In der Bretagne
Er hatte alles geplant. Jetzt stand er an der Eingangstür zur Kirche an diesem Sonntag. In Plouer-sur-Rance, diesem idyllischen Ort zwischen Saint Malo und Dinan in der nördlichen Bretagne. Die Glocken begannen zu läuten, der Gottesdienst war vorbei. Die ersten Besucher traten jetzt heraus, er mischte sich direkt unter sie und verwickelte eine Frau, die er entfernt kannte, in ein Gespräch über die Predigt. Die hatte er ja zum Beginn des Gottesdienstes noch mitbekommen, er wußte daher, worum es sich inhaltlich handelte.
Für Maurice Basson war alles nach Plan verlaufen. Diverse Kontakte vor dem Beginn und vor der Kirchentür, und dann hatte er sich allein in die hinterste, in die letzte Reihe gesetzt. Da die Kirche recht gut besucht war, hatte er Glück gehabt und saß dann nahe bei der Eingangstür. Diese war mit einem schweren Vorhang versehen, der längs aufgeschlitzt war und sich fast neben seinem Sitzplatz befand. Der Zweck dieses Vorhangs bestand im Schutz vor Geräuschen, wenn sich die Eingangstür öffnen oder schließen sollte. Dazu im Schutz vor weiterem Lärm von draußen, zudem vor Wind, Luftzug, Lichteinfall während des Gottesdienstes.
Er war unter Zeugen hereingekommen, niemand drehte sich dann nach ihm um. Und jetzt war er mit den anderen Besuchern vermeintlich gerade wieder herausgekommen. Er wurde wieder gesehen, teilweise auch durch ein Kopfnicken begrüßt.
Bernard konnte zufrieden sein. Denn er, Maurice, hatte alles richtig gemacht, so wie Bernard es gewünscht hatte. Er war sein Bruder.
Die Tatsache, dass er knapp zehn Minuten während des Gottesdienstes nicht in der Kirche anwesend gewesen war, hatte niemand bemerkt, es sei denn, man hätte sich nach ihm umgedreht. Das war äußerst unwahrscheinlich, und selbst wenn, hätte es noch das " Argument Toilette" dafür gegeben. Für den Notfall. Es war alles gut geplant, gut bedacht worden. Er konnte in einem Moment, als der Pastor von der Kanzel zum Altar schritt und ihm den Rücken zuwendete, direkt hinter dem Vorhang verschwinden, denn alle Besucher waren jetzt mit dem Aufblättern ihrer Gesangbücher beschäftigt. Niemand drehte sich dabei um.
Als der Gesang dann einsetzte, konnte er leise aus der Kirchentür nach draußen treten. Jetzt blieben ihm nur ein paar Minuten bis zur Beendigung des Gottesdienstes, und da musste er ja dann wieder da sein. Aber das genügte. Der Ortskern war noch menschenleer jetzt an diesem Sonntagmorgen.
Er hatte es nicht weit, nur zwei Querstraßen entfernt lag sein Haus. Die alte Armeepistole seines Vaters aus den Zeiten der Resistance hatte er in der Innentasche seiner Jacke. Die würde er dann später entsorgen, und dafür bot sich der Fluss, die Rance, ja ideal an. Der Fluss war tief und er hatte die passende Stelle bereits vor Augen.
Bernard würde zufrieden sein. Er hatte die starke Schlaftablette bereits heute morgen eingenommen. So war es abgesprochen, bislang verlief alles wie geplant.
Die Gottesdienstbesucher verteilten sich schnell, die Glocken läuteten immer noch. Einige von ihnen - Männer und Frauen - gingen jetzt direkt in Richtung der Bar "Boit Sans Soif", Maurice schloss sich ihnen an. Ein Glas würde jetzt auch ihm guttun, der Besitzer hatte soeben die Tür geöffnet.
