Kleine Sprachreformhuberei: Ran an die ZPO!

Heute, liebe Mitschreibende, Mitlesende oder sonst wie Dösende, nehmen wir uns mal die Zivilprozessordnung (ZPO) vor:

§ 308a Abs. 1 ZPO fängt so an:
Erachtet das Gericht in einer Streitigkeit zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder dem Mieter und dem Untermieter wegen Räumung von Wohnraum den Räumungsanspruch für unbegründet, weil der Mieter …

Ich stelle tiefbetrübt fest: Hier wird, obwohl der Satz noch lange nicht zu Ende ist, bereits fünfmal in schwererträglicher Weise diskriminiert. So darf es nicht bleiben. Dem generischen Maskulinum muss es endlich auch hier an den Kragen gehen. Vielleicht so:

Gegendert neu:

a) Erachtet das Gericht in einer Streitigkeit zwischen dem Vermieter oder der Vermieterin und dem Mieter oder der Mieterin oder dem Mieter oder der Mieterin und dem Untermieter oder der Untermieterin wegen Räumung von Wohnraum den Räumungsanspruch für unbegründet, weil der Mieter oder die Mieterin …

Oder so:

b) Erachtet das Gericht in einer Streitigkeit zwischen dem oder der Vermietenden und dem oder der Mietenden oder dem oder der Mietenden und dem oder der Untermietenden wegen Räumung von Wohnraum den Räumungsanspruch für unbegründet, weil der oder die Mietende …

Oder so:

c) Erachtet das Gericht in einer Streitigkeit zwischen VermieterIn und MieterIn oder MieterIn und UntermieterIn wegen Räumung von Wohnraum den Räumungsanspruch für unbegründet, weil MieterIn …

Oder so:

d) Erachtet das Gericht in einer Streitigkeit zwischen Vermieter:in und Mieter:in oder Mieter:in und Untermieter:in wegen Räumung von Wohnraum den Räumungsanspruch für unbegründet, weil Mieter:in …

Oder so:

e) Erachtet das Gericht in einer Streitigkeit zwischen Vermieter (m/w/d) und Mieter (m/w/d) oder Mieter (m/w/d) und Untermieter (m/w/d) wegen Räumung von Wohnraum den Räumungsanspruch für unbegründet, weil Mieter (m/w/d) ...


Es darf ab sofort abgestimmt werden. Bitte um rege Beteiligung.
 
Zuletzt bearbeitet:

petrasmiles

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Du hast eine Form vergessen: Mieter (m/w/d)
Bei der Form könnte man zudem den Sprachfluss beibehalten, weil man nur die Klammern ignorieren braucht - habe ich das wirklich gesagt? :eek:
(Wo Du Dir alles 'nen Kopp drum machst :))
Liebe Grüße
Petra
 
Danke für den Tipp, Petra; wurde sofort eingearbeitet. Künftige Gesetzestexte vor Augen flimmert es schon vor Letzteren.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 

onivido

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Schwere Entscheidung. Die Versionen von a bis d sind alle woke und sprachlich von grosser Schoenheit. Dennoch stimme ich fuer die greuliche Orginalfassung aus praktischen und nostalgischen Gruenden
 

Matula

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Nein, nein, nein ! Es genügt eine eigene Schlussbestimmung, die da lautet:
"Soweit in diesem Bundesgesetz personenbezogene Bezeichnungen nicht geschlechtsneutral formuliert sind, gilt die gewählte Form für beide Geschlechter." - Bring den Gesetzgeber bloß nicht auf abwegige Ideen!
Lustig, was bei Euch in der ZPO geregelt ist. Bei uns handelt der § 308 ZPO von der "Vorlegung der Urkunde durch einen Dritten". Das Gesetz stammt aus 1895 und spricht noch von "Nothwendigkeiten" und dem "Processgerichte".

