Grenze des Universums
„Glaubst du, dass die Sterne ewig sind?“ Willi nervte mal wieder. Anfangs war es noch süß und witzig, dass er seinen Vater Fragen stellte. Über die Welt und alles was er wahrnahm. Aber das legte sich bald. In letzter Zeit dachte Hanno, dass Willi die seltene Gabe hatte, Fragen in dem Moment zu stellen, in denen Hanno gestresst war. In Hanno war gerade sehr gestresst. Der Streit mit Hannos Mutter saß noch in seinen Knochen. „Ich glaube ja, dass die Sterne irgendwann einfach nicht mehr angehen werden. Dann sitzen wir für immer im Dunkeln,“ gluckste Willi fröhlich. Hanno verdrehte die Augen. Der Junge hatte eindeutig zu viel Fantasie. „Die Sterne leuchten auf, und dann erlöschen sie wieder. So war das immer, und so wird es immer sein,“ antwortete Hanno unwirsch.
Willi verdrehte seine Augen seinerseits. Trotz seiner Jugend wusste Willi schon, dass sein Vater nicht gerade der klügste Fisch im Becken war. Nicht das sein Vater dumm war, bestimmt nicht. Aber Hanno war halt einer der Leute die Hintergründe und Zusammenhänge nicht hinterfragten, sondern halt alles hinnahmen. Willi war da anders. Willi wollte immer wissen. Und er wollte verstehen. Er hatte es nie jemanden gesagt, aber er konnte mit vielen Erklärungen der Erwachsenen nicht so recht leben. Es musste doch einen Grund geben weshalb die Sterne jeden Tag erloschen um dann, nach Stunden plötzlich wieder zu erleuchten. Es musste auch einen Grund geben warum die Pflanzen grün waren. Warum sie atmen und sich bewegen konnten. Willi wollte alles wissen und nachts, wenn alles fast still war, dachte er manchmal ob es da noch etwas anderes gäbe. Etwas, dass stärker und weiser war als er und seine Familie. „Komm, wir müssen wieder heim, hoffen wir, dass sich deine Mutter wieder beruhigt hat.“ Langsam bewegten sich Vater und Sohn in Richtung Heimat. Es war kein langer Weg, also trödelten sie absichtlich. „Papa,“ sagte Willi. „Ja Willi,“ antwortete Hanno genervt. Am Tonfall seines Vaters hätte Willi erkennen können dass es gerade kein guter Zeitpunkt war mit seinem Vater zu philosophieren. ‚Hätte erkennen können‘. Aber Willi konnte nur an seine vielen Fragen denken, an seine Zweifel und … an seine Ängste. Er hatte es noch niemals jemandem gesagt, aber er hatte ziemlich oft Angst. „Woher kommt eigentlich unser Essen?“ „Das weist du doch,“ sagte Hanno. „Von Gott, dem Spender, von wem sonst?“ Immer muss er alles hinterfragen, irgendwann wird ihn Gott dafür bestrafen, dachte Hanno, für sich. Willi wusste, dass es jetzt keinen Sinn mehr hatte weiter zu bohren. Wenn die Erwachsenen von Gott sprachen, war das immer endgültig. Gott war die Erklärung für alles. Auch dafür, dass die Nahrung immer aus dem Nichts aufzutauchen schien. Als ob das Essen einfach vom Himmel fallen würde. Für alle, die er kannte, war das etwas völlig Normales. Aber nicht für Willi. Willi wollte immer an allem zweifeln. Wollte wissen, nicht glauben.
