Meer der Halme

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Haremsdame

Mitglied
Oh, wie peinlich... Weiß nicht, wie das passieren konnte... Bitte höflichst um Vergebung, Marcus...

Vielleicht hings mit der Supergeschichte zusammen. Musste irgendwas mit Literatur zu tun haben *rotwerd*
 
Hallo ihr Lieben,

wir brauchen keinen Terror um meinen Namen machen.
Schön, dass dir der Text gefallen hat, Haremsdame; auch wenn das Medium(wie ich schon öfter festgestellt habe) das Lesen längerer Texte ein wenig zu behindern scheint. Es kommt mir so vor, als wäre das genau der Punkt, der eine Internet- und Buchpublikation wesentlich voneinander unterscheidet - man vermißt im Internet einfach die Couch, die Leselampe und den Wein,
aber vor allem die Couch!

Da finde ich es doch gerade schön, dass du dich durch diesen langen Text hindurch gekämpft hast und er dir auch noch gefallen hat. Da kann man durchaus davon sprechen, dass der lange Internettext ein zusätzliches Qualitätsmerkmal besitzt - das Merkmal der Überhaupt-durchlesbarkeit.

Darüber kann man schmunzeln oder heulen, aber trotzdem Grüsse
an dich und alle anderen,

Marcus
 

Esta

Mitglied
Hallo Marcus,

ein irrsinnig guter Text, den du da geschrieben hast, ich bin begeistert. Herzlichen Glückwunsch. (Tut mir Leid, dass ich nicht mit konstruktiverer Kritik an dich heran treten kann -- mir fällt schlicht nichts ein, über das ich mit guten Gewissen meckern könnte. ;-))

MfG
Esta

P.S.: Ich geb einfach mal meinen Senf zum "Makel" der langen Texte ab, unabhängig von DEINEM Text. Ich finde es schade, dass einige vor längeren Texten zurück schrecken. Natürlich kann es bei über fünf Seiten hin und wieder passieren, dass der Autor sich in Schwafeleien verliert, aber ich denke auch, dass es Gechichten gibt, die eine gewisse Länge einfach verdienen. Viele Themen kann man einfach nicht auf fünf lächerlichen Seiten abhandeln (und psychologische sowieso nicht ... das würde nach Schwarz-Weiß-Malerei schreien und darüber stehen wir doch wohl alle, oder?), selbst wenn man kurz und knackig schreibt. Und findet ihr nicht, dass eine Geschichte -- IRGENDEINE Geschichte -- es verdient, richtig ausgearbeitet und von allen Seiten beleuchtet zu werden? Und was ist mit dem Leser? Ich habe es lieber, wenn sich ein Autor Zeit nimmt und seine Geschichte vernünftig pflegt, als die Hälfte weg zu lassen, um einem mäkeligen, von kurzen Texten verdorbenem Publikum zu gefallen. Ich würde mir auch wünschen, dass es hier auf der Leselupe mehr längere Texte gibt, denn ganz ehrlich -- einige Kurzgeschichten hier mögen brilliant sein, aber für fünf Seuiten fehlt mir regelmäßig die Motivation mich auf Geschichte oder Figuren einzulassen ...
 
Hallo Esta,

tja, mit langen Texten ist es so eine Sache. Was in gedruckter Form relativ schnell gelesen ist, kann auf dem Bildschirm ewig lang wirken. Das Medium selbst gibt hier wohl die Geschwindigkeit vor.

Dass die Autoren lieber kurze und knackige Texte ins Internet stellen, kann man ihnen schlecht vorwerfen. Natürlich wünsche ich mir auch einen gut ausgearbeiteten Text - aber wer, der seine Arbeit hier einfach so zur freien Verfügung stellt, möchte sich schon die Zeit, die dafür nötig ist, ans Bein binden? Mal abgesehen davon, dass die Arbeit an einem langen Text mit der Länge nicht gerade proportional abnimmt.

