Jakob unterm Weihnachtsbaum

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Ji Rina

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Vier Tage vor Heiligabend … Endlich konnte ich mich auf der Couch ausruhen, die Beine entspannen, und mir einen Sherry gönnen. Der Weihnachtsbaum war fertig geschmückt. Die Geschenke für Tim, meinem Mann, und unserer Tochter Jana, lagen fertig verpackt im Keller und im Gefrierschrank wartete bereits eine wunderbare Gans. Diesmal hatte ich mir Zeit genommen und alle Vorbereitungen rechtzeitig getroffen. Kein Hetzen, kein Stress, kein in letzter Minute noch dies oder das einkaufen zu müssen. Unsere Wohnung war festlich dekoriert, auf dem Tisch standen Schalen mit Schokolade, Nüssen und Äpfeln und es roch nach Keksen mit Zimt. Als Sahnehäubchen lag draußen zentimeter hoch der Schnee. Das einzige, was noch fehlte, waren die Weihnachtscollagen, Bilder aus buntem, durchsichtigem Papier, die Jana und ich in den letzten Tagen gebastelt hatten und die wir an diesem Abend an den Fenstern befestigen wollten. Alles schien perfekt.

An diesem Nachmittag war Jana zu Besuch bei ihrer Tante. Tim hielt sich noch in der Werkstatt auf, weil er neue Scheibenwischer brauchte, und es würde noch eine Weile dauern, bis beide zurückkamen. Also saß ich gemütlich auf der Couch und gönnte mir einen kleinen Sherry, als plötzlich mein Handy klingelte. Es war Tim.
“Na Schätzchen? Noch in der Werkstatt?”
“Du, es ist etwas ganz Schlimmes passiert …”
Mein Herz pochte mir bis zum Hals. Ich dachte an einen Unfall, an irgendwas mit Jana …
“Jakob ist weg!”
“Was?”
Nichts mit Jana, alles gut, ging mir als erstes durch den Kopf. Aber was Tim sagte, erschien mir genauso furchtbar. Jakob war ein kleiner, schneeweißer Malteser. Unser Hund.
“Was heißt weg?”, fragte ich.
“Er ist weg, Laura, weg!”, rief Tim verzweifelt, “Ich habe eine Sekunde lang die Autotür offengelassen und plötzlich war er nicht mehr da. Er muss rausgesprungen sein. Ich habe ihn bereits überall gesucht. Auch die von der Werkstatt hier haben nach ihm gesucht. Aber wir finden ihn nicht!”
“Okay, Okay, warte, ich komme”, sagte ich und beendete das Gespräch, bevor er etwas erwidern konnte. Die Vorstellung, dass Jakob weg war, glich einem Drama. Nicht nur für uns, aber besonders für unsere dreijährige Tochter Jana. Ich wollte mir nicht ihr Gesicht vorstellen, wenn sie am Abend zurückkäme. Das ganze Weihnachtsfest wäre im Eimer. Jakob war Janas Ein und Alles, ihr treuer Gefährte seit Jahren. Ständig spielte sie mit ihm; immer hielt sie ihn an der Leine, wenn wir spazieren gingen und nachts ließ sie ihn am Fußende ihres Bettes schlafen. Ich setzte mich in meinen Wagen, kämpfte mich durch den Verkehr und versuchte, mich zu beruhigen. Wir werden ihn finden. Natürlich werden wir ihn finden. Oder er ist schon zurück, dachte ich. Na klar, nur positiv denken. Sobald ich in die Werkstatt komme, wird Jakob bereits wieder in Tims Auto sitzen. Aber als ich die Werkstatt erreichte, sah ich schon von weitem Tims verzweifelten Gesichtsausdruck.
“Schon gut Schatz”, sagte ich und gab ihm einen Kuss. “Lass uns nach ihm suchen.”
Er warf mir einen hilflosen Blick zu und ich wusste, dass er sich schuldig fühlte.
“Wie … wie sollen wir es Jana sagen?“
“Nun warte doch erstmal ab”, sagte ich, “seit wann ist er denn weg?”
“Seit fast einer Stunde.”
Mir wurde mulmig … Eine Stunde war eine lange Zeit. Ich sah mich um. Die Werkstatt lag in der Seitenstraße einer großen Allee. Wo sollten wir anfangen zu suchen?
“Guten Abend Frau Kerner!“ Der Besitzer der Werkstatt gab mir die Hand.” Da ist ja wohl ein kleines Missgeschick passiert …”
“Eine Katastrophe”, antwortete ich trocken. “Wir müssen ihn finden. Können Sie ein Auge auf unseren Wagen werfen? Wir gehen mal ein paar Straßen hier in der Umgebung lang.”
“Selbstverständlich”, sagte er, sichtlich angetan. “Sagen Sie den Taxifahrern Bescheid! Die haben ihre Augen immer überall!”
“Ja!”, sagte ich und zog Tim am Ärmel.

