Hallo Franke,
ich will dich nicht verfolgen, aber ich schaue gerade mal von meiner Masterarbeit auf und habe Lust auf ein bisschen Lyrik und nachdem ich dein Gedicht
Aufprall gelesen habe, bin ich auch bei diesem hier hängen geblieben.
Ich finde es durchaus gelungen, weil es zum einen - auch wenn es bei mir vor allem eine gewisse Angst vor dem Kommenden auslöst - etwas Berührendes besitzt und weil es zum anderen dieses Berührende in eine passende Form überträgt.
Das Rührende liegt dabei meinem Empfinden nach in der ungerechten Machtverteilung zwischen Zeit und Mensch. Denn letzterer ist durch seine Vergänglichkeit der Zeit aufs Schlimmste ausgeliefert, sodass in erster Linie zu hoffen bleibt, die
gegebene Zeit erfüllt zu verbringen. Das Gedicht verweist aber auf das Gegenteil der Erfüllung, nämlich die Leere, also das Gefühl der Sinnlosigkeit, welches in seiner theologisch-philosophischen Brechung bereits in antiken Zeiten das Charakteristikum des Bösen gegenüber dem Guten war. Aber das führt zu weit... Ich wollte damit nur ausdrücken, dass die Furcht vor der Leere und damit die Leere selbst von Menschen als derartig schlimm empfunden werden kann, dass selbst das verneinenste Prinzip, welches sich der Mensch je erdacht hat, mit dieser Leere zu erklären ist.
Vor diesem Hintergrund empfinde ich die eher vorsichtige Sprache und den von Enjambements geprägten Stil, welcher zudem noch das Um-blättern des Kalenders illustriert, passend, denn ein oppulentes Reimgedicht in geschliffener Metrik würde in meinen Augen die greifbar werdende Leere mit zuviel Beiwerk schmücken.
In meinen Augen hat dein Gedicht an einer Stelle aber eine schwierige Situation zu überstehen, und zwar beim Übergang von Vers 5 zu Vers 6:
[...] mit den Jahren
sieht man sich
um
blättern
fast ängstlich
der Tag könnte reißen [...]
Hier legst du offensichtlich besonderen Wert auf das Apokoinu
um, welches wirkungsvoll auf die Verben
umsehen und
umblättern verweist. Gerade das dadurch sprachlich erfahrbar werdende Umblättern finde ich richtig gut, doch freilich müssen die Bezugsworte des Apokoinu auch eigenständig funktionieren. Und da fällt meiner Meinung nach das Wort
blättern ab, weil es zu offensichtlich nur auf das
um bezogen bleibt und separiert stehend den nächsten Vers nicht mehr in eine syntaktische Verbindung bringen kann:
Da ich aber nun ungern deinen sprachlichen Kniff zerstören will und sonst keine andere Lösung sehe, als
umblättern einfach in einer Zeile zu schreiben, würde ich es bei der jetzigen Version belassen.
Viele Grüße
Frodomir