Gedankensplitter

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Carina M.

Mitglied
Lieber Ralf,

ich bin wieder mal sprachlos.
Warum ist mein Schweigen oder Nichtschweigen so nachdenkenswert?

Lieben Gruß an dich,
Carina
 

Ralf Langer

Mitglied
Lyrik - Ein Anspruch

Lyrik - ein Anspruch

Drei Jahre Leselupe verändern einen Menschen.
Dieser Mensch: Ich.
Wenn ich es formulieren könnte, würde ich es tun.
Aber mir fehlen die Worte. Wie so oft in letzter Zeit.
Nie in meinem Leben habe ich mich so intensiv mit Texten
auseinandergesetzt. Nicht einmal während des Literaturstudiums!
Und es vermehrt sich : Schweigen;
das Innere, und das Lupianische - sozusagen
.
Zweihundertdreißig Veröffentlichungen. Und beinahe ebensoviel Unzufriedenheit.
Mit wem?
Mit mir selbst!

Ach, wie angenehm habe ich die ersten Monate in Erinnerung:
Ich schöpfte aus dem Fundus, meiner Niederschriften, aus zwei Jahrzehnten
Stift, Nacht und weißem Papier.
Veröffentlichung folgte auf Veröffentlichung. Dreißig Werke im Monat. Kein Problem.
Und dann das Warten, dass du wieder „freigeschaltet“ wirst.

Absurd!

Doch mit den Texten, mit der Zeit wurden die Worte in mir lebendig, fingen an zu protestieren. Gib uns Zeit riefen sie, wiege uns ab, benutze uns sorgfältig.

Ich verfiel dem Wort, jedem Einzelnen und begann sie – auf meine Art - zu schützen, zu pflegen.

Schrebergärtnern nennt man das im Ruhrgebiet.

Ich wurde stiller, wenn es ein richtiges Wort dafür gibt, dann: demut.
Auch Zorn, sprachlose Wut, ja sprachlose Wut vor allem.
Worte ins leben zu bringen wurde immer schwieriger, langwieriger.
Hier: der Kampf mit dem Wissen der Text ist noch nicht fertig.
Er entspricht nicht dem was ich können will.
Was mein, was der Anspruch sein muß

Zeit; es wird Zeit den Anspruch „aus zu formulieren“, das Idol „Gedicht“
soll seinen Text bekommen:

Also die Fakten, meine Fakten: die Quintessenz meines Status Quo
zur lyrischen Welt:

Der Anspruch an die Lyrik ist immens – muss immens sein.
Wie gerne verzeihen wir dem Prosaisten eine nicht so gelungene
Passage, ein Kapitel, dass nicht gelang.
Bleibt doch der Roman gelehrig und - wenn wenig, dann unterhaltsam.
Nicht so beim Dichter, bei seinem Werk. Ihm nimmt jeder beim Wort.
Das Einzelne zählt, nur das Gelungene. Alles andere ist für die Welt verloren,
unbrauchbar.
Die Welt ist voller mittelmäßiger Romane, aber ein mittelmäßiges Gedicht
ist Nichts, muss Nichts sein.

So ist der Anspruch - und sein Scheitern in Fülle ist vorprogrammiert!
Benn sagte einmal, vierzig Jahre der Schaffenszeit und das alles für sechs vielleicht sieben
gelungen Gedichte. Und welche das wären, bleibt ungesagt, müssen die werdende Zeit und die immer wieder neuen Generationen der Leser entdecken, entscheiden.
Nichts ist so wortkarg wie ein Gedicht. Dem Wort gilt die Aufmerksamkeit. Dem Wenigen, was
formuliert werden kann, dem was nicht geschrieben werden muß.

Nichts bedarf einer größeren Intoleranz der Welt, dem Dichter gegenüber, als dem Streben nach einem vollendetem Werk.
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
ich weiß jetzt auch nichts rechtes zu sagen, aber ich kenne dieses (dein) gefühl (dieses fühlen) nur zu gut. spontan musste ich an ein gedicht von Mascha Kaléko denken. keine ahnung warum.


