putorius
Mitglied
Robin schlief halb; er lag mehr als er saß. Beiläufig blickte er aus dem Fenster des riesigen Trucks. Mit 300 km/h raste der Dschungel an ihm vorbei. Robin kramte gelangweilt in seiner Tasche, um sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn zu wischen. Bei seiner Suche stieß er beiläufig auf ein Stück Papier, das er vor zwei Stun-den verzweifelt gesucht hatte. Er entfaltete es und las.
16. Juni 224 MOE, 10. November 2428 TER.
Beförderungsauftrag Nr. 4532-756666-12
Empfänger: CommonTransport inc.
Auftraggeber: Global Prisons
Angeordnet wird die Verlegung von 45 Häftlingen von dem Hochsicherheitsgefängnis Zeus/Centralis in das Gefängnis Hades/Hell?s Place.
Ankunft in Hell?s Place bis spätestens 32. Juni 224 MOE.
Sein Kollege Wilfred lenkte das Gefährt mit nur einen Hand, die jedoch nur leicht auf dem Steuerrad aufgelegt war. Robin faltete das Papier zusammen und stopfte es achtlos in seine Lederweste. Ein weiterer Versuch, den Schweiß aus seinem Gesicht zu wischen scheiterte. Er lehnte sich in seinem Sitz zurück und kniff verkrampft die Augen zusammen. ?Diese verdammte Hitze bringt mich noch um!? fluchte er.
?Nimm noch einen Schluck?, forderte ihn Wilfred auf. Er öffnete mit einem Zischen die große Kühlbox und griff in den eisigen Nebel. Er holte eine Dose Bier heraus und reichte sie Robin.
?Danke. Wieviel Dosen haben wir eigentlich noch, Will?, fragte er matt. Er nahm das Bier an sich und öffnete es.
?Bis zum Hades wird?s wohl reichen. Wenn wir weiter so gut vorankommen, sind wir bis zum Abend dort.? Wilfred schaute auf die Straße vor sich und verzog kurz das Gesicht. ?Wir sollten den Dschungel abschalten. Die Gegend hier ist nicht sicher. Letzte Woche haben ein paar Banditen mit Phasenverzerrern die Sensoren eines Lebensmitteltransporters ausgetrickst. Die verdammten Gauner waren für die Videokameras des Trucks unsicht-bar.? Will blickte Robin ernst an. ?Es gefällt mir nicht, daß zur Zeit so viel High-Tech bei den Ganoven gesehen wird. Entweder schaffen es einige Schmuggler die Blockade zu durchbrechen, oder es ist sogar einer dieser Welt-raum-Sheriffs.?
?Das wäre mal was neues.? Robin schaute nach vorne, als Will die Videoprojektion auf den Scheiben abschalte-te. Sofort wurde aus der vegetationsreichen Urwaldlandschaft eine staubige Einöde, die hinter der dreckver-schmierten Windschutzscheibe kaum zu erkennen war. ?Das alte Bild hat mir aber besser gefallen?, kommentier-te er müde.
Trotzdem raste der Truck weiter über die steinige Piste. Er schoß über die 50m breite Odeon-High das leicht ansteigende Tal der Sterne hinauf. Niemand wußte, warum man diesen trostlosen Flecken Sand so genannt hatte.
Zehn Minuten später hatte der Truck bereits 2000 Höhenmeter hinter sich gebracht und donnerte nun quer durch das Hells-Place Plateau, einer Hochebene, wie sie lebensfeindlicher nicht sein konnte. Man konnte nur bedingt von einer Wüste sprechen, da der ganze Planet eine Wüste war; aber immerhin fiel hier noch viel weniger Regen als auf dem restlichen Planeten.
Pete Rankal saß auf der Pritsche und schaute grimmig durch die Lüftungsgitter des Anhängers. Henry Wilcox setzte sich zu ihm. Pete reagierte nicht.
?Hi, ich bin Henry?, begann er und streckte Pete seine Hand entgegen.
Pete drehte den Kopf und blickte tief in Henries Augen, ohne seine Hand zu beachten.
?Warum bist du hier?? fragte Henry.
Pete wandte sich wieder ab. ?Shuttle mit Deton60 in die Luft gejagt?, knurrte er beiläufig.
?Wow. Dann bist du wegen Mord verknackt??
?Nein. Wegen Besitz von Deton60.?
