Louise,
das ganze Erwachsenenleben der Protagonisten in weniger als zehntausend Zeichen zu fassen ist ein sportliches Vorhaben. Es verwundert nicht, dass der Text wie TV-gehetzt rüber kommt. Ich sehe förmlich die flink geschnittenen Bilder und höre die emotionsgeladene Stimme aus dem OFF:
Damals im Ministerium und ich mit der Suppenkelle in der Hand oder mit einem Messer oder mit einem Löffel, immer den Kopf nach unten. "Was darfs sein? Eine Bohnensuppe oder lieber ein Stück Kassler?".
>Schnitt<
Und du ganz hinten in der Schlange, hungrig von den Briefen, hungrig von den Worten- "Hier, mein Fräulein. Ein ganzer Stapel Briefe oder auch nur drei oder vier Briefe." Hungrig von den Paketen, schwere Pakete, leichte Pakete, große Pakete, kleine Pakete. "Das hier sieht aus wie ein Geschenk. Finden Sie nicht auch?"
>Schnitt<
Und ich den Kopf nach unten, aber bei dir die Augen nach oben gerichtet, dich angesehen, ein Lächeln, ein paar Sätze,
>Schnitt<
schließlich ein Tanz. Deine Hände an meinem Rücken, deine Lippen an meinem Hals, und dann.
>Schnitt<
Karl und Luise, Luise und Karl.“
Der Text bleibt am flachen Profil der Figuren kleben und fliegt flott von den Lippen des Autors.
Sie (Figuren und Autor) sind berechenbar und berechnend. Keine Überraschungen: Der Alkoholiker erreicht das Delirium, ihn trifft der Schlag (Leberzirrhose wird unerwähnt auch im Spiel sein) und muss, schon dement, das Lamento seiner Frau ertragen. Und das ist schwer zu ertragen. Denn Ihr langer Monolog ist oberflächlich, unlauter und dient nur zur Vertonung der Melodie vom alten Lied: Was für eine Tragödie!
Warum sind die Briefe schwer geworden, Karl? Warum sind die Pakete schwer geworden? Warum keinen Hunger mehr, sondern Durst? Warum den Bodensee verloren, Paris, die Adria?
Der Text lässt den Figuren keinen Lebens- und Spielraum. Wäre auch gefährlich, müsste er sonst doch noch genauer hinschauen, sie aus dem Klischee herausbrechen lassen, und ihnen Individualität – das Recht auf ein ICH zugestehen. Stattdessen lässt er die Protagonistin lügen:
Mir wurde es nie zufiel mit dir, Karl. Mir wurde nichts zufiel, nicht die Spinnen, die Kröten, die Ratten, die Schlangen. Und du im Bett um dich schlagend, die Haut aufkratzend, an der Decke zerrend.
Man stelle sich vor, in welche Bredouille die Geschichte geriete, wenn die Protagonistin, jetzt wo ihr Mann keine Stühle mehr schmeißen kann, zugeben würde, dass ihr die Sucht ihres Mannes sehr wohl zuviel wurde. Dass sie sich manchmal fragte, ob sie daran Mitschuld trüge. Dass sie tausendmal geschworen hatte, bei der nächsten Eskalation, sich scheiden zu lassen, es aber nie gewagt ... Dass sie zu feige wahr, ein neues Leben zu beginnen usw.
Wie sehr der Text auf Effekte aus ist, zeigt die folgende Passage:
Ich klopfte an Türen. "Meinen Mann hat der Schlag getroffen." Ich hämmerte mit den Fäusten gegen Türen. "Macht mal jemand auf? Meinen Mann hat der Schlag getroffen." Ich zerkratzte mit den Fingernägeln den Lack der Türen. "Mach doch mal jemand auf." Aber nichts.
Die emphatische Erhitzung der Szene durch die Wiederholung („...an Türen“, „,,, gegen Türen“, „... Lack der Türen“) gelingt nur scheinbar, denn die Szene ist unglaubwürdig: Die Protagonistin würde vielmehr 112 wählen, evtl. Widerbelebungsmaßnahmen versuchen oder schlichtweg durchdrehen.
Der Schluss schmerzt:
Nichts mehr geblieben, nur noch Augen, die bitten. 'Ein Schlückchen, Luise, nur ein ganz kleines Tröpfchen. Gerade soviel um die trockene Zunge zu erfrischen.' Es ist nichts mehr geblieben, Karl, nur noch die Pflegerin heute Abend. "Er ist fertig. Dann bis morgen früh."
Trappatoni war in seinem Drama dagegen authentisch und unterhaltsam : „Habe fertig! Flasche leer!“
Fazit: Die Geschichte gefällt mir nicht. Der Text ködert den Leser mit stilistischen Manierismen, um ihn dann leer ausgehen zu lassen: knappe Lebenszeit auf das Lesen geopfert und nichts bekommen.