Wir durchsuchten alle um die Werkstatt herumliegenden Straßen ab, hielten Ausschau nach einem Taxifahrer, sahen aber keinen. Wir fragten Passanten, die alle mitleidig den Kopf schüttelten, nein, einen umherstreunenden Hund hätten sie nicht gesehen und schließlich wussten wir nicht, wo wir noch suchen sollten. Mir wurde schlecht bei dem Gedanken an den Verkehr. Gerade jetzt, zur schlimmsten Zeit, in der alle ihre letzten Einkäufe erledigten und nach Hause eilten. Welcher Autofahrer sieht schon so einen kleinen Hund, der plötzlich über die Fahrbahn rennt? Langsam wurde es dunkel und es blieb uns nichts anderes übrig, als nach Hause zu fahren. Ohne Hund. Meine Laune sank auf Null. Wo steckte er nur? In Gedanken sah ich ihn umherirren, Tims Auto suchend. Er würde Hunger haben, frieren, Angst …
“Wer geht jetzt Jana abholen?”, fragte Tim.
Ich antwortete nicht.
“Okay, ich gehe sie abholen. Es ist meine Schuld. Ich hätte nicht die Autotür aufstehen lassen sollen”.
“Tim, wir können Jana nicht sagen, dass Jakob weg ist”, erwiderte ich verzweifelt, “Was wird das für ein Weihnachtsfest?”
“Schatz, wir können Jana auch nicht heute Nacht bei ihrer Tante lassen. Wir müssen sie abholen und ich werde es ihr irgendwie erklären müssen. Bis Heiligabend sind es noch vier Tage! Wir werden ihn ja wohl noch finden, oder?”
“Und was, wenn nicht?”
Tim sagte nichts. Ich sah nur, wie sich seine Lippen zu einem einzigen Strich formten, was immer dann geschah, wenn er kurz vorm explodieren war. Er schnappte sich die Autoschlüssel, zog seine Jacke an, und murmelte ein “Also, bis gleich”. Dann knallte die Haustür zu.
Eine halbe Stunde später betrat Jana mit einem furchtbaren Gesichtsausdruck unsere Wohnung. Hinter ihr Tim, genauso niedergeschlagen. Er nickte mir zu, als Zeichen, dass er mit ihr geredet hatte.
“Schatz!”, rief ich und ging auf sie zu, um sie zu umarmen. Unter ihrem Arm klemmte ein eingewickeltes Geschenk von Tante Hanna. Ich wusste, was es war: Ein Puzzle.
“Was hast du denn von Tante Hanna bekommen?”
“Wo ist Jakob?”, fragte sie, mit einem Blick, der mir das Herz zerriss. Lieber Gott... Wie sollte ich es einer Dreijährigen erklären? Ich nahm sie auf den Arm, nahm Platz auf der Couch und setzte sie auf meinen Schoß.
“Schatz, Jakob kommt ganz bald wieder. Er ist aus Papas Auto gesprungen und im Augenblick wissen wir nicht, wo er ist.”
Sie kämpfte mit den Tränen und sah mich völlig verständnislos an. “Aber wo ist er?”
“Das wissen wir im Augenblick nicht”, sagte ich so ruhig wie möglich, obwohl ich einen riesen Knoten in der Kehle spürte.
“So etwas kann passieren”, sagte Tim und strich ihr über die Locken, “Hunde gehen manchmal verloren – und plötzlich sind sie wieder da.”
Tolle Erklärung, dachte ich und sah, wie bei Jana die ersten Tränen kullerten. Ihr Geschenk rutschte ihr weg und fiel zu Boden. Sie war müde und verwirrt. Ich versuchte sie zu beruhigen, in dem ich ihr sagte, dass sie bis morgen abwarten solle, und biss mir im selben Moment auf die Zunge. Was, wenn wir Jakob auch am nächsten Tag nicht fanden? Schließlich brachte ich sie zu Bett – und irgendwann schlief sie ein.

