Lieber Otto
Dieses Gedicht, das ich mir nun mehrfach angesehen habe, spricht nicht, jedenfalls nicht zu mir. Der Schmerz der Nähe soll ja wohl einen Jetzt-zustand beschreiben, ist aber so formuliert, als schmerzte Nähe immer. Bei den letzten beiden Zeilen könnte ich mir schon noch eine sprachliche Verbesserung vorstellen, wie etwa
Die Tränen sind nicht meine -
und teile sie doch.
Trotzdem habe ich ein Problem damit, daß die Aussage, wenn auch vielleicht für Dich tief emotional, letztlich eher schlicht ist, und dem Leser wenig Spielraum läßt. Schlichtheit ist immer dann gut, wenn die Worte mehrdeutig/überraschend/witzig/provozierend/schön sind oder Irgendetwas, was mehr ist, als nur eine Aussage/Idee. Sonst wirkt es leicht banal.
Man kann mit Metaphern innerhalb eines Bildes arbeiten, um eine Idee auszuführen, oder reduzieren um kurz und knapp einen Knalleffekt zu erreichen. Das Tränen teilen lehnt sich an Leid teilen an. Für mich persönlich zu nah, um mir als eine neue Idee ein "ja, genau!" zu entlocken. So bleibt Dein Werk für mich zwar tief empfindend, doch wenig verdichtet, ein wenig schal.
Mit diesem Gedicht bleibst Du hinter Deinem Können zurück und ich sehe leider auch wenig Potential. Du hast ein schwieriges Thema gewählt in das Du gefühlsmäßig verstrickt zu sein scheinst, was es in meiner Erfahrung immer noch schwieriger macht, es lyrisch gut umzusetzen.
Liebe Grüße
Thylda