"Fund" von Johann Wolfgang von Götmann

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Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Fund

Ich ging im Forstland
langsam fürbass,
um nichts zu suchen.
bald war ich nass.

Im Dickicht, sah ich,
wuchs nichts als Moos,
ich ging am Pfad lang,
fand Hauswurz bloß.

Ich ging zum Hauswurz
grub's langsam aus;
vorsichtig trug ich's
zu mir nach Haus.

Da wuchs das Hauswurz
und gab mir Glück.
Doch in das Forstland
wollt's nie zurück.

Nun wächst das Hauswurz,
da ich's nicht brach,
ganz vorn am Parkhaus
und sinnt dort nach.


Johann Wolfgang von Götmann
(2020)

 
G

Gelöschtes Mitglied 21114

Gast
Das Original hat Goethe seiner Frau Christiane zum Hochzeitstag geschenkt: Eines der anrührendsten Liebesgedichte deutscher Lyrik, in dem die Geschichte der beiden Eheleute von der zufälligen Begegnung bis zur Erfüllung nach zehnjähriger wilder Ehe erzählt wird. Über das man sich natürlich lustig machen kann, wenn mans kann. Goethe schrieb an Christiane: Es ist ein sehr guter Gedanke, mein liebes Kind, dass du die Briefe von so langer Zeit her ordnest, so wie es sehr artig war, dass du sie alle aufgehoben hast. Woran soll man sich mehr ergötzen in diesen Tagen, wo so vieles vergeht, als an dem Zeugnis, dass es selbst auf Erden noch etwas Unvergängliches gibt. Ich kann dir, mein allerliebstes Kind, nicht genug danken, dass du dich so ruhig, gefasst und zugleich tätig erhältst, alles gut einrichtest und August wieder aufquäkelst. Wir wollen, hoffe ich, gesund wieder zusammentreffen. Zu unser silbern Hochzeit, schicke ich dir ein Gedicht.

JF
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Eines der anrührendsten Liebesgedichte deutscher Lyrik, in dem die Geschichte der beiden Eheleute von der zufälligen Begegnung bis zur Erfüllung nach zehnjähriger wilder Ehe erzählt wird.
Stimmt.

Da ist dann die Frage: Darf man es parodieren? Im Wissen, dass Goethes Gedicht als Liebesgedicht unerreichbar bleibt?

Und dazu Symbole von Heute nehmen?

Führt es dazu, dass jemand das Original mal wieder zur Hand nimmt?

Meine Frau, Christiane, liebt Hauswurz, ich auch. Letztlich hat es damit eher wenig zu tun.
 
G

Gelöschtes Mitglied 21114

Gast
Ich erinnere daran, unlängst hat in der LL jemand versucht (ich weiß nicht mehr, wer), Heines Loreley zu – ja, was? – zu parodieren? Zu verulken? Das Geschrei war groß, ich habe mitgeschrien. Nur zur Erinnerung.
JF
 
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James Blond

Mitglied
Da ist dann die Frage: Darf man es parodieren?
Ich denke nicht, ob dies die (eigentliche) Frage ist, denn verboten ist es ja (noch!) nicht. ;)

Aber die Frage bleibt, was es bringt. Hier kommt mir das Gedicht als Trittbrettfahrer einer bekannten Strassenbahn vor. Es profitiert von dem ruhmreichen Modell, ohne damit jedoch eine nähere Beziehung einzugehen. Dort, wo Goethes Liebesblümlein zweigt und blüht lese ich nun fortwährend etwas vom "Hauswurz"! Gleich vier mal: Hauswurz, Hauswurz, Hauswurz, Hauswurz!
Einen hässlicheren Namen gibt es wohl kaum, es klingt wie "Auswurf" oder "Hausfurtz", auch wenn die Ehefrau ihn liebt. Vermutlich mag sie auch "Kohlrabi", doch lyrisch entsteht hier nur übler Geruch. Nur gut, dass nicht ich deine Angetraute bin! Du hättest was zu hören bekommen. :)

Grüße
JB
 

silvana

Mitglied
Ich bekenne mich dazu, dass ich in diesem Fall Parodie als kreative Spielerei mit Vorgefasstem sehe und es gefällt mir, wie sich plötzlich eine Vorstellung, ein Bild das ich durch das Original habe wandelt und in Fluss kommt. Was es bring: Querdenken, Phantasieerweiterung, Distanz (eventuell zum Herioisch- pathetischem des Originals) , Neuadaption, Übungsfeld für Rhythmus und Regeln bestimmter "Schreibformen" , und meist macht es mir Spaß, weil ich das Augenzwinkern ;)dabei glaube wahrzunehmen .
 
