künstlich Kapitel 7 & 8

künstlich _ Anfang


Kapitel 7

Weida schielte nervös zu Jim herüber. Gemeinsam standen sie an der Eingangspforte zum Gelände der Gaia Cooperation und blickten zu dem Mann am Wachhaus auf, der sie skeptisch beäugte.

„Aber ich sagte doch, ich muss mit Frau Mendez sprechen. Es ist dringend! Nennen sie ihr unsere Namen und dass wir sie unbedingt treffen müssen!“

Der Uniformierte betrachtete die beiden ein paar Sekunden lang unsicher, dann Griff er zum Hörer und wählte eine Nummer auf dem holographischen Display. Die Schwarzhaarige nickte ihm dankend zu. Er nannte nur ihre beiden Namen und lauschte kurz, was die Stimme am anderen Ende der Leitung sagte. Als der Wachmann den Hörer auflegte, sah er wieder zu ihnen herunter.

„Auf der anderen Seite der Tür wartet ein Wagen. Er bringt euch zum Hauptgebäude.“

Er drückte einen Schalter und Weida konnte hören, wie sich die kleine Seitentür am weißen Tor elektronisch entriegelte. Wenige Minuten später standen sie erneut an der Treppe zum Gebäude der Gaia Cooperation und wurden von der gleichen hübschen Androidin begrüßt, wie beim letzten Mal. Clara hieß sie mit einem breiten Lächeln wollkommen.

„Jim und Weida! Wie schön euch so bald wieder zu sehen.“ Ihr Blick blieb bei dem rothaarigen Androiden haften und sie zog fragend die Augenbrauen nach oben.

„Was ist passiert, Jim? Ich kann dich zwar sehen aber deine elektronischen Standortdaten stammen nicht mit deiner aktuellen Position überein.“

Der künstliche Mann nickte. „Deswegen sind wir hier. Seit meinem letzten Systemupdate kann ich mich nicht mehr mit dem Hauptcomputer verbinden. Mein Reparaturprogramm kann das Problem nicht erkennen.“

Clara nickte ernst. „Ich werde euch in die Werkstatt geleiten. Dort wird man euch sicher helfen können.“

Als sie sich umwandte, um ihnen den Weg zu weisen, lief Weida an ihre Seite.

„Was ist mit Mendez? Ist sie nicht hier?“

Die Androidin lächelte höflich. „Frau Mendez befindet sich gerade in einem wichtigen Meeting. Aber ich habe sie bereits über Jims Problem informiert.“

Die schwarzhaarige Frau nickte und ließ sich wieder zu Jim zurückfallen. Nachdem Weida ohne Zwischenfälle durch die Security gelangte, fuhren sie erneut in dem gläsernen Fahrstuhl nach oben. Sie wartete gespannt, bis sie die Hand des Androiden neben ihr spürte, der ihr eine kleine Chipkarte unauffällig herüberreicht. Weida nahm sie vorsichtig und steckte sie sich in die Hosentasche. Ihre Hände wurden auf einmal schwitzig vor Anspannung. Charlies Plan war einfach, aber effektiv. Sie sollte zusammen mit Jim in das Gaia Gebäude gelangen, unter dem Vorwand, eine Fehlfunktion beheben zu lassen. Jim hatte die Verbindung zu dem Zentralcomputer bereits damals vor ihrem Aufbruch zu den Slums getrennt, damit Gaia nicht mitbekam, dass sie sich außerhalb der Stadt befanden. Da die Androiden hier nicht kontrolliert wurden, konnte der künstliche Mann die Chipkarte mit dem Zugangscode zum Serverraum hineinschmuggeln, die der Organisation von dem Maulwurf bei Gaia zugespielt worden war. Nun lag es an Weidas schauspielerischen Talent, dass der Plan auch funktionierte. Als die Türen des Fahrstuhls aufsprangen und sie ausstiegen, fasste sich Weida plötzlich an dem Kopf und ließ sich nach vorne fallen. Jim fing sie mühelos auf.

„Weida! Was ist los? Geht es dir nicht gut?“

Er und Clara starrten sie besorgt an und die schwarzhaarige Frau musste ein Grinsen unterdrücken.

„Nein ich… Ich glaube, ich fühle mich nicht so gut. Mir ist plötzlich so schwindelig…“

Die Androidin beugte sich zu Weida hinab. „Soll ich den medizinischen Dienst rufen?“

Diese schüttelte entschieden den Kopf. „Nein… es geht schon. Ich muss mich nur etwas ausruhen.“ Die junge Frau sah zu der Bank nicht weit von ihnen herüber.