?Aber deswegen schickt man dich doch nicht in den Hades.?
?Wenn man eine Kleinstadt in Schutt und Asche legt, um es zu beschaffen, dann schon.?
?Interessant?, gab Henry zu und rutschte unauffällig zu dem Häftling, der auf der anderen Seite neben ihm saß. ?Was hast du gemacht?? fragte er seinen neuen Gesprächspartner.
?Ich habe Grundstücke gekauft, die ich dann mit gefälschten Papieren an Regierungsmitglieder verhökert habe. Ferner habe ich mit fingierten Verträgen große Industrieunternehmen über den Tisch gezogen. Dann habe ich die Firmen übernommen und verkauft.?
Henry kniff die Augen zusammen. ?Deswegen kommt man aber auch nicht in den Hades!?
?Um die Unternehmen zu übernehmen, mußte ich die Bosse und alle Zeugen ausschalten. Und bei den Grund-stücken handelte es sich um vergessene Minenfelder. Daß es dort Minen gab, habe ich den Käufern natürlich vorenthalten. Irgendwann haben sich die Besitzer dann in die Luft gejagt und ich konnte der Witwe das Grund-stück wieder billig abjagen. Nun ja, auf diese Art und Weise konnte ich manche Grundstücke bereits 14 Mal verhökern.?
?Interessant?, murmelte Henry und rutschte in die Mitte, wo er sich ruhig verhielt.
?Da ist Hells-Place!?, rief dann plötzlich ein Häftling, der über und über mit kleinen Herzen tätowiert war. Henry hatte von ihm erfahren, daß jedes Herz für einen erfolgreichen Mord stand.
Sofort sprangen alle Häftling auf und drängten sich an den Gittern. Die Stadt war ein grauer staubiger Lappen, der zwischen Wüstenboden und Himmel geklemmt war. Einige Türme reckten sich in die trockene Luft, aber viel interessanter war die große graue Kugel, die wie eine vergessene Steinmurmel etwas abseits der Stadt im Wüstensand lag. ?Das ist der Hades!? sagte der Tätowierte ehrfurchtsvoll. ?Die gnadenloseste Knastanlage auf Moe. Wer da reinkommt, ist Geschichte. Ich kenne keinen, der den Hades jemals wieder verlassen hat.?
?Ich kenne einige?, sagte Pete. ?Aber sie waren nicht wiederzuerkennen. Ich konnte nicht ein Wort mit ihnen reden. Sie waren apathisch und landeten alle in der Klappse.?
?Mich brechen die nicht?, knurrte ein Kleiderschrank, dessen Gesicht von einer Narbe in zwei Hälften geteilt war - diagonal. ?Der Zeus war für mich ein Erholungsurlaub.?
Henry erschauerte. Der Zeus war die Hölle gewesen. Die Häftlinge mußten sich mit vier Stunden Schlaf begnü-gen und hatten den Rest der Zeit arbeiten zu verrichten, die zwar anstrengend waren, aber sorgfältig so ausgelegt waren, daß sie keine kostenlosen Bodybuildingstunden abgaben. Schließlich wollte man die Häftlinge nicht zu Athleten hochzüchten; und immer fror er! Die Namen der Gefängnisse waren stets mit bedacht ausgewählt. Klei-nere Anlagen hießen Falcon oder Blackbox. Besonders berüchtigte hießen Mars oder eben Zeus. Der Zeus war so konstruiert, daß nicht einmal ein Schlachtschiff aus dem Weltraum mit seiner gebündelten Laser und Mikrowel-lenenergie in der Lage war, das Gebäude zu vernichten. Man wußte das, weil es vor zehn Jahren versucht worden war.
Hades ließ also einiges erwarten. Hades. Der gnadenloseste aller Gefängnisanlagen. Kein Gefängnis war so ge-heimnisumwoben wie dieses. Mittlerweile war Hades schon sehr nah. Man konnte bereits Fenster erkennen. Natürlich waren nur sehr wenige vorhanden und die waren sicher nicht zur Aussicht für die Häftlinge bestimmt.
Der Truck raste an meterdicken Mauern vorbei und preschte durch ein Tor in der zwei Kilometer durchmessen-den Befestigungsanlage. Das Fahrzeug bremste scharf und blieb im Schatten der gut 300m hohen wettergezeich-neten Betonkugel stehen. Die plötzliche Ruhe wirkte auf die Gefangenen wie ein Schock. Man hörte nur noch den heißen Wüstenwind, wie er durch den Anhänger peitsche. Henry schaute ehrfurchtsvoll zu dem schweigen-den Gebäude empor.