Als sie zuhause ankamen wedelte Susi gerade das Mobiliar ab. Willi sah sofort, dass sie immer noch wütend wegen dem Streit mit seinem Vater war. Dieser bemerkte das wohl auch, denn er sagte: „Willi fragt mich wieder Löscher in den Bauch, meine Antworten, und unser Glaube, scheinen ihm immer noch nicht zu genügen. Du Arsch, dachte Willi. Das war immer Hannos Strategie. Wenn seine Eltern Streit hatten, konnte Willi darauf warten, dass einer von ihnen, früher oder später, die Aufmerksamkeit auf ihn lenkten. Dann reagierten sie sich an ihm ab, und vergaßen darüber ihren Zwist. Er hatte es so satt. Seine Mutter sah ihn böse an. „Du gehst jetzt auf dein Zimmer und betest,“ fuhr sie ihn an. Einen Moment lang wollte er ihr widersprechen, wollte ihr sagen, dass sie und ihr Mann, engstirnige, verbohrte Wesen waren, die ihn nicht verdient hatten. Stattdessen resignierte er und trollte sich in sein Zimmer. Während er sich in seinem Zimmer aufhielt konnte er seine Eltern miteinander reden hören. Ohne zu verstehen was sie sagten, wusste er über was sie sich unterhielten. Willi machte keine Anstalten zu beten. Beten hatte für ihn keinen Sinn. Warum sollte er versuchen zu einem Wesen zu sprechen dass ihm niemals antworten würde, und von dem er noch nicht einmal sicher war das es existiert? Jetzt konnte er einzelne Worte verstehen: Glaube, Gott, Erziehung… und Dickicht. Schon wieder das Dickicht. Schon seit einiger Zeit war das Dickicht zu einer Art fixen Idee in ihrer Familie geworden. Susi und Hanno hatten panische Angst davor dass Willi eines Tages seiner Neugier erliegen, und sich dazu entschließen könnte das Dickicht zu erkunden. Niemand ist je daraus zurückgekehrt, pflegte seine Mutter zu sagen. Mit aller Strenge verboten ihm seine Eltern auch nur daran zu denken was sich hinter der grünen Wand aus Pflanzen verbarg. Aber Willi glaubte ihnen nicht. Die Wahrheit war, dass er ihnen so gut wie nichts mehr glaubte. Im anderen Zimmer war es still geworden. Seine Eltern waren wohl fertig damit sich über ihn aufzuregen. Bestimmt waren sie sehr zufrieden mit sich. Sie hatten zwar einen ketzerischen Sohn, aber sie waren so gut und gläubig wie ihr ‚Gott‘ sie nur haben wollte. Willi schnaubte leise. Gut und gläubig? Das er nicht lachte. Seine Eltern benutzen ihren Glauben nur dazu ihm, und anderen, wehzutun. In ihren Augen rechtfertigte der Glaube alles. Er fragte sich was ihr Gott dazu sagen würde, dass Susi nicht jeder Nacht mit seinem Vater verbrachte. Und was würde er zu den Unmengen an verbotenen Blättern sagen, sie die sein Vater jeden Tag zu sich nahm. Verbote. Das war es was Gott für ihn darstellte. Und seine Eltern benutzen diesen Gott, um ihr elendes Leben zu rechtfertigen. Ohne Vernunft, ohne Logik. Aber mit jeder Menge schleimigen Eifer.
Inzwischen war es dunkel geworden. Die hellen Sterne waren erloschen und wurden durch einige, weniger helle, ersetzt worden. Auch der große, blaue, aber trotzdem dunkle Stern war, wie jede Nacht aufgegangen. Willi kam ein verwegener Gedanke. Seine Eltern schliefen, oder machten wer weiß was. Also hatte er freie Bahn. Er war auch in der richtigen Stimmung: Wütend und selbstgerecht genug, um es zu wagen. Willi sah zum Fenster. Es ist ganz einfach, hindurch und in die Nacht hinaus. Niemand wird es merken. Und wenn doch; ganz egal. Willi war so berauscht von seiner Idee dass er zitterte. Sollten sie doch in ihrem eigenen, selbstgefälligen Saft schmoren. Er war nicht wie sie. Er würde es jetzt herausfinden.
Es waren ein paar Stunden vergangen nachdem Willi aus dem Fenster geflüchtet war. Er war sich dessen nicht bewusst, aber er hatte Angst. Der Weg zu dem Ort, an dem das Dickicht anfing, war kurz gewesen. Aber als der angekommen war, streifte Willi eine ganze Zeit lang an dessen Grenze auf und ab. Willis Wut war fast vollständig von im abgefallen und unbewusst suchte er einen Grund es nicht zu tun. Seit etwa einer Stunde waren seine Eltern aus seinen Gedanken verschwunden gewesen. Jetzt dachte er plötzlich wieder an sie. Er stellte sich vor wie sie wohl reagieren würden, wenn sie ihn so sähen: Ängstlich und trotzdem entschlossen, zitternd und fest in seinem Glauben an die Fakten. Bestimmt nicht fest in seinem Glauben an irgendeinen Gott. Seine Mutter wäre unglaublich wütend und sein Vater würde sich abwenden und zum Himmel klagen, welch verkommenen Sohn er doch hatte. Jetzt war es soweit. Die Wut war wieder da. Mit einem kleinen Schrei durchbrach er die Barriere, die die erlaubte Welt von der verbotenen trennte.
