ich zog nach vechta

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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
ich zog nach vechta


ich hansz aus köln zog nach vechta einst
brinkmann aus vechta den zog es nach köln
er starb an meinem zwanzigsten geburtstag
in london – da war ich noch schüler in longerich

ich schrieb une gong blang ding glang soft
pfffff sang sang ein alter luftballon
wo das tschling dlang dling njijing ding vor
bei flog ssmmm mit pep peppermint streif

das haute dich um: du verlorst deinen daimon
weil ein engel dich hütete bis du ihn überwandest
in arabesken verschlüsselt – in vechta verirrtest
du dich in parallelen schwarz torf gräben
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Hansz,

ein Gedicht über Rolf Dieter Brinkmann.
Es wird ihm gerecht und ich denke, es hätte ihm gefallen.

Liebe Grüße
Manfred
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Wenn das wahr wäre, lieber Manfred,

wäre das das denkbar höchste Lob, denn Brinkmann ist saugut. Ich kann mich mit ihm nicht messen, so wenig wie mit Jan Wagner und Ror Wolf.

Aber die Köln-Vechta-Komplementarität und Brinkmanns Unfall in London genau an meinem 20. Geburtstag - das sind schlichte Tatsachen. Auch, daß ich mich schon im Moor verirrt habe, obwohl die Gräben so stur parallel verlaufen.
Mein zweites Studium war in Vechta, deshalb habe ich dort ein Paar Jahre gewohnt.

Der Geest-Verlag in Vechta hat mich übel verarscht. Heuchelte Interesse an meinen Sonetten vor, aber die wenigen Briefe der Lektoren dort nutzten ein Pseudonym, so daß ich keinen dort persönlich ansprechen oder antreffen konnte, obwohl ich den Verlag mal besucht habe. Das übliche verlogene "Wir melden uns"-Gewäsch.

Ich habe diesen Interessefakern noch ein Hundertliederbuch geschickt, das erste, vielleicht das beste. Keine Antwort. Und einen Wettbewerbsbeitrag zum Thema "Moor" - vergessen wirs.

Es gibt natürlich einen Brinkmann-Wettbewerb in Köln. Zugelassen werden nur Autoren, die richtige Bücher in einem richtigen Verlag veröffentlicht haben.

Eigentlich bin ich ein elitärer Elitenliebhaber. Immer gewesen.
Das sind obviousichtlich die parallelen Schwarztorfgräben, in denen ich mich verirrt habe - - - ...

grusz, hansz
 

Tula

Mitglied
Hallo Hansz

Ich muß dir hier gestehen, dass ich von Brinkmann eher enttäuscht war, rein sprachlich im Vergleich zur modernen Lyrik heute irgendwie fade. Man muss die "Rebellen" von damals natürlich aus der Sicht ihrer Zeitgenossen und Zeitgeist lesen. Oder ich habe das falsche Buch gegriffen (Gedichte von 1962 - 1970). Oder ich bin jetzt schon zu alt für ihn :)

Aber dein Gedicht gefällt mir auch so, erheiternd :)

LG
Tula
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Jetzt könnte ich, lieber Tula,

mich mit Deiner retrospektiven Brinkmann-Kritik kitzeln, denn natürlich müssen wir es seit unseren Schultagen ertragen, von den selber die Schubladen volldichtenden Hunderttausenden von Deutschlehrern mit ihm verglichen zu werden: Es ist seit fünfzig Jahren unsere heilige Pflicht, kurze Flatterrandprosa zu schreiben, karge Haikus, pure Augenblicks-Blicke, Polaroidphotos des Nebensächlichen, das aber zugleich die Welt als Blakesches Sandkorn in der Hand hält. Absichtslos, natürlich veröffentlichungslos, vortragslos, denn da jeder dichtet, veröffentlicht keiner.

Ich bin ziemlich sicher, daß ich genau diese Pflicht der strengen Brinkmannepigonalität (der selbst ein Ginsberg-Epigone war) all die Jahrzehnte mein Leben lang - versäumt habe.
Zwar trieb ichs mit der Sprache, ich trieb Unzucht mit der Sprache.
Aber anders. Sinnlich, papageiengeil, formenreich.

Mein Fehler. Unverzeihlich. Das habe ich jetzt davon.

grusz, hansz
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Das in der zweiten Strophe zitierte "une gong blang ding glang soft" findet sich hier in der Leselupe:


Und auch die "Arabeske":


Der "Engel, der mich hütete" könnte meine damalige langjährige Freundin gewesen sein, eine anthroposophische Mörike-Urenkelin, deren anspruchsvolle Kritik mich für zwei Jahrzehnte verstummen ließ.
 

revilo

Mitglied
Vechta ? Kenne ich ! Brinkmann? Ein Genius ! Zu seinem Wettbewerb wurden nur veröffentlichte Autoren zugelassen ? Er hätte ihnen in die Fresse gerotzt! An deinem 20. Geburtstag? Au weia ! Cooles Gedicht !
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Natürlich, revilo,

denn er hat schon die edelsprachlichen Nachkriegsautoren der Gruppe 47 mit seinem American Pop Art Style aufgemischt.

grusz, hansz
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Dieses Ding hier oben ist das letzte Lied des achten Hundertliederbuchs, die Nr. 800.

Die Doppelnullagenten, die letzten Gedichte so eines Buches, wiederhole ich meistens als erstes Lied der nächsten frisch eingespannten Schreibmaschinenseite. Dort, als erstes Stück des neunten Hundertliederbuchs (Titel: "shi de shi") wird die Ich-Du-Polarität umgepolt, wer auch immer mit dem "du" da und hier gemeint ist.



du zogst nach vechta


du hansz aus köln zogst nach vechta einst
brinkmann aus vechta den zog es nach köln
er starb an deinem zwanzigsten geburtstag
in london – da warst du noch schüler in longerich

du schriebst une gong blang ding glang soft
pfffff sang sang ein alter luftballon
wo das tschling dlang dling njijing ding vor
bei flog ssmmm mit pep peppermint schweif

das haute mich um: ich verlor meinen daimon
weil ein engel mich hütete bis ich ihn überwand
in arabesken verschlüsselt – in vechta verirrte
ich mich in parallelen schwarz torf gräben


 
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