Die nächsten zwei Tage waren grauenhaft. Tim fuhr durch die halbe Stadt; er hatte mit einem halben Dutzend Taxifahrern geredet, war im Städtischen Tierheim gewesen, dann bei unzähligen Tierärzten – aber von Jakob keine Spur. Ich fragte ihn, ob die Möglichkeit bestünde, dass jemand Jakob in der Werkstatt aus dem Auto geklaut habe, schließlich ist Jakob ein Rassehund und einiges wert. Aber er versicherte mir, dass dies unmöglich sei. Warum er sich da so sicher war, erklärte er mir nicht und da ich die angespannte Situation zwischen uns nicht noch verschlimmern wollte, fragte ich auch nicht weiter nach. Jedenfalls schien die Freude auf das Weihnachtsfest dahin. Jana spielte leise in ihrem Zimmer, aber ständig kam sie zu mir in die Küche und fragte: “Haben sie ihn gefunden?” Den ganzen Tag lang schaute sie mich nur noch mit diesem vorwurfsvollen Blick an und ich sah sie nicht mehr lachen. Sie wollte auch nichts mehr unternehmen. Die Collagenbilder befestigte ich an den Fenstern allein, da sie sagte, dass sie keine Lust dazu habe. Immerzu blickte ich durchs Küchenfenster auf die Straße. Es war wie eine Obsession. Ich stellte mir vor, Jakob plötzlich vor dem Gartentor zu sehen. In manchen Augenblicken betete ich: Lieber Gott, bitte lass Jakob zurückkommen! Bitte lass den Hund Heiligabend unter dem Weihnachtsbaum sitzen! Ich versuchte, die Hoffnung nicht zu verlieren und mich zu beruhigen, denn schließlich trug Jakob ja einen Chip. Er war ein auffallend süßer Hund; klitzeklein, schneeweiß und mit schwarzen Knopfaugen. Früher oder später würde jemand auf ihn aufmerksam werden und ihn auflesen. Aber in anderen Momenten schossen mir dann wieder die furchtbarsten Bilder durch den Kopf: Jakob rennend auf einer Straße … ein Auto, dass über eine Kreuzung schoss … Hundegejaule … Es war zermürbend. Tim ging es noch schlechter als mir. Er sprach nur noch das Nötigste und ging mir aus dem Weg.

