Ist ein Gedicht ein Gedicht?

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wenig nur lässt uns Dichter erregter diskutieren, als die Frage, ist ein Gedicht ein Gedicht?
Neben tradierten Definitionen und wissenschaftlichen Überstrukturen hängen wir immer auch einem gefühlten Gedichtverständnis nach. Schließlich geht es um viel Gefühl in der Lyrik.

In einem Antwortkommentar akzentuiert Schakim dieses Textverständnis wie ich finde sehr präzise:

„Liebesgedichte entstehen aus einem Gefühl heraus. Jeder Mensch fühlt anders. Die zwischenmenschliche Liebe läuft irgendwie trotzdem immer ähnlich ab ... Ich meine, alles wiederholt sich und die dazu verwendeten Worte auch. Liebesgedichte entstehen oft aus einem inneren Schmerz heraus oder aus innerer Sehnsucht, aus Freude ... Die Worte dafür lassen sich nicht ewig neu erfinden, die Umschreibung hat auch ihre Grenzen ... Und trotzdem gibt es abertausende von neuen Liebesgedichten!

Ein Maler, der sich durch Farben ausdrückt und seine Liebe darstellen möchte, verwendet oft Rot in allen Varianten - sollte er ein liebendes Herz nicht mehr rot malen dürfen? Ich meine, jedem muss die Gestaltung seiner Gedanken, seiner Ausdrucksweise selbst überlassen werden. Die ganze Kunst ginge flöten, wenn man überall Vorschriften beachten müsste, wie etwas formuliert oder dargestellt werden dürfte. Gerade die Kunst gibt uns die Freiheit, uns auf eine uns eigene Art mitzuteilen. „

Wird ein Text zum Gedicht, wenn er aus unseren Gefühlen entstanden, Wörter an uns bindet, in der Art und Weise, wie sie in uns entstehen?

Kunst wird es erst dann, wenn sich die Wörter einer bewussten Transformation unterziehen. Ein Gedanke, ein Gefühl darf nicht nur hinausströmen.
Ein Gedicht sollte ein Park sein. Jede Pflanze, jeder Weg geplant und sorgfältig gepflegt.

cu
lap
 

Schakim

Mitglied
ein gedicht sollte ein park sein

Guten Morgen, lapismont!

Nur kurz meine Antwort - ich könnte mir ja auch Zeit lassen -, doch die Thematik will ich nicht einfach in sich beruhen lassen.

"Ein Gedicht sollte ein Park sein. Jede Pflanze, jeder Weg geplant und sorgfältig gepflegt."

Ich denke dies wiederum ist reine Geschmackssache - Jeder empfindet Kunst anders, jeder hat eine eigene Betrachtungsweise eines Bildes, eines Objektes oder liest sich anders durch Gedichte hindurch. Natürlich ist ein Park mit angelegten Wegen ein Wandeln, ein Flanieren - nur, manchmal ist ein abenteuerlicher Dschungeltrip viel spannender und man wundert sich über die vielen kleinen und grossen Schönheiten, die man zuerst entdecken muss, man freut sich dann über die Vielfalt, die in einem Park oft unmöglich darstellbar ist. D.h. nicht alles Gepflegte muss von allen gleich gern gemocht werden. Manchen ist die Pflege ein Gräuel und manche pflegen sich selbst zu sehr. Ein gutes Mittelmass ist vermutlich die richtige Dosierung. D.h. in einem Park, in dem auch ein Unkraut sein Plätzchen finden darf und nicht alles lupenrein angelegt ist, sorgt für entsprechende Vielfalt, sorgt für entsprechende Besucher und Bewohner - wie es in der Natur eben nichts anderes als richtig ist. So sehe ich das auch mit Gedichten und anderen Kunstformen ... Nur dort, wo sich eine Vielfalt zeigen darf und man diese akzeptiert, kann es die Leute zu Schaffensphasen anregen, zur Inspiration ... Kein Mensch ist gleich, hat die gleiche Ausdrucksweise und so möchte ich das auch in der Kunst antreffen. Wenn die Kunst nur noch in eine Richtung verläuft, wird sie für mich langweilig und verliert an Interesse.

Ich wünsche Dir einen schönen Tag und danke für die Diskussion, die zum Nachdenken anregt!
Schakim
 
S

Stoffel

Gast
guten Morgen Lapismont,

es stand da aber noch etwas anderes
"...je nach Bildungsgrad.."
Das hat mir an dem Kommentar überhaupt nicht gefallen.

Der Vergleich mit dem "Park" gefällt mir auch nicht so. Zudem gehe ich, statt in einen "sauber künstlich angelegten Park" lieber in die "Wildnis". Dort entlockt mir die Natur eher ein "Ah" und "Oh-wie schön"...

Ich sage auch immer, jeder hat seine eignen Empfindungen und jeder drückt diese auf seine Art und Weise aus. Schreibe ich auch meist dazu, wenn mir persönlich mal was nicht gefällt. Ja, auch mein eigner Vergleich, das mit dem "Maler". Und auch jeder Maler hat, neben seinen eignen Farben, die er verwendet dazu noch, seinen eignen Stil. Manche sind sogar so gut, daß dieser unverkennbar ist.

Es gibt sie, die Gedichte, die mir vorkommen, als wären sie aus vielen anderen von andren Autoren, zusammengewürfelt. Ob ich das dann nur als "inspiriert-worden-sein" oder Unfähigkeit eignes zu schaffen, nennen soll, weiß ich immer noch nicht.

Wie gesagt, ein lauschiges Plätzchen in der Natur, wo ich kleine "Kostbarkeiten" entdecke, wunderschöne Zusammenspiele der Natur, entlockt mir eher Begeisterung, als eben dieser "angelegte Park".
So eben auch bezogen auf Gedichte.:)

lG
schönen Tag
Stoffel
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Worin besteht aber nun der Unterschied zwischen dem bloßen Denken und dem Gedicht?
Ein Park entsteht erst, wenn der Mensch ein Stück Natur dazu transformiert. Selbst ein Nationalpark ist eingezäunte und geschützte Wildnis.

