Maries kleines Monster

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Sabine Sanmann

Mitglied
„Ich kann nicht schlafen!“ Marie tapst ins Wohnzimmer. Ihre Haare sind ganz verwuschelt, und ihre Wangen fast so rot wie Lauras, wenn sie heimlich mit Mamas Schminke Top-Model spielt. Mama schaut von ihrem Buch hoch.

„Marie! Es ist schon so spät! Du musst doch müde sein!“
„Ja…ich kann aber trotzdem nicht schlafen. Kann ich noch ein bisschen bei dir bleiben?
„Na, dann komm!“

Mama legt ihr Buch weg. Marie kuschelt sich in Mamas Wolldecke und gähnt. Die Decke riecht genau so gut wie Mama, denkt Marie, und ihr fallen fast die Augen zu.

Mama streicht Marie ein paar verklebte Löckchen aus dem Gesicht. „Warum kannst du denn nicht schlafen?“, fragt sie. „Weiß nicht“, murmelt Marie. Sie könnte Mama von dem Geräusch unter ihrem Bett erzählen, aber was ist, wenn Mama sie auch auslacht, wie Laura neulich? Große Schwestern sind richtig doof. Marie hat Laura vor ein paar Tagen gefragt, ob sie bei ihr schlafen kann, weil da so ein komisches Geräusch unter ihrem Bett ist, aber Laura hat nur die Augen verdreht und gesagt, Marie soll wieder in ihr Zimmer gehen und nicht immer gleich in die Hosen machen.

Ein paar Tage hat Marie nichts gehört. Aber heute war das Geräusch wieder da, ein Knacken und Knistern, es scheint aus der Spielzeugkiste zu kommen. Marie hat einmal heimlich bei Laura einen Film gesehen, da waren die Puppen lebendig und gruselig. In der Kiste sind auch zwei Puppen, ein Osterkörbchen und Legos.

„Na“, sagt Mama“, „du schläfst ja schon fast! Komm, ich bringe dich wieder ins Bett!“
„Nein!“ Marie kuschelt sich noch enger an Mama heran.
„Was ist los?“, will Mama wissen und gibt ihr einen Kuss. Marie kullert eine Träne über die Wange.
„So schlimm?“, fragt Mama sanft und zieht sie an sich. „Magst du mir erzählen, was du hast?“
„Da ist was unter meinem Bett“, schnieft Marie. „Es war schon mal da, aber jetzt ist es ganz laut!“
„Oh“, sagt Mama, „dann müssen wir gleich mal schauen, was es ist“.
„Nein!“, heult Marie, „ich hab Angst!“
„Aber ich bin ja bei dir, und wenn es unter dein Bett passt, muss es doch viel kleiner sein als ich, oder?“ Mama lächelt.
Marie versucht, tapfer zu sein und auch zu lächeln. Aber eine Träne tropft trotzdem auf Mamas Decke. „Ja“, krächzt sie.

Mama ist schon aufgestanden und streckt ihr die Hand entgegen. "Na komm!". Zögernd rutscht Marie vom Sofa und folgt Mama in ihr Zimmer. Mama horcht aufmerksam, und tatsächlich ist das Geräusch wieder da. Schnell versteckt Marie sich hinter Mama.

Mama holt die Kiste unter dem Bett hervor. Sie hat einen Deckel und an den Seiten zwei runde Löcher, die man als Griff benutzt. Mama klappt den Deckel hoch, und plötzlich bewegt sich etwas in der Kiste, ein kleiner Schatten springt heraus und verschwindet hinterm Schrank. „Oh nein!“ ruft Mama. Marie ist vor Schreck ganz starr, trotzdem schaut sie in die Kiste hinein. Das Heu im Osterkörbchen ist verstreut, die Schoko-Eier sind angebissen. Aber Mama hat keine Angst, sie lacht sogar und sagt: „Na warte, dich kriege ich schon!“

„Komm mit!“, sagt sie zu Marie, und beide gehen in die Küche. Mama holt einen winzigen Käfig aus dem Besenschrank. „Schau mal", sagt sie. „Damit fangen wir dein kleines Monster!“ Dann schneidet sie ein Stück Käse ab und befestigt ihn an einem kleinen Spieß in dem Käfig. Heute darfst du bei mir schlafen! Und morgen früh sehen wir, ob wir Glück hatten.“