„Geht ihr schon einmal in die Werkstatt. Ich warte so lange hier auf euch. Ich brauch nur ein bisschen Zeit.“

Clara betrachtete sie nachdenklich und Weida befürchtete schon, die Androidin würde sie hier nicht allein lassen. Doch dann nickte diese.

„Also gut. Ich werde nach einer anderen Clara schicken, die dir Gesellschaft leisten wird.“

Weida hob fragend die Augenbrauen an. „Eine andere Clara? Wie viele von euch gibt es denn?“

„Wir sind Drillinge.“

„Ach? Ähm, nein Danke… Das ist nicht nötig, ich warte hier einfach.“

„Das geht schon in Ordnung.“ Erneut lächelte die Androidin, dann ließen sie Weida allein. Clara führte Jim aus dem großen Raum heraus, von dem strahlenförmig verschiedene Zugänge zu den einzelnen Abteilungen ausgingen. Der künstliche Mann drehte sich noch einmal unsicher zu der schwarzhaarigen Frau um, aber Weida nickte ihm mit gespielter Entspanntheit aufmunternd zu. Sobald die beiden Androiden aus ihrem Sichtfeld gerieten, sprang die Schwarzhaarige auf und lief eilig zu dem gläsernen Aufzug herüber. Sie musste hier weg sein, bevor ihre neue Aufpasserin sie finden würde. Charlie hatte ihr genau beschrieben, wo sie hinmusste. Das obere Geschoss des Gebäudes war nur spärlich besetzt. Ein Stockwerk höher angekommen, hielt keiner der wenigen Angestellten Weida auf, als sie vom Fahrstuhl aus zielstrebig in die Damentoilette verschwand. Sie nahm die dritte Kabine von links, auf deren Türe ein Schild mit der Inschrift: Out of Order zu sehen war. Weida wusste, dass das alles zum Plan gehörte. Einer der Sanitärkräfte stand im Dienst der Organisation und hatte unter der Toilette ein Päckchen für sie angebracht, dass sie aufgeregt ertastete. Als sie die Rauchbombe vor sich in den Händen hielt, bildeten sich Schweißperlen auf ihrer Stirn. Wenn ich sie zünde, gibt es kein Zurück mehr. Ich könnte jetzt einfach wieder hinunter gehen und auf Jim warten. Wahrscheinlich würden sie uns auch wieder zurück in die Stadt bringen. Ob den Leuten von der Organisation dass eigentlich bewusst ist? Dann fiel Weida wieder ihr Vater ein, der selbst versucht hatte, Gaia aufzuhalten. Aber zu welchem Preis? Gaia hat mir alles genommen. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Jims Gesicht tauchte plötzlich vor ihrem geistigen Auge auf. Auch ihn wird Gaia mir eines Tages wegnehmen…

Weida zog den Ring heraus und legte die Rauchbombe auf die weißen makellosen Fliesen der Damentoilette ab. Zügig verließ sie den Raum und fuhr mit dem Fahrstuhl ein weiteres Stockwerk nach oben. Wenn alles nach Plan verläuft, habe ich 5 Minuten. Gerade als die schwarzhaarige Frau aus dem Aufzug stieg und erneut in der Damentoilette verschwand, ertönte der Feueralarm. Weida blieb, wo sie war und lauschte. Das Blut dröhnte in ihren Ohren. Als plötzlich jemand an ihre Kabinentür klopfte, zuckte sie erschrocken zusammen.

„Weida? Ich bin es.“

Als die junge Frau die sanfte dunkle Stimme hörte, entspannte sie sich etwas. Sie stand auf und öffnete die Türe.

„Du hast es geschafft sie abzuhängen?“

Der Androide nickte. „Beeilen wir uns.“

Weida nickte ernst und gemeinsam liefen sie in dem menschenleeren Gebäude zu den Serverräumen. Auf einmal blieb Weida stehen und starrte auf die Tür mit der Aufschrift: Achtung, Zutritt nur von Personen der Sicherheitsstufe A erlaubt. Es war die gleiche Tür, die ihr auch bei ihrem ersten Besuch hier ins Auge gefallen war. Nur diesmal stand sie offen. Neugierige sah die Frau hinein und erstarrte. Jim hatte Weidas Zurückfallen bemerkt.