Mein schönstes Gedicht

Mein schönstes Gedicht?
Ich schrieb es nicht.
Aus tiefsten Tiefen stieg es.
Ich schwieg es.

(Mascha Kaléko)
 

Ralf Langer

Mitglied
Gott- lose Gedanken

Ich stelle mir vor:

es gibt einen Gott und er ist wissenschaftlich erklärbar...
Was hätte es für Konsequenzen?

Was wissen wir von Gott?
Er ist allwissend. Kennt die Vergangenheit und die Zukunft
Er ist entweder unsterblich - was eigene Konsequenzen hätte- oder er ist zeitlos, oder beides.

hier treten erste fundamentale Probleme mit der Physik auf.

Die Lösung: Gott ist masselos und hat keine Ausdehnung.

Nach den uns bekannten Gesetzen der Physik und der Quantenmechanik hat alles was Raum einnimmt Masse. Alles was Masse hat, hat Zeit, hat Dauer, und es gibt Energie in Form von Strahlung ab.
Anders formuliert, es stirbt.
( Nicht ganz richtig denn die Masse wird in Energie umgewandelt)
Nicht aber das Photon: Ein masseloses Teilchen, ohne Ausdehnung.

Licht altert nicht.

Zusätzlicher Vorteil: Beim Licht greifen die Gesetze der klassischen Physik nicht mehr.
Gott könnte sich die Heisenbergsche Unschärfe zu Nutze machen, und seinen diskreten Aufenthaltsort und die Aufenthaltzeit verschleiern.

Ich stelle mir vor: Gott ist Licht...

gefällt mir dieser Gedanke
 

Ralf Langer

Mitglied
Die Grenzen der Wahrnehmung

Also, eine weitere Wortsuche.
Denn die Grenzen unserer Wahrnehmung sind - bildlich gesehen -
Die Tapeten auf den Wänden unseres Seins.
Die Tapete bleibt das letzte benennbare, dahinter beginnt der wortlose Raum.
Ein blinder Fleck.
Meines Erachtens ist es ein Irrtum zu glauben, der zivilisierte Mensch hätte von Kultur zu Kultur seine Welt vergrößert.
Es ändern sich nur die Bezeichnungen - die Blickwinkel -
der Irrtümer.
Das Wort "Gott" und seine artverwandten Bezeichnungen sind
uralt. Jede Zivilisation hat das unnennbare in eine Form gezwängt.
Daran hat sich nichts geändert.
Wir waren und sind Wesen der Sinnesorgane.
Es macht keinen qualitativen Unterschied ob wir denken, es gäbe hundert Himmelkörper oder Myriaden;
es spielt keine Rolle, das wir heute wissen, das zum Beispiel, der feuerspeiende Drache in der Vorstellung des Frühmittelaterlichen nicht wirklich existierte, das es sich um eine Erklärung für den Fund eines fossilen Dinosauriers handelte.
Worte schaffen Weltbilder - Ihre Tatsächlichkeit ist in der Welt der Begriffe von untergeordneter Rolle.
Das Benannte existiert.
Die Macht der Lyrik besteht aber, seit ihrem Anbeginn, in der Metapher.
Mit dem Gedicht kann der Mensch die Grenzen seiner Wahrnehmung über den Horizont der Worte hinausschieben.Die Worte können durch Verknüpfungen ein Netz bilden,das in die Welt jenseits der Sprache geworfen werden kann.
Dort sitzen wir und fischen...nach den Kleinoden?
 

