Für uns singen ihre lieder

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Lieber Walter,
politische Gedichte werden oft (aus ideologischen Gründen) angefeindet. Lass Dich nicht verunsichern.
Herzliche Grüße
Karl
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo walther,

hier finde ich deine art- diese art "sprachchirurgie",
die ich als gelungen empfinde.
aber: heraus ragt aus deinem text der titel:

"für uns singen ihre lieder"

ein satz von großer ästhetik, hierzu möchte ich dir besonders gratulieren.

ralf
 

Walther

Mitglied
hi karl,

man sollte genügend distanz und "coolness" haben. :) aber man kann und darf ja noch dazulernen!

lg w.
 

Walther

Mitglied
hi ralf,

danke für deine freundlichen worte

an diesem vers habe ich lange gearbeitet. erst nach und nach schälte er sich in der hier vorliegenden ambivalenz heraus. ich war froh, ihn gefunden zu haben, weil in ihm die quintessenz steckt, die diesen kleinen großen sieg über das böse ausmacht.

lg w.
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo Walther,
... nachfolgend der Versuch einer Kritik, die wie ich hoffe, kritikfähig und respektvoll daherkommt:

Der vorgelegte Text bemüht sich um das Gedenken an die vielfach auch deutschsprachigen Dichterhochburgen Czernowitz, Lemberg bzw. das ungarische Galizien. Es wird versucht, die totalitären Angriffe der Nationalsozialisten auf das freie Denken zu bezeichnen, weshalb auch ein Zusammenhang zu Anne Frank, damals in Frankfurt, Aachen und Amsterdam bis zur Verhaftung lebend, hergestellt wird. Die letzte Strophe schließlich benennt Wert und Bedeutung der Texte, den uns die im vorliegenden Gedicht stellvertretend genannten Dichter aus der Sicht des Autors nahelegen.
Zur Kritik im Einzelnen:
Der Titel ist gelungen.
Die Wiege mosaisch deutscher Symbiose kann ich nicht nachvollziehen. Das Leben der jüdischen Familien dort ist nicht mehr als deduldetes Ghetto. Die Nazis schließlich ließen bis dahin bestenfalls ruhende Kettenhunde planvoll von der Leine. Träfe der Begriff Symbiose, dann müsste das totalitäre Deutsche mit den getöteten Juden mit untergegangen sein. Ist es aber nicht. Bis heute jedenfalls nicht, wie die vielfach zu beobachtenden lebensverachtenden Bemühungen in unserem Land wasserdicht belegen. Dieses Zusammenleben in der Bukowina mosaisch zu nennen erschließt sich mir aus dieser Sicht ebenfalls nicht. Die Vorgänge dort dokumentieren einen lebesverachtenden Willen, dem der Rest Europas nichts zu entgegnen hatte. Aus Gründen, die heute zwar zu erschließen sind. Einen verbreieteten Willen, das zu tun, kann ich aus der aktuellen Aktenlage heraus nicht erkennen.
Sodann wird versucht, falls ich mich auf der richtigen Fährte bewege, die Texte der bezeichneten Dichter als Rebellion und aufbegehren gegen den Nationalsozialismus zu bezeichnen. Gut, diese Dichter bezeichnen die drohenden Gefahren, sie benennen das Unmenschliche und die in der Luft liegende Verachtung. Aus meiner Sicht sind die Gedichte Paul Celans jedoch in erster Linie Hilferufe eines im Leben bedrohten, der dieser Bedrohung verzweifelt einen letzten Rest Leben abringt. Es sind Hilferufe, die heute als Echo zu vernehmen sind aus Syrien, dem Irak, aus Afghanistan, aus dem Sudan, an den EU-Außengrenzen und aus der benachbarten Flüchtlingsunterkunft, wo Menschen auf das unwürdigste verwaltet werden, sind sie zu vernehmen. Sie werden noch immer nicht gehört. Dies wäre ein Verrat, falls eine namhafte Anzahl Menschen Ohren hätte. Falls Konsens herrschte, die unteilbare Menschenwürde betreffend. Die Tatsachen jedoch widersprechen. Vielfach ist es sorgfältig kalkulierter Wille, dieses Unrecht nicht nur gewähren zu lassen. Es ist letztlich offenbar auch ein lukratives Geschäft, so die richtungsgebenden Überzeugungen. Eher kein Verrat also, sondern planvoll Strukturen und nicht Leben heiligende kalkulierte Absicht.
Aus dieser Sicht komme ich nicht umhin, den Schluß des vorgelegten Gedichtes mindestens als unglücklich anzusprechen,
da dort die Texte beispsw. einer Rose Ausländer als geschenkte Absolution an die Nachgeborenen vereinnahmt werden.
Da deren Texte offenbar, nicht wie o.g. aus einer verzweifelten Lebenslage geborene Bitten darum, Leben leben zu lassen und zu respektieren, sondern gewissermaßen als Medikament bezeichnet werden, das das Böse stellvertretend für uns wirksam bekämpft. Als ob es reichte, Hilferufe zu hören. Es reicht nicht, wie die Umstände damals dokumentieren und es reicht heute nicht, wie wir aus aktuell zu erlebenden Umständen entnehmen könnten.