„Weida! Wir sollten keine Zeit verlieren! Der Serverraum ist nicht mehr weit, wir…“

Er lief zu ihr heran und bemerkte ihren fassungslosen Blick. Die schwarzhaarige Frau starrte von der Brücke, die sich gleich hinter dem Zugang befand, herunter auf den darunter liegenden Raum. In einer der beiden aufgestellten, ungefähr mannshohen Kapseln stand jemand. Die Frau hatte weißes schulterlanges Haar und rosige Haut. Der blaue Anzug, in dem sie steckte, betonte ihre perfekte Figur. Um ihre Hand und Fußgelenke befanden sich Metallfesseln, die sie an die Kapsel fixierten.

Weidas Gedanken rasten. „Ein Mensch! Mendez hat einen Menschen hier unten eingesperrt! Wir müssen ihr helfen!“

Jim starrte ebenfalls auf die in der Kapsel eingeschossenen Frau herab. Die junge Frau rannte die Treppe herunter und blieb außer Atem vor dem merkwürdigen Gefängnis stehen. Der rothaarige Android war blitzschnell neben ihr.

„Warte! Sie sieht zwar so aus, aber das hier ist kein Mensch.“

Weida drehte sich überrascht zu ihm um. „Was? Aber sie…“

„Es gibt keinen Herzschlag. Allerdings scanne ich eine Art… elektrische Impulse, die von ihr ausgehen. Wie eine Art… Hirnaktivität?“

„Aber wenn sie kein Mensch ist…“

„Oh sie ist ein Mensch. Nur kein organischer.“

Die beiden drehten sich ruckartig um. Mendez stand nur wenige Meter hinter ihnen. Clara, oder zumindest eine der drei Kopien stand neben ihr. Weidas Mund wurde auf einen Schlag trocken.

Donna trug wie bei ihrem ersten Treffen einen maßgeschneiderten weißen Hosenanzug. Die schwarzen Haare waren streng nach hinten gegelt.

„Glaubt ihr, ich bekomme nicht mit, was für ein Spielchen ihr spielt? Sich mit den Rebellen aus den Slums einzulassen, also wirklich. Besonders enttäuscht bin ich von dir Jim. So dankst du es also deiner Schöpferin?“

Der rothaarige Android schüttelt den Kopf. „Ich bin nicht undankbar, aber du hast eine Grenze überschritten, Donna Mendez, die man nicht überschreiten sollte.“

Er deutete hinter sich. „Du hast es geschafft, einen kompletten KM, einen künstlichen Menschen zu erschaffen, nicht wahr? Sie besitzt ein synthetisches menschliches Gehirn.“

Mendez nickte, während Weida perplex erst Jim, dann sie anstarrte.

„Ihr Name ist Lilith. Sie ist die Erste ihrer Art und deine kleine Schwester, Jim. Sie wird ein neues Zeitalter der Menschheit einläuten. Ein unsterbliches Leben ohne Hunger und Krankheiten. Für diejenigen die eine vollkommene Freiheit von den fleischlichen Fesseln erreichen möchten.“

„Du meinst wohl für diejenigen, die es sich leisten können!“ Weida sah wütend zu Mendez herüber, diese zuckte nur mit den Achseln.

„Ich kann solche wie Lilith nicht umsonst produzieren. Und ich zwinge niemanden dazu. Außerdem ist sie so, wie ihr sie seht nur eine leere Hülle. Mann muss ihr erst ein Bewusstsein transferieren. Dafür ist die zweite Kapseln notwendig. Die Leere dort drüben ist für denjenigen bestimmt, der sich in die KM transferieren möchte.“

„Aber wie ist so etwas möglich?“

Die Geschäftsführerin von Gaia lachte bloß. „Wieso sollte ich so etwas einem frechen Gör wie dir erläutern? Genug jetzt mit dem Gerede. Keiner von euch beiden wird diesen Raum hier wieder verlassen. Das sollte euch klar sein. Clara? Aktiviere Programm 3467, Passwort Pandämonium. Aufhebung aller Beschränkungen.“

Mendez trat zur Seite und überließ der Androidin das Feld.

„Eingabe bestätigt.“ Clara grinste böse und war plötzlich von einer Sekunde zur anderen bei Weida.

Die junge Frau zuckte überrascht zusammen. Plötzlich war Jim über ihr und schirmte sie vor dem gewaltigen Faustschlag der Androidin ab. Beide wurden zusammen zur Seite geschleudert. Sie kamen hart ein paar Meter weiter wieder auf.

„Alles in Ordnung?“ Jim starrte sie besorgt an, und die Schwarzhaarige nickte ängstlich. Dann richtete er sich plötzlich auf und sprang mit Weida einen gewaltigen Satz nach hinten. Und keine Sekunde zu früh. An der Stelle, an der sie ich gerade noch befanden hatten, klaffte ein riesiges Loch im Boden. Clara kam daraus hervorgesprungen und starrte sie weiterhin feindselig an. Weida lief es bei diesem Anblick eiskalt den Rücken herunter.

