hört

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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
wieso "er"? statt "sie"?
wieso nicht "ich"? oder "wir"?
 

Ralf Langer

Mitglied
Ich vermute religiösen Kontext:
Spüre einen Garten Gethsemane
Er ist Jesus
In der Nacht vor dem Verrat…
Lg
Ralf
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Meinst Du das, Ralf,

als Persiflage oder Spott? Jesus schwitzt Blut und Wasser, weil er die Trauer der Nachtigall nicht hört?
Die überwältigende Melancholie im Gesang der Nachtigall, in dem die Tränen nur so perlen, - das ist ein beliebtes Motiv in der persischen Lyrik.

Aber dort, im Persischen, versuchen die Dichter dem Gesang der Nachtigall kunstvoll zu entsprechen.

grusz, hansz
 

Val Sidal

Mitglied
Ich vermute religiösen Kontext:
Spüre einen Garten Gethsemane
Er ist Jesus
In der Nacht vor dem Verrat…
Lg
Ralf
"er" markiert die Distanz zum aus dem OFF fragenden LyrIch. Je nach Wahl des Kontextes, der Belegung der Rollen, der Beobachtung, dass ein akustischer Raum der Entfaltung der Stimmung eröffnet wird, variiert "er". Mit "hört er" wird eine Spannung dadurch erzeugt,dass die zwei Codeme zwei Fragen aufwerfen "er" -- wer? und "hört - was?"

Mit "noch nicht" wird einerseits die Zeitdimension ("noch") hinzugefügt, andererseits wird die Emotionslage gesteigert - "nicht".
"trauer" - LyrIch erscheint mit seinem Gefühl" und mit seiner (an)klagenden Haltung:

"hört er
noch nicht
die trauer"
usw.

Der Text ist den Regeln der von mir erfundenen und praktizierten dezilog-Form unterworfen -- d.i. fest 10 codems (Silben oder Wörter und max ein Satzzeichen) in max. 5 Zeilen angeordnet, dudenfrei, mit der Möglichkeit und vom mir durchaus erwünschten Lesehaltung, unterschiedlichste (z. T. sogar sich widersprechende) Lese-Erlebnisse zu erfahren.
Freilich hatte ich beim Impuls, das Gedicht zu schreiben, zunächst einen bestimmten "er" im Sinn, doch bereits mit dem ersten Lesen begann ich mit der Variation der Lesarten.

Viele der bislang veröffentlichten dezilogs fanden bei Lesern, die offen für diese Art der aktiven Textvernahme sind, Anklang und wurden mit Gewinn gelesen.

Vielen Dank für deinen Kommentar.
LG
 
Zuletzt bearbeitet:

Ralf Langer

Mitglied
Hallo Val,
danke für die Erklärung der Form deines Gedichtes, der ich gar nicht so viel Aufmerksamkeit schenkte.

es sind ja ersteinmal Worte und Klang die mich als Leser berühren.
Hier also die Nachtigall und die Zeit ihres Gesangs und die Trauer.
Trauer verbinde ich mit Verlust, Endgültigem, wie dem Tod.
Und so tauchte dieses Bild in mir auf.
Gleichzeitig führte mich der Titel „hört“ auf eine religiöse Spur.

lg
Ralf
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo Mondnein,
Persiflage oder Spott habe ich für mich nicht gespürt.
Der Text ist ja weitestgehends im nicht Konkreten angelegt.
So bleibt ein grosser Raum für Interpretation aus Lesersicht

Hm, je länger ich drüber nachdenke könnte ich „er“ auch mit Judas in Verbindung bringen, der bei gleicher Verortung noch nicht um seinen Verrat im Morgengrauen weiss
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Die Form ist frei. Wie als Reaktion auf den Gedanken, dass das Konkrete erschöpft sei. Ein blankes Gedicht, eines ohne Gegenstand, das aber ausfranst in Assoziationen. Also ist es ein entlarvendes Gedicht, wie ziehen uns aus, wenn wir es mit Sinn füllen, wir offenbaren unsere Prägung. Wenn du möchtest, verschiebe ich es ins Experimentelle, denn dort gehört es meiner Auffassung nach hin. Übrigens, um mich ebenfalls nackt zu machen - der erste Reiz war Luther, der Nachtigall geschuldet, (wittenbergisch Nachtigall) der zweite Eichendorf, das Klichee der Nachtigall in der Romantik, ihre Verklärung und der ganze Unfug etc. etc.


LG
Patrick
 

Val Sidal

Mitglied
stimme deiner Einordnung zu. Ob es experimentell ist ... vielleicht ... Da ich mir aber eine präzise definierte Form zugrundelege, bezöge sich das Experiment eher auf die Form als auf das Gedicht als Ganzes ... Verschieben? Ich weiß nicht.
LG
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
muss nicht sein, ich dachte bloß, dass es sicher Leser gibt, die im Ungereimten so etwas nicht vermuten und aus Frust nicht reagieren, oder schlecht werten.
 

Val Sidal

Mitglied
Meine bisherigen dezilogs fanden im Experimentellen null Beachtung - die Auseinandersetzung mit dem Text hier ist super. Beispiel aus dem Experimentellen:

der
strand versandet
raufboldende gischt ich --
geduckt hinter der
maske

LG
 

Val Sidal

Mitglied
Nein -- die Form ist ja nur für mich relevant ... Sie stellt mich vor eine Herausforderung.
Eigentlich freut es mich an der Resonanz am meisten, wenn Leser mit dem Text etwas tun, worauf ich nicht kommen würde.
Ansonsten -- meine Höhepunkte hatte ich schon während des Komponierens.

LG
 



 
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