Immerhin, ich rezipiere und respektiere diesen Text hier als den Versuch, Fährte aufzunehmen, den Verhältnissen auf den Grund zu kommen und dem Mut der Bedrängten, die noch in der Verzweiflung die Fahnen der Mitmenschlichkeit und der Menschenwürde zu pflegen bereit waren, als Nachgeborene den nötigen Respekt zu erweisen. Das ist nicht wenig.
Ein Versuch allerdings der aus o.g. Gründen dringendst einer eingehenden und umfassenden Inspektion bedarf.

lg
die Dohle
 

Walther

Mitglied
hi dohle,

das ist ein politischer text. dsß er widerspruch auslöst, ist gut und richtig. dein eintrag ist leider in vielen punkten historisch und tatsächlich falsch (so ist Galizien eine Grenzregion, die heute zwischen Polen, Ungarn und der Ukraine aufgeteilt ist; in der tat gibt es die mosaisch-deutsche symbiose, denn neben den USA kann nur Deutschland in diesem großen umfang kriegshelden mit mosaischem glauben vorweisen, daber das ist eine andere geschichte; wenn menschen für ein land sterben und ihre familien darauf stolz sind, dann ist das eine symbiose. genau diese situation hat später vielen das leben gekostet, weil sie sich nicht vorstellen konnten, als ritterkreuzträger in existentieller, in lebensbedrohlicher gefahr zu sein). die region Galizien war mehr als heute ein kultureller schmelztiegel, und die deutsche sprache war ihr treibmittel.

zweitens ist das
Aus dieser Sicht komme ich nicht umhin, den Schluß des vorgelegten Gedichtes mindestens als unglücklich anzusprechen, da dort die Texte beispsw. einer Rose Ausländer als geschenkte Absolution an die Nachgeborenen vereinnahmt werden.
ist schlicht eine sprachlich nur schlecht getarnte bodenlose unverschämtheit. hier geht es nicht um absolution für die nachgeborenen, hier wird der sieg dessen, was die nazis ausreißen wollten, über das denken der nazis gefeiert und dem glück ausdruck verliehen, daß uns dieser wesentliche teil deutscher literatur erhalten geblieben ist. von diesem sieg singen ihre lieder.

es ist geradezu unglaublich, wie du unterstellst, ich kennte Paul Celan, Rose Ausländers und Getrud Käthe Kolmars geschichte und schaffen nicht. anstatt dein sehr dürftiges halbwissen auszubreiten, solltest du dich damit vertraut machen, daß ich wesentliche teile meines frühen berufslebens mit dem damaligen vorsitzenden der jüdischen gemeinde Baden-württembergs verbringen durfte. seine frau und er hatten drei deutsche KZs überlebt. im letzten haben sie sich kennen und lieben gelernt. seine frau ist in Galizien gebürtig, er kam aus Breslau, ähnlich wie Marcel Reich-Ranicki. in vielen, stundenlangen, gesprächen habe ich viel über juden und deutsche gelernt, davon darfst du ausgehen.

