Für Regentage

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presque_rien

Mitglied
Hi Joh,

ich find dein Gedicht auch schön, nur das Wort "pflanze" stört mich. Ich finde die vorstellung, sich irgendwas in die Augen zu pflangen, irgendwie eklig. ich würde "säe" schreiben - das ergäbe einen interessanten Effekt im Kombination mit dem "sehe" im übernächsten Vers. Aber da es keinen außer meiner Wenigkeit zu stören scheint, ist's ja auch egal.

Zum Thema "Sprachverfall": Es ist sicherlich berechtigt, ältere Sprache zu mögen. Auch ich mag die Sprache von Goethe, Thomas Mann usw. Aber ich mag sie bei Goethe und Mann, eben da, wo sie ihre Berechtigung hat. Nicht in der heutigen Literatur. Denn es ist sicherlich unberechtigt, älteren Sprachstufen und -konventionen nachzutrauern. Wer das heute tut und die arme, verarmte deutsche Sprache beklagt, die von den bösen, bösen neuen Sprech"trends" unterwandert wird, sollte sich darüber im klaren sein, dass er damit selbst äußerst "trendy" ist. Sprachverfallsdebatten gab es schon immer (ja, auch schon zu Goethes Zeiten) und wird es immer geben - und wir sind im Moment eben wieder einmal auf einem Wellenkamm dieses Trends angelangt. Insofern ist mir klar, dass ich mit meiner Ansicht, dass die deutsche Sprache heute so quicklebendig, aussagekräftig und (facetten)reich ist, wie noch nie zuvor, wohl nicht auf Wohlgefallen stoßen werde. Diese Sichtweise ist gerade nicht "in". Meine Ansicht entspricht aber nicht nur der Ansicht der Linguisten, sondern auch jener führender Germanisten. Und Bastian Sick gehören einmal kräftig die Ohren langgezogen. Wer sich mit diesem Thema ernsthaft auseinander setzen will, dem empfehle ich diese Artikel bekannter moderner Germanisten

http://www.mediensprache.net/de/essays/1/
http://www.joern.de/tipsn133.htm

sowie zahlreiche Artikel Peter Eisenbergs (eines der Herausgeber des Dudens übrigens).

Zu "etw. erinnern": Diese Form ist tatsächlich ursprünglich älteres Deutsch, und es gibt die Theorie, dass sie eben durch den Einfluss des Englischen "revitalisiert" wurde. Das ist aber nicht bewiesen. Es könnte sich auch um eine anders herleitbare selbstständige Entwicklung des deutschen Sprachsystems handeln. Wie Peter Eisenberg bei einem Vortrag 2007 eben zu diesem Verb so schön sagte (wörtlich!!): "Dazu brauchen wir Englisch nicht, das können wir uns auch selber machen!" Ich finde übrigens Monis Interpretation von "etw. erinnern" vs. "sich an etw. erinnern" sehr schön. Naturgemäß zieht ein Unterschied in der Form auch immer einen Unterschied in der Bedeutung nach sich, echte Synonymie gibt es nicht. Übrigens verdanken wir es nur der furchtbaren jahrzehntelangen Verlotterung der deutschen Sprache, dass "verschroben" heute etwas anderes bedeutet als die ehemals falsche Form "verschraubt". Es gibt so viele Beispiele!

Das musste ich einmal gesagt haben als großer Fan der deutschen Sprache. Nur noch ein Gedanke: Englisch ist heute die Sprache mit dem differenziertesten Wortschatz und DIE Lingua Franca. Warum wohl? Weil Englisch sich nie gegen Einflüsse von Außen gesträubt hat und alles an Keltischem, Germanischem, Lateinischem, Nordischen, Französischen usw. gierig und dankbar aufsog. So sollte es sein!

Lg presque
 

Joh

Mitglied
Moni deine Ausführung trifft den Unterschied zwischen den beiden Formen sehr gut, da stimme ich presque gern zu.

Danke Vera-Lena! Genau so ist auch mein empfinden gewesen, als ich merkte, daß Licht etwas von einem strahlenden Lächeln hat, doch Wärme ist für mich eine viel tiefere emotionale Ebene, und auf die kam es mir an.