Das hohle Kreischen von rostigem Metall schnitt durch die Stille. Der Truck setzte sich in Bewegung und rollte langsam durch den nun geöffneten Eingang des Baus. Der Weg führte einen steilen Korridor hinauf, der ebenso knochengrau war wie das Äußere der Kugel. Die mächtige Tore schlossen sich sofort wieder und hüllten den Transporter mit einem markerschütternden Geräusch aufeinanderprallenden Stahls in matte Finsternis. Kurze Zeit später nahm der Truck wieder eine waagerechte Lage ein und stoppte erneut. Noch immer war es stockdun-kel und Henry konnte rein gar nichts erkennen. Da erscholl eine laute Lautschprecherstimme. ?Ihr seid jetzt im Hades, der ultimativen Haftanstalt auf Moe. Flucht ist unmöglich. Die Disziplinarmaßnahmen wurden entspre-chend der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgelegt. Wir wünschen Ihnen einen schönen Aufenthalt.? Es knackte und wieder war es still.
Die Türe auf der Rückseite des Anhängers öffnete sich quietschend. Auf dem Boden des Transporters leuchteten rote Pfeile auf.
?Sie werden den Pfeilen folgen. Sie werden von Infrarot und Nachtkameras überwacht. Wer auch nur einen Schritt daneben macht, bezahlt mit einem Körperteil,?
Henry balancierte mit voller Konzentration von einem Pfeil zum anderen. Er hörte, wie der Gefangene vor sich einen leisen Fluch aussprach. Fast im selben Augenblick schnitt ein roter Laserimpuls durch die Nacht und vor Henry fiel ein lebloser Körper zu Boden.
?Ihr macht, was wir sagen! Wir haben nicht gesagt, daß ihr reden sollt!? verkündete der Lautsprecher.
Nachdem so in andächtiger Stille etwa einhundert Meter zurückgelegt waren, verwandelten sich die Pfeile in Kreise. ?Ihr bleibt jetzt stehen?, sagte der Lautsprecher. Die Häftlinge gehorchten brav.
?Sie werden nun von dem Direktor der Anlage begrüßt. Drehen sie sich bitte mit dem Körper in Richtung des roten Quadrates auf ihrer Rechten!?
Henry tat auch das bereitwillig und blickte gespannt in das große Rechteck, das in etwa 40m Entfernung in der Luft zu schweben schien. Sein Inneres füllte sich mit einem dunkelblauen Schimmer. Es entstand das Firmenlo-go der privaten Gefängniskette. Es handelte sich hierbei um einen stilisierten Vogel. Man hatte das Firmenzei-chen offenbar absichtlich gewählt, um die Häftlinge bei jeder Gelegenheit zu deprimieren.
Das Logo wich dem Gesicht eines eleganten Herren mittleren Alters. Er trug einen schwarzen Anzug mit einer dunkelroten Fliege, die sich scharf von seinem weißen Hemd abhob. ?Willkommen im Hades?, begann er höf-lich. ?Ich bin euer Gastgeber Frank Monroe. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in meinem be-scheidenen Anwesen.? Er faltete die Hände und atmete tief durch. ?Sie werden wünschen, nie geboren worden zu sein!? fügte er mit eisiger Stimme hinzu, mit deren verachtendem Tonfall man Eisen hätte schneiden können.
In diesem Augenblick ging das Licht an und Henry erstarrte.
Das Licht stammte von fünfzig Kristall-Kronleuchtern, die über die Decke des Empfangsraumes verteilt waren. Damit hatte Henry nicht gerechnet. Er starrte fassungslos auf die roten Seidentapeten und die großen Wandge-mälde in ihren goldenen Rahmen.
Monroe lachte gehässig. ?Das ist Barock!? Sagte er fies. ?Folgt nun dem Butler. Er führt Euch ins Ankleidezim-mer.?
Henry erkannte den Butler neben einer goldenen Türe er hielt ein verziertes Schild, auf dem bitte mir zu folgen stand. Er schritt durch die Türe und die Häftlinge folgten mit dem Ausdruck des Entsetzens auf dem Gesicht.
