ich kann gar nicht klavierspielen

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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
ich kann gar nicht klavierspielen


wildes gehucke pack stur ostinato
und immer den gleichen akkord schlag auf e
gitarren oder mit deiner linken
hand ins klavier? wirst du lieber nicht

aufm flügel der bühne im theater
den abitu runturi rentenen eltern
um die oh ren haun – du wirst
mit deiner rechten die basis verdecken

(wie eine alte schuld oder eine
peinlichkeit) ach deine dummi dumm dummheit
kaschierst du leicht mit erzählenden läufen
mit witzigen schlenkern in kuckluger kuckunst
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Dieses Ding hier weicht von meinen üblichen Schreibereien vielleicht auffällig ab: Es ist extrem realistisch, tatsächlich, konkret, mit einer Sinnebene, die tief unter der Klangoberfläche spielt. Und da es ein wörtlicher Text über Musik ist, ist der Musikbezug dann eine weitere Sinnebene, eine weitere, andere Dimension windschief zur Erzählungsdimensionentiefe der wortspielenden Oberfläche.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
dmitri: "das Brummeisen zu entstauben" - welches Brummeisen? verstehe ich nicht.

Die zwei Sterne versteh ich auch nicht.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
dmity:
Wie vorwurfsvoll und dadurch eigenansprüchlich
Aber wer macht hier denn wem Vorwürfe? Das lyrische "Ich" des Titels oder der lyrische "du" des Gedichts? Soweit ich sehe, macht hier niemand niemandem Vorwürfe, vielmehr überlegt hier ein (fiktiver, gedichtsimmanenter) Pianist, was er den Eltern und Abiturienten zur Zeugnisverleihung auf der Theaterbühne vorspielen soll. Er hat offensichtlich freie Hand, hat vielleicht so etwas zwischen Lampenfieber und Versagungsängsten, wahrschenlich auch ein paar Tricks zur Inspiration-Zündung für die Improvisationsphasen seines Auftritts vor einem eifersüchtigen oder anspruchsvollen oder gar klavierfeindlichen (aber immer noch fiktiven, gedichtimmanenten) Publikum.

"eigenansprüchlich"? verstehe ich nicht, zumal nicht klar wird, auf wessen "eigen" hier welche Ansprüche bezogen werden sollen. Das lyrische Ich eines Gedichts kann so wenig Eigenansprüche haben wie ein Porträtphoto oder ein Teddybär.

grusz, hansz
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
dmity!

keine Antwort auf meine Fragen und Erklärungen?

und wie begründet sich die Bewertung als "schlecht"?
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Dieses Jahr war das zweite, in dem ich nicht mehr zur Abiturfeier den Klavierhintergrund gewoben habe. Ich saß immerhin etwa 20 Jahre am Flügel und spielte und improvisierte frei und suchte (spontan abschätzend: Wieviele stehen da in der Reihe? wie viele Sekunden wird diese Reihe brauchen?) eigene Kleinkompositionen raus, die gerade zeitlich-knapp paßten, während die Abiturienten ihre Zeugnisse mit Grußworten und Handschlag überreicht bekamen.

Mit dieser Distanz von drei Jahren bin ich nun genau in dem Sinne, in dem ich das schon oft betont habe, nur noch ein "Leser" des Gedichts, dem "Klavierspieler"-LyrDu so fremd, daß Selbstironie und Erleichterung gerade noch ein wenig Resonanz in mir finden. Ich kann mich ganz auf die lyrische Struktur einlassen, ohne das Lampenfieber des Pianisten zu belächeln, der ich ja nun mal nicht mehr bin.

Ich finde es nicht so schlecht.

grusz, hansz
 
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Aufschreiber

Mitglied
Ich finde es durchaus gut.
Erinnert mich an einige meiner Klassenkameraden - ja, ... innen auch, die dem Klavierspiel eigentlich eher in einseitiger Zuneigung begegneten, dennoch bei Gelegenheit versuchten, dem halbgeliebten Instrument Kunst zu entlocken.
Interessanterweise wirkte auch da "Dunning/Kruger".

Was meiner Interpretation widerstand war die Passage mit den erzählenden Läufen und witzigen Schlenkern, die mir mitteilte, dass das "Du" ja doch irgendwo kundig ist. - Vielleicht nur aus der Übung?