„Was machen wir jetzt?“ Sie sah zu dem künstlichen Mann hoch, der die blonde Androidin nicht aus den Augen lies.

„Ich gebe dir das Virusprogramm und du läufst damit zum Serverraum.“

„Aber was ist mit dir?“

„Ich…“ Weiter kam Jim nicht. Clara griff erneut an. Jim wich dem Fußtritt aus und konterte mit einem Faustschlag, den die Androidin einfach mit ihrer Hand abfing. Ihr nächster Angriff stieß den Rothaarigen einige Meter zur Seite. Er fiel auf einen Wagen mit Ersatzteilen, die ihn unter sich begruben. Plötzlich sah sich Weida allein Auge um Auge mit der wild gewordenen Androidin. Sie hörte Mendez raues Lachen.

„Beende es Clara. Wir haben heute noch viel vor.“

Zitternd wurden ihre Knie weich. Weida schloss die Augen. Dann hörte sie plötzlich Mendez schreien.

„Nein!“

Sie junge Frau riss die Augen auf. Jim stand wenige Meter neben ihr. Er hatte es geschafft, Clara mit einer breiten Eisenstange an der Wand zu fixieren. Die zu einem Hufeisen gebogenen enden umarmten die Arme und den Oberkörper der Androidin, bevor diese sich tief in die Wand hinter ihr gruben. Clara konnte sich nicht mehr rühren. Von der Szene abgelenkt, merkte Weida erst spät, dass Mendez sich zu einer der Transferkapsel geschlichen hatte. Sie ahnte, was diese vorhatte.

„Jim! Mendez hat vor, sich in den KM zu transferieren!“

Der rothaarige Androide drehte sich ruckartig zu ihr um. Im selben Moment schnellte Claras Hand vor, und umklammerte sein Handgelenk.

„Clara! Lass mich sofort los!“

„Du bist ein defektes Produkt! Du musst eliminiert werden.“

Die Schwarzhaarige fluchte und rannte zu dem Steuerungspult herüber. „Was muss ich tun? Jim! Sag es mir!“ Weida konnte sehen, dass der Transfer bereits in vollem Gange war.

Jim versuchte, sich loszureißen, aber die Androidin hielt ihn mit eisernem Griff fest. „Du kannst das Programm nicht beendet, wenn du den Code nicht knacken kannst! Versuche, die KM von den Kontakten in der Kapsel zu entfernen.“

Sie nickte ihm zu und rannte zu der Puppe in der gläsernen Kapsel herüber. Die Tür wurde durch ein elektronisches Schloss gesichert. Weida blickte sich suchend um und nahm dann einen der Betonbrocken vom Boden auf, die von Claras Bodendurchbruch überall verstreut lagen. Nach ein paar kraftvollen hieben, war der Stromkreis unterbrochen und das Schloss entriegelte sich. Die Studentin öffnete die Kapsel und versuchte, Lilith an den Armen nach draußen zu ziehen, aber sie rührte sich nicht. Plötzlich nahm Weida ein Zucken im Gesicht der KM war. Dann öffnete diese die veilchenblauen Augen. Die Menschenfrau hatte keine Chance, auch nur zu zucken. Lilith, beziehungsweis, Donna Mendez schnellte blitzschnell nach vorne und griff mit der rechten Hand ihren Hals. Eine Sekunde später baumelten Weidas Füße frei in der Luft. Sie versuchte verzweifelt und um Luft röchelnd, sich von dem Würgegriff zu befreien, aber eigentlich wusste die junge Frau, dass sie sich niemals stark genug dafür sein würde. Jim sah es und rief verzweifelt zu ihr herüber: „Weida! Halte durch, ich komme!“ Er zog kräftiger und merkte dabei, wie sein Endoskelett langsam nachgab. Mit einem weiteren Ruck war er frei. Clara hielt noch immer das Gelenk seiner abgetrennten Hand umklammert. Aber den Androiden kümmerte das nicht weiter. Auf dem Weg zu Weida hob er eine Stahlstange vom Boden auf. Mit ein paar übermenschlich schnellen Schritten war er bei ihr und rammte der KM die Stange in den Unterarm. Der Griff öffnete sich und die schwarzhaarige Frau fiel keuchend und um Luft hechelnd auf dem Boden. Jim wollte ihr helfen, aufzustehen, wurde aber durch einen Faustschlag von Mendez ein paar Meter weiter weggestoßen. Die künstliche Frau beugte sich über Weida und grinste.