Am 23. Dezember holte ich die Gans aus dem Gefrierschrank. Jana war von einer Nachbarin abgeholt worden, um mit ihr und ihren Kindern ein paar Stunden auf dem Spielplatz zu verbringen. Tim musste nochmal in sein Büro, da er irgendeine wichtige Mappe vermisste.
“Heute?”, fragte ich, “Gerade heute, ein Tag vor Heiligabend, musst du noch ins Büro, um nach Papieren zu suchen?”
“Ja, heute”, antwortete er knapp.
Lustlos legte ich die Gans auf den Küchentisch. Ich sah aus dem Fenster auf die halb verschneite Straße und konnte mich zu nichts aufraffen. In drei Tagen würde unsere gesamte Familie zu Kaffee und Kuchen kommen. Ich stellte mir die bedrückte Atmosphäre vor. Aber es nützte alles nichts und ich musste mich zusammenreißen. Plötzlich, gegen Mittag, sah ich Tim durch unser Gartentor kommen. Unter seinem Arm ein Pappkarton, aus dem ein kleiner weißer Hundekopf herausragte. Jakob! Mir blieb das Herz stehen! Ich trocknete mir die Hände an der Schürze ab, rannte zur Haustür, öffnete sie und sah Tims toternsten Gesichtsausdruck. Im Pappkarton unter seinem Arm saß Jakob!
“Jakob? Oh Gott, Jakob!”, rief ich, “ Er ist wieder da!
Tim zeigte keine Reaktion, nicht mal ein Lächeln. Er drückte mich sanft zur Seite und lief einfach an mir vorbei. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er stellte den Pappkarton ab, nahm Jakob auf den Arm und sah mich an.
“Was ist los?”, fragte ich verwirrt. “Ist er nicht Okay? Hat er irgendwas?”
“Schatz, es ist nicht Jakob.”
“Was?”
“Es ist ein Hund wie Jakob”.
“Es ist nicht Jakob?”, Ich musterte den Hund. “Willst du mich veräppeln?”
“Jakob!, mein Süßi!”, rief ich und wedelte mit der Hand vor seiner Schnauze herum, “Na was hat Frauchen denn hier? “. Der Hund blickte mich erstaunt an.
“Es ist ein Malteser mit schwarzen Knopfaugen, ein Rüde identisch wie Jakob und ich habe ihn gerade gekauft.”
Ich starrte den Hund an, völlig verblüfft über die Ähnlichkeit, unfähig etwas zu sagen und versuchte, meine Gedanken zu sortieren. Blitzschnell begriff ich Tims Plan: Jana … klar! Eine Lösung. Aber die Freude hielt sich in Grenzen, denn der Gedanke, dass dieser Hund gar nicht Jakob war, dass unser Jakob noch immer irgendwo herumstreunte und wir ihn womöglich nie wieder sehen würden, zog mich wieder herunter. Ich streichelte dem neuen Jakob über den Kopf und kraulte ihn am Bart und konnte beim besten Willen keinen Unterschied zu unsrem Jakob finden.
“Und du meinst Jana wird es nicht merken?”
“Hast du es gemerkt?”, fragte Tim und setzte den Hund auf den Teppich.
Nein. Beide Hunde waren identisch. Wie zwei Wassertropfen. Und wenn man mir gesagt hätte, dieser Hund sei unser Jakob, so hätte ich es für immer und ewig geglaubt. Wir beobachteten, wie er neugierig an den Möbeln schnupperte, uns einen kurzen Blick zuwarf und blitzschnell einen kleine Pfütze auf den Teppich machte.
“Hm…”, murmelte ich, “Unser Jakob ist stubenrein …”
Tim rollte die Augen.
“Und was, wenn sie es doch merkt? Sie wird dann wissen, dass wir sie anlügen. Das ist das Schlimmste was …”
“Schatz!”, unterbrach er mich mit einem scharfen Unterton, “Sie wird es nicht merken! Nun denk doch nicht immer gleich negativ!”
“Ich kann das nicht“, sagte ich, “sie anlügen …”
“Dann sage halt nichts. Ich werde mich schon drum kümmern.”
Eine Weile streichelte er den Hund, ohne mich weiter zu beachten. Dann ging er wortlos ans Telefon.
“Hallo? Frau Weigel? Endlich die gute Nachricht! Ja! Er ist zurück! Ja! Unser Jakob. Ist eine lange Geschichte, jaja … Äh … Sagen sie es bitte Jana? Danke, Frau Weigel.”
Er legte auf und warf mir einen prüfenden Blick zu. Ich kannte meinen Mann gut und wusste, dass auch er sich der ganzen Sache nicht allzu sicher war, aber sein Bestes versuchte.
“Wollen wir auch unsere Nachbarn belügen?”, fragte ich leise, “alle wissen Bescheid und jeder wird wissen wollen, wo wir ihn wiedergefunden haben!”
“Schatz … Dafür habe ich jetzt keinen Kopf. Lass uns die Sache doch erstmal mit Jana regeln.”
Das sah ich ein. Ich nahm mir vor, meinen Mund zu halten, da ich die Situation nicht noch verschlimmern wollte. Tim hockte sich wieder neben den Hund und warf ihm einen Ball zu, Jakobs Ball. Aber der Hund zeigte mehr Interesse an den Teppichen und Möbeln, an denen er neugierig rumschnupperte. Anscheinend freute er sich über sein neues Zuhause. Natürlich hatte ich ihn längst ins Herz geschlossen. Halt so, wie man als Tierliebhaber jeden Hund ins Herz schließt. Aber die ganze Sache hatte mich verwirrt und meine Gefühle aufgewühlt. Und das alles vor Weihnachten! Nun, wenn Jana nichts merkte, wäre das Weihnachtsfest erstmal gerettet. Ich entsorgte den Pappkarton und dabei fiel mir wieder die Gans ein und was mir noch alles in der Küche bevorstand.