Ralf Langer

Mitglied
Annäherungen

Zitate und ihre Wirkung:
„Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals glauben würdet.
Gigantische Schiffe, die brannten, draußen vor der Schulter des Orion.
Und ich habe C-Beams gesehen, glitzernd im Dunkeln,
nahe dem Tannhäuser Tor.
All diese Momente werden verloren sein in der Zeit, so wie Tränen im Regen.“


So ist das Ende dieses Films. Nicht das eigentliche, gefilmte, aber das Philosophische.
Denn hier kulminiert Blick, Bild und Sprache zu Kunst, und im weitesten Sinne zum Gedicht:

Der Replikant;
Roy,am Ende seiner Lebensspanne angelangt, rettet seinem Auftragskiller Selbiges.
Er hält eine Taube in der Hand,
spricht diesen Satz, während er gemeinsam mit Deckard seinem Jäger, in der immerwährenden regnerischen Dunkelheit, auf einem heruntergekommenden Dach, umgeben von einer heruntergekommenden Zivilisation, auf seinen Tod wartet.
Die Szenerie umwoben von der episch sakralen Musik Vangelis.
Szenische Perfektion. Scott hat nie besser inszeniert.
Ähnlich gut, sicherlich. Besser?. Nein

Denn plötzlich dreht sich das Bild des Zuschauers. Das Ende, lässt ihn mit dem filmischen Bösewicht leiden.
Die Bildsprache metaphorisch durchdrungen.
Hier der Entworfene, der geformte Replikant;
ein Zweckbastard, reine erinnerungslose Form, Golem des menschlichen Prometheus Dr Tyrell, der Vater-Teufel und Gott in sich vereinigt.
Und dort, ihm gegenüber, der göttliche – Mensch. Deckard, der Gedankenlose.
Der Mensch, der tut was er kann: terminieren.

Ganz im „da-sein“ verhaftet, ist Deckard am Ende vielleicht mehr Maschine als sein Gegenüber.

Und während Roy stirbt, weil ihm seine Zeit davon gelaufen ist, wollen auch wir wissen, was es ist dieses „Leben“.
Dieses Fundstück, das ungefragt Geschenkte, von dem Roy nur weiß das es nur vier Jahre währt.

Sein Schöpfer hat die Begegnung mit seinem Geschöpf / Gefäß nicht überlebt. Der Demiurg zerbrach, mußte sterben, weil auch er nicht helfen konnte.

Dies alles, ein Spiegel für uns selbst.

Aber, Roy fand seinen Schöpfer , den Tod, und seinen Frieden.
Und wir?
Wir finden nur statt, und den Tod.

Düster ist sie, die Zukunft, die Scott gezeichnet hat.
 

Ralf Langer

Mitglied
Grenzwahrnehmungen

Revilo:Entfernungen

Ein anderes Wort für Nähe!
Der Abstand zwischen zwei Worten. Ist das Nähe oder Entfernung?
Und der Abstand zwischen zwei Menschen, das ist Distanz.
Also Mathematik:
Es ist eine Differenz, beschreibt einen leeren Raum.
Da wäre die Persönlichkeitssphäre.
Ein Raum, individueller Größe, der unnahbar bleibt. Ein Eindringen hier hinein
wird als Verletzung empfunden. Aber,die Persönlichkeit verschleiert ihren diskreten Aufenthaltsort.
Diese Sphäre – also dem Wort nach die Oberfläche einer Kugel – ist der kleinstmögliche Raum,
den ein Mensch einenhmen kann, ohne ungewollt mit einem Gegeüber zu interagieren.

Interessant bleibt der leere Raum. Die Distanz zwischen zwei Wesen kann nicht überbrückt
oder kurz geschlossen werden. Sie ist a priori vorhanden.
Wenn sich zwei Menschen also näher kommen, wird es gefährlich.
Das ist dann die Liebe, oder weitläufiger der Hang zum Empathischen.

Wer oder was hat uns so gemacht.
Wir können alleine nicht sein. Und doch verletzt die Nähe unser Bedürfnis nach Entfernung.

Ein anderes Wort für Nähe?
Aus der Nähe betrachtet:

Der Wunsch nach dem Leben mit Ähnlichem in einer Welt, die sich dem Bedürfnis
der Menschen immer wieder- reflexartg – entzieht.
Sogesehen, ein Gezeitenspiel.
Der „Näherungsweise“ begibt sich ständig in die Gefahr seine Sphäre anderen zum Eindringen anzubieten, in der Hoffnung die Verletzungen halten sich in Grenzen von Ebbe und Flut.
 

