Maeterlinck redivivus

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Ich saß im Concertgebouw Amsterdam, gespielt wurde Ravels La Valse und sein Klavierkonzert. Außer meinen Diamantenhändlern kannte ich keine Menschenseele in den Niederlanden. Es war Mai. Meine heimliche Liebschaft hatte mich vor Kurzem verlassen. Ich war also frei. Ich mochte die Zuckergussinterpretation des Ravelschen Walzers nicht. Deshalb verließ ich die Konzerthalle in der Pause, kaufte Martha Argerichs Transkription for 2 Klaviere und die beiden Suiten für zwei Klaviere von Rachmaninoff. Es war Donnerstag, aber ich hatte keine Geschäfte vor dem folgenden Dienstag. Ich duschte mit Hanf-Schampoo und rieb meinen Körper mit Moringa-Butter ein, bestellte ein Ticket für den Nachtzug nach Bruges über mein Hotel, aß eine scharf gewürzte Portion Spaghetti a la Milanese, und bestellte mir eine Flasche Bacardi und Eis auf’s Zimmer. Ich spritzte mir etwas Pentothal, rauchte einen kleinen Joint und ...Mijn frouwe!Traf dich im Zugabteil. Wir parlierten Nettigkeiten. Schätzte dich ab, wie du mich. Also dann Liebe, lächerlich, aber du bist süß. Ich erzähle dir, warum ich nach Brügge fahre. Bruges la morte. Da kitzelst du mich, Biest! „Ris!, „schreist du,“ ris enfin!“ Endlich ist der Nachtschaffner verschwunden. „Tu comprends le Jazz?“ frag ich dich. Zieh ne line und frag dich, ob du auch magst. Du nickst und wir teilen uns meine Kopfhörer . Ich mag’s ja, wie sie auf Jimmy Ponder abfährt. Gold, wie der Morgen danach. “ Ecoutes-moi, nous ne sommes pas marié,“I shout. Also verlass ich dich wieder und zieh‘ die Straße runter, denk an Maeterlinck und besauf‘ mich in nem Café an der Fillips de Goedelaan. Am zweiten Tag treffe ich dich wieder, aber du schwafelst mir was vor, du seist, sagst du, aus Schottland und überhaupt mit Familie und kennst mich gar nicht. Du hast dir einen rauhen Akzent zugelegt, aber der könnte auch Flämisch sein. Also hast du Maeterlinck gelesen und versuchst mich kirre zu machen? Du hast mir kleine Liebeshelfer mitgebacht, die Blauen mit der schrägen Form. Ich misstraue dir. Aber liebe dich, „baise-moi,“ knurrst du.
Maeterlinck redivivus
 
Ich saß im Concertgebouw Amsterdam, gespielt wurde Ravels La Valse und sein Klavierkonzert. Außer meinen Diamantenhändlern kannte ich keine Menschenseele in den Niederlanden. Es war Mai. Meine heimliche Liebschaft hatte mich vor Kurzem verlassen. Ich war also frei. Ich mochte die Zuckergussinterpretation des Ravelschen Walzers nicht. Deshalb verließ ich die Konzerthalle in der Pause, kaufte Martha Argerichs Transkription für 2 Klaviere und die beiden Suiten für zwei Klaviere von Rachmaninoff. Es war Donnerstag, aber ich hatte keine Geschäfte vor dem folgenden Dienstag. Ich duschte mit Hanf-Schampoo und rieb meinen Körper mit Moringa-Butter ein, bestellte ein Ticket für den Nachtzug nach Bruges über mein Hotel, aß eine scharf gewürzte Portion Spaghetti a la Milanese, und ließ mir eine Flasche Bacardi und Eis auf’s Zimmer bringen. Ich spritzte mir etwas Pentothal, rauchte einen kleinen Joint und ...Mijn frouwe!Traf dich im Zugabteil. Wir parlierten Nettigkeiten. Schätzte dich ab, wie du mich. Also dann Liebe, lächerlich, aber du bist süß. Ich erzähle dir, warum ich nach Brügge fahre. Bruges la morte. Da kitzelst du mich, Biest! „Ris!, „schreist du,“ ris enfin!“ Endlich ist der Nachtschaffner verschwunden. „Tu comprends le Jazz?“ frag ich dich. Zieh ne line und frag dich, ob du auch magst. Du nickst und wir teilen uns meine Kopfhörer . Ich mag’s ja, wie du auf Jimmy Ponder abfährst. Gold, wie der Morgen danach. “ Ecoutes-moi, nous ne sommes pas marié,“I shout. Also verlass ich dich wieder und zieh‘ die Straße runter, denk an Maeterlinck und besauf‘ mich in nem Café an der Fillips de Goedelaan. Am zweiten Tag treffe ich dich wieder, aber du schwafelst mir was vor, du seist, sagst du, aus Schottland und überhaupt mit Familie und kennst mich gar nicht. Du hast dir einen rauhen Akzent zugelegt, aber der könnte auch Flämisch sein. Also hast du Maeterlinck gelesen und versuchst mich irre zu machen? Du hast mir kleine Liebeshelfer mitgebacht, die Blauen mit der schrägen Form. Ich misstraue dir. Aber liebe dich, „baise-moi,“ knurrst du.
Maeterlinck redivivus
 