Grün. Alles war grün. Um ihn herum, über ihm und unter ihm, alles grün. Natürlich hatte es damit gerechnet. Aber mit was er nicht gerechnet hatte, war die Tatsache, dass sich die Pflanzen schon nach kurzer Strecke derart verändern würden. Er befand sich jetzt inmitten eines Geflechts, aus dünnen, grünen Fäden. Immer weiter bewegte sich Willi vorwärts, und die Fäden schienen immer dichter gewoben zu sein. Es wurde für ihn immer schwieriger hindurch zu kommen. Die Fäden fühlten sich seltsam schleimig auf seiner Haut an. Nach einiger Zeit, Willi hatte keine Ahnung wie viel davon vergangen war, hatte er das Gefühl, dass das Geflecht weniger dicht wurde. Er konnte sich jetzt schneller voran bewegen. Gerade als er glaubte er hätte es geschafft, er wäre durch das komplette Dickicht hindurch gekommen, und zwar ohne von Monstern verfolgt worden zu sein, wie es ihm seine Eltern immer wieder einzureden versuchten, stieß er gegen etwas unglaublich hartes. Willi war direkt gegen ein transparentes Hindernis gestoßen. Verwundert blickte er sich um. Hinter ihm war nur das schier undurchdringliche Geflecht aus diesen seltsamen Pflanzen, und vor ihm etwas so Hartes wie er es noch nie gesehen hatte. Trotzdem konnte er durch das Hindernis hindurchsehen. Willi bemerkte dass es wieder hell geworden war. In Mitten der Wildnis, die er durchquert hatte, katte er Hell und Dunkel, Tag und Nacht, kaum unterscheiden können. Jetzt aber wurde es so stark geblendet, dass es seinen Augen wehtat. Nachdem sich seine Augen an das blendende Licht gewöhnt hatten, konnte er erkennen was auf der anderen Seite zu sein schien. Was er sah konnte er nicht glauben. Mit einem Schlag war sein Weltbild auf den Kopf gestellt worden. Es musste doch einen Gott geben, das war im nun klar. Wie sonst konnten sich die riesigen Wesen erklären, die er sah. Willi nahm zwar alles verschwommen, wie durch einen Filter, war, aber langsam erkannte er Einzelheiten: Die Wesen hatten lange, abstehende Extremitäten. Sie bewegten sich auf eine seltsam plumpe Weise über den Boden. Willi war starr vor Angst. Gerade als er anfangen wollte zu schreien, kam einer der Riesen direkt auf ihn zu. Panisch wollte Willi fliehen, aber als er umdrehte, sah er ganz kurz nach oben. Da war er. Der Riese. Sein Kopf, wenn man es Kopf nennen konnte, füllte den gesamten Himmel aus. Es sah auch so aus, als ob der Riese eine Klappe im Himmel geöffnet hatte, durch die er jetzt blickte. Willi konnte jetzt so etwas wie eine Stimme hören. Sie war dumpf und doch gewaltig. Sein Herz schlug immer schneller. Unfähig sich zu bewegen, ja nur zu atmen, konnte Willi nur starren und stumm schreien. Sein Herz überschlug sich… und gab dann auf. Das letzte, dass Willi in seinem kurzen Leben sah, war die riesige Hand, die nach ihm griff.
„Wie siehst du denn aus, dein Arm ist ja ganz nass“ fragte die Frau ihren Mann. „Und der Fußboden ist auch nass. Läuft das Becken etwa aus?“ Sahra sah erschrocken hinüber zu dem großen Aquarium, dass an der Wand stand. „Nein, nein, alles gut,“ sagte ihr Mann. „Ich habe nur einen toten Fisch entdeckt und rausgeholt. Ich füttere jetzt die Fische, dann muss ich zur Arbeit.“ „Denk dran, dass wir uns pünktlich in der Kirche treffen,“ sagte die Frau, gab ihrem Mann einen Kuss und verließ den Raum.
