Lange weile bild

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Walther

Mitglied
Lange weile bild

Der graue pinsel ist aus versehn über blau
gerutscht: gespenstisch weit draußen
überm dach schmiegt sich der himmel
an die solar paneele

Die an züge wollen rangiert werden
die jackos geplustert & die hosen
gefaltet – ich kaue den blei stift oben
spitze ihn unten an als

Ich die lange weile aufs papier banne
dann spitze ich das an gebissne ende
& stell fest dass lange weile nach
grafit schmeckt & die zunge

Schwärzt wenn man sie in den mund
nimmt: der speichel läuft zu sammen
& stürzt als tropfen ab – modern solls
werden experimentell
 
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Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
ich kaue den blei stift
Das ist ein hervorragendes Beispiel dafür, was Silben auf trennen bewirken kann, indem die blitzartige Verschränkung von zwei Bildern, die so schnell über den Seh und Gehirnnerv zuckt, aufgehoben und in widerstreitende Adsoziationen aufgelöst wird. Ich denke da an den Mund als Revolver, (es ist dem Charakter deines Textes geschuldet, dass ich nicht an eine Schnellschusspistole denke) der sich für den Kampf gegen das Althergebrachte, Langweilige eignet, wenn man zum Experiment vordringen will.

Schreiben ist Krieg und das Experiment manchmal ein Sieg, das Althergebrachte, wäre dann eine Kapitulation vor den Ideen Platons, dem Guten, Wahren und Schönen und wie der ganze Kram sonst noch heißt.
 
Zuletzt bearbeitet:
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
... speichelt läuft zu sammen
& stürzt als tropfen ab – modern solls
werden experimentell
Als Schlußformulierung des Gedichts, lieber Walther,

als Pointe, bilden diese beiden Sätze einen leichten Schwenk, fast Antithese, zum grauen Lang-Weiligen des bloß rangierten An-Zugs usw.
Klingt allerdings selbstkritisch, vielleicht sarkastisch: Als "experimentell" geriert sich, was nur ein abgestürzter Tropfen des im Munde zusammengelaufenen Speichels ist. Im Munde des Schreibers, treffliche Hintergrund-Metapher des Bleistift-Gleichnisses (aus dem das Gedicht bestünde, wenn der Bleistift zuerst, in der Einstiegszeile, nicht ein Pinsel gewesen wäre).

"modern solls werden". Nun ja, das könnte in Richtung der Bukowski-Epigonen gehen, die den im Munde zusammengelaufenen Speichel ins Textfeld spucken, oder ganz denen entgegengesetzt: in Richtung avantgardistischer brevitas. Letztere wäre mein Ding, wie in "glück". Dessen schlichte Abbreviatur geht hier sangundklanglos unter, oder wird mit vier Punkten schultergeklopft wie irgendein - wie schreibst Du? - "der speichelt läuft zusammen" usw, vom Graphitstaub grau, schauderhaft, geschmacksarm, buchstabenfarben. Es schüttelt einen -

bei dem Modernen natürlich, nicht bei Deiner feingezeichneten Kalligraphie.

grusz, hansz
 

Walther

Mitglied
Als Schlußformulierung des Gedichts, lieber Walther,

als Pointe, bilden diese beiden Sätze einen leichten Schwenk, fast Antithese, zum grauen Lang-Weiligen des bloß rangierten An-Zugs usw.
Klingt allerdings selbstkritisch, vielleicht sarkastisch: Als "experimentell" geriert sich, was nur ein abgestürzter Tropfen des im Munde zusammengelaufenen Speichels ist. Im Munde des Schreibers, treffliche Hintergrund-Metapher des Bleistift-Gleichnisses (aus dem das Gedicht bestünde, wenn der Bleistift zuerst, in der Einstiegszeile, nicht ein Pinsel gewesen wäre).

"modern solls werden". Nun ja, das könnte in Richtung der Bukowski-Epigonen gehen, die den im Munde zusammengelaufenen Speichel ins Textfeld spucken, oder ganz denen entgegengesetzt: in Richtung avantgardistischer brevitas. Letztere wäre mein Ding, wie in "glück". Dessen schlichte Abbreviatur geht hier sangundklanglos unter, oder wird mit vier Punkten schultergeklopft wie irgendein - wie schreibst Du? - "der speichelt läuft zusammen" usw, vom Graphitstaub grau, schauderhaft, geschmacksarm, buchstabenfarben. Es schüttelt einen -

bei dem Modernen natürlich, nicht bei Deiner feingezeichneten Kalligraphie.

grusz, hansz
Hi hansz,
danke vielmals! mir ist ein fehlerchen unterlaufen: das "t" bei speichel hätte da nicht hingesollt, jetzt ists weg und hoffentlich besser.
lg W.
Das ist ein hervorragendes Beispiel dafür, was Silben auf trennen bewirken kann, indem die blitzartige Verschränkung von zwei Bildern, die so schnell über den Seh und Gehirnnerv zuckt, aufgehoben und in widerstreitende Adsoziationen aufgelöst wird. Ich denke da an den Mund als Revolver, (es ist dem Charakter deines Textes geschuldet, dass ich nicht an eine Schnellschusspistole denke) der sich für den Kampf gegen das Althergebrachte, Langweilige eignet, wenn man zum Experiment vordringen will.

Schreiben ist Krieg und das Experiment manchmal ein Sieg, das Althergebrachte, wäre dann eine Kapitulation vor den Ideen Platons, dem Guten, Wahren und Schönen und wie der ganze Kram sonst noch heißt.
Hi Patrick,
das dekonstruieren ist hier vielfältig, denn es gibt einen bezug dazu: https://www.leselupe.de/beitrag/schwarz-grau-150118/ - ein sonett, bei dem es mich eh wundert, dass das keiner aufgreift. aber gut.
ich danke dir fürs lesen und den spitzen "blei stift" aufgreifen.
lg W.

der dichter dankt @Patrick Schuler für die freundliche leseempfehlung!
 



 
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