du hast, deutlich gesagt, keine ahnung. also doziere nicht über etwas, das du nicht verstehst und in seiner bedeutung nicht umgreifen kannst. manchmal ist besser, sich zurückzuhalten. das gespür dazu scheint dir allerdings abzugehen.

lg w.
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo Walther,
... sagte ja, ich respektiere deine absichten, die ich zunächst nur vermuteten konnte. nun sehe ich sie bestätigt. ich reflektierte, hoffentlich kritikfähig, meine lesart deines textes. ich persönlich fasse die keineswegs als eine seligmachende, sondern als eine durchaus als möglich belegbare auf. das sollte nicht nur verschämterweise möglich sein in diesem freiesten aller freien foren und dem aufgeklärtesten aller aufgeklärten länder.

zwar kämpften juden für das kaiserreich, das tut dem seit jahrhunderten mal mehr mal weniger stets vorhandenen judenhass jedoch keinerlei abbruch. ich sagte ja, eine symbiose ist eine symbiose dann, wenn BEIDE seiten von einander essentiell abhängen. nebenbei: sofern der begriff symbiose im zusammenhang mit einem respektvollen menschlichen miteinander gebraucht werden, schellen meinerseits alle alarmglocken. der begriff beschreibt in diesem zusammenhang ungute, um nicht zu sagen, wie ich das bisher kennenlernte, pathologische abhängigkeiten. evtl. solltest du die qualität des von dir vorgefundenen stolzes auf jüdischer und auf deutscher seite mal genauer untersuchen.

... der sieg? ok, einverstanden, du nennst das so. dir reicht, dass die texte noch da sind. einverstanden. wir ticken da sehr verschieden, ich müsste in dem zusammenhang von glücklich gerettet sein, von überleben reden. von den vielen toten, deren texte verbrannt sind ...
ich sehe keinen sieg. jede menge arbeit, ja, das schon. wohl wahr. siehe oben ...

... soll ich kontern mit Schalom Ben Chorin? nur um mal ein beispiel zu nennen. wollen wir wettstreiten darüber, wer von uns beiden die legitimste aller legitimation im Bündel trägt? nein, das werde ich nicht. ich weigere mich. ich benütze andere menschen nicht dafür, meine eigene reputation zu legitimieren, ich bemühe mich, respektvolle beziehungen herzustellen, die eine menschenwürdige kommunikation erlauben. schön ist es wenn der dialog auf augenhöhe gelingt. das jedoch liegt nicht alleine in meiner hand.
also lies, ich unterstelle dir nichts. lies. was ich sehe ist, du benützt nicht nur Celans werke für deine zwecke. ich benütze nicht, ich trete in eine beziehung. jedenfalls bemühe ich mich darum.

Walther, für mich sind Celans texte mächtige warnrufe, eindringliche plädoyers für die freiheit, für die menschlichkeit. und sie sind auch verzweifelte hilferufe. ich lese diese texte so. ist das verboten? unverschämt und halbgar?
weißt du, ich denk so:

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Für uns singen ihre lieder
Geschenke wollen wir sie nennen
noch immer unverdiente, denn
Kain lacht aus dem Spiegel
Jetzt

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... wobei, das trifft´s auch nicht so ganz genau. geschenke verdient man nicht. geschenke bekommt man geschenkt. und: die geste des schenkenden attributiert die gabe als geschenk, nicht der beschenkte. soll heißen: ich schäme mich abgrundtief für das viel zu wenige, das ich in dieser sache heute tun kann und für die bluttriefende hässliche dummheit meiner ahnen. die sich wehrten, die versuchten menschen zu bleiben, so recht und schlecht das eben ging.
und Kain lacht aus dem spiegel. jetzt ...

lg
die dohle
 

Walther

Mitglied
hi dohle,

dein eintrag ehrt dich. warum aber das wieder?
... soll ich kontern mit Schalom Ben Chorin? nur um mal ein beispiel zu nennen. wollen wir wettstreiten darüber, wer von uns beiden die legitimste aller legitimation im Bündel trägt? nein, das werde ich nicht. ich weigere mich. ich benütze andere menschen nicht dafür, meine eigene reputation zu legitimieren, ich bemühe mich, respektvolle beziehungen herzustellen, die eine menschenwürdige kommunikation erlauben. schön ist es wenn der dialog auf augenhöhe gelingt. das jedoch liegt nicht alleine in meiner hand.
niemand sollte andere für sich "benutzen". ich habe das auch nicht getan.