Es war bereits spät am Nachmittag, als Frau Weigels Auto vor unserem Gartentor hielt. Die Tür sprang auf und Jana kam herausgeschossen. Dann klingelte es Sturm. Ich hörte Tim die Tür öffnen und dann das Freudegeschrei von Jana und dann, zu meinem Entsetzen, sah ich Frau Weigel ebenfalls aus dem Auto steigen. Ich trocknete mir die Hände an der Schürze und lief zur Haustür. Mir stockte der Atem: Jana hatte den neuen Jakob bereits auf dem Arm und küsste ihn ab. Zum ersten Mal seit Tagen sah ich sie wieder lachen.
“Na, da haben wir aber Glück gehabt, was?”, rief Frau Weigel erfreut. “Wo steckte er denn nun?”
Blitzschnell tauschten Tim und ich Blicke aus.
“Wir haben wirklich Glück gehabt”, antwortete er, “Ein paar Kinder haben ihn in der Nähe des Fußballplatzes eingefangen und ihn mit zu sich nach Hause genommen. Durch den Chip haben sie unsere Telefonnummer erfahren.”
“Aaach!”, Frau Weigel schlug beide Hände zusammen und strich Jakob 2 über den Wuschelkopf “Du Strolch, was? Da wolltest du einfach mal einen Ausflug machen, was?”
Ich stand da mit einem festgefrorenen Lächeln, unfähig irgendetwas zu sagen. Eine gute Lügnerin war ich noch nie und es überraschte mich, wie Tim das alles völlig emotionslos über sich brachte. Wir beobachteten, wie Jana durch den Flur rannte, den Hund rief und dieser schwanzwedelnd hinter ihr her rannte. Und ich wünschte mir nur, dass Frau Weigel sich endlich verabschieden würde.

Dann kam Heiligabend und alles lief wie am Schnürchen. Jana packte ihre Geschenke aus und schrie vor Freude, als sie ihre neuen Malstifte, die Malblocks und ihren neuen Teddy auspackte. Später aß sie zufrieden mit uns am Tisch. Als Nachtisch gab es Vanille und Schokoladenpudding mit - in Kirschsirup eingeweichten - Keksen. Ich sah wie Jana ein Stück Keks abbrach, ihn Jakob 2 hinhielt und dieser nur daran schnupperte. Unser Jakob hätte sonst was für ein Stück Keks gegeben. Und als Jana endlich im Bett lag und der ganze Trubel vorbei war, hörte ich sie rufen:
“Mama, Jakob will gar nicht mehr auf mein Bett!” Ich erklärte ihr, dass er noch verwirrt sei, von seiner ganzen Lauferei durch die halbe Stadt und dass er bald wieder ganz der Alte sei. Diese Dinge bräuchten halt ein wenig Zeit. Jana sah mich aus großen Augen an, griff sich ihren Teddy und schlief zum Glück kurz darauf ein.

Die Tage vergingen und am Morgen des 31. Dezember fuhren Tim und Jana zum Eislaufcenter. Später am Abend würde eine Babysitterin kommen, da Tom und ich bei Freunden eingeladen waren. Ich stand in der Küche und war gerade mit der Zubereitung des Mittagessens beschäftigt, als das Telefon klingelte.
“Guten Tag, mein Name ist Esther Ohmer. Haben Sie etwa einen Hund verloren?”
Mein Herz sprang mir in die Kehle.
“Wie… wieso?”
“Naja, weil ich einen Hund gefunden habe und der Tierarzt mir diese Telefonnummer gegeben hat. Der Hund hat einen Chip und da steht Ihre Nummer drauf.”
“Oh Gott!”, stammelte ich, “Haben Sie ihn?”
“Ja!”
“ist er … Okay?”
“Naja, im Großen und Ganzen ja. Er war furchtbar verdreckt. Ich habe ihn im Park gefunden, wo er wohl tagelang rumgelaufen ist!”
Mir kamen die Tränen. Unser Jakob. Unser kleiner Jakob war wieder da! Wie gelähmt stand ich da, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Als erstes müsste ich sofort Tim benachrichtigen, aber nein … Tim war ja mit Jana unterwegs … Ich ließ alles stehen und machte mich sofort auf den Weg. Frau Ohmer wohnte in einem Reihenhäuschen am andern Ende der Stadt. Hundert Fragen schossen mir durch den Kopf: Was sollten wir Jana erklären? Was allen Nachbarn, die uns täglich beglückwünschten, weil wir angeblich Jakob wiedergefunden hatten? Ich hatte auf nichts eine Antwort und als Frau Ohmer mir ihre Haustür öffnete, mich ins Wohnzimmer führte und ich Jakob auf der Couch sitzend sah, war mir alles egal. Da saß er! Endlich! Völlig erstaunt sah er mich an, machte daraufhin einen Satz und rannte jaulend auf mich zu. Ich umarmte und küsste ihn, betete und dankte dem Himmel, dass wir ihn zurückhatten.
“Ich merke schon”, sagte Frau Ohmer grinsend, “es ist ihr Hund!”