Henry starrte auf sein eigenes Spiegelbild. Er trug einen rosafarbenen Dreiteiler aus feinstem Satin. Ein Spitzen-hemd und eine Fliege derselben Farbe vervollständigten seine Sträflingskleidung. Er band die weißen Lackschu-he zu und setzte sich auf das weiße Himmelbett, das in der Mitte seiner Zelle stand. Auf einem Chippendaletisch zu seiner Rechten stand ein goldener Bilderrahmen mit dem Bild eines Mannes namens Goethe.
Henry ließ sich zurück auf das Bett fallen und starrte am ganzen Leib zitternd hinauf in den hellblauen Seiden-baldachin, als sich mit einem melodischen Läuten der Deckenlautsprecher ankündigte.
?Meine lieben Gäste, hier spricht Frank Monroe. Ich werde ihnen nun Ihren Tagesablauf diktieren. Schreibpapier und Füllfederhalter finden Sie im Sekretär. Sie haben zwei Minuten, um sich schreibbereit zu machen.? Der Lautsprecher knackte leise.
Henry befolgte die Anweisungen. Zwei Minuten später.
?7:00 Uhr: Wecken durch den Butler, der James heißt. Er erwartet ein Trinkgeld.
7:15 Uhr: Morgentoilette und Ankleiden. Beachten Sie die Kleidervorschriften.
7:30 Uhr: Antreten vor der Zelle. Der Butler kontrolliert Anzug, Rasur und Maniküre.
8:00 Uhr: Frühstücksbüffet im Salon. Manierlicher Umgang mit dem Besteck befohlen.
8:30 Uhr: Literaturunterricht
10:00 Uhr: Unterricht in Etikette
12:30 Uhr: Mittagessen im Salon. Es gibt ausschließlich Nouvelle Cuisine.
14:00 Uhr: Musikunterricht. Behandelt werden Komponisten der Jahre 1600-2210TER. Smoking befohlen.
16:00 Uhr: Unterricht im Gedichteschreiben.
17:00 Uhr: Unterricht in Kunst & Kultur
18:00 Uhr: Abendessen im Rittersaal
19:00 Uhr: Theater im großen Schauspielsaal
22:00 Uhr: Klassisches Konzert in der Philharmonie.
Sonntags werden Sie sich in den hausinternen Museen und Galerien aufhalten. Übliche Abweichungen von die-sem Plan werden Ihnen rechtzeitig mitgeteilt. Ich wünsche ihnen schöne Jahre bei uns.?
(1997)
16. Juni 224 MOE, 10. November 2428 TER.
Beförderungsauftrag Nr. 4532-756666-12
Empfänger: CommonTransport inc.
Auftraggeber: Global Prisons
Angeordnet wird die Verlegung von 45 Häftlingen von dem Hochsicherheitsgefängnis Zeus/Centralis in das Gefängnis Hades/Hell?s Place.
Ankunft in Hell?s Place bis spätestens 32. Juni 224 MOE.
Sein Kollege Wilfred lenkte das Gefährt mit nur einen Hand, die jedoch nur leicht auf dem Steuerrad aufgelegt war. Robin faltete das Papier zusammen und stopfte es achtlos in seine Lederweste. Ein weiterer Versuch, den Schweiß aus seinem Gesicht zu wischen scheiterte. Er lehnte sich in seinem Sitz zurück und kniff verkrampft die Augen zusammen. ?Diese verdammte Hitze bringt mich noch um!? fluchte er.
?Nimm noch einen Schluck?, forderte ihn Wilfred auf. Er öffnete mit einem Zischen die große Kühlbox und griff in den eisigen Nebel. Er holte eine Dose Bier heraus und reichte sie Robin.
?Danke. Wieviel Dosen haben wir eigentlich noch, Will?, fragte er matt. Er nahm das Bier an sich und öffnete es.
?Bis zum Hades wird?s wohl reichen. Wenn wir weiter so gut vorankommen, sind wir bis zum Abend dort.? Wilfred schaute auf die Straße vor sich und verzog kurz das Gesicht. ?Wir sollten den Dschungel abschalten. Die Gegend hier ist nicht sicher. Letzte Woche haben ein paar Banditen mit Phasenverzerrern die Sensoren eines Lebensmitteltransporters ausgetrickst. Die verdammten Gauner waren für die Videokameras des Trucks unsicht-bar.? Will blickte Robin ernst an. ?Es gefällt mir nicht, daß zur Zeit so viel High-Tech bei den Ganoven gesehen wird. Entweder schaffen es einige Schmuggler die Blockade zu durchbrechen, oder es ist sogar einer dieser Welt-raum-Sheriffs.?