Ralf Langer

Mitglied
Beobachtungen : Präfixe

Beobachtungen:präfixe

Seit geraumer Zeit denke ich über Verben im Zusammenhang mit Präfixbildungen nach.
Präfixe haben einen bemerkenswerten Einfluß auf die Bedeutungsebenen vom Worten, je nach dem ob sie zusammen oder getrennt geschrieben werden.
Gleichzeitig gibt es Worte die einen homophonen Klang haben und durch deren Einbau wiederum
neue Bedeutungsebenen entstehen.
Dann wiederum kommen Metaebenen ins Spiel, z.B., wenn man mit Sprache über Sprache spricht.

Ein interessantes Beispiel:

„aussetzen – aus sätzen“

Ich konjugiere mich einmal durch verschiedene Zusammenstellungen:

Die Worte sind der Sprache ausgesätzt/ ausgesetzt.

Die Gefühle sind der Sprache ausgesetzt oder eben „ausgesätzt“

Aussetzung eines Strafvollzugs

Ein Kind aussetzen.
Ein Gedicht: Ein Kind aus Sätzen.

Interessantes Wortspiel: Menschen der Sprache aussetzen / aussätzen.

Sich einer Gefahr aussetzen : Sich einer Gefahr aus Sätzen
zuschreiben
Scheint mir für einen Dichter nicht unerheblich.

Ein Belohnung aussetzen: Eine Belohnung aus Sätzen:
Eine Dankeserede möglicherweise

Etwas aussetzen an einer Arbeit

Bedeutungsebene: Aus-satz – Lepra

Deine Liebe ist aufgesätzt
Die Liebe ist aus
Satz und Wort gebaut
Meine Gefühle: aus Sätzen/ aussetzen
geformt...

Hier überkommt mich der Reiz die Präfixe durchzuexerzieren.

Ab – Satz
An – Satz
Auf - Satz
Unter - Setzen /Sätzen
Nach -Satz/ Sätzen
Um Satz
Um setzen / Sätzen
Über – Setzen / Sätzen
Vor – Satz
Vor -Setzen / Sätzen
Zu – Setzen / Sätzen

An dieser Stelle breche ich ab.
Ich befinde mich sozusagen im „Satzbau“.
Walther veröffentlichte in letzter Zeit einige bemerenswerte Gedichte um diese Thema.
Er ist, wie mir scheint, ähnlich wie ich, auf der Suche nach der Quantenebene der Sprache.
Wie in der Physik gibt es zwei große Gebiete, die sich nicht kohärent verhalten:
Die klassische Physik, die homogen hier die Sprache, bzw. den Satz meint, und eben die Quantenphysik der Sprache, der Bereich in dem sich das Wort, das Einzelne, das Detail,
anders verhält, als im Satzgefüge.

Fazit: Die Worte machen das Schreiben
schwierig.
Der Dichter ist ein "Aus - Sätziger - Mensch"
 

Ralf Langer

Mitglied
Grenzwahrnehmungen.

Seit geraumer Zeit erlebe ich an mir ein Faszinosum.
Es geschieht regelmäßig beim Besuch des Forums für experimentelle Lyrik.
Ich stoße an den Rand meines Verstandes, besser gesagt meines Verstehens.
Ist etwas Lyrik, wenn es nur noch selbstreferentiell daherkommt.
Meine Zweifel sind groß. Und ich liebe meinen Zweifel.
Der Zweifel ist nach Hören, Schmecken, Riechen, Sehen und Tasten der sechste Sinn. Seine Heimat ist der Geist. Er ermöglicht es die Wahrnehmungen in Frage zu stellen.
Der Zweifel erlaubt mir nicht dem zu trauen was ich z,B. sehe oder lese.
"Dupoetry", zum Beispiel, ein neuer Bewohner der LL fordert seit neuestem meinen Zweifel heraus.
Wie ich ihm schon schrieb, unterstelle ich ihm im postiven Sinn eine Absicht, und der von mir hochgeschätzte Bernd findet meist eine:

WOOOOOOOOOOOOOOW

AAAAAAAAAAAAAAAAH
BOOOOOOOOOOOOAH
CIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIAO

Bei solchen oder ähnlichen Publikationen stehe ich auf dem Schlauch. Ich fühle mich "verkackeiert", will es aber eigentlich nicht wahrhaben.
Bernd benotete mit 9 Punkten ein Anonymer mit 2.
Ich kann das nicht bewerten. Ich versteh es nicht.
Hm, vielleicht ist es dadaistisch. Aber für mein Empfinden
ist Dadaismus eine Erscheinungsform der Lyrik, die unüberbrücklich an die Zweitenwende zum 20.Jahrhundert gekoppelt ist. Eine Lyrik, die nicht wiederholbar ist, weil sie genau diesen historischen Kontext brauchte um ihrer Existens Gründe zu geben.

Aber da liege ich wohl falsch wird Bernd jetzt sagen.

Wie gesagt ich habe meine Zweifel...
 
A

AchterZwerg

Gast
Hallo Ralf,
das sind sehr interessante Gedankensplitter, die ich mir heute einmal "am Stück" gönnte.
Am Ende deiner Ausführungen erweckst du mein besonderes Interesse, schneidest du da doch ein Thema an, das mich derzeit ebenfalls beschäftigt: die (vermeintliche) Beliebigkeit der Lyrik in den Foren. Hier gibt es ein starkes Auseinanderdriften im Hinblick auf die (forenjenseitige) Literaturszene zu vermerken.
Wird der Anspruch bei renommierten Verlagen immer höher, kann man beim Lesen von Forengedichten den Eindruck gewinnen, dass alles gutgeheißen, das alles "schön" ist und "gern gelesen" wird. - Existieren tatsächlich (messbare) Kriterien, die aus einer beliebigen Wortzusammenwürfelung ein Gedicht machen? Aus dem Zusammenschnitt lange verstorbener Romantiker etc.? Oder eben aus Dadaismen, die nicht DaDa sind?

Lyrik wird eh kaum noch verlegt. Weil sie sich nicht verkaufen lässt. Weil sie nicht verstanden wird. Weil sie als unlesbar gilt.

Wäre es dann nicht an der Zeit, Besseres zu produzieren? Etwas, das erweiterten Ansprüchen genügen könnte?
Ist es andererseits nicht möglich, einen Text zu beurteilen/ bewerten/deuten, den man selber nicht vollständig versteht?
Gibt es keine allgemeingültigen Zugangsvoraussetzungen (mehr), die vielseitig anwendbar sind?

Das sind Fragen, die bei mir auftauchen, wenn ich dein spannendes Tagebuch lese.

Liebe Grüße
Heidrun
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo Heidrun,

"Existieren tatsächlich (messbare) Kriterien, die aus einer beliebigen Wortzusammenwürfelung ein Gedicht machen?"

Eine wunderbare Frage.

Ich möchte einer direkten Beantwortung aus dem Wege gehen.
Bin aber gerne bereit darüber indirekt zu sprechen.

Sollte nicht der schärfste Wächter über das Geschriebene und alsbald Veröffentlichte der Autor selbst sein?

Ist nicht a priori der Autor der erste Kritiker seines Werkes?

So ist das Herauslesbare aus den Stücken vor allem - sowohl bei gelungenen als auch bei mißlungenen Stücken - der Ansprch des Autors an seinen Text.

Hierbei spielt es nur eine untergeordnete Rolle, ob mir als Rezipientem das Stück gefällt.
Deshalb sage ich ( aus eigener Erfahrung), es gilt sich Zeit zu nehmen, es gilt der ersten Idee, der Sponatität nicht sorglos zu vertrauen.

Es gilt: der Autor muß als aller Erster den Ansprüchen an Verständlichkeit, Sprachgefühl, Klang, Rhythmus etc eines Stückes genüge tun.

Es gibt keine zweiten.
Der Wunsch zu veröffentlichen hat keinen Vorrang.
Diesem Drang muß der Schreiber wiederstehen, bis er das bestmögliche erreicht hat.