G

Gelöschtes Mitglied 21114

Gast
Die Bekenntnisse der geschätzten Vorrednerin erweisen sich als universell anwendbar. Kein Opus der Klassiker, das bei willkürlicher Verunstaltung mit derlei Herumrederei nicht wieder auf die Beine zu kriegen wäre. Und ein Augenzwinkern gibts für alle extra. In der Schule heißt das: Aber sowas am Thema vorbei!
JF
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Nicht alles, was Klassiker (in der Form wie hier) aufgreift, sind Parodien. Es gibt auch Adaptionen. Das hier empfinde ich z. B. gar nicht als Parodie, ich "fühle" es eher als "auf den Boden holen", als "die große Liebesgeste alltäglich machen". Die Liebe fürs Leben beginnt halt nicht immer mit der sofortigen Verzückung, sie beginnt auch manchmal mit Offensein, freundlicher Annäherung oder solchen Dingen. Und sie äußerst sich auch nicht immer durch fortwährende Schönheit, sondern einfach durch Glück miteinander.

Dass mir das Gedicht trotzdem so nicht gefällt, hat andere Gründe.


Ich ging im Forstland
langsam fürbass,
um nichts zu suchen.
bald war ich nass.
B

Im Dickicht, sah ich,
wuchs nichts als Moos,
ich ging am Pfad lang,
fand Hauswurz bloß.
Das ist mir von der Stilebene her zu deutlich unterhalb der Vorlage und auch der Ebene, die an anderen Stellen im Gedicht durchscheint.

Ich ging zum HauswurzKOMMA
grub's langsam aus;
vorsichtig trug ich's
zu mir nach Haus.
Da wuchs das Hauswurz
und gab mir Glück.
Doch in das Forstland
wollt's nie zurück.
Das "doch" ergibt aus meiner Sicht keinen Sinn.


Und: Es heißt "die Hauswurz", sagt duden.de (zu meiner Überraschung. Ich dachte, es sei "der Hauswurz". Man lernt nie aus.)
 

James Blond

Mitglied
Nicht alles, was Klassiker (in der Form wie hier) aufgreift, sind Parodien. Es gibt auch Adaptionen.
Nein. Parodien sind auch Adaptionen. Aber Adaptionen nicht unbedingt Parodien. :)
Und ob das vorliegende Gedicht eine Parodie (oder nur eine Adaption) sein soll, ist die Frage. Der Autor hatte von Parodie gesprochen, aber dann wäre es eine schlechte, weil sie nicht auf das Vorbild zurückwirkt, sondern die Ähnlichkeit als Aushängeschild verwendet. Und zur Kontrastierung: Goethes zartes Liebespflänzlein wird hier zur unkrautigen Hausmannskost namens "Hauswurz". Ein schlimmer Kosename, da steckt viel Ironie drin.

Grüße
JB
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Ein schlimmer Kosename
Das ist ganz, ganz stark Ansichtssache. Ich mag Hauswurz sehr - er … sorry: sie ist kraftvoll, robust und genügsam, hat eine schöne grafische Ausstrahlung, überrascht (je nach Sorte) mit interessanten Farben, ist immer attraktiv (nicht wie "Blümchen" nur in der Blüte) und drängt sich weder vor (wie man es der Rose andichtet), noch heuchelt es Bescheidenheit (wie man es dem Veilchen zuschreibt). Und wenn Sempervivum blüht, kommt sogar ein bisschen SF-Feeling auf - der Trieb ist schon urig und anders als bei den allermeisten anderen Pflanzen.
 

James Blond

Mitglied
Vollkommen richtig. Hauswurz: kraftvoll, robust, genügsam. So auch der Name. Klingt wie Hausputz. Grafische Ausstrahlung, Bescheidenheit, Ehrlichkeit ... ups. Mein Hauswurz! Welche Herzensdame möchte denn so angesprochen werden? Die jon?

Mein Hauswurz! So könnte man vielleicht seine Putzfrau loben. :D
Dazu passt auch der Aufenthaltsort: Statt Goethes Gartenhaus ein schnödes Parkhaus.

Grüße
JB
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Nein. Parodien sind auch Adaptionen. Aber Adaptionen nicht unbedingt Parodien. :)
Und ob das vorliegende Gedicht eine Parodie (oder nur eine Adaption) sein soll, ist die Frage. Der Autor hatte von Parodie gesprochen, aber dann wäre es eine schlechte, weil sie nicht auf das Vorbild zurückwirkt, sondern die Ähnlichkeit als Aushängeschild verwendet. Und zur Kontrastierung: Goethes zartes Liebespflänzlein wird hier zur unkrautigen Hausmannskost namens "Hauswurz". Ein schlimmer Kosename, da steckt viel Ironie drin.

