Humor

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UtaW

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Alles Gans oder?
Sonst war ich immer der Trottel, den keine Frau so richtig haben wollte, der schnell mal abgelegt wurde wie ein alter Hut. Diesmal war es anders. Amanda wollte mich und das ganz. Schließlich sei das ihr Motto: Ganz oder gar nicht. Sie würde sofort Schluss machen mit Roger, um ganz mit mir zusammen zu sein.
Ich war erstaunt ob der Schnelligkeit ihrer Entscheidungen. Und unglaublich geschmeichelt, weil ich zum ersten Mal eine Konkurrenz ausgestochen hatte. Dabei kannten wir uns gerade drei Tage. Wenn das nicht die große Liebe ist, was dann?
Amanda sagte: „Du ziehst zum nächsten Ersten bei mir ein!“
Konnte ein Mann glücklicher sein? Ich kündigte meine möblierte Wohnung, packte meine wenigen Habseligkeiten zusammen und zog in ihre geräumige Drei-Zimmer-Wohnung.
Sie sagte: „Wir heiraten im nächsten Mai. Das ist der passende Monat für eine Hochzeit. Ich kümmere mich um das Aufgebot und sage meinen Eltern Bescheid.“
Ja, tausendmal ja, jubelte es in meinem Inneren. Wenn es einen achten Himmel gäbe, so wäre ich gerade in diesen hineinbefördert worden. Und auch äußerlich sagte ich ja, obwohl sie mich gar nicht gefragt hatte.
„Liebling“, gab ich dann zu bedenken, „wer wird das finanzieren? Du weißt, dass ich immer noch arbeitslos bin.“
„Das muss dich nicht kümmern“, sagte sie nur.
Ich war mit allem einverstanden, was Amanda plante und wurde immer verliebter. Bis zur Hochzeit waren es noch sieben Monate. Ich konnte es kaum erwarten. Obwohl das gemeinsame Wohnen schon wie Verheiratet-Sein war. Es fehlte mir an gar nichts.
Sie sagte: „Zum Martinstag essen wir eine Gans. In meinem Heimatdorf gibt es einen Bauern, der päppelt sie auf bis in den November. Da suchen wir uns eine aus.“
Ich hatte noch nie Gans gegessen, war aber gewillt, an allem teilzunehmen, was Amanda bestimmte. Ganz oder gar nicht, das war jetzt auch mein Motto.
„Sollen wir deine Eltern einladen? Ich hätte sie gerne vor unserer Hochzeit kennen gelernt.“
„Das wird nicht nötig sein; ich habe ihnen ein Foto gezeigt“, entgegnete Amanda.

Wir fuhren am nächsten Tag in ihr Heimatdorf und suchten dort den Bauern auf. Mehr als hundert Viecher tummelten sich auf einer Wiese hinter seinem Haus und machten einen Höllenlärm. Ich wäre am liebsten geflohen. Aber Amanda schien glücklich. Sie ging unter dem Federvieh einher, als wäre sie hier zu Hause.
„Die da“, sagte Amanda und zeigte auf ein Tier, das aussah wie alle anderen. Der Bauer befestigte eine Markierung an einem Beinchen und versprach, sie pünktlich zum Martinstag zu liefern.
„Sie ist wunderschön, nicht wahr?“, ließ Amanda auf dem Heimweg vernehmen. „Ich werde sie Marylin nennen, wie Marylin Monroe.“

Ein paar Abende später verkündigte Amanda, dass sie sie jetzt holen wolle. Ich begriff nicht gleich, bis sie eine Stunde später mit einer Gans im Arm wiederkam.
„Das ist Marylin! Kennst du sie denn nicht mehr?“, sagte Amanda ziemlich barsch.
„Sie sollte doch erst am Martinstag kommen. Und dann geschlachtet, gerupft und bratfertig gemacht!“ Den leisen Vorwurf in meiner Stimme ignorierte Amanda.
„Marylin wohnt jetzt hier.“
Auf meine Frage, wann sie denn von wem geschlachtet werden sollte, bekam ich keine Antwort.

Der Martinstag rückte näher, aber von einem Gänsebraten war keine Rede mehr. Dafür schob sich ein anderes Thema langsam aber stetig in den Vordergrund.
„Die Wohnung ist zu klein für drei. Wenn du verstehst, was ich meine.“
Ich hatte kaum Zeit, traurig, bestürzt oder verletzt zu sein, da fand ich mich auf dem Gehsteig wieder. Es dauerte ein paar Momente, bis ich begriff: Gans Marylin war jetzt das „Ganz“, ich war das „Gar-Nicht“. Genauso fühlte ich mich, als ich auf der Suche nach einer neuen Bleibe durch die Straßen schlich, die mein neues Zuhause waren.
Mehr wie vor den Kopf geschlagen als gekränkt betrachtete ich die Plakate, die Amanda in der Zwischenzeit überall aufgehängt hatte. Sie zeigten sie mit Marylin im Arm.
Alle dürfen heiraten - Was ist mit uns? stand mit dicken Buchstaben darunter.

Auf einer meiner Wanderungen durch die Stadt entdeckte ich einen Mann, der mit geschäftiger Miene und geübter Hand Amandas Plakate mit anderen Bildern überklebte. Ich blieb stehen und sah ihm zu.
„Ist die nicht ganz und gar gaga?“, sprach er mich an. „Jetzt treibt sie es mit einer Gans. Ist ja noch schlimmer als mit Roger. Der hat wenigstens was hergemacht.“
„Sie kennen Roger?“, fragte ich interessiert.
„Roger, den Dalmatiner? Klar. Hingen doch letztes Jahr auch überall Plakate. Ich durfte sie alle überkleben! Diese Frau mit ihren Tieren! Bis die Eltern ihr mal wieder den Geldhahn zudrehen. Dann zeigt sie sich immer für kurze Zeit mit irgendeinen armen Alibi-Trottel.“
„Ich“, zwinkerte er mir zum Schluss zu, „war übrigens der Trottel vor Roger.“
 

DocSchneider

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Teammitglied
Hallo UtaW, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq

Dein Text ist sehr amüsant ... ich habe mal von einer Frau gelesen, die ein Buch geheiratet hat. ;)


Viele Grüße von DocSchneider

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