Halt die Fresse

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Aloha

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Mia hasst Zöpfe, aber es macht ihrer Mutter Freude sie zu flechten. Deshalb beschwert sie sich auch nicht, wenn Diana ihr jeden Morgen das Haar bürstet und es für einen französischen Zopf schmerzhaft stramm zurückzieht. In ihrer Klasse tragen viele Mädchen Zöpfe, die ihre Mütter flechten. Den Bus zur Schule darf sie seit Kurzem alleine nehmen. Ihre Mutter kann die Haltestelle vom Küchenfenster aus sehen und auch wenn sich Diana hinter dem Vorhang versteckt hält weiß Mia, dass sie da ist. Aber das macht ihr nichts aus, solange Diana nicht neben ihr steht und auch noch ein Küsschen verlangt. Mia widersteht dem Drang sich umzudrehen und dem Küchenfenster zuzuwinken. Sie ist sicher, dass ihre Mutter sie aus Liebe und nicht aus reinem Kontrollzwang beobachtet. Nur um sie nicht zu verletzen, wird Mia nie verraten, dass sie Bescheid weiß und auch nie verlangen, dass Diana damit aufhört. Mia besteigt den Bus als Erste. Diana tritt erst vom Fenster weg, als der Bus nicht mehr zu sehen ist.

Nach dem Unterricht hält der Schulbus täglich zwischen 13:16 Uhr und 13:21 Uhr an seiner Endstation vor ihrem Haus. Diana hält sich seit 13:15 Uhr hinter der mit Mohnblumen bedruckten Küchengardine versteckt. Die Uhr am Backofen zeigt 13:18 Uhr. Die Nachbarszwillinge steigen aus dem Bus. Wie immer identisch gekleidet. Diana lacht über diesen albernen Ritus. Es steigen weitere Kinder aus. Mia ist nicht dabei. Wo ist Mia? Der Bus ist leer. Diana stürzt aus der Haustür, um die Kinder abzupassen. „Nein, Mia war nicht mit im Bus.“ Worte wie Vorschlaghämmer. Sie stürmt ins Haus, greift Handy und Handtasche und blättert zur Nummer der Schule, während sie zum Sprint in Richtung Spielplatz ansetzt. Niemand hebt ab. Sie stellt auf Lautsprecher, lässt es weiter klingeln. Nicht ein einziges Kind auf dem Spielplatz. Sie legt nicht auf, rennt zum Fußweg Richtung Grundschule. Bis zur Schule sind es noch fast zwei Kilometer und ihre Lungen brennen schon jetzt. Sie atmet rasselnd, als endlich jemand ans Telefon geht. „Nein, Nachmittagsunterricht findet heute nicht statt. Die Kinder sind direkt nach Schulschluss los. Alles wie immer.“ Nichts ist wie immer. Diana rennt weiter Richtung Schwimmhalle. Geschlossen. Wo ist Mia? Sie wählt den Notruf, wird mit dem zuständigen Revier verbunden. Das Seitenstechen raubt ihr den Atem, aber sie schleppt sich weiter bis zur Polizeistation eine Straße weiter. „Sie ist sieben“, beantwortet sie die Frage am Telefon und keucht: „Ich stehe vor dem Revier.“

Ein heller Raum. Weiße Wände, kaltes Licht. Diana rutscht an die Kante des harten Stuhls. Sie reibt sich die Hände, betrachtet sie. Merkwürdig rau und blau, die Nägel abgenagt. Sie streicht mit dem Daumen über die schwarzen Blutkrusten, die ihre Nagelhaut überziehen. Sie kann sich nicht erinnern ihre Hände so zugerichtet zu haben. Das muss die Aufregung sein. Sie will sich bewegen und steht auf. Ihr ist schwindelig, aber sie schafft es zur Tür. Mit dem Lauf durch den ganzen Ort hat sie sich wohl übernommen. Sie drückt die Klinke herunter. Abgeschlossen. „Hallo?“ Sie hämmert gegen die Tür, ruft dann noch lauter und eindringlicher: „Hallo!“ Sie tritt zurück, will zum Fenster, aber es gibt keines. Sie dreht sich um sich selbst und sieht in dem gleißend hellen Raum nichts als einen Tisch an dem zwei Stühle stehen.

Eine lächelnde Frau mit Klemmbrett in der linken Hand tritt ein. Sie setzt sich und zückt einen Kugelschreiber. „Hallo Diana. Wissen Sie wer ich bin?“ „Nein. Wohl von der Polizei? Haben wir telefoniert? Ich stand eben vorm Revier, als … als …“ „Als was, Diana?“ Der Kugelschreiber klickt. Keine Antwort. „Diana, mein Name ist Ruth. Erinnern Sie sich?“ „An was denn?“ Ihre Stimme klingt schrill. „Sie sind nicht von der Polizei, richtig?“ Diana zieht die Augenbrauen zusammen. „Vielleicht braucht aber die Polizei noch etwas? Bestimmt ein Foto von Mia für die Fahndung!“ Die Worte sprudeln aus ihr heraus. „Ich habe die aktuellsten Bilder von ihr auf dem Handy dabei, ich weiß welche Kleidung sie trägt!“ „Diana, setzen Sie sich. Bitte! Ich möchte, dass sie nachdenken. Überlegen Sie genau. Lassen Sie sich Zeit. Was genau ist passiert?“ „Meine Tochter ist verschwunden, das ist passiert!“ Sie schreit jetzt. „Diana Sie müssen mir genau zuhö-“ „Haben Sie Kinder, Ruth?“ Ihre Augen füllen sich mit Tränen. „Nein? Dann halten Sie verdammt nochmal ihre Fresse und lassen mich mit der Polizei reden!“ „Diana“ Ruth steht auf und umfasst sanft die kleine kalte Hand der bebenden Frau. „Setzen Sie sich jetzt bitte!“ Diana reißt ihre Hand in die Höhe. „Was? So eine Scheiße! Meine Kleine ist verschwunden und Sie labern hier nur rum!“
„Diana, hören Sie mir zu. Mias Verschwinden - es ist schon sieben Jahre her.“
 

DocSchneider

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Hallo Aloha, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq

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