Andererseits ist Sprache bereits künstliche Selbstreflexion, Wahrnehmung und Kommunikation.

Ist Udogi Selas Langgedicht nicht ein perfektes Gedicht?
Und ist:
"Sie sagte nur:
Ich liebe Dich!"
nur ein Satz?

In wessen Geist muss das Gedicht entstehen, die Transformation stattfinden? Des Lesers? Des Autoren?
 
F

Franktireur

Gast
Ich wage es auch mal, meinen Senf dazuzugeben

Für mich stellt sich weniger die Frage, ob und wann
ein Gedicht ein Gedicht ist; wenn ich versuche, darauf
eine Antwort zu geben, ist es einerseits meine subjektive
Meinung, und andererseits versuche ich natürlich, objektiv
nach all dem, was ich formal übers Gedicht weiß, also
anhand anerkannter Kriterien, mich einer Deutung zu nähern.

Es gibt für mich Ebenen, die qualitativ unterschiedlich
zu sehen und somit nicht zu vergleichen sind, weil auch
niemand ernsthaft auf die Idee käme, Äpfel mit Birnen zu
vergleichen. Unter qualitativ verstehe ich in diesem Zu-
sammenhang etwas wertneutrales.

Da gibt es für mich die Form-Ebene.
Ob Jamben, Hexameter, Reimgedichte, Experimentelles
bevorzugt wird ist meist Geschmacksache. Wenn ich jedoch
ein Reimgedicht schreibe, sollte ich doch darauf achten,
daß die Syntax nicht holpert, daß ich nicht nach dem Motto
agiere: "Reim Dich oder ich krieg Dich". Auch die Silben-
betonung spielt für mich eine Rolle bei einem Reim.
Unsauberkeit ärgert mich, wenn ich das Gefühl bekomme,
da wird ein Reim "erzwungen" oder der Autor/die Autorin
hat sich zu schnell mit einem "faulen Kompromiß" zufrieden
gegeben. In diesem Fall ist es für mich ein schlechtes
Gedicht, rein formal.
Dann gibt es für mich die Ebene des sprachlichen Ausdrucks.
Viele Menschen versuchen, ein Gefühl, einen psychischen
Zustand etc. in Worte zu fassen - es gibt leider viele
Beispiele hier in der LL, wo das Sprachvermögen des Autors/
der Autorin nicht ausreicht, um zu vermitteln, was
vermittelt werden soll. Sei es eine Ungelenkheit im Ausdruck,
oder das schlichtweg die geeigneten Worte fehlen. Das
wurmt mich dann ebenfalls. Denn wenn ich nicht in der Lage
bin, meine Gefühle schriftlich auszudrücken, dann sollte
ich es so lange bleiben lassen, bis ich dazu in der Lage
bin. Ein Gedicht ist kein Gespräch, indem ich auch mal
stammeln darf - sondern es sollte die Essenz dessen sein,
worüber ich mir Gedanken mache, oder unmittelbarer Ausdruck
meines Gefühls, und der sollte doch prägnant zum Ausdruck
gebracht werden.
Nächste Ebene ist für mich der Stil. Hier überkommt mich
(in der letzten Zeit häufiger) der Eindruck, um sehr wenig
wird "Viel Worte" gemacht. Wenn ich z.B. ein Gedicht über
das Schweigen lesen muß, in dem über 40 Zeilen lang Worte
gemacht werden um das Schweigen, schüttel ich nur noch mit
dem Kopf. Knapp, präzise, zumindest einen originären, dem
Gegenstand angemessenen Ausdruck erwarte ich von einem
guten Gedicht: also keine ausgenudelten Metaphern, keine
sattsam bekannten Sprachbilder, keine gewollt herbeige-
führten, gekünstelten Formulierungen - sondern ich möchte
die Authentizität spüren können. Oft merke ich beim Lesen,
daß hier jemand versucht, ein authentisches Gefühl rüber-
zubringen und finde es dann bedauerlich, wenn die dazu be-
nutzten Worte einen "schalen" Beigeschmack geben.
Das Arbeiten mit Superlativen und Steigerungen bis zum Erbrechen erzeugt in mir Brechreiz, völlig unabhängig vom
Inhalt und der inhaltlichen Aussage des Gedichts. Dann
kommt in mir sehr rasch der Verdacht auf, daß hier Gefühle
herbeigeredet/herbeigeschrieben werden, die es so in echt
gar nicht gibt, also "bloße Sentimentalität" statt echtem
Gefühl, echter Emotion.
Ein Gedicht ist für mich zudem Wortkunst, es wird in sehr
komprimierter Form etwas zur Sprache gebracht, und das muß
eben sitzen. Weitschweifigkeit ist hier noch weniger er-
träglich als bei Prosa (und auch da nervt sie mich schon).
Viele scheinen zu meinen, daß es bereits ausreicht, eine
bloße, oft auch noch unreflektierte Gefühlsstimmung in ein
paar hübsch und gewichtig klingende Zeilen zu bringen, die
sogenannten Alltagsworte durch hochtrabende Worte zu er-
setzen, und das Ergebnis dann "Gedicht" nennen zu dürfen.
Da sträuben sich mir die Nackenhaare. Auch Gedichte sind
zu einem gewissen Grad handwerkliche Arbeit. Niemand käme
auf die Idee, sich ein Musikinstrument zuzulegen und ohne
Übung, ohne sich mit der Materie auseinanderzusetzen, ohne
sich Background anzueignen, mit diesem Musikinstrument auf
die Bühne zu steigen, um dann ein Lied darauf vorzuspielen. Aber bei der Schreibe ist das schon okay, da kann man das
so machen... bei Prosa wird noch zugegeben, daß man auch
Handwerkszeug benötigt, doch bei Gedichten erstaunlicherweise
so gut wie nie. Dafür habe ich keinerlei Verständnis. Ja,
ich finde eine solche Grundhaltung sogar hochgradig be-
dauerlich.
Mit Bildung hat das alles nichts zu tun. Wenn ich mich
ernsthaft mit dem Wort beschäftige, erweitere ich automatisch meinen Wortschatz. Ich versuche, hinter die spezielle Bedeutung eines Worts zu kommen, um mich besser, treffender, präziser ausdrücken zu können usw. usw. - es
liegt also allein an mir selbst, ob ich "schlampig" arbeite
oder nicht, völlig losgelöst von Theorien, Schulbildung
und dergleichen.
Viele Gedichte sind allein deshalb nicht gut, weil sie (in
diesem Sinne) schlampig gemacht sind. Und da frage ich mich:
Wenn einem das Wort, die Möglichkeit, sich kraft Worten
auszudrücken, soooo wichtig und teuer ist, warum agiert man
dann mit der Materie so schluderig? Mich macht das rasend.
Trotz meiner aufwallenden Emotionen habe ich versucht, so
sachlich zu sein, wie es mir unter den Umständen möglich
ist beim Versuch, zu erklären, was für mich ein Gedicht ist.
Und ich bin sehr gespannt, wie die Diskussion weitergeht.
 