Schöne Grüße aus Wien,
Matula
 

petrasmiles

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Soll mal einer sagen, die Ösis hätten es nicht gut :)
Aber Du hast von zwei Geschlechtern gesprochen. Das geht nun gar nicht, weil man den deutschen Bürger (m/w/d) nicht auf die biologische Reproduzierfähigkeit beschränken darf, wir sind da fluider und haben kein Problem damit, dass es potentiell so viele Geschlechter wie Menschen (äh Deutsche) gibt.

"Soweit in diesem Bundesgesetz personenbezogene Bezeichnungen nicht geschlechtsneutral formuliert sind, gilt die gewählte Form für beide Geschlechter."
So wird ein deutscher Schuh draus: Soweit in diesem Bundesgesetz personenbezogene Bezeichnungen nicht geschlechtsneutral formuliert sind, gilt die gewählte Form für alle Geschlechter.

Wir haben es aber eher mit Präamblen - darin sind wir ziemlich gut. Also ganz vorne druff, dann kann keiner meckern.

Liebe Grüße
Petra
 

Matula

Mitglied
Sehr schön: "für alle Geschlechter" ist unüberbietbar gründlich ! Es muss natürlich nicht immer die Schlussbestimmung sein, kann auch in § 2 oder § 3 eines Gesetzes stehen. Die Präambel ist angeblich zu wenig, weil sie dem "Rechtsunterworfenen" nicht immer zugänglich ist. Was die Berücksichtigung von "divers" betrifft, orte ich passiven Widerstand. Man will sich als Behörde nicht lächerlich machen, lässt sich Zeit mit der Anpassung der Formulare und der EDV ... und die WC-Frage ist auch nicht geklärt. Wenn man die großen wichtigen Dinge nicht ändern kann, verbeißt man sich so gern in die Lappalien. Schrecklich ist das.

Schöne Grüße,
Matula
 
onivido, willst du dich dem Fortschritt verweigern?

Spaß beiseite, Die weiteren Beiträge von Petra und Matula enthalten natürlich vernünftige Lösungsansätze, wenn man darüber sachlich debattieren möchte. Mir ging es hier darum, die Methode einmal auf die Spitze zu treiben, um sie deutlicher zu charakterisieren. Wirklich problematisch sind ja nicht Gesetzestexte, sondern der zwanghafte Gebrauch von angeblich unverzichtbaren Wendungen in den Medien. Ich bin einfach sauer, wenn ich beim Frühstück um 8.35 h im Deutschlandfunk im "Wirtschaftsgespräch" innerhalb von 90 Sekunden fünfmal "und -innen" anhören muss - und wenn die Redakteurin die dafür eingesetzte Zeit durch überhastetes Sprechen wieder einzusparen sucht. Das ist jetzt oft zu beobachten: Ein sachfremdes Anliegen überlagert die Sachinformation. Es wird dadurch viel leeres Stroh gedroschen. Immer mehr Spreu und immer weniger Weizen. (Dieses allgemeine Phänomen wird nicht nur bei diesem linguistischen Thema sichtbar.)
 

petrasmiles

Mitglied
Tja, Arno, das ist das Problem heute, wie soll man Überdrehtes satirisch übertreiben?
Es ist uns alten Säcken und Säckinnen einfach nicht gegeben, nicht sachdienlich zu denken :)
Die heute 20-25Jährigen wenden es an und da gibt es keine Schonfrist - für uns.
Aber vielleicht werden die nächsten 20-25jährigen sich an den Pirouetten ihrer Vorväter- und Mütter reiben und sie mit Spott und Hohn verfolgen, weil sie die schöne deutsche Sprache verhunzt haben. Cancel Culture works both ways ;-)
Gute Nacht!
Petra
 

Aufschreiber

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Hallo Arno,

tut mir leid, aber das greift doch mittlerweile alles zu kurz.
Schließlich gibt es ja nicht nur divers, sondern "divers Vanille", divers Cola", divers Leberwurst", ...