Der Rest - und es ist viel- wäre besser verschwiegen, und im "schlimmsten" Falle nie geschrieben...

lg
ralf
 

Ralf Langer

Mitglied
Comedian

Selbstfindungsprozeß

Ich erinnere mich an Vergangenheit.
Schlachtfelder, Scharmützel mit ungewissem Ausgang.
Ein vier, vielleicht fünfjähriges Anrennen auf einen Hügel, den es einzunehmen galt.
Die Zukunft: das ist etwas rätselhaftes.
Der Wille, dem ungewissen Gestalt abzuringen.
Mein Vater nannte es Selbstfindungsprozeß, und er vergaß nie zu erwähnen, daß seine Generation nicht um diesen Hügel kämpfen durfte.
Dafür wäre damals keine Zeit gewesen, oder dafür hätte keine Zeit zur Verfügung gestanden.
Zeit als Reserveeinheit.
Eine kleine Brigade Papenheimer, die im entscheidenden Moment der Schlacht um Morgen aus dem Nebel auftaucht und ruft, „hier, hier geht’s lang!“
Und so eilt man von Zukunft zu Zukunft und findet alles, aber nicht sich selbst.

Und was blieb Vater zum Ende hin?
Eine Sammlung von Anekdoten. Die kleinste Form von eigener Geschichte. Ein Lacher für die Zuhörer. Ja, so war das. Vater in den Bergen. Vater im Schrebergarten, Vater im Krankenhaus.
Vater unter der Erde.

Das war es dann also:
Vor dem Grab habe ich den Glauben an das Ernste verloren.
Alles nur ein Treppenwitz. Das zusammenhängenste Stück Leben, das ich Vater mit auf seine letzte Reise gab war meine Grabrede.
Zehnminütiger Eindruck von Zusammenhang, von Sinn, von Erfüllung.
Nicht mehr, nur herbeigeredetes, heraufbeschworenes für schwächelnde Erinnerungen von fünfzig Trauernden, die dann bedächtig mit dem Kopf wiegten und flüsterten:
„Ja so war er.“

Was aber blieb für mich?
Was ist, wenn die Zukunft nicht mehr ist als ein Irrtum auf dem Weg von vergangenen Zukünften zu künftig vergangenen Gegenwarten?

Die Rettung liegt im Witz.
Das ist kein Nihilismus. Der Kalauer als Sinngebungsmaschine. Lach, auch wenn es gequält aussieht.
Denn mir konnte niemand helfen. Plötzlich blieben die Stimmen von all jenen stumm, denen ich gelauscht hatte:

Sartre, Camus. Die Existentialisten sitzen sprachlos auf einer Bank und warten.
Schopenhauer, verbrannt in seinem Haus, während er darüber nachdachte ob sein Wille den Flammen trotzen konnte.
Nietzsche, der hatte sich in seine Höhle über dem Dung der Menschen zurückgezogen.

So entdeckte ich die neuen Philosophen; dieCindy`s aus Marzahn, die Atze Schröder`s,
die Bernd Stelter dieser Zeit.
Ich wurde Comedian mit einer Prise Lanz.
Ja, Lanz. Leben als Geschwafel. Sinn als Sättigungsbeilage , Zeiträume als nie zuende gehende Talkshow.
Ein Überkochen, überschäumen von geheucheltem Interesse.
Alles war interessant, klang spannend, von „ja wirklich“ bis „nein, im Ernst“, ging mir alles über die Lippen.
Das Sein, nicht mehr, nur eingekochte, reduzierte Anekdote, nur kleine Form. Nicht Inhalt, nur Hülle. Leben im Nebensatz.

Ach Vater, die Stahlplatte mit deinem Namenszug, sie rostet schon. Und doch nenne ich dich und deine Zeit eine glückliche Generation.
 

Ralf Langer

Mitglied
Verborgenes

Verborgenes

„Das was lebt ist etwas anderes, als das was denkt“,

sagt Benn, und meint den fulminanten Erkenntnisschock beim Spiegelblick.

Denn was sich spiegelt und was hineinschaut, hinter den Augen verborgen, ist nicht identisch.

Es ist evident: das Denken ist durch und durch „metaphysisch“.

