Heimat du Geliebte

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Ralf Langer

Mitglied
Heimat du Geliebte - Täuschung aus Erinnerungen
entflammte Lagerfeuerseligkeit.
Nicht wahr -? Du hast die Bilder abgerungen
dem Fackelspiel aus Wand und Scheit.

Dort flackern die Vergangenheiten
räsoniert sich das Gehirn
ist Bild und Hauer aller Wirklichkeiten
im Steinbruch hinter deiner Stirn

gibt es viel Lug und Trug und ein paar Gemmen:
ein Hinterhof im Schnee und du : ein Kind,
es kann die Zeiten noch nicht trennen,
die längst an dir - vorbei - gegangen sind
 

James Blond

Mitglied
Hallo Ralf!

Ein schönes, interessantes Thema, das du hier mit einer sanften Nachdenklichkeit betrachtest. Du hast die Heimatsuche als Erinnerungsarbeit dargestellt, die allzuoft den eigenen Täuschungen anheim fällt. Das hast du sehr reizvoll in eine schöne Form gebracht.

Nach meinem Eindruck passen manche Begriffe aber nicht recht zum Thema Heimat und scheinen sich auch teiweise zu widersprechen.

Das beginnt mit der Titelzeile, in der die Heimat als Geliebte angesprochen wird. Als 'geliebte Heimat' mag sie im Herzen getragen werden, eine Geliebte ist sie deshalb ebenso wenig wie die eigene Mutter. Die Geliebte entspricht stets dem Neuen, dem man zustrebt, das umworben wird - bei der Heimat handelt es sich wohl eher um eine alte Bekannte. Mir scheinen die Begriffe Heimat und Geliebte nicht gut zusammenzupassen.

Das Fackelspiel an der Wand scheint sich auf Platons Höhlengleichnis zu beziehen, dort geht es um alle Wahrnehmung, die grundsätzlich dem Schattenspiel der Wirklichkeit abgerungen werden muss und doch nur ein unvollständiges Abbild voller Täuschungen bleibt.

Erfahrungen werden gemacht, Erinnerungen jedoch gestaltet. Damit hat die Täuschung ihren festen Platz hinter der Stirn. Ob sich die Trennung von Lug und Trug und Gemmen in den Erinnerungen im Nachhinein noch durchführen lässt? Mir scheint der Hauer (als Bergmann) im Steinbruch der (auf)flackernden Vergangenheiten ein in sich widersprüchliches Bild abzugeben. In S2 stellst du der Flüchtigkeit des Erinnerns die Unvergänglichkeit der versteinerten Wirklichkeiten gegenüber. Wie passt das in einem Bild zusammen? Existiert hinter der Stirn ein Steinbruch? Lässt sich im Nachhinein aus der steinernen Wirklichkeit noch eine unbekannte Ader aufspüren? Ich würde das bezweifeln.

Heimat wird, wenn überhaupt, als Teil der eigenen Identität erfahren, nicht den Erinnerungen abgetrotzt. Die Sehnsucht nach der verlorenen Heimat mag sich später in Visionen äußern, die kindliche Prägung des Heimatgefühls aber bleibt an Schlüsselreize gebunden: Heimaterfahrung wirkt stets überraschend, wie etwa bei Proust, wenn Madeleines in Tee getunkt werden: Erfahrung bedeutet Abspeichern von Verbindungen und dies geschieht auch unbewusst: Erfahrung prägt über die Zeiten hinaus.


Grüße
JB
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
James,

das ist ein super Kommentar!
In allem -
besonders deutlich der "Mutterliebe"-Vergleich zur Anrede "Geliebte".

Das ist hervorragend!

grusz, hansz
 

wüstenrose

Mitglied
Für meinen Geschmack schwingt in der Wendung Heimat du Geliebte nichts Unpassendes mit. Einerseits wird die Assoziation "geliebte Heimat" beschworen. Andrerseits verstehe ich Geliebte hier in etwa als Angebetete, als diejenige, der ein Altar (der Erinnerungen) gebaut wird.
Schon mit den nächsten Worten wird dann die Fragwürdigkeit, die Brüchigkeit dieser Huldigung erwogen. Und im weiteren Verlauf bleibt wenig Festes, Haltbares, Tragfähiges. Eher finden sich Auflösung, Bruchstellen, Flüchtiges.
Vielleicht lese ich das Gedicht eher atmosphärisch als wortwörtlich - jedenfalls kommt der brüchige, flüchtige Eindruck unmittelbar lebendig und stark bei mir an.
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo miteinander,

Ersteinmal herzlichen Dank für die sinnigen Überlegungen zu meinem Gedicht.

Ich werde mich später im Detail äussern.
(Das wird wohl nach deutscher Zeit tiefe Nacht sein)
LG
Aus der Karibik
Ralf
 

Ralf Langer

Mitglied
Heimai ist was war

Hallo miteinander,

Ein Text mit Widersprüchen- dem kann ich nicht widersprechen.
Vielleicht kann ich sagen, das meine Worte hier mit der Substanz von Heimat ringen.

Ich versuche und suche nach einer Verortung des Begriffes in Raum und Zeit.
Und gerade dieser Verortung,der sich der Begriff Heimat immer wieder entzieht, gehe ich nach.

Sie sind die Pfeiler dieses lyrischen Versuches.
Was ist denn Heimat.Ist sie prinzipiell räumlich geographisch oder nicht eher einer Idee oder einem Wunsch ähnlich?