S

Stoffel

Gast
Für mich kann ein Gedicht ein "Gedicht" sein (Feinschmeckermässig gesehen):)

Ich hab in den Jahren etwas hier in der Lupe von anderen gelernt, darauf baue ich meine neuen Gedichte auf.

Mei, es gab Leute, die sagten zwei Zeilen und ich sage:
"DAS isses!"
Andre sagen dies in 4 Strophen.

Hat ein Gedicht viele Strophen, so muss es MICH in den ersten zweien "packen"(fesseln), sonst verliere ich die Lust auf mehr...denn manche packen das, was sie sagen wollen in 6 und es hätten drei genügt.

Mit Sicherheit sind eben (wie ich es lernte und weiter lerne) Grundregeln einzuhalten. Aber was dann hinein gepackt wird, das liegt doch am Autor?

"Sie sagte nur
Ich liebe Dich"

Das ist für mich nur ein Satz. Wenn es für den Autoren auch eine Empfindung ist. Es ist ein Satz, wie es eine Million andre am Tag auch sagen. DARUM ist es für mich nichts besonderes.
Natürlich kann ich als Leser suuuuperviel zwischen den Zeilen rein packen.
Das ist oft dasm, was mich an manchen ärgerte. Erst die Leser haben aus einem "Gedicht" etwas werden lassen, ihm einen Sinn gegeben und der Autor pflichtet bei..etwas, was er selbst vorher NIE sah:

"jaaa...das habt Ihr richtig gelesen..SO isset!"

Für mich gibt es wenig wirklich gute Gedichte. Ich hab aber schon Bücher gekauft, wo ich echt nur ein oder bis fünf Gedichte gut fand, der Rest war..naja.
Dann lese ich hier von jemand was....das ist wesentlich besser.Und der..der hat kein Buch draussen.

Alles, so denke ich, ist auch Empfindungssache, auch abhängig von der eignen "Tagesform", wie empfänglich man ist. Lebe ich grad in Trennung, dann werde ich sicher ein Gedicht, wo der Mann ein Arsch drin ist..toll finden..
War nur ein Beispiel.

lG
Stoffel
 

Schakim

Mitglied
Bildung

@Franktireur

"Mit Bildung hat das alles nichts zu tun. Wenn ich mich
ernsthaft mit dem Wort beschäftige, erweitere ich automatisch meinen Wortschatz. Ich versuche, hinter die spezielle Bedeutung eines Worts zu kommen, um mich besser, treffender, präziser ausdrücken zu können usw. usw. - "


Ich ergänze Deinen "Senf" mit Ketchup, damit es eine zweifarbige Spur ergibt. Natürlich hat es auch etwas mit Bildung zu tun! Mit einem breiten Horizont lässt sich mehr anfangen als mit einem engen, d.h. je komprimierter jemand ein Wissen besitzt und dies auch noch sprachlich bildhaft umzusetzen weiss, desto "vollendeter" kann ein Gedicht werden. Es muss natürlich nicht ... Vom Leser verlange ich genau dasselbe. Es braucht nicht nur Empathie, sondern auch ein gewisses Quantum an Wissen, um sich mit entsprechenden Gedichten auseinander zu setzen. Es gibt Gedichte - hier in der Lupe - mit Spezialwissen. Also versteht sie nur einer, der dieses Wissen hat! Es braucht aber nicht unbedingt das breiteste Wissen, um ein grossartiges Werk niederzuschreiben. Dazu kann auch wenig an Bildung genügen, wenn jemand fähig ist, durch eine gewählte Wortwahl ein geschriebenes Kunstgebilde hinzuzaubern. Ich gehe davon aus, dass ein Strassenfeger, ein Maurer, ein Tellerwäscher andere Horizonte besitzt als beispielsweise ein Börsenmakler, ein Lehrer, ein Pharmazeut usw., d.h. nicht dass diese Leute schlechter schreiben als die mit "mehr" Bildung, doch sie werden vermutlich anders schreiben, vielleicht eine einfachere Wortwahl wählen ... Abwertend ist dies gegenüber keinem Autor gemeint. Es geht mir einfach darum, dass jemand mit mehr oder weniger Bildung andere Perspektiven wahrnehmen kann.

Schakim
 
F

Franktireur

Gast
An Schakim

Mit dem, was Du sagst, hast Du recht.
Aber Du hast mein Zitat auch ein bißchen
aus dem Zusammenhang gerissen.

Sorgfalt, die Suche nach dem treffenden
Ausdruck, das Arbeiten und Feilen an
einem Wortwerk hat m.E. nach tatsächlich
nicht so viel mit Bildung zu tun - das
hat eher etwas mit der inneren Einstellung
zu dem, was man tut, zu tun.