„Glaubst du, dass die Sterne ewig sind?“ Willi nervte mal wieder. Anfangs war es noch süß und witzig, dass er seinen Vater Fragen stellte. Über die Welt und alles was er wahrnahm. Aber das legte sich bald. In letzter Zeit dachte Hanno, dass Willi die seltene Gabe hatte, Fragen in dem Moment zu stellen, in denen Hanno gestresst war. In Hanno war gerade sehr gestresst. Der Streit mit Hannos Mutter saß noch in seinen Knochen. „Ich glaube ja, dass die Sterne irgendwann einfach nicht mehr angehen werden. Dann sitzen wir für immer im Dunkeln,“ gluckste Willi fröhlich. Hanno verdrehte die Augen. Der Junge hatte eindeutig zu viel Fantasie. „Die Sterne leuchten auf, und dann erlöschen sie wieder. So war das immer, und so wird es immer sein,“ antwortete Hanno unwirsch.
Willi verdrehte seine Augen seinerseits. Trotz seiner Jugend wusste Willi schon, dass sein Vater nicht gerade der klügste Fisch im Becken war. Nicht das sein Vater dumm war, bestimmt nicht. Aber Hanno war halt einer der Leute die Hintergründe und Zusammenhänge nicht hinterfragten, sondern halt alles hinnahmen. Willi war da anders. Willi wollte immer wissen. Und er wollte verstehen. Er hatte es nie jemanden gesagt, aber er konnte mit vielen Erklärungen der Erwachsenen nicht so recht leben. Es musste doch einen Grund geben weshalb die Sterne jeden Tag erloschen um dann, nach Stunden plötzlich wieder zu erleuchten. Es musste auch einen Grund geben warum die Pflanzen grün waren. Warum sie atmen und sich bewegen konnten. Willi wollte alles wissen und nachts, wenn alles fast still war, dachte er manchmal ob es da noch etwas anderes gäbe. Etwas, dass stärker und weiser war als er und seine Familie. „Komm, wir müssen wieder heim, hoffen wir, dass sich deine Mutter wieder beruhigt hat.“ Langsam bewegten sich Vater und Sohn in Richtung Heimat. Es war kein langer Weg, also trödelten sie absichtlich. „Papa,“ sagte Willi. „Ja Willi,“ antwortete Hanno genervt. Am Tonfall seines Vaters hätte Willi erkennen können dass es gerade kein guter Zeitpunkt war mit seinem Vater zu philosophieren. ‚Hätte erkennen können‘. Aber Willi konnte nur an seine vielen Fragen denken, an seine Zweifel und … an seine Ängste. Er hatte es noch niemals jemandem gesagt, aber er hatte ziemlich oft Angst. „Woher kommt eigentlich unser Essen?“ „Das weist du doch,“ sagte Hanno. „Von Gott, dem Spender, von wem sonst?“ Immer muss er alles hinterfragen, irgendwann wird ihn Gott dafür bestrafen, dachte Hanno, für sich. Willi wusste, dass es jetzt keinen Sinn mehr hatte weiter zu bohren. Wenn die Erwachsenen von Gott sprachen, war das immer endgültig. Gott war die Erklärung für alles. Auch dafür, dass die Nahrung immer aus dem Nichts aufzutauchen schien. Als ob das Essen einfach vom Himmel fallen würde. Für alle, die er kannte, war das etwas völlig Normales. Aber nicht für Willi. Willi wollte immer an allem zweifeln. Wollte wissen, nicht glauben.