stolz ist ein mächtiges gefühl, noch stärker ist der wunsch, dazuzugehören. in europa, und nicht nur dort, wurden und werden menschen jüdischen glaubens hin und her gestoßen, vertrieben, angefeindet, gehaßt und ermordet. im deutschland des späten 19. jahrhunderts schien das anders zu werden. im ersten weltkrieg entstand dann die fiktion von gemeinschaft, gestählt in den furchtbaren schützengraben an der westfront. das war es, was ich sagen wollte. heute wissen wir, daß es eine fiktion war, damals glaubten viele deutsche jüdischen glaubens und abstammung, daß das endlich wahr würde, das mit dem dazugehören. sie haben sich schrecklich getäuscht, wir deutsche haben sie und uns schrecklich enttäuscht.

heute haben wir eine erneute legitimitätsdebatte. seit dem erneuten gaza-krieg werden wieder der staat israel und die juden in einen topf geworfen. den krieg zu kritisieren, ohne antisemitisch zu argumentieren, ist eine kunst, die niemand kann. daher schweigt die deutsche politik. das verhältnis ist schwierig, bleibt schwierig und wird schwierig bleiben.

lg w.
 
D

Die Dohle

Gast
Für uns singen sie ...

Hallo Walther,
jetzt, nach deinem letzten komm kann ich besser in deinen schuhen gehen. aus dieser sicht passt das gedicht insofern es aus der warte von damals berichtet.
ich las den text zunächst als heutiger, als einer, der weiß, dass die sich andeutende heimat der juden damals sich auf sehr dünnem eis bewegte. in dem fall ist meine, in deinen augen untaugliche lesart, durchaus eine mögliche. darauf wollte ich hinweisen.
es ist kein zufall, dass diese heimat auch heute noch immer, falls vermutet, ausgesprochen fragil fundamentiert ist. dies liegt in der art unseres denkens, unserer kultur begründet. ich will das hier nicht weiter ausbreiten, jedoch soviel: wenn wir nicht lernen, mit diesen unseren spezialitäten anders umzugehen, wird sich nichts ändern. wir werden juden jagen so lange, bis uns ein paradigmenwechsel gelingt. die voraussetzungen dafür sind aus meiner sicht weithin noch nicht mal ansatzweise präsent.

weiter sehe ich jetzt, der hinweis auf deine kontakte sollte schlicht belegen, wie sehr du dich in diese thematik bereits hineingekniet hast.

es ist also an der zeit, mich für meine dir rüde daherkommende lesarten zu entschuldigen. es geht mir nicht darum, dich anzugreifen, vielmehr will ich was herauskriegen. offenbar gelingt mir das an manchen stellen noch nicht, ohne flurschaden zu hinterlassen. ich werd das noch genauer untersuchen. versprochen: sogar ein bauer wird manchmal schlauer ;-)
... hoff ich wenigstens mal.

lg
die dohle
 

Walther

Mitglied
hi dohle,

deine entschuldigung nehme ich gerne an, obwohl sie nicht nötig gewesen wäre. wir sind uns im wesentlichen einig.

wenn man dieses thema anspricht, betritt man vermintes gelände. gerade jetzt, wo der palästina-konflikt wieder hochkommt, mischt sich in die kritik nicht nur schrilles sondern auch antisemitisches getöse. davor müssen wir warnen. debatten dieser art sind daher unvermeidlich. manchmal erwischt es dann den falschen, aber das kann man ja klären.

in diesem sinne frohes dichten!

lg w.
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo Walther,
vermintes gelände, das ist es. daher ist meine entschuldigung schon notwendig, die ist teil des lernens, es gibt da nichts von der stange. es hilft auf dieser baustelle offenbar nur probieren, mal gelingt´s, mal nicht. ich danke dir für deine nachsicht.

lg
die dohle
 



 
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