Das wollte ich damit zum Ausdruck bringen.
Vielleicht hätte ich das Wort "Bildungsgrad"
oder den Begriff "Formalbildung" verwenden
sollen, damit es nicht falsch verstanden wird.

Weil - wie gesagt - da gebe ich Dir uneingeschränkt
recht: Wer sich nicht selbst (weiter)bildet, der
kann natürlich keinen Fortschritt erzielen.

Doch was mir an Wissen fehlt, weil es mir z. B.
nicht in der Schule vermittelt wurde, kann ich
mir durchaus in Eigeninitiative aneignen.
Und da weiß ich sehr genau, wovon ich rede.
 

Schakim

Mitglied
Wo findet Transformation statt?

@lapismont

In wessen Geist muss das Gedicht entstehen, die Transformation stattfinden? Des Lesers? Des Autoren?

Ich denke es gibt zwei Ebenen. Die eine bildet der Autor, denn von ihm stammt das Gedicht, die andere kommt vom Leser, denn dieser interpretiert ... Nun stellt der Leser des öfteren Vermutungen an, die meist in Richtung persönlicher Natur gehen. Der Leser nimmt das Gedicht nicht als reines Gedicht wahr, sondern versucht sich sofort den Autor hinter den Gedanken vorzustellen. Er schreibt ihm sozusagen den Protagonisten in die Seele. Doch der Autor, der sein Gedicht geschrieben hat, muss nicht zwingend gleichzeitig der Protagonist des Gedichtes sein. Er hat seinen Spielraum ... Er nutzt das leere Blatt oder den Bildschirm als Spielfeld und lässt darauf seine Figuren das Laufen lernen. Click. Antworten segeln ins Haus - angriffiger Natur, liebevolle Lobesworte, Kritik zum Inhalt, zur Form, zum Ausdruck ... - und entweder gibt er darauf eine Antwort oder er lässt alles im luftleeren Raum stehen. Interessant ist es für den Autor, wie andere seine Werke lesen, was sie daraus lesen und ob sie sich auf seiner Ebene treffen, oder ob sich die Ebenen durch einen Niveauunterschied differenzieren.

Bildhaft gesprochen lässt der Autor sein Schiff in die Schleuse einfahren. Der Schleusenwart (in dem Moment wären das die Gedanken) sorgt dafür, dass sich der Wasserspiegel hebt oder senkt und das Schiff wieder am anderen Ort problemlos rausschwimmen kann. Gelingt das, so haben sich Autor und Leser auf einer Ebene getroffen, gelingt das nicht, so bleiben die Ebenen unterschiedlich und es kann eine Diskussion entstehen - es kann! Nicht es muss! Es kommt darauf an, wie wichtig es einem Autor erscheint, über sein Gedicht diskutieren zu wollen.

Es gibt die sogenannten kreativen Schaffensphasen, die allen bekannt sind; sie entstehen oft in einem Stimmungstief oder in einem Stimmungshoch. Natürlich kann man nicht erwarten, dass ein melancholisch gestimmter Autor himmlisch erheiternde Gedichte schreibt. Ebenso kann man von einer aufgedrehten Person nicht erwarten, dass sie sich mit Trübsal blasenden Gedanken versucht auszudrücken. Was will ich damit sagen. Es gibt Gedichte, die aus einem seelischen Zustand heraus entstehen - die Kategorie der Liebesgedichte sei hier stellvertretend -, die vielleicht gerade weil diese Person glücklich oder unglücklich ist, diese Stimmung auf den Leser übertragen können. Trifft es Leser, die in ähnlicher Situation stehen, so wandern die Gedichte eher auf diese gemeinsame Ebene.

Sich mit Worten auszudrücken - mit Poesie oder ohne - ist jedenfalls für mich immer noch reine Geschmackssache. Der eine liebt ein Sammelsurium an beschönigenden Worten, der andere drückt sich lieber mit weniger aus. Der eine trinkt gerne Tee mit viel Zucker, der andere mit wenig oder überhaupt ohne. Und wieder ein anderer mag lieber schwarzen Kaffee ... Freie Konsumwahl sei auch hier angebracht - ohne Neid, ohne Hass aber mit Toleranz!

VG
Schakim
 
P

Parsifal

Gast
Gedichte sind gemalte Fensterscheiben

Hallo Franktireur,

bei all den Diskussionen über Gedichte vermisse ich in der LL einen zentralen Begriff: die Musikalität. Wer ein Gefühl für Melodie der Sprache und Rhythmus der Struktur eines Gedichts besitzt, benötigt keinerlei Kenntnisse der Metrik. Diese Begriffe wurden erst von Wissenschaftlern geschaffen, die Gedichte zergliederten und ihre Strukturen untersuchten; mit Hilfe metrischer Begriffe kann man sich kurz und genau über besimmte Gegebenheiten eines Gedichtes unterhalten – mehr aber auch nicht!

Mit Gedichten verhält es sich ähnlich wie mit der Musik: früher war es üblich, Künstlern (meist Pianisten) Themen zum Fantasieren zu stellen und die Kunst der Ausführung zu bewundern – siehe Bachs berühmtes „Musikalisches Opfer“ (Friedrich d.Gr. hatte ihm ein Thema gestellt, das er aus dem Stegreif als sechsstimmige Fuge spielen sollte). Bach hatte also gar keine Zeit, sich Gedanken über die mögliche Planung zu machen. Ebenso findet ein Dichter die angemessene Form für das, was er sagen will. Mir ist momentan nur ein einziges Beispiel bekannt, an dem man die Entstehung eines Gedichts von Stufe zu Stufe verfolgen kann: Conrad Ferdinand Meyers „Der römische Brunnen“, von dem allgemein nur siebte! endgültige Fassung bekannt ist; insgesamt hat Meyer 22 Jahre an diesem Gedicht gearbeitet. – Deshalb ärgert es mich besonders, wenn jeman in der LL sagt, er habe einen Tex oder ein Gedicht „mal eben so hingeschrieben“. Das hat möglicherweise Heine gekonnt - aber vielleicht sehen seine Gedichte auch nur so aus, als seien sie aus dem Ärmel geschüttelt worden.