Mama stellt den kleinen Käfig mit offenem Türchen neben Maries Bett. Marie nimmt ihren Teddy, und zusammen gehen sie in Mamas Schlafzimmer. Marie ist so müde, dass sie bald einschläft. Gut, dass morgen Sonntag ist! Am nächsten Morgen wachen Mama und Marie von einem Schrei auf. Das ist Laura! Mama springt auf, aber Marie ist schneller. Sie rennt den Flur entlang zu ihrem Zimmer. Laura steht vor Maries Bett und quietscht, und jetzt sieht Marie, warum. In dem kleinen Käfig neben dem Bett sitzt ein winziges Mäuschen und sieht sie mit großen Knopfaugen an. Die Barthaare der kleinen Maus zittern. Sie ist so niedlich! „Siehst du“, lacht Mama, „ich wusste doch, dass wir das Monster fangen!“ Das Mäuschen sieht gar nicht aus wie ein Monster, und Marie würde es am liebsten streicheln, aber Mama sagt, dass es zu gefährlich ist. Mäuse sind zwar niedlich, aber man kann auch sehr krank werden, wenn sie einen beißen. Marie setzt sich auf den Boden und beobachtet das kleine Mäuschen. Laura ist schon wieder in ihr Zimmer gerannt. „Mach dir nicht in die Hose, es ist doch nur eine kleine Maus“, hat Marie ihr hinterhergerufen. Wie gut, dass Laura gestern Abend schon geschlafen hat und nicht mitbekommen hat, dass Marie solche Angst hatte!

„Weißt du was, Marie!“, sagt Mama, „Wir bringen das Mäuschen jetzt zurück nach Hause in den Wald, damit es keine Angst mehr hat! Möchtest du es tragen?“ "Okay!" Marie zieht sich schnell an, dann nimmt sie ganz vorsichtig die Falle und schaut der kleinen Maus in die glänzenden, schwarzen Augen. Mama hat sich inzwischen eine Jeans und ihre Stiefel angezogen und schließt die Haustür auf. Zusammen gehen sie am Spielplatz vorbei in den Wald, bis zu dem großen Baumstamm, auf dem Marie immer so gern balanciert, und dann ein paar Schritte vom Weg ab durch das Laub, das so schön raschelt. "So, kleine Maus, wir sind da!", sagt Mama, "am besten, du stellst die Falle auf den Boden, Marie!". Das Mäuschen zittert noch immer, als Marie sich hinkniet und den winzigen Käfig absetzt. Mama macht vorsichtig das Türchen auf. Blitzschnell springt die kleine Maus hinaus und verschwindet im Laub. „Tschüs, Maus!“, ruft Marie und ist beinahe ein bisschen traurig.

Mama nimmt Marie an die Hand. „Siehst du!“, sagt sie, „Wenn man vor etwas Angst hat, ist es immer viel größer als in Wirklichkeit“. Das will Marie sich merken! Sie gehen nach Hause. Marie fühlt sich heute schon viel größer als gestern, sie war heute mutiger als Laura, dieser Angsthase! Sie kichert, als sie an Lauras entsetztes Gesicht denkt.

Nach einem langen Tag und einer halben Stunde in der Badewanne kommt Mama zum Gute-Nacht-Sagen. Marie kuschelt sich in ihr Bett und denkt an ihr niedliches kleines Monster. Heute Nacht hat sie bestimmt keine Angst!
 

molly

Mitglied
Hallo Sabine,

Deine Kindergeschichte gefällt mir. Sie ermuntert Kinder, sich der Mutter anzuvertrauen, wenn sie sich fürchten. KInder werden Deine Geschichte gerne hören, sie kennen das Angstfefühl,das Abends im Bett manchmal auftaucht. Hier ist es die kleine Maus, die zurück in den Wald darf.
Nur diesen einen Satz könntest Du streichen;
"„Siehst du!“, sagt sie, „Wenn man vor etwas Angst hat, ist es immer viel größer als in Wirklichkeit“. Das will Marie sich merken! " Die Geschichte braucht keine Erklärung,

Gern gelesen
molly
 

Sabine Sanmann

Mitglied
Liebe Molly,

ich danke dir sehr fürs Lesen und freue mich sehr über dein Lob! Tatsächlich hatte ich schon überlegt, den Satz zu streichen, weil mich allzu plakative Weisheiten, die mir direkt auf die Nase gebunden werden, auch immer eher stören. Habe ihn dann aber für die kleinen Leser (bzw. Zuhörer) stehenlassen. Vielleicht finde ich ja noch einen Kompromiss...

Herzliche Grüße
Sabine
 

Sabine Sanmann

Mitglied
Lieber Rubsch!