Dann erzählte sie, dass sie Jakob sofort in ihr Herz geschlossen habe und ihn eigentlich behalten wollte. Dass Nachbarn ihr aber erklärt hätten, der Hund habe sicherlich einen Chip und ihr rieten, dies bei einem Tierarzt prüfen zu lassen. Ich wiederum erklärte ihr, dass uns Jakob bei der Tankstelle abhandengekommen war, und dass wir nach tagelanger Suche keine Hoffnung mehr hatten. Ich sagte ihr auch, dass sie ein Anrecht auf Finderlohn habe und drückte ihr einen hundert Euro Schein in die Hand, den sie aber nicht annehmen wollte.
“Um Himmelswillen! Auf gar keinen Fall!”, rief sie, “Was ich getan habe, ist doch völlig selbstverständlich!”
“Nein. Ist es nicht.”, sagte ich. “Außerdem ist gerade Weihnachtszeit. Bitte, nehmen Sie das Geld an. Sie schüttelte nur den Kopf, aber schließlich nahm sie den Schein zögernd entgegen.

Auf der Fahrt nach Hause schossen mir die nächsten Fragen durch den Kopf: wie würde Jakob jetzt auf den neuen Jakob reagieren? Himmel … Und Tim wusste von alldem noch immer nichts! Ich hielt am Straßenrand und kramte nach meinem Handy.
“Tim! Halt dich fest und atme tief durch! Jakob ist zurück!”
“Was?”
“Ich habe ihn im Auto! Eine Frau hat ihn in einem Park gefunden und mich angerufen. Er ist Okay, nur etwas mager”
“You made my day!”, rief er so laut, dass es in meinem Ohr dröhnte. Dann überschlug sich seine Stimme, “Ich kann´s nicht fassen! Warum klingst du so bedrückt?”
“Bedrückt? Was sagen wir jetzt Jana und all den anderen?”
“Na was wohl? Das wir uns einen zweiten Hund zugelegt haben. So einfach.”
“Dass der neue Jakob unser Hund ist und wir unseren Jakob gekauft haben?”
“Na klar! Mach dir keinen Kopf Schatz, wir kommen gleich nach Hause … Ich regle das schon!”
Er legte auf, bevor ich noch etwas sagen konnte. Eine Weile saß ich am Steuer und starrte auf die Straße. Ich war fix und fertig. Im Rückspiegel sah ich Jakob am Fenster hinausblickend und als ich vor unserem Haus einparken wollte, jaulte und bellte er so aufgeregt, dass ich fast gegen die Gartenmauer fuhr. Wie ein Pfeil sprang er raus und aufs Gartentor zu. Ich öffnete die Wohnungstür und sofort kam uns der neue Jakob schwanzwedelnd entgegen. Zu meinem Erstaunen ignorierte unser Jakob ihn und lief einfach an ihm vorbei, schnurstracks ins Wohnzimmer, wo er an seinem Körbchen und seinem Futternapf schnupperte. Völlig überrascht lief der neue Jakob ihm hinterher. Anscheinend beeindruckte es ihn, sein Spiegelbild zu sehen.
Keine Fünfzehn Minuten später kamen Tim und Jana hereingestürmt.
“Wir haben einen neuen Hund?”, rief Jana und rannte an mir vorbei. Aber da kam unser Jakob ihr schon entgegen und sprang sie jaulend an. “Der ist ja genau wie Jakob!”, Sie sah mich erstaunt an und begriff die Welt nicht mehr. Der Hund ließ von Jana ab und sprang Tim in die Arme und Jana blickte nur noch verständnislos von einem Hund zum anderen.

Ich brauchte einen neuen Sherry.

