Hallo Lesemaus,
"ich kann mit der Geschichte leider nichts anfangen, sie ist mir zu abgefahren"
Du magst das bedauern, aber sehr viele literarische Texte haben geradezu eine Vorliebe für reichlich Abgefahrenes, und die sind längst nicht alle schlecht. Damit kein Irrtum entsteht: Ich möchte mich mit keinem der genannten folgenden Autoren vergleichen, nenne sie nur spaßeshalber.
Da wacht zum Beispiel ein Handelsvertreter, der zur Arbeit sollte, als riesiger Käfer auf (Kafka). Oder einer steigt mit Mühe in einen vollbesetzten Pariser Linienbus und wird erst in der Sahara wieder herausgelassen (Boris Vian). Oder ein Franzose mit phantastischem Geruchssinn übersteht entgegen jeder Wahrscheinlichkeit alle Anschläge auf sein Leben und stellt, indem er Mädchen abmurkst, einen Duftstoff her, der die Leute liebestoll macht, so liebestoll , dass sie ihn am Ende auffressen (Süskind). Oder ein kleines Mädchen bzw. junge Ziegen werden von einem aufdringlichen Wolf gefressen und kommen später völlig unversehrt wieder aus dessen Bauch heraus, welchen sie mit großen Steinen füllen und zunähen, ohne dass der schlafende Wolf etwas davon merkt (Brüder Grimm). Oder ein kleiner Junge, der mit seiner Stimme Glas zerbrechen kann, beschließt, mit Wachsen aufzuhören und wächst tatsächlich nicht mehr (Grass). Oder ein Reisender begegnet Zwergen und Riesen, die sich genau so hirnrissig wie Menschen seiner Zeit verhalten und Pferden, die die besseren Menschen sind (Swift). Oder ein Besucher erzählt seinem König eine wirre Geschichte von einem reichen Mann, der einem Armen sein einziges Schaf wegnimmt, obwohl er gar kein Schaf meint, sondern eine Frau, und auch nicht irgendeinen reichen Mann, sondern den König selber (Prophet Nathan, Bibel). Oder ein Migrant wird in 10 000 Meter Höhe aus einem explodierenden Verkehrsflugzeug geschleudert und kommt heil auf der Erde an, nur weil er Gabriel heißt wie der Erzengel und unterwegs merkt, dass er fliegen kann. Zu allem Überfluss wachsen ihm später auch noch Teufelshörner (Rushdie). Oder ein Teufel macht einen alten Gelehrten wieder jung, hilft ihm, ein Mädchen namens Margarete zu schwängern und führt in Leipzig und anderswo seine Teufelskunststücke vor (Wer wohl?).
Natürlich könntest du diese und ähnliche Bücher alle aussortieren, und es würde immer noch mehr als genug zu lesen übrig bleiben, so man/frau denn unbedingt lesen will: Texte von Technikern für Techniker (M. Frisch, D. Kehlmann), von Langweilern für Langweiler (T. Mann, J. Schimmang), von Hausfrauen für Hausfrauen und was weiß ich noch alles. Ich für mein Teil lese auch derlei Werke, glaube allerdings, dass bei Aussondern alles `Abgefahrenen´ zu meinem Leidwesen der Literatur, dem Leben und der Welt genau das fehlen würde, was mich süchtig nach ihnen macht.
Gruß,
Ofterdingen