Was Deine Forderung nach knappem, präzisem Ausdruck (und dabei noch unverwechselbarem Stil) betrifft, so kannst Du das bei Wilhelm Busch studieren.

Zum Beispiel des Schweigens (bzw. der Ruhe) kenne ich kein großartigeres Gedicht als Goethes „Ein gleiches“ (Über allen Gipfeln ist Ruh), an dessen Vertonung sogar Schubert gescheitert ist, indem er nicht ohne Wiederholungen auskam und damit die Form des Gedichts zerstörte.

Ich möchte mit einem Auszug aus Oskar Loerkes „Das alte Wagnis des Gedichts“ schließen – das aber keinen Freibrief für holprige Gedichte darstellt:

„Ich begriff weder den Text, noch verstand ich die Musik. Und doch war, was man da absang, das geheimnisvoll herrliche Lied:

Wachet auf, ruft uns die Stimme
Des Wächters sehr hoch auf der Zinne.

Nur eines beseligte mich so tief, daß ich davon bis auf diese Stunde verwandelt bin: der Reim Stimme - Zinne. Was war eine Zinne, und wes Wesens war die rufende Wächterstimme darauf, noch oben? Verbundenen Auges gleichsam hatte sich der Geist auf einen langen dumpfen Weg gemacht, er bangte und wußte nicht, von wem und wohin er geleitet wurde, bis er plötzlich in dem Klange „Stimme“ stehenblieb und in weihevoller Innenschau sehend geworden war. Darauf, nach einer Stille, in diesem magischen Klanggesicht nochmals einen langsamen Stufengang emporgezogen, verhielt er sanft und doch jubelbrausend ganz oben auf der Zinne. Der lautlich unvollkommene Reim hatte seine kindliche und göttliche Weisheit verkündet. Er spiegelte in seinem Spiegel nachträglich den Umriß der Melodie und einiges von der Andacht des Gedichtes. Hatte die Musik, die allerdings den wunden Wortreim völlig heilt, auch mitgeholfen, seinen in einem Jenseits schlummernden Zauber zu wecken, so bin ich doch gewiß, daß sie für sich allein ihn nicht aufgeschlossen hätte. Wartet nicht Musik in der Nachbarschaft jedes Reimes? Aber ist nicht auch er immer auf der Lauer, seinen süßen Saft auf den bloßen Schall zu übertragen, damit er sich sittige und sich Puls, Herz und Hirn einfallen lasse? Es gibt nichts lösbares Einzelnes am Kunstwerk. Dem widerspricht nicht, daß der an mehreren Stellen der Erde autochton entsprungene Reim in seiner Kindheit zunächst ungeschickt, tappig, albern sein kann, ganz äußerlich und sehr töricht. Das Reimende in der Welt ruft zuerst die Namen der Dinge, und dann ruft der Reim die Dinge selbst bei ihren Namen. […] Ähnlich stark wie zum ersten Male erlebte ich den Ursinn des Reimes an einem anderen Kirchenliede, wenngleich mich hier schon die Musik wie an Kriegerfäusten fortriß.

Ein feste Burg ist unser Gott,
Ein gute Wehr und Waffen,
Er hilft uns frei aus aller Not,
Die uns jetzt hat betroffen.

Lauter unreine Lautverbindungen wieder, dieses Gott - Not, Waffen - betroffen, aber genau ins Ziel geschleuderte Klangklötze. Ich weiß nicht, wie weit Luthers Mundart, Landschaft und Zeit die aus der Gleichheit fortstrebenen Vokale einander angenähert hat (wie etwa für Goethe manches für uns unrein Gestimmte reingestimmt war, weil er frankfurtisch sprach), jedenfalls hat in vierhundert Jahren kein Krieg und keine Revolution das kreuzweise Bündnis der vier Wortmächte Luthers auseinandertreiben können. Betroffen und Waffen bleiben verschworen, Not und Gott halten sich in vertrauenden Eide fest für immer. Der wuchtend zu ihnen hinabschreitende Rhythmus vollends macht die vier Führer zu unerschrockenen und unbesieglichen Riesengestalten. [...]“


Parsifal
 
F

Franktireur

Gast
An Parsifal

Die Musikalität betreffend...
Da rennst Du bei mir offene Türen ein,
da ich Gedichte sehr selten lautlos lese.
Ich spreche sie vor mir her und da entsteht
schon von selbst eine gewisse Rhythmik.
Allerdings fällt dann auch sofort auf,
wenns doch arg holpert.

Dein Beispiel zu Bach stützt ja noch
meine Anmerkungen: Denn was wäre dabei
herumgekommen, wenn Bach nicht hätte
spielen können und auf keinerlei angeeignete
Kenntnisse und Fertigkeiten hätte aufbauen
können - ich bezweifle, daß das Ergebnis
dann auch nur halb so gut gewesen wäre.

Auch ich sitze ja nicht da und arbeite
mit Wörterbuch, Lineal, Lehrbüchern an
einem Gedicht. Ich habe eine Idee, die
notiere ich, dann probiere ich herum,
bis ich die passende Form gefunden habe,
na und dann wird erst gefeilt.
Aber ein Gedicht so dahinwerfen, passiert
hier und da, sehr selten allerdings -
und meist ändere ich doch noch etwas,
wenn auch vielleicht nur winzige Kleinig-
keiten (dazu muß ich es aber mal ein paar
Tage liegen lassen können, um die nötige
Bearbeitungs-Distanz zu bekommen).
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Die Melodie ist eine Seite des Gedichts. Nur ist damit die Zukunft eines Dichters besiegelt, der unmusikalisch ist?
Kann man ein Wort nicht zu voller Kraft entfalten, in dem man es gezielt falsch betont?
 