Zitterte er, zitterte seine Hand? Nein, er war ganz ruhig. Sein Nachbar am Tresen sprach ihn jetzt an, hatte eine Frage zum bevorstehenden Tontauben-Wettschießen am Nachmittag.
Maurice war Vorstandsmitglied des örtlichen Vereins, und heute ging es um etwas. Die konkurrierende Gemeinde aus St.Coulomb mußte besiegt werden, sonst drohte ein Abstieg in der Liga.
Maurice stand Rede und Antwort und beantwortete alle Fragen.
Die Bar füllte sich, lautes Stimmengewirr, lautes Gelächter, lautes Leben. Leben.
"Monsieur Basson! Monsieur Basson, bitte kommen Sie! Ganz schnell, bitte kommen Sie!" Madame Trudec wirkte völlig aufgelöst, als sie auf der Schwelle der Eingangstür stehen blieb und in den Raum hinein nach ihm rief. Sie war eine qualifizierte Pflegekraft, die sich um Kranke und bettlägerige Patienten in Plouer kümmerte und diese regelmäßig zu festen Uhrzeiten besuchte. Maurice stellte sein Glas ab, wand sich durch die Traube der Anwesenden zur Tür, wortlos.
"Was ist los, Madame Trudec?" fragte er dann sofort, als er im Freien war. "Was ist los? Ist etwas mit Bernard?"
"Monsieur Basson, es ist entsetzlich! Er ist erschossen worden, ein Schuss, in die Stirn! In seinem Bett! Vor etwa einer halben Stunde! Man hat ihn bereits untersucht, der Notarzt ist da......die Polizei ist da!"
Pankreas-Karzinom. Inoperabel, im Endstadium. Er wollte es so. Er wollte Sterbehilfe, auf seine Weise und völlig selbstbestimmt. Aber er wollte keine Reise in die Schweiz oder in die Niederlande. Er wollte seinen Tod hier, hier in seinem Haus. Und die Kirche, als ewiger Verweigerer der Vernunft? Ein Handlanger des Todes, wie gehabt. Überall, auch in der Bretagne.
Er hatte alles geplant. Jetzt stand er an der Eingangstür zur Kirche an diesem Sonntag. In Plouer-sur-Rance, diesem idyllischen Ort zwischen Saint Malo und Dinan in der nördlichen Bretagne. Die Glocken begannen zu läuten, der Gottesdienst war vorbei. Die ersten Besucher traten jetzt heraus, er mischte sich direkt unter sie und verwickelte eine Frau, die er entfernt kannte, in ein Gespräch über die Predigt. Die hatte er ja zum Beginn des Gottesdienstes noch mitbekommen, er wußte daher, worum es sich inhaltlich handelte.
Für Maurice Basson war alles nach Plan verlaufen. Diverse Kontakte vor dem Beginn und vor der Kirchentür, und dann hatte er sich allein in die hinterste, in die letzte Reihe gesetzt. Da die Kirche recht gut besucht war, hatte er Glück gehabt und saß dann nahe bei der Eingangstür. Diese war mit einem schweren Vorhang versehen, der längs aufgeschlitzt war und sich fast neben seinem Sitzplatz befand. Der Zweck dieses Vorhangs bestand im Schutz vor Geräuschen, wenn sich die Eingangstür öffnen oder schließen sollte. Dazu im Schutz vor weiterem Lärm von draußen, zudem vor Wind, Luftzug, Lichteinfall während des Gottesdienstes.
Er war unter Zeugen hereingekommen, niemand drehte sich dann nach ihm um. Und jetzt war er mit den anderen Besuchern vermeintlich gerade wieder herausgekommen. Er wurde wieder gesehen, teilweise auch durch ein Kopfnicken begrüßt.
Bernard konnte zufrieden sein. Denn er, Maurice, hatte alles richtig gemacht, so wie Bernard es gewünscht hatte. Er war sein Bruder.
