Tonmaler
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Ich habe doch die Stühle gar nicht aus dem Fenster geworfen.
Sie will wissen, warum ich sie hinausgeworfen habe. Aber ich war das nicht. Aus welchem Grund sollte ich die hinauswerfen, frage ich sie zurück. Das weiß sie auch nicht, sagt sie.
Jetzt gehe ich zurück ins Schlafzimmer. Beide schauen zu mir.
»Hast du es nicht?«, fragt Franka. Meine Tochter.
Ich frage: »Was?«
»Du wolltest das Wasser bringen.«
»Nein«, sage ich. »Ich hole es jetzt.«
Ich laufe in die Küche, mache die Schublade auf und nehme ein Messer raus, gleich darauf kommt meine Tochter und nimmt es mir aus der Hand.
»Ich habe Hunger«, sage ich.
Niemand hier macht etwas zu essen. Das wundert mich.
Es ist Marias Aufgabe. Maria. Meine Frau. Sie macht mir das Essen nicht.
Ich gehe ins Schlafzimmer. Da liegt sie faul herum. Warum steht sie nicht auf? Was liegt sie da herum, es ist heller Tag?
Ich bin im Flur. Das Telefon klingelt. Ich gehe ran, sage hallo.
»Ich bin es, Rainer«, sagt die Stimme. »Bist du es, Papa?«
»Ja, hallo Rainer«, sage ich. »Wie geht es dir? Wo bist du?«
»In Kampala«, sagt er.
»Seit wann?«, frage ich.
Er lacht. »Seit sieben Jahren«, sagt er. »Kann ich Mama sprechen? Ist sie wach?«
»Ja, ist sie. Sie steht aber nicht auf. Sie liegt im Bett.«
»Ist gut. Kann ich sie sprechen?«
»Ja. Und wie geht es dir? Was machst du jetzt beruflich?«
»Ich bin Dolmetscher«, sagt er.
»Und wie geht es dir?«
»Danke, ganz gut im Großen und Ganzen. Und wie geht es dir? Schaust du noch Fußball?«
Fußball? Da muss ich überlegen. Ich habe schon lange kein Spiel mehr gesehen. Ich kann es gar nicht sagen.
»Hallo?«, sagt die Stimme.
»Und wo bist du?«, frage ich.
»In Kampala«, sagt er.
»Ah, in Kampala bist du jetzt. Und wann kommst du zurück?«
Meine Tochter kommt aus dem Schlafzimmer. Franka.
»Wer ist dran?«, fragt sie.
»Es ist Rainer«, sage ich. »Mein Sohn.«
Sie nimmt mir das Telefon aus der Hand.
»Hallo Rainer. Es ist schlimm«, sagt sie ins Telefon. »Wann kannst du kommen? Nein. Ich … Er hat gestern die Schläuche aus dem Sauerstoffgerät montiert und sie wäre beinahe erstickt … nein ... Ich kann nicht mehr.«
Ich gehe ins Schlafzimmer; sie soll endlich das Essen machen; ich habe Hunger. Warum macht sie es nicht?
»Steh endlich auf!« Ich stehe vor dem fremden Bett. Sie hat die Augen zu. Maria.
Da ist meine Tochter wieder. Sie heißt Franka. Sie zieht mich am Arm aus dem Zimmer.
»Papa, jetzt lass sie«, sagt sie. »Sie kann nicht aufstehen. Ich mach’ dir gleich was, warte noch kurz.« Dann ins Telefon: »Was? … Nein, das versteht er nicht. Er weiß es nicht.«
Warum telefoniert sie so lange, frage ich mich. Mit wem telefoniert sie?
Ich gehe lieber ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch, die Blumenvase. Ich nehme sie, sie ist groß und grün, hellgrün mit gelben Kreisen.
Hier stehe ich im Garten auf der Wiese und halte eine Vase in den Händen. Ich will sie aber nicht halten, sie ist schwer, und habe keine Ahnung, was ich mit ihr tun soll, also werfe ich sie über den Gartenzaun. Ich könnte die Äste am Baum schneiden. Das ist der Birnbaum. Die Säge hängt in der Garage. An der Wand.
Ich sitze hier auf dem Balkon.
Franka kommt. »Du sollst die Herdplatten nicht anmachen. Das ist gefährlich! Ich habe gesagt, das darfst du nicht! Ich koche dann schon, verstanden?«, schreit sie mich an. Sie schaut zum Tisch. »Was macht die Säge da? Was willst du mit der Säge?«
Ich sehe die Säge. Aber ich will nichts mit ihr. Habe sie da nicht hingelegt. Ich merke mit einem Mal, ich muss pinkeln, sogar dringend.
Ich bin allein im Garten; hier höre ich meine Tochter von oben schreien.
»Papa!«, schreit sie. »Wo bist du?«
Ich rufe: im Garten.
Sie taucht auf dem Balkon auf.
»Der Teppich im Flur!«, schreit sie weiter. »Du hast schon wieder auf den Teppich gepisst!«
Aber das war ich nicht. Ich bin doch gar nicht im Flur. Sondern im Garten hier.
Der Zaun. Ich muss den Zaun streichen.
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