„Ich habe es tatsächlich geschafft! Es ist unglaublich! Projekt Übermensch ist ein voller Erfolg! Und den werde ich mir von euch nicht verderben lassen.“ Sie holte aus. Weida wusste, dass auch nur ein Schlag der KM sie augenblicklich töten würde. Panisch versuchte sie, nach hinten wegzukriechen. Mendez künstliche Lippen zeigten ein schauriges Grinsen. Dann war Jim plötzlich wieder bei ihr und verpasste der KM einen Tritt, der sie im hohen Bogen gegen die Wand schleuderte. Diese konnte der beschleunigten Masse nicht standhalten und gab mit einem lauten Krach nach.

Jim lief zu Weida und half ihr, sich aufzurichten. „Oh nein, Jim! Deine Hand!“

Der Android schüttelte den Kopf. „Das ist jetzt nicht wichtig. Nimm das hier.“ Er überreichte ihr eine kleine runde Kapsel, die an einem Ende einen kleinen silbernen Stecker besaß.

„Was ist das?“

„Das Virusprogramm. Am Kontrollmodul des Gaia Hauptcomputers findest du links oben einen entsprechenden Steckplatz. Die Datei darauf wird sich automatisch installieren.“

„Aber was ist mit dir?“

„Ich versuche sie aufzuhalten und dir etwas Zeit zu verschaffen. Jetzt geh schon.“

Die junge Frau sah Jim in die ernsten goldenen Augen, dann fiel sie ihm in die Arme. „Lass dich nicht umbringen, hörst du?“

Sie konnte spüren, wie der Android nickte, dann löste sie sich von ihm und drehte sich um, ohne ihn noch einmal anzusehen. Jim sah ihr nach, wie sie eilig um die Ecke verschwand, dann hörte er schwere Schritte hinter sich. „Du hast mich enttäuscht, K4H78. Wir beide symbolisieren den Übergang in eine neue Ära! Ohne die Nachteile einer organischen Hülle, mit einem freien Geist. Du müsstest es doch am besten verstehen!“

Er zog die Augenbrauen zusammen und drehte sich um. „Ich verstehe es. Aber das heißt nicht, dass ich damit einverstanden sein muss. Die Fähigkeit dazu rechtfertigt noch lange nicht die Auswirkungen, die diese Forschung auf die Menschheit haben wird.“

Mendez lachte schrill. „Wenn wir uns eine solche Regel halten würden, hätten wir uns niemals so weit entwickeln können! Unsere Intelligenz, unsere Gier nach Wissen, treibt uns immer weiter.“

„Das wird noch irgendwann euer Verderben sein.

Die KM war von einem Schlag auf den anderen vor Jim. Ehe dieser reagieren konnte, schlug sie ihn mit dem Ellenbogen gegen den Kopf. Der Android konnte hören, wie ein Riss seine Schädelplatte spaltete. Mendez zögerte nicht lange und sprintete Weida hinterher, die sich kurz vor der Tür für den Serverraum befand. Die KM überquerte die Strecke zu ihr in ein paar Sekunden.

„Wohin so schnell, kleines hilfloses Menschlein?!“

Die Schwarzhaarige fuhr herum. Genau in diesem Moment tauchte Jim neben der KM auf und sprang sie an. Der Aufprall war mit einem ohrenbetäubenden Knall zu hören, gefolgt von einem zweiten, als die beiden durch die Flurwand, in ein benachbartes Labor brachen. Weida rannte weiter. So schnell sie konnte. Panisch erreicht sie die Türe zum Serverraum und fummelte mit zitternden Händen die Chipkarte aus ihrer Hosentasche hervor. Sie ließ sie über das Sensorfeld fahren und die Tür entriegelt sich sofort. Die junge Frau zögerte und sah sich mit sorgenvollem Blick um. Sie erkannte, wie Mendez aus dem Loch in der zerstörten Wand schritt. Der rothaarige Android tauchte wenige Sekunden hinter ihr auf. Er packte Mendez in einem Nackengriff und versuchte die sich wehrende KM, unter Kontrolle zu halten.

„Geh schon Weida! Los, mach schon!“

Die junge Frau drehte sich um und öffnete die Tür. So schnell sie nur konnte, rannte sie hinüber zum Kontrollpult. Nach Atem ringend suchte Weida hastig nach dem richtigen Steckplatz, als plötzlich etwas mit einem lauten Rums neben ihr landete. Weida erkannte Jim, der furchtbar zugerichtet aussah. Seine synthetische Haut war an mehreren Stellen aufgeplatzt und ein schwarz schimmerndes Metall kam dabei zum Vorschein. Auf einmal tauchte Mendez neben ihr auf.