?Das wäre mal was neues.? Robin schaute nach vorne, als Will die Videoprojektion auf den Scheiben abschalte-te. Sofort wurde aus der vegetationsreichen Urwaldlandschaft eine staubige Einöde, die hinter der dreckver-schmierten Windschutzscheibe kaum zu erkennen war. ?Das alte Bild hat mir aber besser gefallen?, kommentier-te er müde.
Trotzdem raste der Truck weiter über die steinige Piste. Er schoß über die 50m breite Odeon-High das leicht ansteigende Tal der Sterne hinauf. Niemand wußte, warum man diesen trostlosen Flecken Sand so genannt hatte.
Zehn Minuten später hatte der Truck bereits 2000 Höhenmeter hinter sich gebracht und donnerte nun quer durch das Hells-Place Plateau, einer Hochebene, wie sie lebensfeindlicher nicht sein konnte. Man konnte nur bedingt von einer Wüste sprechen, da der ganze Planet eine Wüste war; aber immerhin fiel hier noch viel weniger Regen als auf dem restlichen Planeten.
Pete Rankal saß auf der Pritsche und schaute grimmig durch die Lüftungsgitter des Anhängers. Henry Wilcox setzte sich zu ihm. Pete reagierte nicht.
?Hi, ich bin Henry?, begann er und streckte Pete seine Hand entgegen.
Pete drehte den Kopf und blickte tief in Henries Augen, ohne seine Hand zu beachten.
?Warum bist du hier?? fragte Henry.
Pete wandte sich wieder ab. ?Shuttle mit Deton60 in die Luft gejagt?, knurrte er beiläufig.
?Wow. Dann bist du wegen Mord verknackt??
?Nein. Wegen Besitz von Deton60.?
?Aber deswegen schickt man dich doch nicht in den Hades.?
?Wenn man eine Kleinstadt in Schutt und Asche legt, um es zu beschaffen, dann schon.?
?Interessant?, gab Henry zu und rutschte unauffällig zu dem Häftling, der auf der anderen Seite neben ihm saß. ?Was hast du gemacht?? fragte er seinen neuen Gesprächspartner.
?Ich habe Grundstücke gekauft, die ich dann mit gefälschten Papieren an Regierungsmitglieder verhökert habe. Ferner habe ich mit fingierten Verträgen große Industrieunternehmen über den Tisch gezogen. Dann habe ich die Firmen übernommen und verkauft.?
Henry kniff die Augen zusammen. ?Deswegen kommt man aber auch nicht in den Hades!?
?Um die Unternehmen zu übernehmen, mußte ich die Bosse und alle Zeugen ausschalten. Und bei den Grund-stücken handelte es sich um vergessene Minenfelder. Daß es dort Minen gab, habe ich den Käufern natürlich vorenthalten. Irgendwann haben sich die Besitzer dann in die Luft gejagt und ich konnte der Witwe das Grund-stück wieder billig abjagen. Nun ja, auf diese Art und Weise konnte ich manche Grundstücke bereits 14 Mal verhökern.?
?Interessant?, murmelte Henry und rutschte in die Mitte, wo er sich ruhig verhielt.
?Da ist Hells-Place!?, rief dann plötzlich ein Häftling, der über und über mit kleinen Herzen tätowiert war. Henry hatte von ihm erfahren, daß jedes Herz für einen erfolgreichen Mord stand.
Sofort sprangen alle Häftling auf und drängten sich an den Gittern. Die Stadt war ein grauer staubiger Lappen, der zwischen Wüstenboden und Himmel geklemmt war. Einige Türme reckten sich in die trockene Luft, aber viel interessanter war die große graue Kugel, die wie eine vergessene Steinmurmel etwas abseits der Stadt im Wüstensand lag. ?Das ist der Hades!? sagte der Tätowierte ehrfurchtsvoll. ?Die gnadenloseste Knastanlage auf Moe. Wer da reinkommt, ist Geschichte. Ich kenne keinen, der den Hades jemals wieder verlassen hat.?
?Ich kenne einige?, sagte Pete. ?Aber sie waren nicht wiederzuerkennen. Ich konnte nicht ein Wort mit ihnen reden. Sie waren apathisch und landeten alle in der Klappse.?