Grüße
JB
Du hast wahrscheinlich recht. Es ist eher eine Travestie.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Och, ich hätte nichts dagegen. Wie gesagt: Ich finde die Pflanze schön und ihre Eigenschaften passend. Wenn mich jemand als Rose bezeichnen würde, würde ich ihn wohl als Schleimer wahrnehmen, bei "Blümchen" fühlte ich mich doch etwas herabsetzend verniedlicht.
(Wobei man gerechterweise sagen muss: Bei Kosenamen kommt es immer drauf an, wer es sagt. Ein Ekelbatzen kann noch so passende Worte wählen - er wirkt dadurch eher noch schleimiger. Mr. Right hingegen kann fast alles sagen.)
Das Parkhaus (ich nehme an, es ist die Garage gemeint) ist auf jeden Fall heutiger und eben bodenständiger.
 
Zuletzt bearbeitet:

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Danke für die vielen Antworten, damit habe ich gar nicht gerechnet. Dutsch ist eine sehr schwierige Sprache, Deutsch ohne "e". Es wurden ganze Bücher darin geschrieben.
Ich habe von Hauswurz viele Fotos gemacht und es wächst auch auf unserem Balkon.
Tatsächlich ist das Gedicht auf einer weit tieferen Stilebene als das von Goethe. Das stimmt und war auch Absicht.

Danke Jon, für den Hinweis auf Tippfehler.

Ich ging zum Hauswurz,
grub's langsam aus;
vorsichtig trug ich's
zu mir nach Haus.

Das Komma muss natürlich da stehen, wo es fehlte.



Mit "nur" würde es auch funktionieren:

Nur in das Forstland
wollt's nie zurück.

---

Der große Fehler ist "nie". Es muss heißen "nicht", weil es in Dutsch kein "e" gibt.

Das Hauswurz - bezieht sich auf die Form "das Mensch".
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Dutsch? Oha! Sowas ist immer dann am besten, wenn man es nicht sofort merkt. Was dir wohl gelungen ist, jedenfalls was mich angeht.

Auch mit "nur" sehe ich den logischen Zusammenhang nicht. Mit "doch" und mit "nur" würde es heißen, dass Hauswurze (oder andere), die einem Glück schenken, (kausal bedingt) immer zurückwollen - doch/nur diese eben nicht.
 

James Blond

Mitglied
Lieber Bernd,
obwohl du es anfangs erwähntest, war mir die e-Freiheit deines Gedichts nicht aufgefallen. Allerdings verpufft der Dutsch-Clou, wenn man es nicht sieht. Und rückt es als "Letteritäten-Rebus" in die Gesellschaft von Anagramm, Akrostichon & Co als lyrische Fingerübung.

Liebe jon,
gerade habe ich das neue Kosewort "Hauswurz" an meiner Angetrauten probiert. Nun ziert ein sehr wenig Bescheidenheit heuchelndes Veilchen meine linke Gesichtshälfte. Vermutlich möchte meine Herzensdame doch lieber verniedlicht werden ...

Grüße
JB
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Fund (Travestie)

Ich ging im Forstland
langsam fürbass,
um nichts zu suchen.
bald war ich nass.

Im Dickicht, sah ich,
wuchs nichts als Moos,
ich ging am Pfad lang,
fand Hauswurz bloß.

Ich ging zum Hauswurz,
grub's langsam aus;
vorsichtig trug ich's
zu mir nach Haus.

Da wuchs das Hauswurz
und gab mir Glück.
Doch in das Forstland
kam's nicht zurück.

Nun wächst das Hauswurz,
da ich's nicht brach,
ganz vorn am Parkhaus
und sinnt dort nach.


Johann Wolfgang von Götmann
(2020)

(Korrigierte Fassung. Ich bin leider in Dutsch kein Muttersprachler.)

Es wäre noch die Frage, ob ich "die" stehen lassen kann, was auf "gebrochenes" Dutsch hindeutet.

Den Begriff "dutsch" hat, glaube ich, Douglas Hofstadter erfunden.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Mal im Ernst, JB: Willst du mir unbedingt beweisen, dass mein Geschmack falsch ist, oder was soll das Draufrumreiten?
 
Zuletzt bearbeitet:

James Blond

Mitglied
Eigentlich ein gutes Zeichen. danke.

Und das Veilchen sieht doch gewiss nicht schlecht aus.
Beides ist leider nicht zutreffend. Jenes Veilchen ziert nur die Treulosen, die's auch verdient haben, mich jedoch nicht.

Und ein Dutsch-Spaß, der nicht erkannt wird, ist auch nicht komisch. Vielleicht solltest du "Dutsch" einmal so definieren: Es gibt nur den U-Vokal. Die Versuche in dieser Richtung waren zumeist schön schauderhaft, pardon: schun schuderhuft. Man könnte vielleicht einen Wettbewerb daraus anrühren ...

Grüße
JB
 



 
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