S

Stoffel

Gast
Hallo,

dann sind mir der "ungebildeten" Dichter Gedichte lieber, da ich sie besser verstehe, weil nicht so viel drin vorkommt, von dem ich..zum Teil "Ungebildete" nichts weiß.*smile*
Ich mag Gedichte nicht, zu denen ich ständig im google rum suche, um das mir die vielen Begriffe erklärt werden.

Musikalisch..mei, ich habe eine sehr gute Stimme, sagt man, aber dennoch bin ich wohl leider doch unmusikalisch. Mir fehlt es oft an Taktgefühl *g*.
Spass beiseite.Es ärgert mich auch.

Ich kann aber sehr sehr gut vorlesen und bringe meiner Tochter gutes Vorlesen für die Schule bei.

Es stand mal wo, "Schreiben ist ein Handwerk" und so denke ich, kann man dieses Handwerk auch erlernen. Früher reimte ich drauf los, heute, nachdem ich viel von anderen lernte, achte ich auf Regeln. Gelingt nicht immer, aber ich lern ja noch.
Ausserdem denke ich mal, bedarf es einfach Einfühlungsvermögen, eher als Musikalität, um ein Gedicht gut und richtig zu lesen.Meine Meinung.

lG
Stoffel
 
P

Parsifal

Gast
Die Melodie ist eine Seite des Gedichts. Nur ist damit die Zukunft eines Dichters besiegelt, der unmusikalisch ist?
@ lapismont

Ich glaube nicht, daß ein Dichter (Lyriker) wirklich unmusikalisch sein kann (erspare mir bitte eine Diskussion über Musikaltät – das ist zu vielschichtig). Daß man richtig singen kann, hat damit überhaupt nichts zu tun. Es gibt Aufnahmen zweier genialer Musiker, die beim Musizieren mitsingen: Arturo Toscanini beim Dirigieren und Glenn Gould beim Klavierspielen, und beide tun es grauenhaft falsch.
Kann man ein Wort nicht zu voller Kraft entfalten, in dem man es gezielt falsch betont?
Nein, das glaube ich nicht. Aber vielleicht kannst Du ein Beispiel geben, das Deine These untermauert.

@ Stoffel

Es geht hier nicht ums Lesen eines Gedichts, sondern ums Schreiben, und da geht es nun mal um Rhythmus und Sprachmelodie.

dann sind mir der "ungebildeten" Dichter Gedichte lieber, da ich sie besser verstehe, weil nicht so viel drin vorkommt, von dem ich..zum Teil "Ungebildete" nichts weiß.*smile*
Ich mag Gedichte nicht, zu denen ich ständig im google rum suche, um das mir die vielen Begriffe erklärt werden.
Dazu hätte ich gern wenigstens ein Beispiel. Mir ist noch kein Gedicht untergekommen, bei dem ich ein Lexikon hätte zu Rate ziehen müssen.

Daß Schreiben Handwerk ist, trifft hauptsächlich auf Journalistisches zu. Verbreitet wurde diese Ansicht durch die amerikanische (äußerst profitable) Heilslehre des „creative writing“. Ich frage mich nur, wie unsere großen Schriftsteller ohne derartige Kurse auskommen konnten – und warum nach Erfindung dieser Geschäftsidee keine bedeutenden Schrifsteller aus diesen Kursen hervorgegangen sind.

„Genie ist zu 1 Prozent Inspiration und zu 99 Prozent Transpiration“ (Menzel). Das klingt prägnant, trifft aber den Kern der Sache nur teilweise. Als Schubert mit 17 Jahren „Gretchen am Spinnrad“ schrieb, mit 18 Jahren seinen „Erlkönig“ und die 2. und 3. Sinfonie, sagte sein Lehrer: „Der kann von mir nichts mehr lernen – der hat’s vom lieben Gott“. – Wenn man Kunst lernen kann, wie kommt es dann, daß die Kompositionen vieler Dirigenten doch nur „Kapellmeistermusik“ geblieben sind? Und was für die Musik gilt, gilt in gleichem Maße für Malerei und Dichtung.

L G
Parsifal
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Die Klangmelodie eines Wortes mag für viele eine eindeutige Notation haben, mir ist eine derartige Einfachheit nicht gegeben.
In acht von zehn Fällen benenne ich Hebungen falsch. Das macht mir gewisse Reimformen zur Qual, bestimmte Worte muss ich ihrer Betonung nach vorsondieren.

Nimm das Wort Hebung selbst. Die erste Silbe sollte betont sein. Ein sich öffnendes Wort, dem Kontext angepasst.
Betont man die zweite Silbe, entsteht ein rundes, abgeschlossenes Wort, das Kartoffelkäfergleich eine Art unsittliche Hülle bildet.
Ich empfinde es als deutlich stärker und machtvoller so.

Die Unmusikalität bezieht sich hier tatsächlich nicht auf das Singen, sondern auf das Erkennen von Betonungen, Parsifal.

Ein Text, der mit lyrischem Handwerkszeug bearbeitet wurde, wird zum Gedicht?
 
P

Parsifal

Gast
"Ein Text, der mit lyrischem Handwerkszeug bearbeitet wurde, wird zum Gedicht?"

Das habe ich nie behauptet. Sonst müßte - bei entsprechender Handhabung des "lyrischen Handwerkszeugs" aus der Meldung „…leichter Bodennebel, nach Auflösung aufklarende Nacht“ ein Gedicht wie Claudius’ „Der Mond ist aufgegangen“ entstehen können – vielleicht kein so meisterhaftes, aber doch wenigstens annähernd.

Parsifal
 

Schakim

Mitglied
Seid mir gegrüsst!

Das Handwerkszeug ist ein Aspekt. Was man damit macht, wie man damit umgeht, ein nächster.

In der Musik herrschen Noten vor. Heutzutage sind Noten zwingend, um sich mit einem ausgewählten Instrument durch die Liedersammlung zu boxen. Heisst das nun, dass ein Klavierspieler auch Cello spielen kann? Nein! Er kann die Noten hingegen lesen und daraus innerlich einen Melodieablauf wahrnehmen.