?Mich brechen die nicht?, knurrte ein Kleiderschrank, dessen Gesicht von einer Narbe in zwei Hälften geteilt war - diagonal. ?Der Zeus war für mich ein Erholungsurlaub.?
Henry erschauerte. Der Zeus war die Hölle gewesen. Die Häftlinge mußten sich mit vier Stunden Schlaf begnü-gen und hatten den Rest der Zeit arbeiten zu verrichten, die zwar anstrengend waren, aber sorgfältig so ausgelegt waren, daß sie keine kostenlosen Bodybuildingstunden abgaben. Schließlich wollte man die Häftlinge nicht zu Athleten hochzüchten; und immer fror er! Die Namen der Gefängnisse waren stets mit bedacht ausgewählt. Klei-nere Anlagen hießen Falcon oder Blackbox. Besonders berüchtigte hießen Mars oder eben Zeus. Der Zeus war so konstruiert, daß nicht einmal ein Schlachtschiff aus dem Weltraum mit seiner gebündelten Laser und Mikrowel-lenenergie in der Lage war, das Gebäude zu vernichten. Man wußte das, weil es vor zehn Jahren versucht worden war.
Hades ließ also einiges erwarten. Hades. Der gnadenloseste aller Gefängnisanlagen. Kein Gefängnis war so ge-heimnisumwoben wie dieses. Mittlerweile war Hades schon sehr nah. Man konnte bereits Fenster erkennen. Natürlich waren nur sehr wenige vorhanden und die waren sicher nicht zur Aussicht für die Häftlinge bestimmt.
Der Truck raste an meterdicken Mauern vorbei und preschte durch ein Tor in der zwei Kilometer durchmessen-den Befestigungsanlage. Das Fahrzeug bremste scharf und blieb im Schatten der gut 300m hohen wettergezeich-neten Betonkugel stehen. Die plötzliche Ruhe wirkte auf die Gefangenen wie ein Schock. Man hörte nur noch den heißen Wüstenwind, wie er durch den Anhänger peitsche. Henry schaute ehrfurchtsvoll zu dem schweigen-den Gebäude empor.
Das hohle Kreischen von rostigem Metall schnitt durch die Stille. Der Truck setzte sich in Bewegung und rollte langsam durch den nun geöffneten Eingang des Baus. Der Weg führte einen steilen Korridor hinauf, der ebenso knochengrau war wie das Äußere der Kugel. Die mächtige Tore schlossen sich sofort wieder und hüllten den Transporter mit einem markerschütternden Geräusch aufeinanderprallenden Stahls in matte Finsternis. Kurze Zeit später nahm der Truck wieder eine waagerechte Lage ein und stoppte erneut. Noch immer war es stockdun-kel und Henry konnte rein gar nichts erkennen. Da erscholl eine laute Lautschprecherstimme. ?Ihr seid jetzt im Hades, der ultimativen Haftanstalt auf Moe. Flucht ist unmöglich. Die Disziplinarmaßnahmen wurden entspre-chend der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgelegt. Wir wünschen Ihnen einen schönen Aufenthalt.? Es knackte und wieder war es still.
Die Türe auf der Rückseite des Anhängers öffnete sich quietschend. Auf dem Boden des Transporters leuchteten rote Pfeile auf.
?Sie werden den Pfeilen folgen. Sie werden von Infrarot und Nachtkameras überwacht. Wer auch nur einen Schritt daneben macht, bezahlt mit einem Körperteil,?
Henry balancierte mit voller Konzentration von einem Pfeil zum anderen. Er hörte, wie der Gefangene vor sich einen leisen Fluch aussprach. Fast im selben Augenblick schnitt ein roter Laserimpuls durch die Nacht und vor Henry fiel ein lebloser Körper zu Boden.
?Ihr macht, was wir sagen! Wir haben nicht gesagt, daß ihr reden sollt!? verkündete der Lautsprecher.
Nachdem so in andächtiger Stille etwa einhundert Meter zurückgelegt waren, verwandelten sich die Pfeile in Kreise. ?Ihr bleibt jetzt stehen?, sagte der Lautsprecher. Die Häftlinge gehorchten brav.
?Sie werden nun von dem Direktor der Anlage begrüßt. Drehen sie sich bitte mit dem Körper in Richtung des roten Quadrates auf ihrer Rechten!?