Die Tatsache, dass er knapp zehn Minuten während des Gottesdienstes nicht in der Kirche anwesend gewesen war, hatte niemand bemerkt, es sei denn, man hätte sich nach ihm umgedreht. Das war äußerst unwahrscheinlich, und selbst wenn, hätte es noch das " Argument Toilette" dafür gegeben. Für den Notfall. Es war alles gut geplant, gut bedacht worden. Er konnte in einem Moment, als der Pastor von der Kanzel zum Altar schritt und ihm den Rücken zuwendete, direkt hinter dem Vorhang verschwinden, denn alle Besucher waren jetzt mit dem Aufblättern ihrer Gesangbücher beschäftigt. Niemand drehte sich dabei um.
Als der Gesang dann einsetzte, konnte er leise aus der Kirchentür nach draußen treten. Jetzt blieben ihm nur ein paar Minuten bis zur Beendigung des Gottesdienstes, und da musste er ja dann wieder da sein. Aber das genügte. Der Ortskern war noch menschenleer jetzt an diesem Sonntagmorgen.
Er hatte es nicht weit, nur zwei Querstraßen entfernt lag sein Haus. Die alte Armeepistole seines Vaters aus den Zeiten der Resistance hatte er in der Innentasche seiner Jacke. Die würde er dann später entsorgen, und dafür bot sich der Fluss, die Rance, ja ideal an. Der Fluss war tief und er hatte die passende Stelle bereits vor Augen.
Bernard würde zufrieden sein. Er hatte die starke Schlaftablette bereits heute morgen eingenommen. So war es abgesprochen, bislang verlief alles wie geplant.
Die Gottesdienstbesucher verteilten sich schnell, die Glocken läuteten immer noch. Einige von ihnen - Männer und Frauen - gingen jetzt direkt in Richtung der Bar "Boit Sans Soif", Maurice schloss sich ihnen an. Ein Glas würde jetzt auch ihm guttun, der Besitzer hatte soeben die Tür geöffnet.
Zitterte er, zitterte seine Hand? Nein, er war ganz ruhig. Sein Nachbar am Tresen sprach ihn jetzt an, hatte eine Frage zum bevorstehenden Tontauben-Wettschießen am Nachmittag.
Maurice war Vorstandsmitglied des örtlichen Vereins, und heute ging es um etwas. Die konkurrierende Gemeinde aus St.Coulomb mußte besiegt werden, sonst drohte ein Abstieg in der Liga.
Maurice stand Rede und Antwort und beantwortete alle Fragen.
Die Bar füllte sich, lautes Stimmengewirr, lautes Gelächter, lautes Leben. Leben.
"Monsieur Basson! Monsieur Basson, bitte kommen Sie! Ganz schnell, bitte kommen Sie!" Madame Trudec wirkte völlig aufgelöst, als sie auf der Schwelle der Eingangstür stehen blieb und in den Raum hinein nach ihm rief. Sie war eine qualifizierte Pflegekraft, die sich um Kranke und bettlägerige Patienten in Plouer kümmerte und diese regelmäßig zu festen Uhrzeiten besuchte. Maurice stellte sein Glas ab, wand sich durch die Traube der Anwesenden zur Tür, wortlos.
"Was ist los, Madame Trudec?" fragte er dann sofort, als er im Freien war. "Was ist los? Ist etwas mit Bernard?"
"Monsieur Basson, es ist entsetzlich! Er ist erschossen worden, ein Schuss, in die Stirn! In seinem Bett! Vor etwa einer halben Stunde! Man hat ihn bereits untersucht, der Notarzt ist da......die Polizei ist da!"
Pankreas-Karzinom. Inoperabel, im Endstadium. Er wollte es so. Er wollte Sterbehilfe, auf seine Weise und völlig selbstbestimmt. Aber er wollte keine Reise in die Schweiz oder in die Niederlande. Er wollte seinen Tod hier, hier in seinem Haus. Und die Kirche, als ewiger Verweigerer der Vernunft? Ein Handlanger des Todes, wie gehabt. Überall, auch in der Bretagne.
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