Zu Gelong Thubtens Büchern kam ich wie die Jungfrau zum Kinde. Ohne Vorwarnung stiess ich, im Netz nach ganz Anderem stöbernd, auf den Titel "A Monks Guide to Happiness" und empfand die mir unerklärliche Neugier, reinzuschauen.
Denn organisierte Religionen, selbst der eher weniger dogmatisch als eher als Philosophie anmutende Buddhismus, erschienen mir seit Langem schon als selbstbezügliche Veranstaltungen. Dieses Pochen auf Nächstenliebe schien mir ein verdeckter Spendenaufruf an die nach Lebenssinn dürstende Hörerschaft. Du willst was Gutes tun? - Spende mir Geld. So klang es für mich. Auch im Buddhismus.
Selbst diejenigen, die sich schon in die leichtfüssige Prosa eines Matthieu Riccard eingelesen oder schon x Mal versucht haben, den Satz eines Eckhart Tolle, dass die Stille spricht, nachzuvollziehen und dabei gescheitert sind, sollten Thubtens Büchern jedoch zumindest mal eine Chance geben. Man wird überrascht.
Ziel der Meditation, heisst es zunächst, ist gar nicht die geistige Leere. Wie sollte die auch gelingen, fragt sich der Autor, wo doch unser Gehirn unaufhörlich arbeitet. Was die Meditation bezweckt, ist es, um es mit Kierkegaard zu sagen, in ein Verhältnis zur eigenen Innenwelt zu treten. Das Verhältnis aber, bedarf der Verdoppelung: Einmal ist da das wilde Durcheinander beliebiger Gedanken und Gefühle, und zum anderen das Bewusstsein über deren Existenz. Thubten setzt das mit einer dicht befahrenen Landstrasse und dem Beobachter am Wegesrand, der die Autos vorbeiziehen sieht, ins Bild.
Man merkt: Man hat die Wahl, sich mit den Gedanken oder aber mit dem reglosen Beobachter zu identifizieren, der das Verkehrstreiben unbeteiligt zur Kenntnis nimmt und es unbeschadet überlebt.
Der zweite Punkt, den Thubten erläutert, ist ebenso überraschend: Meditation ist kein Aktivismus. Im Gegenteil geht es um Nicht-Tun. Hier fühlt sich der mystikbegeisterte Leser an den Begriff der Entbildung erinnert. Man entledigt sich aller zivilisatorischen Hüllen, um elementar zu werden. Man fällt bis auf den Grund, dem alle Namen und Begriffe entspringen, um es mit Stefan George zu sagen. Man kommt in Berührung mit dem Urgrund allen Seins.
Dass dem so ist, führt Thubten auf die Absicht zurück. Richtiges Meditieren bedarf der guten Absicht. Und die, weit entfernt davon blosse Einbildung zu sein, lässt sich haarscharf im CT-Bild nachweisen. Die Absicht bringt unseren Motor-Cortex in Gang. Wir machen uns startklar, um zur Aktion zu schreiten. Weil der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Tornado auslösen kann, kann sich auch diese Durchblutung des Motor-Cortex auf den Lauf der Welt auswirken. Die gute Absicht verändert mein Auftreten, ich handle nicht mehr aus Angst, sondern aus innerer Zufriedenheit. Unter Umständen wird das bemerkt und gewürdigt. Schon Matthieu Ricard hatte im Zuge seiner Zusammenarbeit mit der Neurowissenschaftlerin Tanja Singer festgestellt, dass Meditation die Amygdala, das Angst- und Alarmzentrum im menschlichen Gehirn, verkleinert.
Was freilich nicht geht, ist, die Absichten der anderen zu verändern. Jeder muss sein Innenleben schon selbst in die Hand nehmen. Oder wie C.G. Jung einst zu bedenken gab: Psychoanalyse ist keine Massenimpfung und von daher viel zu langweilig und uninteressant. Denn jeder muss bei sich selbst anfangen, im Verborgenen, wo es keiner sieht, abseits von Rampenlicht und Beifall.
Thubten mahnt zur Unterscheidung von Empathie und Mitgefühl. Während erstere reaktiv und also an Erwartungen und Bedingungen geknüpft sein mag, ist das buddhistische Mitgefühl ("compassion") bedingungslos. Es gilt allen Lebewesen, ohne Wenn und Aber, denn man selbst begreift sich als ein Teil davon. Die gute Absicht ist daher viel näher, als es auf den ersten Blick scheint, beim alttestamentlichen Gott, der die in Ägypten versklavten Israeliten unter der Führung des Mose ins gelobte Land zurückführen will. Befreiung geht nicht ohne die Strapazen der vierzigjährigen Wüstenwanderung. Der innere Friede wird immer wieder auf die Probe gestellt. Siebenmal siebenundsiebzig Mal soll man vergeben, sagt Jesus zu Petrus. Der Buddhismus wusste, nach Thubtens Buch zu urteilen, schon ein halbes Jahrtausend vor Christi Geburt, dass das Wesen des Retters grundverschieden von demjenigen des Schützlings zu sein hat. Wäre es anders, würden beide im Notfall untergehen. Thubten stellt klar, dass dieser Wesensunterschied in jedem Individuum selbst angelegt, leicht zugänglich und erfahrbar ist. Schwierig dabei ist nur die Praxis.
Wir sind von Menschen umgeben, denen die gute Absicht nichts bedeutet. Die Psychologie hat das Ihre dazugetan, indem sie Menschen einredete, sie handelten aus reinem Eigennutz altruistisch und keineswegs aus echtem Bemühen um das Wohlergehen des Anderen. Mehr als einer wurde schon durch diese pseudowissenschaftliche Umdeutung der eigenen Absicht entmutigt, bis hin zum Verlust des Lebenssinns.
Thubtens Buch erinnert an die innere Verbundenheit aller Lebewesen. Das Wohlergehen des anderen ist grundlegend für mein eigenes Wohlergehen. Somit ist die Natur des Menschen zutiefst altruistisch. Uns allen wohnt das Bewusstsein unserer Einheit und Gleichheit inne. Leben wir im Einklang damit, tun wir uns und der Welt einen Gefallen. Sagen wir uns davon los, gereicht uns dies über kurz oder lang zum Nachteil.
Das Schöne ist: Wir haben's in der Hand, die gute Absicht zu kultivieren oder uns vom Schlechtdenken und Schlechtreden in den Abgrund reissen zu lassen.