Inzwischen glaube ich, dass es ein Glück ist, wenn man einen Autor im Internet ausfindig macht, der die besondere Eigenschaft hat, dass ihm alle Gründe, die gegen einen langen Text sprechen, egal sind und er sich trotzdem die Mühe damit macht. Andere Autoren sind deshalb aber nicht schlechter.
Manch einer hat eben schlichtweg keine Zeit, sich mit einem langen Text auseinander zu setzen, selbst wenn er es gerne wollte.

Also, nicht traurig sein, Esta, lange Texte sind wie Kleinode des Internets, man findet sie selten -aber man findet sie.

Und schön, dass dir der Text gefallen hat. Er erscheint jetzt irgendwann im Frühjahr in überarbeiteter Fassung in "Zwielicht" bei Eloy Edictions. Also hat sich die Arbeit gelohnt.

Grüsse, Marcus
 

Subnotio

Mitglied
Werk des Monats

Hallo Marcus,
da ich das Werk des Monats abonniert habe, kam
"Meer der Halme" per Mail zu mir.
Ich muss neidlos zugeben, dass dein Text mich sofort gefangengenommen hat.
Bis auf einige, in meinen Augen überflüssige Details, z.B. wie du unauffällig versuchst, irrelevante Informationen über den Protagonisten einfliessen zu lassen (Stichtwort: Architekt)
liest sich der Text überaus flüssig.
Deine spiralartige Erzählebenenkonstruktion verwirrt gerade genug um zu begeistern, allerdings finde ich es ein wenig
schade, dass du dein Grundgerüst so banal erläuterst und
somit derart wenig Interpretationsspielraum lässt.
Dennoch, keep up the good work!
Adieu,
Subnotio
 
Hallo Subnotio,

es ist schön zu hören, dass die Geschichte nicht rundum zufriedenstellend ist - sonst müßte ich mich fragen, warum ich sie überhaupt so oft überarbeitet habe. Ich glaube, ich war selbst ein wenig überrascht, dass sie so gut angekommen ist, obwohl sie nicht zu meinen persönlichen Favoriten zählte. Aber gut, manche Geschichten wollen eben erzählt werden.
Ich glaube, der Architekt ist in der überarbeiten Fassung rausgeflogen. Der spartanische Charakter reichte vollkommen, um die Hauptfigur zu beschreiben. Ansonsten bleibt es natürlich eine Kurzgeschichte, die in ihrem eng gesteckten Rahmen wenig Bewegungsfreiheit hat. Eine Kurzgeschichte liegt immer in Ketten, sage ich.

Also du hast Recht, was sich Sorgen machen, wenn ein Geschichte noch nicht das ist, was man als "perfekt" bezeichnet. Es kommen andere, und die wollen ebenfalls erzählt werden.

Grüsse zurück,
Marcus
 
D

Dominik Klama

Gast
Erlkönig, die romantische Flussnixe Melusine und der Weiße Hai treffen sich im Juli in einem Roggenfeld und herauskommt... eine erschröckliche Mär!

Der Erzähler erwähnt selbst einmal, dass sich diese Geschehnisse an alten Märchen oder Sagen zu orientieren scheinen, und lässt Jens Reich, der Frau und Tochter verloren hat, und seinen Freund Marquard, offenbar einen Polizisten, der wider eigenen Willen am Unfalltod von Reichs Frau Jenny schuldig geworden ist, nicht nur die Hilfe eines Therapeuten, sondern auch Kinderbücher zu Rate ziehen, um schlau zu werden aus den unheimlichen Geschehnissen. Nun, mit der mir eigenen Distanz sowohl vom Horrorgenre in jeglicher Form wie auch von der europäischen Volksmärchenforschung erlaube ich mir bei dieser Story, wie eigentlich immer, die ketzerische Frage: Welcher erzählerische Archetypus verbirgt sich hinter dem konkreten Einzelfall eigentlich? Worum könnte es in dem Stoff gehen, wenn ich alles Bildhafte, alle Genrekonventionen und alle Spannungsmache erst mal außen vor lasse?