K

KaGeb

Gast
Hi,

für mich ist das so ein "Anti"-Text, gegen alles, Geseire, dass einen intellektuellen Touch-Down zu landen versucht. Schon die Überschrift "klemmt" m.M.n. und verführt nicht zum weiterlesen.

Dann kommen Passagen, die ich nicht verstehe, z.B.:


Es war Mai. Meine heimliche Liebschaft hatte mich vor Kurzem verlassen. Ich war also frei.
Was sagt der Monat Mai aus? Wenn ihn die heimliche Liebschaft verlassen hat, wieso ist der Prot. dann frei? IMHO wäre er ja somit gebunden - und trotz Befreiung von der Liebschaft immernoch liiert, oder verstehe ich da was falsch?

Bitte um Aufklärung und ...

LG
 
frei

Hallo KaGeb,

danke für deine Rückmeldung.
Die touch-down-Metapher ist klasse.
Der Monat Mai "sagt": Es ist Frühling.
Warum bin ich frei, wenn meine Geliebte mich verlässt?
Weil ich sie los bin.
Und sie mich.

Lieben Gruß

Serge
 
K

KaGeb

Gast
Hallo serge,

aber du schreibst doch "heimliche" Geliebte. Insofern ist er also wohl offiziell verbandelt ...

LG
 
Moment!

Meine letzte Antwort muss ich revidieren
Um eine heinliche Geliebte zu haben, muss man nicht verbandelt sein. Oder vielleicht ist sie es ja.

Selbst, wenn der Erzähler verheiratet wäre, könnte er sich frei fühlen, nämlich dann, wenn seine Gattin und er sich soweit auseinander gelebt hätten, dass sie sich gegenseitig erotische Freiheiten zustehen würden.

Der Text ist eine bloße Fingerübung.
"Pseudo-intellektuell" lasse ich mir ohne Weiteres gefallen, weil der Ausdruck schon längst zum Null-Lexem degeneriert ist.
"Geseiere" ist unter der Gürtellinie und wird deswegen ignoriert.
"Anti-Text" ist Quatsch.Von einem Anti-Text würde ich sprechen, wenn die einzelnen Sätze wahllos angeordnet wären.
Was den Titel betrifft: Ich halte ihn für einen Volltreffer.
Er bezeichnet exakt, was darunter zum Text verwoben ist.
Schwerfälligere Zungen werden Mühe haben, ihn zu artikulieren. Das kann aber kein Maßstab sein.

Schönen Nachmittag Dir,

Serge
 

ledsgo

Mitglied
"Schwerfälligere Zungen werden Mühe haben, ihn zu artikulieren. Das kann aber kein Maßstab sein."

;-) Bist du ein alter Metaphysiker, der meint, die eigentliche und wirklich wahre Wahrheit im Besitz zu haben, während die anderen zu dumm dafür sind?

Vielleicht hast du sogar recht,...wer weiß. Aber ich glaube schon, dass man es sich zu einfach macht, wenn man seinen eigenen Text versteht und am Mißverständnis der anderen gerade und nur die anderen schuld sind.?
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Den Meckerkommentaren kann ich nix abgewinnen: Sie sind wirklich unter der Gürtellinie. Ich finde den Text interessant, er ist flüssig geschrieben und spiegelt eine Lebensart, die mir nicht unsympathisch ist.

P.
 