Das ICH, ist dann bei sich selbst, wenn es denkt, wenn es seine Zeit damit verbringt „Nichts“( im physischen Sinne) zu tun.

Aus dem Bewußtsein nachdenken zu können entsteht ein seltsamer Reiz. Ich glaube „Trotz“
wäre bei mir das passende Wort, wenn ich mich beim denken beobachte.

Denn das was ich sehe ist in diesen Momenten des Denkens nicht das was ich bin.

Ich kann mich im Spiegel nicht sehen. Aber hinter den Augen erkenne ich ein ...„Selbst“

„Gnothi Seautón" - "Erkenne dich selbst",
so steht es seit Jahrtausenden am Eingang zum Orakel von Delphi. Und „wirklich“ ist ein Spiegel ein Orakel des Seins.

„Das was lebt, ist etwas anderes als das was denkt.“

Aber was verbirgt sich?
 

Ralf Langer

Mitglied
Wortfindungen

Wortfindungen
- keine Störung


Was man so sagt:

„Zeit einräumen“

Wir wissen was gemeint ist. Für eine zu erledigende Arbeit bekommt man eine zeitliche Vorgabe.
Ein Zeitfenster sozusagen. Aber ich entdecke beim sinnieren einen weiteren Gedanken :

Der Mensch kann zum Beispiel seine Socken einräumen. Da liegen sie nach der Wäsche im Wohnzimmer und dann räume ich sie in den Schrank ein.

Plötzlich bin ich fasziniert.

Dieses Bild. Es ist einfach da. Seht ihr sie jetzt auch die Zeit, wie sie so ungeordnet auf dem Boden herumliegt. Es wird Zeit die Zeit einzuräumen.

Und wenn ich sie dann brauche, gehe ich an die Kommode und hole sie heraus.

Was wohl mit der Zeit passierte, wenn ich sie nicht einräumte?
 

ENachtigall

Mitglied
Ich habe noch ein anders Bild;

Zeit einräumen

ZeitRaum

du füllst ihn

Vorstellungen, Wünschen und Eingebungen folgend
Wertmaßstäben und Ordnungsprinzipien gehorchend
oder chaotisch

oder du lässt ihn (den ZeitRaum)
voll Stille laufen

Diese Betrachtungsweise der Begriffe führt durch ihre Plastizität die Sprache zurück zu einer ursprünglichen Begreifbarkeit - allerdings in eine Art Paralleluniversum -, die philosophisch ungeheuer attraktiv ist.

Grüße von Elke
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo elke, herzlichen dank für deinen besuch.

danke das du mir den "zeitraum" da gelassen hast.

diesen speziellen raum, habe ich zu beginn des tagebuchs schon einmal betreten( zweiter thread vo mir in den gedankensplittern),und es bleibt ein spannendes gebilde.

die wortfamilien zweter ordnung -so nenne ich eine spezielle gruppe- sind sprachlich von ungeheurer atracktivität. sie werden aus einem substantiv "erster- ordnung" und einem substantiv "zweiter ordnung" gebildet.

die wortfamilien erster ordnung sind haptischer natur, also begriffe wie baum, gras,wasser etc.
dementsprechend sind die wortfamilien "zweiter ordnung" unfassbarer natur, wie liebe, zeit, not.
diese wortfamilien sind nicht in der welt, aber teil unserer gedanken über die welt.

in diesem sinn nimmt- stelle ich gerade fest- das wort "raum" eher eine zwitterstelle ein.
aber davon erzähle ich ein anderes mal...
lg
ralf
 
U

USch

Gast
Hallo Ralf,
interessante philosophische Gedanken. Oder ist die Welt mit ihren vielen Worten, Interpretationen, Beschreibungen und Gedankensplittern doch nur eine Illusion, die uns vorgegaukelt wird, um uns zu manipulieren und wie Schafe zu treiben? Schall und Rauch eben.
LG USch
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo usch, herzlichen dank für deinen besuch
bei meinen splittern:

schall und rauch: vieles in der welt bleibt "unfassbar"
und bewegt den menschen ständig...

ralf
 



 
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