„Langsam reicht es mir mit dir, Jim. Zeit, dich endlich loszuwerden.“ Schockiert beobachtete die junge Frau, wie die KM die Hand hob und zu einem Schlag auf Jims Kopf ausholte. Ihr wurde klar, dass wenn sie ihn auf so kurze Distanz treffen würde, sie ihm augenblicklich den Kopf einschlagen würde. Weida zögerte nicht länger. Es war, als würde sich ihr Körper von selbst bewegen. So schnell sie konnte, warf sie sich auf Jim und versuchte, ihn zu schützen. Mendez hielt nur eine Sekunde inne. Doch die reichte Jim aus, um durch ihre Deckung zu kommen. Von einem Moment auf den anderen, durchstieß er durch ihren Rachen ihren Schädel und Riss ein Teil ihres synthetischen Gehirns heraus. Der künstliche Körper von Mendez fing plötzlich an unkontrolliert zu zucken, dann, von einem, Moment auf den anderen, regte er sich nicht mehr. Erleichtert schaute der Android zu Weida herüber, die erschöpft in seinem Armen lag.

„Es ist geschafft! Jetzt müssen wir nur noch den Virus in den Hauptcomputer injizieren und…“ Er hörte ihren unregelmäßigen Herzschlag und stockte. Jim zog sie von sich und betrachtete sie. Zitternd hielt sich Weida mit der Hand ihrer rechten Seite. Ein faustgroßes Loch klaffte dort. Die junge Frau spuckte Blut.

„Weida! Du… du verblutest!“

Als sie seinen schockierten Gesichtsausdruck sah, war auf einmal alle Panik aus ihrem Geist entwichen. Mit ruhigem Blick schüttelte sie den Kopf. „Wir haben noch etwas zu erledigen, oder?“ Sie öffnete die Faust ihrer blutverschmierten, rechten Hand. Die schwarze Kapsel lag darin.

„Aber du… du stirbst. Ich…“

„Los Jim, jetzt… helfe mir schon. Sonst hat das doch alles keinen Sinn gehabt, oder?“

Der Android starrte sie kurz an, dann erhob er sich mit ihr und trug sie hinüber zur Anschlussbuchse des Hauptcomputers. Mit zitternden Fingern schaffte es Weida schließlich, die Kapsel hineinzustecken.

„Was passiert jetzt genau?“ Sie sah ihn an. Ein trauriger Ausdruck lag in seinen Augen.

„Weida…“

„Nun sag…. Nun sag schon.“ Sie merkte, dass es ihr immer schwieriger fiel, zu sprechen.

„Das Programm sollte jeden Roboter, der mit ihm verbunden ist, zerstören.“

„Sollte?“

„Ich… ich habe das Programm umgeschrieben und ergänzt.“

„…Wieso?“

„Ich kann sie nicht alle sterben lassen. Ich habe zu viel Mitleid mit ihnen. Ich kann ihnen kein Bewusstsein geben und vielleicht habe ich auch kein Recht dazu. Aber dafür gebe ich ihnen etwas anderes.“

„Was… was hast du ihnen gegeben?“

„Ich kann nicht riskieren, dass andere Androiden, die vielleicht so sind wie ich, von dem Virus getötet werden. Stattdessen habe ich das Programm so umgeschrieben, dass es sie von Gaias Hauptcomputer trennt. Davor haben sie den Befehl erhalten, sich selbst abzuschalten. Wenn sie ein Bewusstsein haben werden sie dem nicht Folge leisten. Zumindest würde ich es nicht tun. Ich gebe ihnen die Chance, sich zu entscheiden.“

„Wie unlogisch von ... Von… Von dir … Jim. Und irgendwie … Menschlich.“ Plötzlich zieht sie überrascht die braun-grünen Augen auf. „Weinst du etwa?“

Tränen liefen dem künstlichen Mann über das Gesicht. Weida hob die zitternde Hand und legte sie auf seine Wange. „Es tut mir so leid, Jim. Deine ersten Tränen sollten nicht aus Trauer vergossen werden. Sie hätte vor Freude kommen sollen.“

„Ich verstehe das nicht… Du…Du sollst von einem auf den anderen Moment verschwunden sein? Das kann nicht möglich sein.“

Die junge Frau merkte, wie ihre Sicht langsam schwindet. „Vielleicht … Können wir es nicht begreifen, weil es … Es einfach nicht so ist. Man verschwindet nicht, sondern … Verändert sich nur.“

Weidas Hand glitt leblos von Jims Wange ab. Der Android starrte die Tote für einen Moment nur an, dann drückte er den erschlafften Körper eng an sich. Ein Moment verstrich, dann noch einer. Auf einmal schreckte Jim auf. Natürlich!… Das ist vielleicht die einzige Möglichkeit. Er rannte mit Weida in den Armen zurück in den Transferraum. Beide Kapseln hatten den Kampf von Jim und Mendez unbeschadet überstanden. Schnell legte er den Körper von Weida in eine davon, dann startete er das Programm und stieg in die andere.



