Hast du es gewusst?

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Wipfel

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„Großmutter“, hatte ich damals gefragt. „Hast du es gewusst? Hast du gewusst, dass Juden abgeholt, dass deine Kinder von Nazis unterrichtet wurden? Dass dein Mann Beton zum Westwall goss?“

„Sieben Kinder“, sagte sie. „Sieben. Fünf Mädchen, zwei Jungen. Einer davon dein Vater. Das war mein Beruf. Mein Mann war Maurer. Er wurde abkommandiert, da wurde nicht gefragt. Wir waren kleine Leute. Die Nazis haben wir nicht gemocht. Doch Brot musste auf den Tisch. Der Küster im Dorf hatte einen Polen versteckt. Erschossen haben sie beide. Vor den Augen seiner Kinder und seiner Frau.“

Heute? Das Gästezimmer samt WC ist frei. Vielleicht, weil ich mir sicher bin, dass meine Enkel so etwas nicht fragen werden: „Und? Hast du es gewusst?“
 

Ofterdingen

Mitglied
Was du im ersten Absatz ausführst, hat man schon zu oft gehört, leider, aber der zweite ist besser, persönlicher, näher am Leser - und am Autor. Was du im dritten ansprechen willst, könntest du mehr auf den Punkt bringen.

Jedenfalls: Dies ist ein Text, bei dem eine Überarbeitung sich lohnt.
 

Wipfel

Mitglied
„Sieben Kinder“, sagte sie. „Sieben. Fünf Mädchen, zwei Jungen. Einer davon dein Vater. Das war mein Beruf. Mein Mann war Maurer. Er wurde abkommandiert, da wurde nicht gefragt. Wir waren kleine Leute. Die Nazis haben wir nicht gemocht. Doch Brot musste auf den Tisch. Der Küster im Dorf hatte einen Polen versteckt. Erschossen haben sie beide. Vor den Augen seiner Kinder und seiner Frau.“

Großmutter hatte mir das erzählt. Die Zeiten ändern sich. Heute wird niemand erschossen, wenn jemand einen Flüchtling aufnimmt. Und doch: unser Gästezimmer samt WC ist frei. Vielleicht, weil ich mir sicher bin, dass meine Enkel so etwas nicht fragen werden: „Und? Hast du es gewusst?“
 

Wipfel

Mitglied
„Sieben Kinder“, sagte sie. „Sieben. Fünf Mädchen, zwei Jungen. Einer davon dein Vater. Das war mein Beruf. Mein Mann war Maurer. Er wurde abkommandiert, da wurde nicht gefragt. Wir waren kleine Leute. Die Nazis haben wir nicht gemocht. Doch Brot musste auf den Tisch. Der Küster im Dorf hatte einen Polen versteckt. Erschossen haben sie beide. Vor den Augen seiner Kinder und seiner Frau.“

Großmutter hatte mir das erzählt. Die Zeiten ändern sich. Heute wirst du nicht erschossen, wenn du einen Flüchtling aufnimmst. Und doch: unser Gästezimmer samt WC ist frei. Vielleicht, weil ich mir sicher bin, dass meine Enkel so etwas nicht fragen werden: „Und? Hast du es gewusst?“
 

FrankK

Mitglied
Hallo, geschätzter Wipfel

Diese Variante gefällt mir bisher am besten.

Obgleich - ich kann es nicht genau definieren - ein unterschwelliges Gefühl sagt mir, da fehlt noch was.

Ich kann es nicht genauer Erklären.


Vielleicht kommt es mir ja noch ...


Freundliche Grüße aus Westfalen
Frank
 

Wipfel

Mitglied
„Sieben Kinder“, sagte sie. „Sieben. Fünf Mädchen, zwei Jungen. Einer davon dein Vater. Das war mein Beruf. Dein Großvater war Maurer. Er wurde abkommandiert, an den Westwall. Da wurde nicht gefragt. Wir waren kleine Leute. Die Nazis haben wir nicht gemocht. Doch Brot musste auf den Tisch. Der Küster im Dorf hatte einen Polen versteckt. Gehenkt haben sie beide. Vor den Augen seiner Kinder und seiner Frau. Der Küster hatte ein Schild um den Hals. Volksverräter.“