Henry tat auch das bereitwillig und blickte gespannt in das große Rechteck, das in etwa 40m Entfernung in der Luft zu schweben schien. Sein Inneres füllte sich mit einem dunkelblauen Schimmer. Es entstand das Firmenlo-go der privaten Gefängniskette. Es handelte sich hierbei um einen stilisierten Vogel. Man hatte das Firmenzei-chen offenbar absichtlich gewählt, um die Häftlinge bei jeder Gelegenheit zu deprimieren.
Das Logo wich dem Gesicht eines eleganten Herren mittleren Alters. Er trug einen schwarzen Anzug mit einer dunkelroten Fliege, die sich scharf von seinem weißen Hemd abhob. ?Willkommen im Hades?, begann er höf-lich. ?Ich bin euer Gastgeber Frank Monroe. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in meinem be-scheidenen Anwesen.? Er faltete die Hände und atmete tief durch. ?Sie werden wünschen, nie geboren worden zu sein!? fügte er mit eisiger Stimme hinzu, mit deren verachtendem Tonfall man Eisen hätte schneiden können.
In diesem Augenblick ging das Licht an und Henry erstarrte.
Das Licht stammte von fünfzig Kristall-Kronleuchtern, die über die Decke des Empfangsraumes verteilt waren. Damit hatte Henry nicht gerechnet. Er starrte fassungslos auf die roten Seidentapeten und die großen Wandge-mälde in ihren goldenen Rahmen.
Monroe lachte gehässig. ?Das ist Barock!? Sagte er fies. ?Folgt nun dem Butler. Er führt Euch ins Ankleidezim-mer.?
Henry erkannte den Butler neben einer goldenen Türe er hielt ein verziertes Schild, auf dem bitte mir zu folgen stand. Er schritt durch die Türe und die Häftlinge folgten mit dem Ausdruck des Entsetzens auf dem Gesicht.
Henry starrte auf sein eigenes Spiegelbild. Er trug einen rosafarbenen Dreiteiler aus feinstem Satin. Ein Spitzen-hemd und eine Fliege derselben Farbe vervollständigten seine Sträflingskleidung. Er band die weißen Lackschu-he zu und setzte sich auf das weiße Himmelbett, das in der Mitte seiner Zelle stand. Auf einem Chippendaletisch zu seiner Rechten stand ein goldener Bilderrahmen mit dem Bild eines Mannes namens Goethe.
Henry ließ sich zurück auf das Bett fallen und starrte am ganzen Leib zitternd hinauf in den hellblauen Seiden-baldachin, als sich mit einem melodischen Läuten der Deckenlautsprecher ankündigte.
?Meine lieben Gäste, hier spricht Frank Monroe. Ich werde ihnen nun Ihren Tagesablauf diktieren. Schreibpapier und Füllfederhalter finden Sie im Sekretär. Sie haben zwei Minuten, um sich schreibbereit zu machen.? Der Lautsprecher knackte leise.
Henry befolgte die Anweisungen. Zwei Minuten später.
?7:00 Uhr: Wecken durch den Butler, der James heißt. Er erwartet ein Trinkgeld.
7:15 Uhr: Morgentoilette und Ankleiden. Beachten Sie die Kleidervorschriften.
7:30 Uhr: Antreten vor der Zelle. Der Butler kontrolliert Anzug, Rasur und Maniküre.
8:00 Uhr: Frühstücksbüffet im Salon. Manierlicher Umgang mit dem Besteck befohlen.
8:30 Uhr: Literaturunterricht
10:00 Uhr: Unterricht in Etikette
12:30 Uhr: Mittagessen im Salon. Es gibt ausschließlich Nouvelle Cuisine.
14:00 Uhr: Musikunterricht. Behandelt werden Komponisten der Jahre 1600-2210TER. Smoking befohlen.
16:00 Uhr: Unterricht im Gedichteschreiben.
17:00 Uhr: Unterricht in Kunst & Kultur
18:00 Uhr: Abendessen im Rittersaal
19:00 Uhr: Theater im großen Schauspielsaal
22:00 Uhr: Klassisches Konzert in der Philharmonie.
Sonntags werden Sie sich in den hausinternen Museen und Galerien aufhalten. Übliche Abweichungen von die-sem Plan werden Ihnen rechtzeitig mitgeteilt. Ich wünsche ihnen schöne Jahre bei uns.?
(1997)