Keller

4,00 Stern(e) 2 Bewertungen

Boris Winter

Mitglied
Gedankenverloren taumelte sie wie in Zeitlupe jede einzelne Treppenstufe hinunter. Es war ziemlich dunkel und die Glühbirne schon seit einer halben Ewigkeit kaputt. "Natürlich der Hausmeister", murmelte sie leise vor sich hin. Von oben leuchtete ihr ein fahler Lichtschein, der durch den Spalt der halboffenen Tür mühsam hervorzukriechen versuchte, den Weg. Es waren unzählige Stufen bis ganz nach unten. Ein Schritt nach dem anderen, immer schön vorsichtig, aber dabei möglichst schnell, um voranzukommen, ein schier unmögliches Unterfangen.

Quietschend fiel die Tür ins Schloss. Mit einem Schlag war es stockdunkel. Etwas oder jemand war da, sie konnte es spüren. Sie versuchte, die emporsteigende Panik irgendwie zu kontrollieren. Ganz behutsam, Schritt für Schritt, einen Fuß vor den anderen setzend, bewegte sie sich vorwärts. Bloß nicht stolpern und den eigenen Standort verraten. Ihr Herz pochte. Von oben waren nun tatsächlich Schritte zu hören, etwas oder jemand näherte sich. Ihr Atem stockte. Einatmen, ausatmen funktionierte nicht mehr richtig. Keuchend tastete sie sich weiter voran. Sie hatte beinahe die unterste Stufe erreicht, da ertönte von der Seite plötzlich ein kreischendes Miau und kurz darauf gab es einen lauten Schlag.

Sie öffnete langsam wieder die Augen und ertastete leicht benommen ihre Umgebung. Offenbar lag sie rücklings inmitten von Scherben und einer Pfütze aus einer undefinierbaren, flüssig-klebrigen Substanz. "Blut", dachte sie sofort. Instinktiv leckte sie an ihrem rechten Zeigefinger. Etwa auf mittlerer Höhe der Treppe machte etwas oder jemand hektisch eine Taschenlampe an. "Was ist passiert?", rief ihr eine tiefe, aber bekannte Stimme entgegen. Inzwischen saß sie aufrecht auf dem kalten und klebrigen Kellerboden, den Blick nach oben gerichtet. Sie hielt beide Hände in Höhe des Lichtkegels der Taschenlampe, die Substanz leuchtete knallrot und tropfte zähflüssig von ihren Händen. Auf ihrem Gesicht war von oben ein schemenhaftes Grinsen zu erahnen. "Erdbeermarmelade", kicherte sie.
 

anbas

Mitglied
Moin,

mir gefällt die Geschichte. Sie ist - für mein Dafürhalten - gut geschrieben. Vor allem aber gefiel mir, dass ich während des Lesens bis zum Schluss nicht sicher war, ob Du eine "falsche" Spur legst oder es tatsächlich in einem Gemetzel oder Ähnlichem endet.

Liebe Grüße

Andreas
 

Bo-ehd

Mitglied
Hallo,
sehr schöne Story und eine gute Pointe. Das ist so selten in diesem Forum, dass ich dich nur ermutigen kann, mehr davon zu liefern. Bitte.
Gruß
Bo-ehd
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Boris,
die Pointe mit der Erdbeermarmelade gefällt mir. Die Psychologie der Geschichte finde ich aber etwas dünn.
Die große Angst der Protagonistin kann ich nicht richtig nachvollziehen. Wenn sie weiß, wie lange die Lampe kaputt ist und den Hausmeister kennt, dann ist sie offensichtlich gut mit dem Keller vertraut. Warum geht sich gleich davon aus, dass nicht nur jemand, sondern auch "etwas" mit im Keller sein könnte? Ist sie einfach nur etwas neben der Rolle?
Wenn sie sich aber den Keller so fürchet, warum steigt sie dann überhaupt die dunklen Kellertreppen hinab, ohne eine Lampe mitzubringen, obwohl sie weiß, dass das Licht schon lange kaputt ist? Was ist ihre Motivation? Ein guter Grund würde die Geschichte für den Leser auch spannender machen, weil er dann eher mitfiebert, dass sie ihr Ziel erreicht.

Noch zwei kleine Anmerkungen

Auf ihrem Gesicht war von oben ein schemenhaftes Grinsen zu erahnen.
Den Satz empfinde ich als Bruch. Zuvor hast du konsequent aus der Innenperspektive der Protagonistin eingenommen. Jetzt schaust du plötzlich von außen auf sie.

Etwa auf mittlerer Höhe der Treppe machte etwas oder jemand hektisch eine Taschenlampe an.
Das Verhalten dieses Jemands finde ich etwas merkwürdig. Die Tür geht zu. Es ist stockdunkel. Er hat eine Taschenlampe mit dabei. Trotz dem steigt er die halbe Treppe im dunkeln hinab. Warum?

Viele Grüße
lietzensee
 
Zuletzt bearbeitet:



 
Oben Unten