Wir saßen in der Linie 11 als sie mir das erzählte, ich war noch ein Kind. Sie schaute dabei aus dem Fenster, sprach wie abwesend, sah mein Dresden gar nicht. War wieder mit ihrem Treck auf der Flucht. Aus Schlesien raus im Februar, über die Tschechei nach Bayern. Dann nach Sachsen, das war ein Fehler. „Der Krieg war zu ende. Wir dachten, jetzt geht es wieder nach Hause. Doch die Russen ließen uns nicht.“

Am Platz der Einheit stiegen wir aus, schleppten ein Polenpaket zur Post. Großmutter hatte Sachen gepackt, die sie nicht mehr brauchte. Dazu eine Döbelner Salami gelegt. Sie schickte es an Bekannte, die es doch irgendwie zurück ins Dorf geschafft hatten. „Merke dir: Wenn du jemand hilfst, darf die rechte Hand nicht wissen, was die linke tut.“

Die Zeiten ändern sich. In Dresden ruft man wieder „Volksverräter!“ und am liebsten würde man diese hängen sehen. Vor unserem Haus sitzt eine fremde Frau mit einem Kind. Meine linke Hand spielt mit dem Schlüssel für das Gästezimmer. Die rechte weiß noch nichts davon.
 

Wipfel

Mitglied
Vielen Dank für die Kriktik @Ofterdingen, ich doktor schon eine Weile an diesem Text herum. Deine Refelktion hat mir geholfen!

Grüße von wipfel
 

Wipfel

Mitglied
Hallo Frank,

merci für deine Rückmeldung! Nun also eine veränderte Version. Auch dank deiner Kritik.

Grüße ins westfälische von wipfel
 

Wipfel

Mitglied
„Sieben Kinder“, sagte sie. „Sieben. Fünf Mädchen, zwei Jungen. Einer davon dein Vater. Das war mein Beruf. Dein Großvater war Maurer. Er wurde abkommandiert, an den Westwall. Da wurde nicht gefragt. Wir waren kleine Leute. Die Nazis haben wir nicht gemocht. Doch Brot musste auf den Tisch. Der Küster im Dorf hatte einen Polen versteckt. Gehenkt haben sie beide. Vor den Augen seiner Kinder und seiner Frau. Der Küster hatte ein Schild um den Hals. Volksverräter.“

Wir saßen in der Linie 11 als sie mir das erzählte, ich war noch ein Kind. Sie schaute dabei aus dem Fenster, sprach wie abwesend, sah mein Dresden gar nicht. War wieder mit ihrem Treck auf der Flucht. Aus Schlesien raus im Februar Fünfundvierzig, über die Tschechei nach Bayern. Dann nach Sachsen, das war ein Fehler. „Der Krieg war zu ende. Wir dachten, jetzt geht es wieder nach Hause. Doch die Russen ließen uns nicht.“

Am Platz der Einheit stiegen wir aus, schleppten ein Polenpaket zur Post. Großmutter hatte Sachen gepackt, die sie nicht mehr brauchte. Dazu eine Döbelner Salami gelegt. Sie schickte es an Bekannte, die es doch irgendwie zurück ins Dorf geschafft hatten. „Merke dir: Wenn du jemand hilfst, darf die rechte Hand nicht wissen, was die linke tut.“

Die Zeiten ändern sich. In Dresden ruft man wieder „Volksverräter!“ und am liebsten würde man diese hängen sehen. Vor unserem Haus sitzt eine fremde Frau mit einem Kind. Meine linke Hand spielt mit dem Schlüssel für das Gästezimmer. Die rechte weiß noch nichts davon.
 

Wipfel

Mitglied
„Sieben Kinder“, sagte sie. „Sieben. Fünf Mädchen, zwei Jungen. Einer davon dein Vater. Das war mein Beruf. Dein Großvater war Maurer. Er wurde abkommandiert, an den Westwall. Da wurde nicht gefragt. Wir waren kleine Leute. Die Nazis haben wir nicht gemocht. Doch Brot musste auf den Tisch. Der Küster im Dorf hatte einen Polen versteckt. Gehenkt haben sie beide. Vor den Augen seiner Kinder und seiner Frau. Der Küster hatte ein Schild um den Hals. Volksverräter.