Daher komme ich zu dem Schluss, dass eine halbwegs geländerte Form heißen könnte:
"Mieter;.-_/*:inninnen".
Das liest sich zwar ein wenig hakelig, aber dafür erfasst es ein viel diverseres Spektrum.
Artikel werden, wegen der Vielfalt und teilweise Unbekanntheit derselben für das jeweilige diverse Aroma, weggelassen.

Und ich meine, dass Person;.-_/*:innin ein wenig Mühsal doch gern in Kauf nehmen sollte, um möglichst vielen Selbstwahrnehmungs-Deviationen gerecht zu werden. - ODER?

Freilich wird es mit Lyrik;.-_/*:inninnen nun ein wenig ... komplex, aber neue Sprache bringt eben auch neue Herausforderungen mit sich.
Es lebe NEUSPRECH!

Beste Grüße,
Steffen

--

Disclaimer:
Wer Ironie;.-_/*:innin, Zynismus;.-_/*:innin oder gar ... Sarkasmus;.-_/*:innin findet, kann verstehend lesen.
 

Matula

Mitglied
Danke Arno Abendschön für die Klarstellung. Ich war mir nicht sicher. Hätte ja sein können, dass Du fürs Justizministerium arbeitest und mit einer besonderen Aufgabe betraut wurdest.
Leicht möglich, dass man in ein paar Jahren wieder von den gröbsten Auswüchsen abrückt, weil sie ja auch Nebenwirkungen haben.

Schöne Grüße,
Matula
 
In diesem Zusammenhang weise ich gern auf den diesjährigen Preisträger des Theodor-Wolff-Preises in der Kategorie "Meinung" hin. Es ist Ingo Meyer für "Das Märchen vom Gendersterntaler". Der Theodor-Wolff-Preis wird vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger vergeben.


Das Grundsätzliche in Meyers Artikel, erschienen in der Berliner Zeitung, passt auch sehr gut zu onividos Text "Schwarzkopf" hier.
 
Ja, Petra, von Eisenberg kann man immer wieder gut Formuliertes, Erhellendes finden, auch schon in der FAZ. Ich will aber hier in einem Textarbeitsforum nicht zu viel verlinken ... Bei einem Theodor-Wolff-Preisträger wollte ich mal eine Ausnahme machen.

Im BoD Autorenpool läuft seit anderthalb Jahren eine Debatte zum Thema ("Gendergerechte Sprache"), mit bald 20.000 Zugriffen ungewöhnlich viel Leserinteresse für dortige Verhältnisse. Das hat die sowohl inhaltlich als auch der Zahl ihrer Vertreter nach unterlegene Gender-Fraktion immer wieder zu krassen Ausfällen gereizt. Zuletzt hat eine Autorin im Fall von Peter Eisenberg zartfühlend mit dem natürlichen biologischen Ablauf argumentiert: Er sei ja schon zweiundachtzig und könne sich aufgrund seines hohen Alters nicht mehr an die neue Zeit gewöhnen. Auf meine Replik, Luise Pusch sei ja selbst Jahrgang 1944 und ihre Kontrahentin Ewa Trutkowski noch keine fünfzig, mochte sie nicht eingehen.

Den obigen Eisenberg-Artikel hatte ich übrigens vor Tagen im Autorenpool selbst verlinkt; statt inhaltlicher Auseinandersetzung kam dann nur der Hinweis auf Eisenbergs Alter. Eisenbergs These vom drohenden Verlust einer einheitlichen Sprache für das gesamte Sprachgebiet hatten wir dort früher schon anhand des norwegischen Beispiels ("Nynorsk") bis zum Exzess durchexerziert.
 
