Guten Morgen!

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sufnus

Mitglied
Guten Morgen!

Den sonntagsgoldnen Schuss gesetzt
der nicht so langen Nacht -
wie man den Traum erst wirklich schätzt,
ist er zu end gebracht.

Das Anderssein ins Sein gewoben,
das Menschenglück ins Jetzt,
die Weltspielregel vorgeschoben
sieht man ein Kind verletzt,

das man zu Zeiten selber war...
da schien die Welt so neu,
ob froher Tag, ob buntes Jahr:
Der Morgen war uns treu.

Nun denn. Leb wohl. Vergangenheit.
So gehn wir eben mit der Zeit.
 
G

Gelöschtes Mitglied 24962

Gast
Guten Morgen liebe Sorgen,
seid ihr auch schon alle da!
Lasst uns noch mehr Sorgen borgen
und die Welt ist wunderbar.

Mir gefallen die stilistischen Kontraste zwischen Abstraktem („Anderssein ins Sein gewoben“) und Konkretem („goldener Schuss“) in Deinen Versen. Das offenbart keine Stilunsicherheit, sondern vielmehr eine Sprache, die fast selbstreferenziell wirkt. Alles ist von präziser Genauigkeit geprägt.

In Deinen Gedichten spüre ich häufig, dass wenig dem Zufall überlassen wird. Sei es die Anspielung auf das innere Kind oder die Wahrnehmungsumkehr dieses inneren Kindes zurück in die "echte" Vergangenheit, die sich in nur vier Zeilen zu einer reifen Akzeptanz entwickelt und die Raumforderung der Zukunft "fürchtet". "Nun denn. Leb wohl. Vergangenheit". Klingt wie jemand, der vor einem Grab steht und Abschied nimmt, etwas gespickt mit Gleichgültigkeit und einer Träne der Vergänglichkeit.

Ob wir wirklich mit der Zeit gehen, bleibt ungewiss. Bei Verständnisfragen im Leben suche ich oft Rat in der Natur. Ob sich dort alles verjüngt oder altert, beginnt oder endet, ist schwer zu sagen. Der Zyklus scheint wie ein Mond des Wandels. Es scheint, als ob wir Menschen Probleme oft in einer horizontalen Dimension erschaffen. Vielleicht erschaffen wir keine Probleme, aber wir versuchen Probleme an Orten zu lösen, die nur weitere Probleme im Angebot haben. Das Zuviel nach oben und das Zuviel nach unten, die ständigen Vergleiche, die jeder von uns anstellt. Auf eine gewisse Art schält sich das Ei bis zur nächsten Henne, die in ihrer Essenz stets eine Henne bleibt, doch mit jeder neuen "Inkarnation" in einem neuen Leben ein neues Erscheinungsbild annimmt. Zwar war dies nicht das zentrale Thema des Gedichts, doch Deine Verse treten sowas bei mir halt los.

Die Form des Werkes erinnert mich an das elisabethanische Naturell, nur eben verknappt. Diese Verknappung passt aber zum Inhalt. Und wenn eine Sache im Sein verknappt wird, dann die Existenz. Ja, vielleicht ist das innere Kind ja die Persona, die festgemeißelt werden soll, was ja typisch für die alten Elisabethaner war. Der Herr Shakes hat sich ja immer wie ein Terrier verbissen. Die erste Zeile der zweiten Strophe weiß mich zu umklammern: "Das Anderssein ins Sein gewoben, das Menschenglück ins Jetzt." Alleine diese zwei Verse lassen genügend essayistischen Raum für Gedanken, die ich hier aber so nicht austragen will.
Etwas Goethe, finde ich, dringt durch. Aber, lieber Sufnus, ich benutze diesen Hinweis nicht als epigonalen Sideslap. Alles ist miteinander verwoben.

Lg ev
 

sufnus

Mitglied
Hey EV!
Ganz lieben Dank für Deinen Kommentar! Dass die leichte Sonettanschmiegung eewähnst, freut mich sehr! Auch inhaltlich finde ich mich sehr wieder in Deinen Ausführungen und Dein Verweis auf Naturkreisläufe hätte auf alle Fälle den von Dir erwähnten Geheimrat zu heftigem Nicken veranlasst... dass Goethes Lyrik zu meinen mentalen Leibspeisen zählt. Ob er tatsächlich in diese Zeilen irgendwie hineininspiriert hat? Möglich wärs jedenfalls. Ein bisschen Sonettoides Geplansche, bei dem hofentlich nicht das ganze Zaubermeisterlaboratorium unter Wasser gesetzt wird. :)
LG!
S.
 

Anni123

Mitglied
doppeldeutiger Schluss, der gefällt: Wir gehen mit der Zeit, denn immer gehen wir auch irgendwo (fort) mit der Zeit. jeden Tag etwas mehr... Frihes fest wünscht Anni
 

sufnus

Mitglied
Hey Anni!
Dir auch frohes Feiern! Ja - das Gedicht wurde tatsächlich auch vom Schluss her geschrieben (der natürlich ein kleinesbisschen pointenhaft rüberkommt) und irgendwo hatte ich noch auf einem Sudelzettel die Wendung "sonntagsgoldner Schuss" stehen, die noch auf der Suche nach einem Gedicht war. Aus den Zwei Keimblättern ist dann der Text zusammengewachsen (um mal einen Blick hinter die Kulissen zu werfen). :)
LG!
S.
 



 
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