Ich weiss es nicht.
Ich glaube aber das Heimat etwas ist, das erst mit der Zeit wird, und sich durch die Zeit und den darin gemachten individuellen Erfahrungen erst gestaltet,und auch immer wieder neu gestaltet. Sie braucht Vergangenheit und auch Entfremdung.
In diesem Sinne glaube ich das ein Kind für diesen Begriff noch keine Empfindung hat Dem Kind fehlt der Bruch der Zeiten, der Sinn für das Gestrige und das Morgige.

Erst die vergeistigte Rückschau gibt dem Begriff Perspektiven, schafft Wirklichkeiten,gehirnliche Dimensionalität.

Weiterhin glaube ich das die räumliche Verortung nur beigeordneter Natur ist.

Ich selbst kann den Ort den ich der Heimat zuordne nicht mehr körperlich betreten:

Die Siedlung mit ihren Hinterhöfen,die Lauben, die Gärten, all das ist physisch nicht mehr vorhanden.

Meine Heimat hat anderen Dingen Platz machen müssen, einer anderen Wirklichkeit.

Ich kann die Heimat nur noch in Vergangenheiten des Gehirns besuchen.
Der Ort ist Metaphysik.

Und dieses Verschwundene das ist so etwas wie eine Geliebte, verleicht wäre angebetete das passendere Wort.

Aber mein Gedicht will die Geliebte ja nicht nur substantivisch begreifen. Es hat ja adjektivische Bedeutungen:

Heimat du - geliebte Täuschung-... aus Erinnerungen...

Also vielleicht eine lieb-gewonnene Begrifflichkeit.

Ein Widerspruch? Mit Sicherheit.Meiner Erfahrung nach aber ein immanenter, nicht nach einer Seite aufzulösender
Widerspruch.

Und so haben die Worte wie Wüstenrose sagte athmosphärische Dimensionen, sind Assoziativketten zwischen denen sich eher nachspürbar die Heimaten auftun.
So ist Heimat ein Ou-topos ein nicht Ort,oder nach Blochscher Diktion ein noch nicht Ort,der in einem ständigen Werden ist.

Mir, sehr persönlich, drängt sich das Bild dieses Jungen immer wieder auf.
Ein Hinterhof,der erste wahrgenommene Schnee,die ersten Spuren werden sichtbar, werden nachvollziehbar.
Ich sehe diesen Jungen,wie ich mich selbst im Spiegel sehe, beinahe physisch.

Er ist ich, und er ist es gleichzeitig überhaupt nicht(mehr).

Er hat aufgehört zu existieren mit der Zeit, durch die Zeit,und zusätzlich ist ja alles gedankliche sas ich heute zu diesem Bild memoriere schon Interpretation. Der Junge hat diese Dinge nicht so gesehen.

Für ihn war es nur Schnee und der Ort zu spielen.
Heimat ist es erst viel später durch den heutigen Beobachter seiner selbst geworden.

Meine Heimat bleibt: spurlos, eine Zurückgebliebene Täuschung,
eine liebgewonnene Interpretation.

Ich bin dankbar dafür und dennoch voller Zweifel.

LG
Ralf
 

James Blond

Mitglied
Hallo Ralf,

hier kommen noch ein paar zusätzliche Gedanken.

Heimat mag ein sehr reizvolles lyrisches Thema sein, zugleich ist es, das spiegeln Text und Kommentare hier, ein sehr schwieriges Thema, weil sich darin Emotionen und gedankliche Konstruktionen überlagern.

Nicht alles, was später aus den Kindheitserinnerungen heraufleuchtet, hat auch diese Bezeichnung verdient, denn Heimat liegt die Summe von vertrauten Eindrücken zugrunde, die von einer Ortsgemeinschaft geteilt werden kann. Das kann ein abendlicher Glockenklang sein, wiederkehrende Festivitäten und jahreszeitliche Ereignisse wie Ernten oder Schlittschuhlaufen.

Dabei vermittelt sich das Gefühl von Heimat aus dem Zusammenklang derartiger Erinnerungen, überzieht als Sepiatönung die alten Fotografien und lässt ein harmonisches Gesamtbild entstehen, das es vermutlich nie gegeben hat. Wenn die Heimat als Geliebte beschrieben wird, dann ist sie die Geliebte sehr vieler Menschen.

Die Skepsis, die im Gedicht den eigenen Erinnerungen gegenüber zum Ausdruck gebracht wird, ist berechtigt, aber nicht allein auf die Heimatsuche beschränkt. Die Konstruktion von Vergangenheit als Sinnschöpfung und die Suche nach Identität zur Abwehr von Entfremdung reicht viel weiter. Du zielst zwar auf Heimat, aber du schießt weit übers Ziel hinaus, beschreibst die schwierige Suche nach den Wurzeln deines Selbst.

Grüße
JB
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo James,
danke für deine erneuten Gedanken um die

'Heimat'

Ja, du hast wohl recht das der Begriff Heimat nicht das alleinige Ziel meiner Suche in diesem Stück ist.
Ich habe hier ein weites Feld aufgetan:

Weil es mir gerade in den Sinn kommt. Eine kleine Zeile die ich im Laufe des Schreibens verworfen habe, die nun ein anderes Gedicht sucht:

Wir alle suchen
Heimat
In-Begriffen

LG
Ralf
 



 
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