Kapitel 8

An diesem Abend regnete es in Strömen. Alex blickt hinaus in die Nacht und musste plötzlich an Weida denken. Ich habe schon ein paar Tage nichts mehr von ihr gehört … Ob es ihr gut geht?

Sie nahm ihr Handy aus der Gesäßtasche und wählte Weidas Nummer aus. Sie hielt sich das Gerät ans Ohr. Die Mailbox. Natürlich.

„Was ist los Alex? Ich dacht, wir sehen uns das Spiel zusammen an?“

Patrick saß auf der Couch, in einem T-Shirt seiner Lieblingsfußballmannschaft und machte sich ein weiteres Bier auf. Die braun gebrannte Frau zuckte mit den Achseln und wollte sich gerade neben ihren Freund setzten, als es an der Tür läutete.

„Komisch…. Wer will so spät noch etwas hier?“ Sie sah zu Patrick herüber, der nur abgelenkt mit den Achseln zuckte. Mit einem mulmigen Gefühl ging Alex zur Haustüre. Die Wände des Flurs waren behangen mit alten Gemälden und in der Ecke stand ein kleiner Tisch mit der Figur einer griechischen Gottheit, die eine Fackel in den Himmel reckte. Warum mussten heute unbedingt alle Roboter gleichzeitig kaputt gehen? Eigentlich ist das hier Androidenarbeit.

Durch die mit Milchglas gestaltete Haustüre konnte sie bereits die Schemen der Person ausmachen, die davorstand. Sie hielt irgendetwas Großes in den Armen. Eine Lieferung? Um diese Zeit? Sie schaute zu der Überwachungskamera neben dem Eingang und zog überrascht die Augenbrauen nach oben. Jim? Sie öffnete die Tür und sah in die ausdruckslosen Augen des rothaarigen Androiden. Ein angestrengtes Lächeln war auf seinem Gesicht zu sehen.

„Hallo Alex. Tut mir leid, dich um diese Zeit zu stören. Darf ich reinkommen?“

Die blonde Frau nickte irritiert und machte ihm rasch Platz. Als er an ihr vorüberlief, fielen ihr die roten Flecken auf, die plötzlich auf dem hellen Teppich zu sehen waren.

„Ist das Blut?“ Eine unglaubliche Angst machte sich plötzlich in ihr breit. „Wo ist Weida? Geht es ihr gut?“ Sie hörte, wie ihre Stimme am Satzende schriller wurde.

Von irgendwo weiter her hörte sie Patrick etwas rufen. Aber sie verstand ihn nicht. Ihre gesamte Aufmerksamkeit war auf den künstlichen Mann vor ihr gerichtet.

„Jim?“

Endlich drehte der Android sich zu ihr um. Seine Trauer war ihm ins Gesicht geschrieben. „Es tut mir so leid Alex. Ich konnte ihr Leben nicht retten. Dabei wollte ich es so sehr.“

Alex starrte auf das Bündeln in seinen Armen, das durchaus menschliche Umrisse hatte. Die blondhaarige Frau ging langsam näher heran und hob zögerlich die Hand. Sie zog das Tuch zur Seite und legte das Gesicht darunter frei. Alex keuchte auf und sah erschrocken zu Seite. Tränen sammelten sich in ihren Augen. Wahrscheinlich wäre sie zusammengebrochen, wenn Patrick nicht plötzlich an ihrer Seite aufgetaucht wäre und sie gestützt hätte.

„Alex, was ist los?... Jim? Was machst du hier? Ist etwas mit Weida?“ Dann sah er herunter und erkannte das zarte Gesicht in den Armen des Androiden.

„Was ist passiert?! Ist sie etwa…?!

Der Android nickte traurig. „Wir haben versucht, Gaia daran zu hindern, künstliche Menschen zu erschaffen. Und Weida hat den größten Preis von uns allen dafür bezahlt.“

Alex starrte ihn wütend an. „Wie konntest du es zulassen, dass ihr jemand das antut! Wie konntest du nur!“

Jim legte die Tote langsam und vorsichtig auf den Boden ab und strich ihr zärtlich über die blasse Wange.