Ein Sänger beherrscht genauso die Notenlesung. Seine Stimme aber ist unverkennbar für Soul, für Rock, für Opern oder für den Countrystil programmiert. Zumeist bleibt der Sänger, hat er seine Richtung gefunden, dieser Richtung treu.

Ein Kunstmaler muss verschiedene Dinge über Farben, Farbmischungen, Malgründe, Pinsel, Spatel, Spachtel, Rollen usw. kennen inklusive die verschiedenen Drucktechniken wie Siebdruck, Radierung, Lithographie usw. Muss er auch mit allen Utensilien umgehen können? Freie Kunst verlangt in ihm die Wahl nach dem von ihm am meisten geschätzten Malgrund, Werkzeug und Farben. Malt er dauernd in Öl, wird er vermutlich ein schlechter Aquarellmaler sein, weil er sich in diesem Gebiet zu wenig geübt hat. Die Malweise in Aquarelltechniken unterscheidet sich zur Ölmalerei enorm! Muss er die Drucktechniken beherrschen? Wohl kaum, wenn er lieber den Pinsel schwingt ...

Ein Fotograf, der sich auf Schwarz-Weiss-Fotografie spezialisiert hat, muss der zwingend auch schöne Farbfotografien herstellen? Er kennt die Vorgänge, hat das fotografische Auge, weiss den Bildausschnitt zu wählen, aber ob er den Umgang mit den Farben immer noch so gut beherrscht, seit er nur noch Schwarz-Weiss fotografiert? Fraglich ...

Digitalfotografie erschliesst neue Bildgestaltungen ... Verfremdungseffekte ... Kann dies ein herkömmlicher Fotograf anwenden? Nur wenn er sich entsprechend weiter bildet. Sonst klafft in ihm eine Wissenslücke und er scheitert in der Praxis.



Ist das alles auch für die Poesie anwendbar?

Ich denke, es ist wichtig zu wissen, was alles möglich, machbar ist. Welche Reimformen es gibt. Ob überhaupt in gereimter Form geschrieben werden will oder eher im Prosastil. Wichtig für die Poesie ist das Bild, das man vermitteln will. Dazu braucht es vor allem Worte, viele Worte. Zum Teil entstehen neue Worte, beeinflusst durch die Sprachenvielfalt, die unsere Welt beherrscht, beeinflusst durch allgemein neue Wortfindungen, die in die Alltagssprache integriert werden. Wichtig ist die Ausdrucksweise, die klanghafte Züge annehmen kann. Von Autor zu Autor wird das stark varieren.

Ein virtuoser Geigenspieler unterscheidet sich von einem andern durch die Behandlung seines Instrumentes mit seinen Fingern, durch die Gefühle, die er in sein Instrument hineinlegt. Ein Musikstück bekommt durch den Spieler erst einen Charakter. Ein Gedicht bekommt durch seinen Schreiber, der es in eine Form packt, erst seine blühende Aussagekraft - oder auch nicht natürlich. Hinzu kommt die Empathie des Lesers. Trifft er sich auf der Ebene des Dichters oder trifft er sich dort nicht ... Die eine Musik gefällt vielen, die andere nur wenigen. Mit Gedichten verläuft es ähnlich ... Das heisst aber nicht, dass deshalb die Musik bzw. das Gedicht schlechter oder besser sein muss. Oft ist alles eine Frage des Geschmacks.

An einem Gedicht nur noch herumfeilen, wirkt irgendwann zerstückelt. Es ist wie bei einem Holzbildhauer, der immer mehr aus einem Stück Holz herausschälen will. Die Späne liegen um ein Werk und das Werk wird kaum mehr sichtbar, weil schon zuviel weggeraspelt wurde ... Es bleibt trotzdem etwas, das noch die Bezeichnung Werk tragen wird, aber die Wirkung geht verloren, die es hätte haben sollen.

Ich vermute, dass die vielen Poeten, die wir heute als Vorbilder konsumieren, sich nicht dauernd mit dem "Handwerkszeug" beschäftig haben, sondern vor allem mit dem Umsetzen ihrer Gedanken. Sie haben sie niedergeschrieben und wollten damit etwas aussagen. Sie haben den Gedichten teilweise Melodien verpasst, die nachempfindbar sind und deshalb auch gut. Sie haben mit gewählten Worten "Bäume zum Blühen" gebracht, die ohne ihre Worte als nackte Skelette, scharf wie Spere in der Welt gestanden hätten. Sie haben uns, den Nachkommen, ein Blumenbeet gepflanzt, in das wir mit Freuden täglich blicken können, weil die Blumen unsterblich geworden sind. Sie blühen ewig weiter.

Seid mir gegrüsst!
Schakim
 
S

Stoffel

Gast
guten Morgen,

Parsifal...
ok, verstehe. Aber wenn ich ein Gedicht nicht mal richtig lesen/betonen kann, bin ich dann in der Lage überhaupt selbst eins"richtig" zu schreiben?
Ich kann dir kein Beispiel nennen, was Gedichte und googlesuche dazu oder Lexikonsuche angeht, aber ich achte ab jetzt mal drauf und merke es mir.
Ich las etliche Gedichte, wo nur so herum geworfen wurde mit Fremdwörter. Ok, bin ich zu ungebildet zu, es zu verstehen. Ist meine, nicht Schuld des Dichters.*smile*

"Schreiben ist ein Handwerk", da gab es hier aber auch schon Diskussionen drüber. Und jemand hatte das mal als Fusszeile. Aber WAS ist denn das Handwerk? Ist damit nicht auch schon gemeint, z.B. die Silbenzählung? WAS wäre das "Handwerkszeug"? vielleicht verstehe ich es auch falsch.
Den Prozentsatz der "Inspiration" würde ich bei mir erhöhen.

Lapismont,
WAS ist das dann was wir hier machen? Ich meine die Textarbeit. Manchmal dachte ich, mein Gedicht ist doch fertig.Dann aber durch andere, feilt man hier und da, bis es "fertig" ist und nicht mehr dran gemacht werden KANN.