Als sie zuhause ankamen wedelte Susi gerade das Mobiliar ab. Willi sah sofort, dass sie immer noch wütend wegen dem Streit mit seinem Vater war. Dieser bemerkte das wohl auch, denn er sagte: „Willi fragt mich wieder Löscher in den Bauch, meine Antworten, und unser Glaube, scheinen ihm immer noch nicht zu genügen. Du Arsch, dachte Willi. Das war immer Hannos Strategie. Wenn seine Eltern Streit hatten, konnte Willi darauf warten, dass einer von ihnen, früher oder später, die Aufmerksamkeit auf ihn lenkten. Dann reagierten sie sich an ihm ab, und vergaßen darüber ihren Zwist. Er hatte es so satt. Seine Mutter sah ihn böse an. „Du gehst jetzt auf dein Zimmer und betest,“ fuhr sie ihn an. Einen Moment lang wollte er ihr widersprechen, wollte ihr sagen, dass sie und ihr Mann, engstirnige, verbohrte Wesen waren, die ihn nicht verdient hatten. Stattdessen resignierte er und trollte sich in sein Zimmer. Während er sich in seinem Zimmer aufhielt konnte er seine Eltern miteinander reden hören. Ohne zu verstehen was sie sagten, wusste er über was sie sich unterhielten. Willi machte keine Anstalten zu beten. Beten hatte für ihn keinen Sinn. Warum sollte er versuchen zu einem Wesen zu sprechen dass ihm niemals antworten würde, und von dem er noch nicht einmal sicher war das es existiert? Jetzt konnte er einzelne Worte verstehen: Glaube, Gott, Erziehung… und Dickicht. Schon wieder das Dickicht. Schon seit einiger Zeit war das Dickicht zu einer Art fixen Idee in ihrer Familie geworden. Susi und Hanno hatten panische Angst davor dass Willi eines Tages seiner Neugier erliegen, und sich dazu entschließen könnte das Dickicht zu erkunden. Niemand ist je daraus zurückgekehrt, pflegte seine Mutter zu sagen. Mit aller Strenge verboten ihm seine Eltern auch nur daran zu denken was sich hinter der grünen Wand aus Pflanzen verbarg. Aber Willi glaubte ihnen nicht. Die Wahrheit war, dass er ihnen so gut wie nichts mehr glaubte. Im anderen Zimmer war es still geworden. Seine Eltern waren wohl fertig damit sich über ihn aufzuregen. Bestimmt waren sie sehr zufrieden mit sich. Sie hatten zwar einen ketzerischen Sohn, aber sie waren so gut und gläubig wie ihr ‚Gott‘ sie nur haben wollte. Willi schnaubte leise. Gut und gläubig? Das er nicht lachte. Seine Eltern benutzen ihren Glauben nur dazu ihm, und anderen, wehzutun. In ihren Augen rechtfertigte der Glaube alles. Er fragte sich was ihr Gott dazu sagen würde, dass Susi nicht jeder Nacht mit seinem Vater verbrachte. Und was würde er zu den Unmengen an verbotenen Blättern sagen, sie die sein Vater jeden Tag zu sich nahm. Verbote. Das war es was Gott für ihn darstellte. Und seine Eltern benutzen diesen Gott, um ihr elendes Leben zu rechtfertigen. Ohne Vernunft, ohne Logik. Aber mit jeder Menge schleimigen Eifer.
Inzwischen war es dunkel geworden. Die hellen Sterne waren erloschen und wurden durch einige, weniger helle, ersetzt worden. Auch der große, blaue, aber trotzdem dunkle Stern war, wie jede Nacht aufgegangen. Willi kam ein verwegener Gedanke. Seine Eltern schliefen, oder machten wer weiß was. Also hatte er freie Bahn. Er war auch in der richtigen Stimmung: Wütend und selbstgerecht genug, um es zu wagen. Willi sah zum Fenster. Es ist ganz einfach, hindurch und in die Nacht hinaus. Niemand wird es merken. Und wenn doch; ganz egal. Willi war so berauscht von seiner Idee dass er zitterte. Sollten sie doch in ihrem eigenen, selbstgefälligen Saft schmoren. Er war nicht wie sie. Er würde es jetzt herausfinden.
Es waren ein paar Stunden vergangen nachdem Willi aus dem Fenster geflüchtet war. Er war sich dessen nicht bewusst, aber er hatte Angst. Der Weg zu dem Ort, an dem das Dickicht anfing, war kurz gewesen. Aber als der angekommen war, streifte Willi eine ganze Zeit lang an dessen Grenze auf und ab. Willis Wut war fast vollständig von im abgefallen und unbewusst suchte er einen Grund es nicht zu tun. Seit etwa einer Stunde waren seine Eltern aus seinen Gedanken verschwunden gewesen. Jetzt dachte er plötzlich wieder an sie. Er stellte sich vor wie sie wohl reagieren würden, wenn sie ihn so sähen: Ängstlich und trotzdem entschlossen, zitternd und fest in seinem Glauben an die Fakten. Bestimmt nicht fest in seinem Glauben an irgendeinen Gott. Seine Mutter wäre unglaublich wütend und sein Vater würde sich abwenden und zum Himmel klagen, welch verkommenen Sohn er doch hatte. Jetzt war es soweit. Die Wut war wieder da. Mit einem kleinen Schrei durchbrach er die Barriere, die die erlaubte Welt von der verbotenen trennte.