Dennoch: Ich mag es.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Lieber Aufschreiber,

kann es sein, daß Du mich mit dem Lyrdu des Textes verwechselst?
Und in einem zweiten Mißverständnis von den beiden Seelenschichten des dialektisch in sich ver-zwei-felten Lyrdu die mit dem Resignations-"Titel" ernst nimmst, die mit dem ironischen Jazz-Schlenker am Ende aber nicht?

Ich (heute, ästhetisch vom Autor distanziert) mag dieses alte Hündchen, weil es in den drei Schichten von
reflektiertem Klavierspiel,​
reflektierendem 1. Lyrdu​
und dem das erste Lyrdu reflektierenden 2. Lyrdu​
so hin- und herspielt, wie jede der drei gesonderten Schichten die beiden anderen zugleich in sich wiederspiegelt.

grusz, hansz
 

Aufschreiber

Mitglied
Hallo Mondnein,

ich denke nicht. Ich bezog mich schon auf das Lyrdu.
Ich habe ein Internat besucht, eine "Sonderklasse" für Musikpädagogik. - Da gab es eine Reihe von Schülern, denen das (Pflichtfach) Klavier(spiel) nicht sehr lag. Seltsamerweise waren das aber auch die Personen, die bei jeder Gelegenheit ihr Können präsentierten.

Das war das Bild, das Dein Text mir schuf.

Was dazu nicht passte, waren die Läufe und die Schlenker, denn die machten ja den Eindruck, dass das LyrDu doch zu mehr fähig sei, als zu dilettieren.
Die Schichttiefe des Gedanken hatte sich mir nicht so erschlossen.

Beste Grüße, Steffen.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Du hast völlig recht, aufrechter Aufschreiber,

und wer sich aufs Lyrdu bezieht, reflektiert den Pianisten und sieht die Spannung ("Was dazu nicht passte") zum Über-Ich-Reflektor mit der jazzperlenden Rechten.

Ich denke, bei mir sträubt sich was gegen die Klassifizierung eines Spielniveaus als "dilettantisch". Das heißt zwar wörtlich "liebhaberisch", aber es bedeutet "unterdurchschnittlich, kunstlos, gut gewollt, aber ..."
Erwägenswert ist es, weil diese Niveau-Schichtung vom Elementaren bis hinauf zur höchsten Pyramidenspitze im Feld der Musikwettbewerbe eine gewisse Ähnlichkeit zu der literaturkritischen Differenzierung von Gedichten hat.
Das Lyrdu ordnet sich diesen Klassifizierungen reflektierend ein, ist sich aber der Problemlage bewußt:
Die unterste Basis des elementaren Könnens wird in den ersten Zeilen aufgerufen, das wären die Zweiakkorde-Schrammer der Punks, die Dreiakkorde-Kadenzer des Bluesschemas, wie schlicht improvisierende Pianisten es ihrer linken Hand überanworten. Das Lyrdu lehnt diese bequeme Basis ab - "(das) wirst du lieber nicht den eltern um die ohren hauen".
Aber das genügt vor den Augen und Ohren des urteilsgeilen Publikums nicht. Es gibt Pianisten wie Sand am Meer, unter denen wiederum gibt es Pianisten, die Chopin und Rachmaninow runterrauschen, wie Sand am Meer, und unter denen wiederum gibt es Pianisten, die in den Wettbewerben gegeneinander antreten, wie Sand am Meer. Und unter denen wiederum gibt es die Gewinner von Wettbewerben, zahllos wie der Sand am Meer.

Einerseits.

Andererseits gab es einen John Lennon, der den Geniestreich gestrichen hat, die Akkordbasis eines Liedes auf einen einzigen durchtönenden Durakkord zu reduzieren: "Tomorrow never knows". Ich beschränke mich auf den Schluß, iterativ outfading "the end of the beginning, of the beginning, of the beginning, of the beginning". Das Ende, von dem aus alles anfängt, liegt für den Hörer im Jetztpunkt am Ende der Formulierung, von dem es immer neu auskeimt mit der Schleife "of the beginning". Raffiniert. Im Kellerloch unter der Zweiakkordebasis.
Oder ein Lied, dessen manisch wiederholte Melodie aus zwei Tönen im Abstand einer großen Terz besteht, wobei diese beiden Töne zwischen Haupttakt (Terzton oben) und einem per Synkope vorgespannten unbetonten Grundton unten hin- und hergehen.
"The sun is up, the sky is blue,
its beautiful and so are you, dear Prudence"

Das Wort "dilettantisch" habe ich schon längst aus meinem Wortschatz gestrichen.

grusz, hansz
 



 
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