Schakim,
teilweise gebe ich dir Recht.

Man kann teilweise Vergleiche ziehen zu Malern, Bildhauern, etc..
Wenn ich aus Holz was geschnitzt habe, dann kann ich sicher die Späne nicht mehr drankleben und die Figur verändern. Mit Gedichten, an denen man arbeitet sieht das doch aber anders aus.
Malerei...ist auch ein Handwerk. Dazu aber muss man sich etwas besser mit der Materie auskennen, um zu erkennen, ob etwas nur handwerklich schlecht dahin geschludert, oder es wirklich eine gute Arbeit ist.(über das Thema rede ich oft mit meinem Exmann, da er Kunstmaler ist.Der jetzt wieder sprachlos war über manch "Schmierfinken, die tatsächlich in Galerien zu finden sind)

Ansonsten denke ich dazu noch...
wenn ich Schuhvertreter bin, muss ich wissen, wie er hergestellt wird, muss die Ledersorten anhand der Narbungen erkennen, von welchem Tier sie stammen,etc...und ich muss sicher nicht wissen, wie ein Schwein geschlachtet wird und die Wurst in die Pelle kommt. *lach*

lG
Stoffel
 
P

Parsifal

Gast
An einem Gedicht nur noch herumfeilen, wirkt irgendwann zerstückelt. Es ist wie bei einem Holzbildhauer, der immer mehr aus einem Stück Holz herausschälen will. Die Späne liegen um ein Werk und das Werk wird kaum mehr sichtbar, weil schon zuviel weggeraspelt wurde ... Es bleibt trotzdem etwas, das noch die Bezeichnung Werk tragen wird, aber die Wirkung geht verloren, die es hätte haben sollen.
@ Shakim
Die Frage kann man nur mit einem eindeutigen Jein beantworten. Es gibt nämlich unter den Plastikern auch Künsler wie Rodin, die überwiegend in Bronze gearbeitet haben. Das Skizzenhafte und Fragmentarische des Bildganzen steigerte Rodin häufig durch die Reduktion auf einen Torso und arbeitete mitunter nur elementare Züge heraus. Hier gilt also: weniger ist mehr. Und am Beispiel von Conrad Ferdinand Meyer zeigt sich, daß Nietzsches Forderung, an einem Satz Prosa zu meißeln wie an einer Bildsäule, ebenso auf Lyrik zutrifft.


Der römische Brunnen

Auf steigt der Strahl und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede gibt und nimmt zugleich
Und strömt und ruht.

C.F.Meyer


Zum gleichen Thema R.M.Rilke

Römische Fontäne

Zwei Becken, eins das andre übersteigend
aus einem alten runden Marmorrand,
und aus dem oberen Wasser leis sich neigend
zum Wasser welches unten wartend stand,

dem leise redenden entgegenschweigend
und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand,
ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend
wie einen unbekannten Gegenstand,

sich selber in der schönen Schale
verbreitend ohne Heimweh, Kreis aus Kreis
nur manchmal träumerisch und tropfenweis

sich niederlassend an den Moosbehängen
zum letzten Spiegel, der sein Becken leis
von unten lächeln macht mit Übergängen.

Es ist eine persönliche Geschmacksfrage, wenn mir Meyers Gedicht besser als das von Rilke gefällt, dessen Sprache mir manchmal etwas zu pretiös ist.

Meyers Gedicht steht für sich, auch wenn man nicht weiß, daß es insgesamt sieben Fassungen gibt. Die Mühe, die aufgewendet wurde, darf nie Gradmesser für ein Kunstwerk sein. Der Unterschied zwischen dem Genie und dem Handwerker ist der, daß das Genie weiß, wann ein Kunstwerk fertig ist.

Noch eine Bemerkung zu Kunst und Kunsthandwerk (erspart mir bitte den genauen Nachweis, dazu ist das Buch zu dick): Egon Friedell weist in seinem Buch „Die Kulturgeschichte der Neuzeit“ nach, daß der Satz „Kunst kommt von Können“ falsch ist. Seine Argumentation ist etwa folgende: Zuerst war immer die Kunst, die dann allmählich zu Kunstfertigkeit, Können, Kunsthandwerk verkommt. Und ganz zum Schluß kommen die Systematiker, die klassifizieren und uns erklären, warum ein Kunstwerk ein Kunstwerk ist. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Thomas Mann in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“.

Wesentlich für die Schaffung eines Kunstwerks ist die Persönlichkeit, und die läßt sich nicht erlernen.

Übrigens: Man muß kein Vogel sein, um Eier zu beurteilen.

LG
Parsifal
 

Schakim

Mitglied
@Parsifal:

Wesentlich für die Schaffung eines Kunstwerks ist die Persönlichkeit, und die läßt sich nicht erlernen.

Übrigens: Man muß kein Vogel sein, um Eier zu beurteilen.


Lieber Parsifal, nebst Deiner ausführlichen Schilderung über Rodin - den ich übrigens sehr bewundere und ihm, d.h. seinen Werken Achtung zolle - und den Beispielen vom C.F. Meyer und R.M. Rilke haben mir Deine letzten beiden Sätze speziell gefallen!

Die Persönlichkeit gehört zu einer Person wie ihre Handschrift ... und darin unterscheiden sich wohl alle!

Man muss auch kein Vogel sein, um Eier auszubrüten, denn dafür taugen heutzutage auch die Brutkästen ... Es gibt Eier, die mehr Wärme benötigen und solche die längere Zeit bebrütet werden müssen. Und noch was: stimmt, man muss kein Vogel sein! Es gibt auch Schlangen, Echsen, Krokodile und Schildkröten, die Eier legen - ihre "eigenen" Eier finden sie im Normalfall immer wieder.

Entschuldige, wenn ich ein bisschen abgeschweift bin, es war eine Spontanreaktion auf Deine letzten beiden Sätze ...

Ich wünsche angenehme Nachtruhe und nichts für ungut!
Schakim
 



 
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