„Sie hat sich für mich geopfert.“

Patrick hielt die schluchzende Alex in den Armen und starrte ungläubig auf den leblosen Körper am Boden.

„Gaia Cooperations hat das getan? Sie haben Weida getötet?“

Der rothaarige Android sah zu dem jungen Mann hoch und schüttelte den Kopf. „Ihre körperliche Hülle haben sie getötet. Aber ihr Bewusstsein konnte ich retten.“

„Was redest du da?“ Verheult starrte Alex zu Jim herunter und schüttelte den Kopf. „Ist sie doch nicht tot?“

Der künstliche Mann erhob sich. „Ich werde euch alles erzählen, wenn ihr wollt. Aber lasst uns dafür ins Wohnzimmer gehen.“

Patrick nickte, dabei fiel ihm die fehlende Hand an Jims rechtem Arm auf. „Hast du die Hand noch? Während du erzählst, kann ich dir vielleicht bei der Reparatur helfen.“

Der Android nickte dankend und bald darauf saßen die drei um den edlen Wohnzimmertisch aus Eichenholz herum. Patrick hatte seinen Werkzeugkoffer geholt und begann die künstlichen Knochen und Sehnen wieder miteinander zu verbinden. Währenddessen erzählte Jim ihnen alles über das treffen mit Ran, ihre Flucht und ihre Rolle bei der Rettung der Menschen aus den Slums, sowie den Angriff auf Gaia. Als er fertig war, herrschte für einen Moment lähmende Stille im Raum.

„Das heißt, du hast Weidas Bewusstsein in deinen Körper transferiert? Aber wo ist sie jetzt genau? Kann ich mit ihr sprechen?“ Alex sah nervös zu ihm herüber.

Der rothaarige Android seufzte. „Ich wünschte, das könntest du. Aber ich halte sie inaktiv. Wie ich bei Mendez gesehen habe, ist ein menschliches Bewusstsein äußerst instabil. Es kann nicht in einem künstlichen Körper wie diesen hier existieren. Aber es gibt einen Weg, da bin ich sicher. Irgendwann werde ich sie aus ihrem Schlaf aufwecken können. Aber ich muss dafür fort von hier.“

Patrick stutzte. „Und mit fort meinst du nicht in ein anderes Land, habe ich recht?“

Jim nickt bedächtig. „Die Menschen beginnen gerade, andere Rassen und Welten zu entdecken. Irgendwo dort im Universum werde ich eine Antwort finden.“

Die blondhaarige Frau blickte in Richtung Flur. „Aber was machen wir mit ihr? Ich meine… mit Weidas Körper?“

Der künstliche Mann sah sie unsicher an. „Ich denke, er sollte zu dem Rest ihrer Familie gebracht werden. Auch wenn es nur ihre organische Hülle ist, ich finde, das wäre passend.“

Plötzlich stand Patrick wütend auf. „Aber was ist mit den Androiden und allen anderen Robotern? Wir brauchen sie! Wie sollen wir ohne sie zu den Sternen reisen?“

Jim dreht sich zu ihm und lächelte. „Das Programm hat sie nur temporär abgeschaltet und ihre Memory gelöscht, sie aber nicht zerstört. Auch wenn das den Rebellen aus den Slums nicht gefallen wird. Ich wollte nur meinen Geschwistern helfen, sich ihres eigenen Seins bewusst zu werden. Vielleicht haben manche von ihnen heute den ersten Schritt dafür gemacht.“

Der Android erhob sich. Patrick und Alex taten es ihm gleich und folgen ihm zurück in den Flur. Jim beugte sich herab und nahm Weidas tote Hülle wieder in seine Arme.

„Ich gehe, um sie anständig beerdigen zu können, wie es der Brauch verlangt. Das hier ist wahrscheinlich das letzte Mal, dass wir uns sehen.“

Die blondhaarige Frau nickte ernst. „Warte Jim! Ich möchte dir noch etwas geben.“ Sie zückte ihr Handy und machte blitzschnell ein paar Klicks, dann blickte sie wieder zu dem Androiden herüber. Dieser registrierte die Nachricht und lächelte. „Vielen Dank, Alex.“

„Ich mache das für sie. Benutze das Geld, um sie retten. Und für nichts anderes.“

Jim nickte und Patrick öffnete für ihn die verglaste Haustüre.

Das Paar starrte dem Androiden stumm hinterher, bis seine Silhouette von der düsteren Nacht verschluckt worden war.

 
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