Duisburger

Mitglied
Ich mag den Text und hoppla, ich verstehe ihn sogar. Die Sprache gefällt mir, weil sie sich vom üblichen abhebt und dem Text etwas Geheimnisvolles gibt.
Es ist ein Plot, ein Streiflicht in einem ganz engen Korsett, auch sprachlich gesehen.

lg
Uwe
 

anbas

Mitglied
Hallo Serge,

es gibt Texte, die muss und will ich im Grunde auch nicht verstehen und mag sie trotzdem, da sie "irgendwie" wirken. Dies ist so einer.

Stilistisch stolpere ich ein wenig über die vielen "Ich" an den Satzanfängen. Auch sonst könnten - für meinen Geschmack - dem Text insgesamt ein paar weniger "Ich" gut tun (was aber schwierig ist, wenn in der ersten Singular erzählt wird ;) ).

Liebe Grüße

Andreas
 

nachts

Mitglied
Ich find, dass ist wirklich sehr gut "erzählt"
Irgendwas fehlt mir noch, dass den Text vom "Schon -mal -gelesenen" oder "Typisch - Bekannten" abhebt. (Ich weiß aber nicht was)
Vielleicht weißt du, was ich meine
LG Nachts
 
Danke für's Lesen und eure Kommentare, Andreas, nax und nachts!

@Andreas: Stimmt, "ich" ist überrepräsentiert. ;-) Muss mal sehen, was sich da machen läßt.

@Nachts: Ich verstehe Dich so, dass dem Text das Individuelle fehlt. Vielleicht eher in Bezug auf den schlichten Stil als inhaltlich. Da ist eine wertvolle Rückmeldung für mich. Danke!


Serge
 
Version 2:

Ich saß im Concertgebouw Amsterdam, gespielt wurde Ravels „La Valse“ und sein Klavierkonzert. Außer meinen Diamantenhändlern kannte ich keine Menschenseele in den Niederlanden. Es war Mai. Meine heimliche Liebschaft hatte mich vor Kurzem verlassen. Ich war also frei. Ich mochte die Zuckergussinterpretation des Ravelschen Walzers nicht. Deshalb verließ ich die Konzerthalle in der Pause, kaufte Martha Argerichs Transkription für 2 Klaviere und die beiden Suiten für zwei Klaviere von Rachmaninoff. Es war Donnerstag, aber ich hatte keine Geschäfte vor dem folgenden Dienstag. Ich duschte mit Hanf-Schampoo und rieb meinen Körper mit Moringa-Butter ein, bestellte ein Ticket für den Nachtzug nach Bruges über mein Hotel, aß eine scharf gewürzte Portion Spaghetti a la Milanese, und ließ mir eine Flasche Bacardi und Eis auf’s Zimmer bringen. Ich spritzte mir etwas Pentothal, rauchte einen kleinen Joint und ...Mijn frouwe! Traf dich im Zugabteil. Wir parlierten Nettigkeiten. Schätzte dich ab, wie du mich. Also dann Liebe, lächerlich, aber du bist süß. Ich erzähle dir, warum ich nach Brügge fahre. Bruges la morte. Da kitzelst du mich, Biest! „Ris!, „schreist du,“ ris enfin!“ Endlich ist der Nachtschaffner verschwunden. „Tu comprends le Jazz?“ frag ich dich. Zieh ne line und frag dich, ob du auch magst. Du nickst und wir teilen uns meine Kopfhörer . Es gefällt mir, wie du auf Jimmy Ponder abfährst. Gold, wie der Morgen danach. “ Ecoutes-moi, nous ne sommes pas marié,“schreie ich. Also verlass ich dich wieder und zieh‘ die Straße runter, denk an Maeterlinck und besauf‘ mich in nem Café an der Fillips de Goedelaan. Am zweiten Tag treffe ich dich wieder, aber du schwafelst mir was vor, du seist, sagst du, aus Schottland und überhaupt mit Familie und kennst mich gar nicht. Du hast dir einen rauhen Akzent zugelegt, aber der könnte auch Flämisch sein. Also hast du Maeterlinck gelesen und versuchst mich irre zu machen? Du hast mir kleine Liebeshelfer mitgebacht, die Blauen mit der schrägen Form. Ich misstraue dir. Aber liebe dich, „baise-moi,“ knurrst du.
Maeterlinck redivivus


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Original:

Ich saß im Concertgebouw Amsterdam, gespielt wurde Ravels La Valse und sein Klavierkonzert. Außer meinen Diamantenhändlern kannte ich keine Menschenseele in den Niederlanden. Es war Mai. Meine heimliche Liebschaft hatte mich vor Kurzem verlassen. Ich war also frei. Ich mochte die Zuckergussinterpretation des Ravelschen Walzers nicht. Deshalb verließ ich die Konzerthalle in der Pause, kaufte Martha Argerichs Transkription für 2 Klaviere und die beiden Suiten für zwei Klaviere von Rachmaninoff. Es war Donnerstag, aber ich hatte keine Geschäfte vor dem folgenden Dienstag. Ich duschte mit Hanf-Schampoo und rieb meinen Körper mit Moringa-Butter ein, bestellte ein Ticket für den Nachtzug nach Bruges über mein Hotel, aß eine scharf gewürzte Portion Spaghetti a la Milanese, und ließ mir eine Flasche Bacardi und Eis auf’s Zimmer bringen. Ich spritzte mir etwas Pentothal, rauchte einen kleinen Joint und ...Mijn frouwe!Traf dich im Zugabteil. Wir parlierten Nettigkeiten. Schätzte dich ab, wie du mich. Also dann Liebe, lächerlich, aber du bist süß. Ich erzähle dir, warum ich nach Brügge fahre. Bruges la morte. Da kitzelst du mich, Biest! „Ris!, „schreist du,“ ris enfin!“ Endlich ist der Nachtschaffner verschwunden. „Tu comprends le Jazz?“ frag ich dich. Zieh ne line und frag dich, ob du auch magst. Du nickst und wir teilen uns meine Kopfhörer . Ich mag’s ja, wie du auf Jimmy Ponder abfährst. Gold, wie der Morgen danach. “ Ecoutes-moi, nous ne sommes pas marié,“I shout. Also verlass ich dich wieder und zieh‘ die Straße runter, denk an Maeterlinck und besauf‘ mich in nem Café an der Fillips de Goedelaan. Am zweiten Tag treffe ich dich wieder, aber du schwafelst mir was vor, du seist, sagst du, aus Schottland und überhaupt mit Familie und kennst mich gar nicht. Du hast dir einen rauhen Akzent zugelegt, aber der könnte auch Flämisch sein. Also hast du Maeterlinck gelesen und versuchst mich irre zu machen? Du hast mir kleine Liebeshelfer mitgebacht, die Blauen mit der schrägen Form. Ich misstraue dir. Aber liebe dich, „baise-moi,“ knurrst du.
Maeterlinck redivivus
 
Klinke mich einfach in die abgelaufene Diskussion da ein, wo sie abgebrochen ist. Also, gerade "individualisieren" würde ich diesen Text nachträglich nicht. Für mich besteht sein Reiz gerade in dem Erratisch-Prototypischen. Jeder, der Lust dazu verspürt, kann sich mit der Figur des Reisenden identifizieren, in sie hineinschlüpfen wie in ein Kleidungsstück von der Stange. Die sehr verknappte Sprache hantiert geschickt-nachlässig mit kulturellen Accessoires, von denen fast jeder schon mal gehört hat. Insgesamt ein Text, bewusst ohne "Tiefe", dafür mit gut strukturierter Oberfläche.

(Zum Titel: Er kann nicht so schlecht sein, wie oben behauptet, denn er hat mich diesen Text aus den übrigen vom gleichen Verfasser auswählen lassen.)

Arno Abendschön
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo serge,

der text steht ja nun schon einige wochen hier.
habe ihn jetzt oft genug gelesen. er hat sich in mir
abgehangen, luftgetrocknet zu einem schmackhaften text.
ih entdecke in der von dir gewählten sprache, in seiner
brüchigkeit, aber auch in seiner art kurz immer das richtige wort zu benutzen, echte kunst.
hier ist ewtas, das zwischen wahn und weg exakt ausbalnciert,
in mir bleibt.

diese sprache möchte sich in einem größeren text wiederfinden.
meiner meinung nach benutz du sie ja auch in deinen
tagebuch einträgen.

für mich hier ein "großes stück", das gegen den strom schwimmt.
mach mehr daraus, würde ich dich bitten, wenn es mir zustünde.
lg
ralf
 



 
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