Ich finde den Aspekt so wichtig, dass es eine Machtfrage ist!
Gewiss, Petra, und für mich ist das sogar der Schwerpunkt im Eisenberg-Text. Die Überschrift im von dir verlinkten Zeitungsartikel bezieht sich dagegen auf den nicht ganz unwichtigen Nebenaspekt Spracheinheitlichkeit. Um sie geht es im Text jedoch explizit nur in den letzten zwei, drei Sätzen.

Gegen die Machtthese kann man übrigens durchaus etwas einwenden, das nämlich, dass sich auch erstaunlich viele und oft auch jüngere bis mittelalte Frauen aus Linguistik, Journalistik usw. öffentlich gegen die von Luise Pusch und anderen vertretenen Positionen wenden. Eisenberg fokussiert sich hier wohl auf jene Funktionsträgerinnen, die sich sozusagen hauptamtlich um Sprachgerechtigkeit kümmern. Mir scheint jedoch, dass ihre Zahl viel geringer ist als die von Frauen, die das Problem unabhängig von Machtfragen sachlich erörtern.

Schönen Morgengruß
Arno Abendschön
 

petrasmiles

Mitglied
Morgengruß zurück am Abend!
Das empfinde ich sehr interessant, wie Du das verknüpfst, indem Du auf der Ebene von Personen und deren Handlungen bleibst bzw. hinführst. Ich fand es eher interessant von den Argumenten her insgesamt, unabhängig davon, wer sie anführt.
LG Petra
 
Nun ja, Petra, es gab gerade ein grelles Schlaglicht auf handelnde Personen, die Causa Patricia Schlesinger. Man kann da gut erkennen, wie das Verhältnis von ideeller Grundlage und konkreten Handlungen beschaffen ist: die Identitätspolitik als Fassade oder Sichtschutz, dahinter ungenierte Refeudalisierung, theoretisch schon wiederholt analysiert, selten so krass im Rampenlicht. Die Praxis ist selbstherrlich, der offenen linguistischen Bevormundung entspricht die insgeheime Selbstbereicherung.

So etwas würde ich gern mal erfinden: Am Tag, an dem die Staatsanwaltschaft den Beginn von Ermittlungen bekanntmacht, wird auch publik, dass die Polizeipräsidentin privater Gast der Verdächtigten war, diese die Kosten der Bewirtung aber ihrem Dienstherrn Rundfunk in Rechnung gestellt hat. Und wen haben wir noch auf der Gästeliste - André Schmitz, Berliner Kulturstaatssekretär bis zu seiner Steueraffäre. Als Wowereit ihn trotz dieser behalten wollte, veröffentlichte ich damals (2014) einen Text gegen beide und verscherzte mir so das Wohlwollen einiger. Den baldigen Rücktritt beider Größen danach, obwohl gewiss nicht durch mich herbeigeführt, konnten sie mir nicht verzeihen.
 

petrasmiles

Mitglied
Das sind die wirklich traurigen Momente, wenn man ausgegrenzt wird, weil man die Fehler nicht nur bei anderen sucht, sondern auch seinen eigenen 'Stall' sauber haben will. Auch wenn man nicht (mehr) so naiv ist, Freundschaft zu nennen, was vielleicht nur eine peer group ist, der Schmerz ist da.
Ich persönlich schäme mich immer ein bisschen mit, wenn eine Frau durch diese Sümpfe watet, dabei weiß ich doch, dass Frauen mitnichten die besseren Menschen sind.
Ich erlebe es schon bei meinen Youngsters, dass ihnen das Gefühl fehlt, dass öffentliche Gelder zum Nutzen der Allgemeinheit eingesetzt werden müssen, und dass 'Gefälligkeiten' für 'Freunde' genau zu dem Sumpf führen, wo Korruption ermöglicht wird, da alle etwas von allen wissen, und stillhalten werden. Störend sind nur diejnigen, die nicht mitmachen.
Da es noch nie anders zuging auf der Welt, lediglich die Akteure andere waren, betrübt es mich nicht wirklich. Es ekelt mich nur.

LG Petra
 



 
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