Hallo presque

Für mich ist pflanzen so etwas wie tief einwurzeln lassen, damit kann weiteres Wachstum, in diesem Fall der Gefühle stattfinden, aus diesem Grund ist das Wort für mich wichtig.

Deine Ausführung über die Sprache finde ich sehr interessant, die Links werde ich auf jeden Fall ansehen.
In den letzten Jahren hat sich in unserer Sprache viel getan, das kann man ja allein schon im Literatur-Betrieb schön nachvollziehen, Genauso bin ich aber auch der Meinung, daß eine Sprache um so reicher ist, je mehr sie erhält, und eben nicht nur modernisiert. Gerade wir Schriftsteller haben die Möglichkeit immer genau das zu wählen, was dem eigenen Empfinden und der eigenen Sprache am besten Ausdruck verleihen kann. Das hat, so weit ich informiert bin, zum Beispiel auch Shakespeare ähnlich gehandhabt.

Danke euch Allen noch einmal für die intensive Auseinandersetzung mit dem Text, das hat mich sehr gefreut! Noch einen tollen Sonntag, Johanna
 

mori

Mitglied
Hallo presque !

"Denn es ist sicherlich unberechtigt, älteren Sprachstufen und -konventionen nachzutrauern".

Da gebe ich dir Recht. Auch die Sprache benötigt immer wieder frische Luft um zu atmen.
Für Bastian Sick springe ich trotzdem kurz in die Bresche und versuche, aus der Erinnerung sinngemäß zu zitieren:

"Jedem steht es frei, sich seine Worte und seine Syntax selbst zu wählen.Warum nicht. Es kann nur nicht schaden zu wissen, wie es auf Deutsch eigentlich heißt oder mal geheißen hat".

Hallo Joh,

säen und pflanzen sind für mich ganz unterschiedliche Begriffe.
Aus dem was ich säe, wird erst noch etwas.Das, was ich pflanze, ist schon vorhanden.
Das Lächeln in deinem Text ist da, wenn auch nur in der Erinnerung.

Liebe Grüße
Annette
 

presque_rien

Mitglied
Hi Annette,

stimmt, ich muss dir Recht geben: "pflanzen" passt besser als "säen". Ich nehme meinen Vorschlag zurück. :)

Zu Bastian Sick: Das Problem dieses Menschen ist, dass er wohl wirklich nur das Beste für die deutsche Sprache will und sich für sie interessiert - er versteht nur leider nicht so besonders viel davon. Ich meine, er ist einfach kein Sprachwissenschaftler und tut mir auch irgendwo leid, weil ihn niemand, der sich ernsthaft mit Sprache beschäftigt, ernst nimmt, ganz ehrlich. Schon die Formulierung "wie es auf Deutsch eigentlich heißt" ist irreführend: Nicht der Grammatikschreiber (und schon gar nich Herr Sick) bestimmt, "wie es auf Deutsch eigentlich heißt", sondern nur der deutsche Muttersprachler. Ähnlich seltsam finde ich die häufig zu vernehmende Aussage: "Diese Grammatikregel verwenden über die Hälfte der Deutschsprecher falsch". Das ist völlig absurd! Eine solche "Regel" ist dann einfach keine gültige Regel mehr. Entschuldige meine kompromisslosigkeit in diesem Punkt, aber als Linguistin muss ich einfach die Fackel der autopoietischen Natur natürlicher Sprachsysteme emporhalten! :)

Lg presque
 
T

Thys

Gast
Hier kann ich nur zustimmen. Sprache lebt und wird von den Menschen, die sie nutzen und benutzen, gemacht und weiter entwickelt. Durch sonst niemanden.
 

mori

Mitglied
Hallo presque !


"stimmt, ich muss dir Recht geben: "pflanzen" passt besser als "säen". Ich nehme meinen Vorschlag zurück"

"aber als Linguistin muss ich einfach die Fackel der autopoietischen Natur natürlicher Sprachsysteme emporhalten!"


Brav ! ;)

Liebe Grüße
Annette
 

presque_rien

Mitglied
Hi Annette,

Hmm? Was wolltest du damit sagen ;)? Mit "passt besser" meinte ich "entspricht eher der Intention des Gedichts", das hat ja nichts mit "richtigem" oder "falschem" oder "gutem" oder "schlechtem" Deutsch zu tun...