Wir saßen in der Linie 11 als sie mir das erzählte, ich war noch ein Kind. Sie schaute dabei aus dem Fenster, sprach wie abwesend, sah mein Dresden gar nicht. War wieder mit ihrem Treck auf der Flucht. Aus Schlesien raus im Februar Fünfundvierzig, über die Tschechei nach Bayern. Dann nach Sachsen, das war ein Fehler. „Der Krieg war zu ende. Wir dachten, jetzt geht es wieder nach Hause. Doch die Russen ließen uns nicht.“

Am Platz der Einheit stiegen wir aus, schleppten ein Polenpaket zur Post. Großmutter hatte Sachen gepackt, die sie nicht mehr brauchte. Dazu eine Döbelner Salami gelegt. Sie schickte es an Bekannte, die es doch irgendwie zurück ins Dorf geschafft hatten. „Wenn du jemand hilfst, darf die rechte Hand nicht wissen, was die linke tut.“

Die Zeiten ändern sich. In Dresden ruft man wieder „Volksverräter!“ und am liebsten würde man diese hängen sehen. Vor unserem Haus sitzt eine fremde Frau mit einem Kind. Meine linke Hand spielt mit dem Schlüssel für das Gästezimmer. Die rechte weiß noch nichts davon.
 

Wipfel

Mitglied
„Sieben Kinder“, sagte sie. „Sieben. Fünf Mädchen, zwei Jungen. Einer davon dein Vater. Das war mein Beruf. Dein Großvater war Maurer. Er wurde abkommandiert, an den Westwall. Da wurde nicht gefragt. Wir waren kleine Leute. Die Nazis haben wir nicht gemocht. Doch Brot musste auf den Tisch. Der Küster im Dorf hatte einen Polen versteckt. Gehenkt haben sie beide. Vor den Augen seiner Kinder und seiner Frau. Der Küster hatte ein Schild um den Hals. Volksverräter.

Wir saßen in der Linie 11 als sie mir das erzählte, ich war noch ein Kind. Sie schaute dabei aus dem Fenster, sprach wie abwesend, sah mein Dresden gar nicht. War wieder mit ihrem Treck auf der Flucht. Aus Schlesien raus im Februar Fünfundvierzig, über die Tschechei nach Bayern. Dann nach Sachsen, das war ein Fehler. „Der Krieg war zu ende. Wir dachten, jetzt geht es wieder nach Hause. Doch die Russen ließen uns nicht.“

Am Platz der Einheit stiegen wir aus, schleppten ein Polenpaket zur Post. Großmutter hatte Sachen gepackt, die sie nicht mehr brauchte. Dazu eine Döbelner Salami gelegt. Sie schickte es an Bekannte, die es doch irgendwie zurück ins Dorf geschafft hatten. „Wenn du jemand hilfst, darf die rechte Hand nicht wissen, was die linke tut.“

Die Zeiten ändern sich. In Dresden ruft man wieder „Volksverräter!“. Und am liebsten würde man diese hängen sehen. Vor unserem Haus sitzt eine fremde Frau mit einem Kind. Meine linke Hand spielt mit dem Schlüssel für das Gästezimmer. Die rechte weiß noch nichts davon.
 

FrankK

Mitglied
Ganz kurz - ganz emotionell ...

Die letzte Version vom 24. gefiel mir besser - dies hier ist etwas zu ausgebreitet, fast schon ausgewalzt.

Nein, die letzte Version vom 24. hatte etwas mehr - mir fehlt das passende Wort: Ausstrahlung - Charisma - so etwas in der Art.
Verstehst Du, was ich meine?
Vermutlich auch nicht, ich kann es ja selber nicht in die richtigen Worte fassen.


Abendliche Grüße aus Westfalen
Frank
 
S

steky

Gast
Ich weiß nicht, was es ist, aber irgendetwas gefällt mir an dieser Geschichte nicht. Vermutlich liegt es an der ostentativen Gutartigkeit, die hier zur Schau gestellt wird. Auf der anderen Seite finde ich die Sprache zu gekünstelt, vorallem am Anfang, die ersten Wörter. Das Problem ist, dass du das Böse in der Geschichte mit dem Guten förmlich plattwalzt. Ich denke, der Leser ist so klug, dass er die Nazis als etwas Negatives empfindet. Leider zu einseitig. Kein vernünftiger, ernstzunehmender Gegenpol. Lg Steky

Gehenkt haben [blue]sie[/blue] beide.
Wer hat hier wen gehenkt?
 



 
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