade aus einem Coffeeshop. Das Signal war auch kurz hier in der Nähe gewesen und da wir«, sie schmunzelte, »des Öfteren ...«,
Tanja kratzte sich und legte ihre Stirn in Falten. »Ich weiß!«

»Außerdem«, ergänzte Aishe. »Wenn Stephanie Stephen, dann würde Fridolin mit seinem eigenen, zumindest Stiefbruder verkehren.«
»Mach dir darüber keine Sorgen. Fridolin ist nicht Vales Sohn. Er wurde angenommen«, konterte Tanja, um das Problem zu lösen.
»Woher willst du das wissen.«
Wut stieg in Tanja empor. »Was so Männer nach dem Sex brabbeln!«
»Du und Valentin?«
»Entschuldige!« Tanja küsste Aishe. »Ich lieb nur dich. Nichtsdestotrotz hat er für mich bezahlt.«
»Er hat dich ...!«
»Beim ersten Mal mit Sicherheit, aber ...«
Aishe legte ihren Kopf zur Seite.
»Zwei oder drei Mal haben wir«, log sie Aishe an.

Die Ehe hätte er ihr versprochen, verkündete Tanja. Er wollte sich von Franziska trennen. Pläne hatte er geschmiedet. Er wollte mit ihr in die Karibik auswandern. Sie konnte Segeln und er das Leben genießen. Bei dem Gedanken schoss Übelkeit in ihr hoch. Er erzählte ihr, dass er die Aussicht auf ein eigenes Vermögen hätte. Dann erfuhr sie bei ihrer Hochzeit von Bärbel, dass ihr Geliebter hinter die Sache mit dem Schließfach gekommen war. Von welchem er gesprochen hatte, hatte sie keinen blassen Schimmer.
Dieser alte Gockel war doppelgleisig gefahren, dabei hatte er kein Wissen, dass der Schatz nicht aus Geld bestand, wie ihr Bärbel lachend mitteilte. Was in Wirklichkeit drin war, hatte sie ihr nie verraten.
Sie löste das Verlöbnis unter einem Vorwand und schlug vor, Valentin könne eine Wohnung in Passau anmieten. Mit einer monatlichen Apanage wäre sie gern bereit seine Gelüste weiterhin zu befriedigen, somit doppelter Gewinn für sie, aber kein Verlust für ihn. Wer hätte etwas dagegen, wenn ein Großvater ein zweimal die Woche sein Enkelkind besuchte. Sie strich über ihren Busen. Ein Trick, jener ihr mit Ergebnis gelungen war.

Aishe tupfte sich die Stirn und schwankte. Tanjas Neugier erwachte.
»Josephine, was hat sie damit zu schaffen?«
»John Neumann gleichfalls einer von dieser Bande. Ich habe es nur zu spät herausgefunden, hat mich auf sie angesetzt.«
Er brachte in Erfahrung, dass Josephine eine Gespielin suchte, schilderte Aishe. Josephine kannte sie nicht. Sie besuchte sie regelmäßig, um wie Josephine sagte, sie in die Welt der Frauenliebe einzugeführt. Sie hätte sich in ihre beste Freundin verliebt und wollte sie beglücken.
»Sie war ekelerregend, hat sie mit dir das gleichermaßen veranstaltet«, wetterte Aishe.
Tanja kniff ihr linkes Auge zu. »Was?«
»Zuerst ein Hundehalsband umgelegt, dann wie ein Rüde bestiegen.«
Tanja zuckte mit den Achseln. »Ich kenne ihre Sexpraktiken nicht. Wir hatten nie etwas miteinander. Trafen uns manchmal, schauten einen Porno und masturbierten. Das war alles«, log sie.

»Wir müssen weg«, keuchte Aishe. »Sie hat mich erkannt. Ich hätte schlafen sollen. Eine Stunde hätte gereicht.« Sie öffnete ihre Handtasche, zerrte mit zitternder Hand einen Autoschlüssel heraus. »Du musst fahren! Von ihr wusste ich von eurer Aktion am Reiterhof, ahnte was«, ihr Atem vibrierte, »und habe Joos einen gleichlautenden Brief geschickt. Ich wusste nicht, dass ich voll ins Wespennest gestochen habe. Verstehst du, Tita de Klandt will deine Identität. Macht mit den beiden ...«. Aishe röchelte, rang nach Luft.

Wenn es dem war. Dann war ihr Plan voll daneben gegangen. Nicht sie war die Täterin, sondern das Opfer. Sie versuchte, all ihre Gedächtnisfetzen zu sortieren. Wenn Aishe die Wahrheit sagte, dann gab es ein Resultat. Klara war Tita und sie war wahrlich Tanja, Tanja Sengbein. Damit konnte Klara nur als Tanja weiter existieren. Wenn sie verschwand.

»Komm, geh in die Küche, trink was, dann hauen wir ab«, forderte Tanja Aishe auf.
Aishe torkelte in die Küche. Kaum hatte sie die Küchentür hinter sich gelassen, schallte ein kurzer erstickter Schrei aus dem Raum. Stille!
 



 
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