Na gut, du hast ja Recht, eine so extreme Haltung ist nur in der Theorie möglich. Natürlich gibt es zu jedem bestimmten Zeitpunkt eine Einigung einer größeren oder kleineren Menge von Sprechern darüber, was in einem bestimmten Subsystem der Sprache aktuell "richtig" klingt. Ich verbessere ja auch "Grammatikfehler" in Gedichten - wir sind hier ja im Subsystem "literarische Sprache". Ich bin nur sehr dagegen, allgemeine Aussagen über "richtig" und "falsch" în einer Gesamtsprache zu fällen oder gar von "Verarmung" einer Sprache zu reden.

Lg presque
 

mori

Mitglied
Nee, presque-

meine Bemerkung sollte eigentlich nur ein kleiner
Schmunzler sein, auf dein :" Ich nehme meinen Vorschlag zurück!"- und "....ich halte die Fahne hoch!"

Ich habe verstanden, was du sagen willst.
Dieser Austausch war sehr nett und die Argumente kompetent !

Danke !

Annette
 
B

Beba

Gast
Hallo Johanna,

ein sehr schöner kleiner Text mit so viel Gefühl. Wie anders als
erinnere ich dein Lächeln
würde hier doch gar nicht passen, oder? ;)

Einzig mit dem in die Augen pflanzen hatte auch ich wie vorher schon presque ein Problem beim Lesen. Es will mir nicht so recht passen in das Gesamtbild des Textes. Aber das ist ein ganz persönlicher Geschmack. ;)

Ciao,
Bernd
 

Joh

Mitglied
Hallo Bernd,

es freut mich, daß dir das Gedicht auch mit dem "pflanzen" gefällt, ich hatte ja schon erklärt, warum es für mich wichtig ist.

LG Johanna
 
D

Drew

Gast
Das Wort "pflanze" finde ich persönlich wichtig. Es ist so "gewaltig". Ich denke dabei an einen Samen...und wir wissen was aus etwas was man "pflanzt" wird.
Habe diesen Text nach langer Abwesenheit eben gelesen und dachte mir...mein Gott, was für ein wunderbarer Text. In dieser Kürze.
So was ruft einen Seufzer hervor.
Und als nur "schön", was ich eher abwertend empfinde (sorry) würde ich ihn absolut nicht bezeichnen.

Drew
 

Joh

Mitglied
Mit Deinem Kommentar hast du mir eine große Freude gemacht, Drew. Und es ist immer ein gutes Gefühl, wenn ein Leser sich so in den Text hineinversetzen kann.

liebe Grüße, Johanna
 

Tasso

Mitglied
"erinnere ich dein Lächeln"

Auch hinsichtlich grammatikalischer Optionen ist der Lyriker völlig frei. Er kann schreiben was und wie er will. Es gibt viele andere Gedichte, da stimmt die Grammatik mit auch nicht.

Tasso dPaI.
 

lika

Mitglied
Liebe Johanna,

'Für Regentage' ist ein warmes und weiches Gedicht, das mir sehr gut gefallen hat.

Viele Grüße, Lika
 

Joh

Mitglied
Hallo Tasso,

danke für deinen freundlichen Kommentar

LG Johanna


................

Hallo Ilka

ich danke Dir für Dein warmes Lob :)

LG Johanna
 

Joh

Mitglied
Vielen Dank Euch Beiden :)

Es freut mich besonders, weil ich das Gedicht schon ziemlich lange nicht mehr gelesen habe. Als ich dann die Kommentare auch noch einmal las, merkte ich wieder einmal, daß mir die Leselupe fehlt. Hier ist ein schöner Ort, um sich mit seinen eigenen Texten und denen anderer Menschen auseinanderzusetzen. Ich muß unbedingt wieder mehr Zeit mit Worten verbringen :)
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
an-amnese

und an wen oder an was hat der Schreiber sein Lächeln erinnert? - wenn er doch dem Gedächtnis seines Lächelns mit Mahnungen aufhelfen will.
Wie schön, daß wir an diese alte Diskussion erinnert werden. Oder wird vielleicht die Diskussion erinnert - an uns?
 



 
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