Geschichte eines Filmemachers

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Mit ihm über seine Filme zu reden, das vermied ich am Ende besser. Es war ein Tabuthema, ich wusste und respektierte es. Er hatte zu viele Opfer gebracht – für die Filmkunst.

Danziger war ursprünglich Theaterregisseur gewesen, damals im alten Westberlin, auch Schauspieler in kleinen Nebenrollen. Es ernährte ihn über die Jahre gerade eben. Dann wechselte er zu Provinzbühnen und hatte mehr Erfolg. Es kam das Angebot - verlockend für andere, nicht für ihn -, an einem Landestheater Oberspielleiter zu werden. Er lehnte ab, wollte lieber zurück nach Berlin und endlich Filme drehen.

Er fing mit Kurzfilmen an und machte einiges fürs Fernsehen, bis sich der Sender von ihm trennte. Er gründete auch eine Filmfirma und sein Steuerberater vermittelte ihm Anlagekapital. Danziger schrieb ein Drehbuch im Stil Woody Allens und machte darin aus sich selbst einen tragischen Clown als Hauptfigur. Ein Verleih für den Spielfilm fand sich nicht, Danziger zeigte ihn in Kulturzentren verschiedener Großstädte. Dazu kam er einmal auch nach Hamburg und übernachtete bei mir. Er hielt es für ausgemacht, dass ich sein Werk ansehen würde, und brachte mich damit in Verlegenheit. Ich hatte von gemeinsamen Bekannten nur Abfälliges gehört. Ein Schauspieler hatte darin das Gesellschaftliche vermisst und ein Filmverleiher ein seichtes Remake gesehen. Unter einem Vorwand blieb ich der Vorführung fern. Lange Jahre berührten wir das Thema nicht mehr.

Seine Firma, hörte ich später, ging bald in Liquidation. Danzigers Bruder übernahm die Schulden. Die Familie stellte auch sicher, dass er seine Wohnung behalten konnte. Er bekam noch kleine Nebenrollen in Filmen anderer, doch an Theatern keinen Fuß mehr in die Tür; nachher ein kümmerliches Rentnerdasein.

Ich kehrte selbst nach Berlin zurück und wir trafen uns wieder in großen Abständen. Einmal regte er in einer Mail an, mir den alten Film bei ihm daheim anzusehen. Ich schrieb zurück, dass mir der frühere Ablauf leid tue, ich hätte damals Ungünstiges über sein Werk gehört und befürchtet, ihn mit ehrlichem Urteil zu verletzen, doch würde ich das Anschauen jetzt gern nachholen. Danziger kam nicht mehr darauf zurück. Ich habe den Film nie gesehen.

Bei unserem allerletzten Treffen war er, wie ich heute weiß, schon schwer krebskrank und hatte nur die Diagnose noch nicht. Wir tranken Kaffee in einem Lokal am Zoo und redeten über alles Mögliche. Da sagte er auf einmal ohne Zusammenhang: „Weißt du, das Filmemachen muss man gelernt haben - ich habe es nicht gelernt und deshalb ist es bei mir auch nichts damit geworden.“ Mir wollte dazu nicht gleich etwas einfallen und ihm ging es bald so schlecht, dass er heimfahren musste. Ich brachte ihn zu einer Bushaltestelle und er sagte noch lächelnd: „Das Seltsame war, dass ich mich immer nur dann richtig wohl gefühlt habe, wenn ich großen Quatsch gemacht habe …“

Ich weiß nicht, wann er gestorben und wo sein Grab ist. Nirgendwo war ein Nachruf zu lesen. War das sein Wunsch gewesen oder Entscheidung seiner Verwandten? Seine Wohnung stand später zum Verkauf, auf einem Immobilienportal konnte ich mich ein letztes Mal in ihr umsehen. Sie war schon leergeräumt.

Kunst kann auch Moloch sein.
 

Anders Tell

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Danziger bleibt rätselhaft für mich. Gerade das macht aber den Reiz dieses Textes. Erst meinte ich, ihn verstanden zu haben, dann entzog sich seine Motivation wieder meines Verständnis. Er scheint sich trotz seines Scheiterns wohl gefühlt zu haben, bei dem was er tat. Wie Zorbas betreibt er etwas mit Eifer und Ernst und erkennt, dass die Aufgabe zu groß war. Eine Spur hat er nicht hinterlassen. Vielleicht hat er das auch nicht angestrebt.
 
Danke, Anders Tell, für günstige Wertung und das Mitteilen deiner Eindrücke. Da Danzigers Äußerungen am Schluss authentisch sind, kann ich als Berichterstatter mir jetzt auch Gedanken über seine Motivation machen. Ich denke, es war die gespürte Todesnähe, die das Bedürfnis weckte, etwas bisher nicht Ausgesprochenes doch noch offenzulegen, d.h. eine ehrliche Bilanz vorzulegen. Diese Bilanz selbst dürfte das Ergebnis jahrzehntelanger Verarbeitung im eigenen Inneren gewesen sein. Sie - die resignative Bilanz - unterschied sich diametral von der hochgemuten Einstellung, mit der seinerzeit ans Filmen gegangen war.

Wie das aber mit Altersresignation so ist - sie betrachtet die Abläufe nicht unbedingt aus objektivem Blickwinkel, sondern kann das Gewesene selbst verzerren. Und mich hat wohl das Novembergrau jetzt verleitet, diesen Stoff zu bearbeiten.
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Arno,
der Text gefällt mir sehr gut, vor allem die präzise Sprache. Dem sehr kurzen Text gelingt es, die Eigenheit eines ganzen Lebens zu umreißen.

Viele Grüße
lietzensee
 
Hallo Arno,
man wird neugierig auf den Film. Gab es den wirklich? Wenn ja, ist er wirklich so blöd? Ansonsten eine gute Gelegenheit Deinen Kumpel in Jungformat zu sehen.
Gruß Friedrichshainerin
 
Geschätzte Ostkreuzlerin,

deine Neugierde wird unbefriedigt bleiben. Der Film ist nirgendwo abrufbar, sonst hätte ich selbst schon davon Gebrauch gemacht. Ich werde hier den Filmtitel so wenig wie den echten Namen des Regisseurs mitteilen. Dafür nenne ich den noch immer bekannten Namen des im Text erwähnten Verleihers: Manfred Salzgeber. Er hatte es in seiner damaligen Funktion auch abgelehnt, den Streifen auf der Berlinale zu zeigen. Das erfuhr ich vom Regisseur selbst.

Schöne Abendgrüße
Arno
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Arno,

da kann ich mich Lietzensee nur vollumfänglich anschließen!

Am Ende - und nicht nur chronologisch - bekommt sie uns wieder, die sinnlose Begrenzt- und Beschränktheit der Natur. Egal, mit welchen Ambitionen wir geboren werden, mit welchen Talenten und Unmöglichkeiten, es gibt kein Maß für alle, das Sinn machte (noch nicht einmal für uns selbst).
Wir müssen sein, wer wir sind.

Sehr gerne gelesen!

Liebe Grüße
Petra
 
Vermutlich hätte Danziger dir zugestimmt, liebe Petra. Und kommt mir selbst das nicht ein wenig indisch vor? Tatsächlich hatte er es im Alter auch damit.

Danke für Kommentar und Bewertung.

Liebe Grüße
Arno
 



 
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