“Tja Schatz …”, sagte Tim “ Eigentlich wollten wir dir zu Weihnachten diese Überraschung machen, aber es hatte zeitlich nicht mehr gepasst. Nun aber ist der zweite Hund endlich da … Jetzt hat unser Jakob also endlich mal einen Spielgefährten.”
Ich glaubte meinen Ohren nicht. Und auch Jana blickte ihren Vater verwirrt an. Richtig verstanden hatte sie seine Erklärung nicht. Aber vielleicht war das auch nur gut so.
“Jetzt haben wir zwei Hunde!”, rief sie und klatschte in die Hände. “Wie nennen wir ihn denn?”
Tim trat einen Schritt auf mich zu und sagte leise:
“Ist doch alles perfekt gelaufen, oder?”
“Ja”, sagte ich und ließ mich erschöpft in einen Sessel fallen, “Bitte klär du das jetzt mit den Namen”…
 
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G

Gelöschtes Mitglied 21924

Gast
@Ji Rina: Tolle Geschichte.
Nur wer selbst Hunde hat(te), weiß, wie schlimm das ist: Der Hund ist weg. Meine Lady war meine Liebste und eine Jägerin. Sobald sie Fährte aufgenommen hatte, war sie weg. Einmal, im Urlaub in Frankreich, verschwand sie, mitten im Wald. Und kam nicht wieder. Nach einer Stunde wussten wir nicht mehr, was wir tun sollten und sind verzweifelt zum Parkplatz, unserem Campingbus zurück, haben Kaffee getrunken … und nach gefühlten Stunden kam sie völlig erledigt aus den Büschen. Das war wie Weihnachten. Im Sommer.
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Isbahan,
Da habt ihr aber sehr großes Glück gehabt!
Mir ist das gleiche passiert - und er kam nicht zurück. Ich hab drei Monate nur geheult.
Dir herzlichen Dank fürs Lesen!
Liebe Grüße, Ji
 
G

Gelöschtes Mitglied 21924

Gast
… uuups: Und ich habe vor lauter Begeisterung vergessen, die Sternchen anzuklicken.
Sooo, hab`s nachgeholt.
Das Dein Hund nicht zurückgekommen ist, muss schlimm gewesen sein. Tut mir sooooooo leid.
Da hilft nur: Ein warmer Welpe im Arm.
 

molly

Mitglied
Liebe Ji,
das ist eine Weihnachtsgeschichte. Mit Zufriedenheit fängt sie an: endlich kein Stress, keine Hektik. Aber es wäre nicht kurz vor Weihnachten, wenn das so bliebe. Der Hund, an dem die Familie und besonders das Kind hängt, läuft weg. Zufreidenheit ist weggeblasen, jetzt spürt man Ärger, Wut und Angst. Angst, was wird das Kind sagen.
Wer je ein Haustier hatte, weiß, wie sehr man sich sorgt, wenn es weggelaufen ist.

Sehr gerne gelesen
Liebe Grüße
molly
 
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Ji Rina

Mitglied
Liebe molly,
Es hat mich gefreut, dass du als Mutter und Kindergeschichten-Erzählerin (scheinbar) nichts auszusetzen hattest.
Diese Rolle hier war nämlich eine kleine Herausforderung.:D
Herzlichen Dank fürs Lesen und bewerten.
Ji
 
G

Gelöschtes Mitglied 21924

Gast
Ich hatte bisher drei Hundefreunde. Und habe wieder so eine Hundesehnsucht.*seuheufz*, möchte aber nur wieder einen Hund anschaffen, wenn ich ihm einen Garten und ein Drumherum mit freiem Auslauf bieten könnte. Also: Spiele ich fleißig Lotto ;)
 

Ji Rina

Mitglied
Liebe Isbahan,
möchte aber nur wieder einen Hund anschaffen, wenn ich ihm einen Garten und ein Drumherum mit freiem Auslauf bieten könnte. Also: Spiele ich fleißig Lotto ;)
Garten und Drumherum ist wichtig. Ein Hund will ein Hund sein.
Und Lotto spiele ich auch :)
Mein Motto: Träume bleiben immer... (Bin Sternzeichen Fische;))
Liebe Grüsse,
Ji
 