Ganz herzlichen Dank fürs Lesen und deine tolle Bewertung. Wegen der "Weisheit" bin ich nach wie vor auf der Suche nach einem Kompromiss. Und ja, Mütter sind so...frag meine Tochter...mittlerweile 18, aber angeblich habe ich mich kein bisschen geändert (kann ich mir gar nicht vorstellen)...;)

Dir einen schönen Abend und viele Grüße
Sabine
 
G

Gelöschtes Mitglied 20370

Gast
Liebe Sabine,

das Genre Kindergeschichten ist mir bisher fremd geblieben, ich glaube, in dieser Sache überlasse ich es besser anderen, Texte zu verfassen. Deine Geschichte hat mir gut gefallen. Ich schätze mal gut geeignet für 3-5jährige Kinder. Die Anhäufungen des Mama-Wortes solltest du noch einmal überprüfen. Die Abwesenheit des männlichen Geschlechts macht mich allerdings nachdenklich ... Keinesfalls würde ich, wie von Molly angeregt, nach einem 'Weisheitskompromiss' suchen. Ein bisschen Lebensklugheit auch für die Jüngsten ist doch nicht schlecht!

Schönen Abend, Dyrk
 

Sabine Sanmann

Mitglied
@Dyrk:

Bitte entschuldige meine späte Reaktion, ich konnte in den letzten Tagen nicht hier sein! Ganz herzlichen Dank für die Sternchen - ich hab mich sehr darüber gefreut!

Bisher gibt es nur wenige Kindergeschichten von mir. Ab und zu hab ich einfach Lust dazu, das ist wie mit den Gedichten.
Es wäre mal sehr interessant, eine Kindergeschichte von dir zu lesen - versuch doch mal! (Oder ein Kindergedicht?)

Mit dem Mama-Wort hast du wirklich recht, da muss ich noch mal ran! Komisch, dass man oft so blind für die eigenen Texte ist, in einer fremden Geschichte wäre mir das ganz sicher ins Gesicht gesprungen. :D Muss mal sehen, wie ich das löse, sodass ein kleines Kind es trotzdem versteht.

Den Papa habe ich übrigens gar nicht böswillig unterschlagen - aber ich hatte das Gefühl, dass Marie und ihre Mutter "genug" waren - Laura hält sich ja auch im Hintergrund. Es kann aber auch daran liegen, dass ich doch mehr persönliche Dinge in meinen Texten verarbeite, als ich eigentlich will. Wer weiß...

Ich habe mich übrigens tatsächlich für einen Kompromiss entschlossen. Ich streiche nur den Satz "Das will Marie sich merken!". Der Rest bleibt - da die Geschichte ja wirklich für kleine Kinder ist, die noch nicht so geübt sind, was die Interpretation von versteckten Lebensweisheiten betrifft.

@Eddie71:

Lieber Eddie, auch bei dir möchte ich mich sehr herzlich für die Sternchen bedanken, bitte sei nicht böse, dass ich mich erst so spät melde.!

Ein schönes Wochenende wünscht
Sabine
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Sabine,

Eine süsse Geschichte, so liebevoll, und akkurat gut geschrieben!
Das Wort “Mamma” ist in der Überzahl, aber das wurde ja bereits erwähnt.
(Und den Satz: „Wenn man vor etwas Angst hat, ist es immer viel größer als in Wirklichkeit“ würd ich auf jeden fall lassen – da machts beim Kind nochmal richtig Klick!) ;)
Mit Gruss,
Ji
 

Sabine Sanmann

Mitglied
@ Ji: Oh, wie schön, dass dir die Geschichte gefällt, ich freue mich sehr! Bin noch nicht dazu gekommen, die vielen "Mamas" zu reduzieren, das muss wohl bis zum Wochenende warten. Und der Satz bleibt... ;) :D

@ Oscarchen: Auch dir ein dickes Merciiii für die Sternchen! :D
 

Sabine Sanmann

Mitglied
Hallo Soljanka!

vielen herzlichen Dank für die Sternchen und die Anregung! Ich werde mich wahrscheinlich am Wochenende an die Überarbeitung machen! :)

Liebe Grüße
Sabine
 

Else Marie

Mitglied
Hallo Sabine,

mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen. Das Thema Angst und Schlafen (allein) ist bei jedem Kind Thema. Ich denke jedes Kind würde beim Vorlesen mit großen Augen zuhören. Und das mit der Maus ist ja auch noch sehr spannend! Und schön, dass die Maus in den Wald darf!
Was plakative Sätze angeht, bin ich mir auch nicht sicher. Die Kinder sind noch so klein, da brauchen sie vielleicht sogar eine klare Erklärung, um es richtig einordnen zu können. Vielleicht ist der Satz (Wenn man vor etwas Angst hat...) nicht nötig, aber sicherlich auch nicht fehl am Platz.
Sehr feinfühlig und kingerecht geschrieben!

Grüße, Else Marie
 



 
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