Grün. Alles war grün. Um ihn herum, über ihm und unter ihm, alles grün. Natürlich hatte es damit gerechnet. Aber mit was er nicht gerechnet hatte, war die Tatsache, dass sich die Pflanzen schon nach kurzer Strecke derart verändern würden. Er befand sich jetzt inmitten eines Geflechts, aus dünnen, grünen Fäden. Immer weiter bewegte sich Willi vorwärts, und die Fäden schienen immer dichter gewoben zu sein. Es wurde für ihn immer schwieriger hindurch zu kommen. Die Fäden fühlten sich seltsam schleimig auf seiner Haut an. Nach einiger Zeit, Willi hatte keine Ahnung wie viel davon vergangen war, hatte er das Gefühl, dass das Geflecht weniger dicht wurde. Er konnte sich jetzt schneller voran bewegen. Gerade als er glaubte er hätte es geschafft, er wäre durch das komplette Dickicht hindurch gekommen, und zwar ohne von Monstern verfolgt worden zu sein, wie es ihm seine Eltern immer wieder einzureden versuchten, stieß er gegen etwas unglaublich hartes. Willi war direkt gegen ein transparentes Hindernis gestoßen. Verwundert blickte er sich um. Hinter ihm war nur das schier undurchdringliche Geflecht aus diesen seltsamen Pflanzen, und vor ihm etwas so Hartes wie er es noch nie gesehen hatte. Trotzdem konnte er durch das Hindernis hindurchsehen. Willi bemerkte dass es wieder hell geworden war. In Mitten der Wildnis, die er durchquert hatte, katte er Hell und Dunkel, Tag und Nacht, kaum unterscheiden können. Jetzt aber wurde es so stark geblendet, dass es seinen Augen wehtat. Nachdem sich seine Augen an das blendende Licht gewöhnt hatten, konnte er erkennen was auf der anderen Seite zu sein schien. Was er sah konnte er nicht glauben. Mit einem Schlag war sein Weltbild auf den Kopf gestellt worden. Es musste doch einen Gott geben, das war im nun klar. Wie sonst konnten sich die riesigen Wesen erklären, die er sah. Willi nahm zwar alles verschwommen, wie durch einen Filter, war, aber langsam erkannte er Einzelheiten: Die Wesen hatten lange, abstehende Extremitäten. Sie bewegten sich auf eine seltsam plumpe Weise über den Boden. Willi war starr vor Angst. Gerade als er anfangen wollte zu schreien, kam einer der Riesen direkt auf ihn zu. Panisch wollte Willi fliehen, aber als er umdrehte, sah er ganz kurz nach oben. Da war er. Der Riese. Sein Kopf, wenn man es Kopf nennen konnte, füllte den gesamten Himmel aus. Es sah auch so aus, als ob der Riese eine Klappe im Himmel geöffnet hatte, durch die er jetzt blickte. Willi konnte jetzt so etwas wie eine Stimme hören. Sie war dumpf und doch gewaltig. Sein Herz schlug immer schneller. Unfähig sich zu bewegen, ja nur zu atmen, konnte Willi nur starren und stumm schreien. Sein Herz überschlug sich… und gab dann auf. Das letzte, dass Willi in seinem kurzen Leben sah, war die riesige Hand, die nach ihm griff.
„Wie siehst du denn aus, dein Arm ist ja ganz nass“ fragte die Frau ihren Mann. „Und der Fußboden ist auch nass. Läuft das Becken etwa aus?“ Sahra sah erschrocken hinüber zu dem großen Aquarium, dass an der Wand stand. „Nein, nein, alles gut,“ sagte ihr Mann. „Ich habe nur einen toten Fisch entdeckt und rausgeholt. Ich füttere jetzt die Fische, dann muss ich zur Arbeit.“ „Denk dran, dass wir uns pünktlich in der Kirche treffen,“ sagte die Frau, gab ihrem Mann einen Kuss und verließ den Raum.