Hallo Ji Rina,

eine schöne Geschichte, die auch in diese Jahreszeit prima passt.
Aber das Ende, so schön es auch ist, hat mich ... ja, nicht direkt enttäuscht, aber als die Mutter sich mit der Finderin getroffen hatte, die dann sogar sagte, dass sie ihn gerne behalten hätte, da dachte ich, dass nun der neue Hund in den Haushalt der Finderin wechseln würde, weil der alte wieder da ist. Das hätte natürlich einige Änderungen in der Kommunikation und der Logistik erfordert, um den Austausch vorzunehmen.
Natürlich hat sich das Kind auch über Jakobs Zwilling gefreut. Und die Freude steht zu Weihnachten an erster Stelle. Aber sie wirklich alles so geglaubt? ;)

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Reiner Zufall,

aber als die Mutter sich mit der Finderin getroffen hatte, die dann sogar sagte, dass sie ihn gerne behalten hätte, da dachte ich, dass nun der neue Hund in den Haushalt der Finderin wechseln würde, weil der alte wieder da ist.
Ja, so hätte es auch enden können - aber wär das nicht traurig gewesen? ;) Ich wollt so gern mal einmal eine Story mit so einem richtigen Happy End schreiben.

Aber sie wirklich alles so geglaubt? ;)
Gute Frage... Einer meiner Hunde ist solch ein Malteser und als ich neulich im Nachbardorf einen identischen auf der Strasse sah, blieb mir fast das Herz stehen... weil ich im ersten Moment dachte, es sei meiner....Aber nee, meiner war ja eingeschlossen im Garten.
So kam ich auf die Idee, mit dieser Geschichte. Also: Auch wenn Jana ein paar unausgesprochene Zweifel hatte, die sie sich selbst nicht näher erklären konnte, hat sie es im endeffekt geglaubt. :cool:

Ich möchte mich bei Dir bedanken. Es freut mich sehr dass Du diesen langen Text gelesen hast, natürlich auch ein Dankeschön für deine Bewertung!
Liebe Grüsse,
Ji
 
Hallo Ji Rina,

wäre es nicht in beiden Fällen ein glückliches Ende?
Gute Texte haben es auch verdient, beachtet zu werden. Ich schreibe derzeit viele Krimis, aber da ist die Resonanz leider nicht so groß :(

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Rainer Zufall,

wäre es nicht in beiden Fällen ein glückliches Ende?
Nö... Ich denke nicht....Hätte immer Schuldgefühle... So ein Hund ist doch ein Familienmitglied.
Danke für die netten Worte.
Und Krimis....ohje, davon verstehe ich nichts. Bei der Suche nach dem Mörder würde ich wohl immer grundsätzlich auf den falschen tippen.
Aber ich erinnere mich noch gut an dein Kurzprosa "Erkenntnis". Hab da sehr gelacht.
Mach mal wieder...;)
Liebe Grüsse,
Ji
 
Hallo Ji,

okay, wenn der Kleine (ich kenne mich da nicht so aus. Malteser sind doch diese süßen weißen Hunde Marke Idefix, oder?) sofort ins Herz geschlossen wurde, obwohl es nicht der "echte" war, dann ist das natürlich klar. Ich dachte nur, die Finderin wäre auch sehr happy gewesen.
In manchem Krimi ist relativ schnell klar, wer der Täter ist - ich denke da nur an Columbo. Und hier in der LL geht es ja vorrangig mal ums Handwerkliche.
Du sagst "Mach mal wieder"? Hmm ... Meine Kurzkrimis sind ein wenig auf Vorrat geschrieben. Da werde ich sicher zwischendurch mal Zeit finden, etwas Anderes in die Tasten zu klimpern. Mal sehen ...

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Rainer,
Marke Idefix? Watt issn dat? Ich fürchte nein. Obwohl, weiss sind sie, mit schwarzen Augen. Auf jedenfall war die Besitzerin happyer als die Finderin, da diese noch garkeine Zeit hatte, sich an den Hund zu gewöhnen. Und sie hat ja auch die Möglichkeit, sich einen aus dem Tierheim zu holen. :)
Da werde ich sicher zwischendurch mal Zeit finden, etwas Anderes in die Tasten zu klimpern.
Ich bin gespannt!
Liebe Grüße,
Ji
 
Hallo Ji,

Du kennst Idefix nicht? Asterix und Obelix? Der kleine Hund, den Obelix so vergöttert, das ist Idefix.

Die Tasten klimpern schon ... ;)

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 



 
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