“Na, Harry, alter Schwede, auch mal wieder hier?”
Sehr witzig, dachte Harry. Grad noch sein Bierglas aufgefangen, das fast umgekippt wäre vom derben Rückenschlag. Wirklich sehr witzig.
“Nö. Scheinst seherische Fähigkeiten zu besitzen. Ist nur meine Restaura von letzter Woche.”
Harry prostete dem Scherzkeks durchs Gelächter zu und nahm einen großen Schluck, “aahh”, wischte sich mit dem Unterarm über den Mund, stützte den Kopf in die Hand und schaute durch den Laden.
Er war gern hier, es war ein guter Ort um den Feierabend zu verbringen. Auch wenn ihm die immergleichen Sprüche der Tresensitzer oft auf den Keks gingen.
Leider verbrachte er jeden Abend hier. Auch das Wochenende. Die Mädels heutzutage waren ihm allesamt zu tough. So sah es aus. An ihm lag’s nicht.
Die Kneipentür ging auf. Harry schaute flüchtig - nur um sofort wieder hinzustarren.
Ein blondes, zierliches Wesen kam ins Lokal. Schaute sich schüchtern um und setzte sich an den Tresen. Alle Männer guckten verstohlen, um dann lauthals verlegen weiter zu schwadronieren oder ins Glas zu stieren. Harry aber konnte nicht wegsehen.
Iris grinste innerlich. Es ist doch immer dasselbe mit den Jungs. Doch der da, dem fast die Augen auskugelten, der gefiel ihr irgendwie. Auch wenn sie es hasste, so angestarrt zu werden. Und es ziemlich albern fand, wenn sie die Lederjacke überall anbehielten. Aber süß war er und schien kein Weichei zu sein.
Zitronenfalter, dachte Harry. Sie sieht aus wie ein Zitronenfalter in ihrem weißen Kleid und mit den flachsblonden Haaren. Ein Zitronenfalter zu Besuch bei den fetten Schmeißfliegen.
Mit Augen so riesigblau, dass sich quer über den Tresen der Himmel auftat.
Eigentlich wollte sie sich hier ein Taxi rufen lassen, da ihr der letzte Bus vor der Nase weggefahren war. Aber ihr kam da grad eine bessere Idee.
Mein Gott ist die süß. Das ist mal eine Frau. Harry, vergiss es. Zitronenfalter lächeln immer. Du fährst jetzt, schließlich musst du um fünf aufstehen.
Er machte seine Lederjacke zu und ging unter dem üblichen Abschiedsgetöse an ihr - mein Gott, wie sie duftet - vorbei und hinaus.
“Könnten Sie mich vielleicht - oh…”
Er schloss gerade sein Fahrrad auf.
“Ich dachte…ihre Jacke,wissen Sie… na, macht ja nichts.”
Harry richtete sich langsam auf, drehte sich um und sah, wie sie zart und zitronig dastand und vor sich hinkicherte.
“Was meinen Sie?”
“Ach, nichts. Schon gut.”
Er ging auf sie zu. Harry, laß es!
“Haben Sie vielleicht Lust, morgen mit mir einen Kaffee zu trinken?”
Nun war es raus. Er mußte wahnsinnig sein.
“Na klar, gerne. Ich weiß ein tolles Cafè - Geheimtipp. Treffen wir uns morgen hier und gehen zusammen dorthin? Sagen wir, so gegen vier? Ich freu mich.”
Sprachs, ging fort und ließ Harry entgeistert zurück.
Er saß auf der Bank vor seiner um diese Zeit noch geschlossenen Stammkneipe und rauchte. Die Sonne schien, die Vöglein zwitscherten - ein herrlicher Frühlingstag.
16.30 Uhr. Er hat’s ja gewußt. Dieses forsche Verhalten gestern war eigentlich Audruck ihrer tiefen Schüchternheit. Flucht nach vorn, um ihn loszuwerden. Ein kluger Zitronenfalter. Er seufzte sehnsüchtig und schaute der beeindruckenden Harley nach, die langsam auf der Strasse an ihm vorbei brummte… in der Sackgasse wendete…sich auf den Gehsteig wälzte… und vor ihm hielt…
…(!??)
Eine Frau in schwarzem Leder hielt ihm einen Helm hin.
“Wollen wir dann?”