Dann, will mir scheinen, hätten wir es, so es sich um ein tatsächliches deutsches „Volks“-Märchen handeln würde, mit den elementaren Ängsten des Landwirts vor den unzähmbaren Mächten und Wechselfällen der Natur zu tun. Die Erde bringt dem Bauern Korn, von dem er lebt, mit dem er seine Kinder ernährt, aber auch viele Rechnungen zahlen kann. Gerade, wenn die Erde überquillt vor Reichtum, wird es unheimlich: Hat der Mensch sie nicht zu sehr ausgebeutet? Neidet sie ihm den ihr abgepressten Reichtum nicht? Wird sie sich gegen ihn wenden? Ganz heidnisch liegen Gedanken an Menschenopfer nahe: Wenn ich neun Kinder durchbringen will, muss ich vielleicht eines den Gewalten opfern, damit sie auch etwas haben, einen Deal mit ihnen machen, sozusagen. Abraham und Isaak... oder der Rattenfänger von Hameln? Letzterer soll übrigens in Wahrheit eher dem umgekehrten Fall entsprechen: Weil die Erde nicht genug hergab, zogen die jungen Produktiven weg und ließen die Alten „verhungern“. (Vgl. auch Mecklenburg und Lausitz heute.)

Wenn aber eine Frau von den Toten aufersteht und von einem Mann die Herausgabe ihres einzigen gemeinsamen Kindes, nämlich ins Reich der Toten hinüber, verlangt, dann kommt mir das eher wie ein „moderneres Märchen“ vor. Ein Frau-Mann-Paar hat sich, aus hier nicht genannten Gründen, auseinander gelebt und getrennt und streitet darum, bei wem die Tochter leben soll. Für beide ist das Kind offenbar das alleroberste Gut, dagegen ist der einstmals wahrscheinlich geliebte Partner nun zur Horrorfigur mutiert, zu einer Fratze der Habsucht, zu einem Totenschädel, den eisigen Hauch umweht.

So weit alles okay. Ich kann nachvollziehen, warum sich ein kurz vor der Ernte stehendes Ährenfeld als Todesfalle darstellt. Ich sehe auch ein, dass eine Tote sich ein lebendes Kind grabschen will. Sie ist – durch ihr Verlassen ihres Mannes – zur Unperson, zur Untoten geworden, wenn sie nun ihr Kind verlangt, heißt das, sie will es mehr oder weniger auch noch töten. Psychologisch durchaus einleuchtend.

Problematischer wird die Sache für mich aber, wenn ständig ein harmloses Roggenfeld zum Menschen raubenden Ozean aufgemotzt wird. (Beiseite gelassen, dass ich einfach finde, Marcus walzt dieses Motiv zu Gunsten der beabsichtigten Daueranspannung zu lange aus.) Klar, man braucht sich nur mal Anfang Juli kurz vor einem Gewitter neben ein Feld zu stellen, dann wird das Bild sogleich fassbar: Die „wogenden Ähren“ sind darum ja auch ein sehr oft schon bemüht wordener literarischer Vergleich. Und, nun ja, sind wir erst am Ozean, werden uns dort geliebte Frauen und Kinder entrissen, dann kann auch der dräuende Schemen von Spielbergs „Jaws“ wieder und wieder durch dieses „Meer“ jagen. Wobei die Bildlichkeit aber schon etwas durcheinander gerät: Mal ist das Meer, von dem hier geraunt wird, die Masse des reifen Roggens, mal aber letztlich erst der Boden, die Erde unter diesem oberflächlichen Korn. Welche hier übrigens, seltsam, „Spalten“ aufweist. Hat es nicht vorher erst geregnet? Oder bringe ICH das jetzt chronologisch durcheinander?

Wie ich überhaupt substanzielle Probleme mit der Chronologie habe...
Also, da ist ein Mädchen verschwunden, da ist eine Frau bei nächtlicher Autofahrt auf die Gegenfahrbahn geraten und in Marquards Fahrzeug gerast und gestorben. Aber, was war zuerst und was war später? Steht das irgendwo, habe ich das überlesen? Logisch erscheint mir, da ja auch gemutmaßt wird, Jenny, die Ehefrau, habe sich absichtlich töten wollen, dass zuerst das Mädchen verschwand, dann die Frau verunfallte. Die Erde hatte sich aus heiterem Himmel das Kind geholt. Die liebende Mutter hat sich dem Kind hinterher geworfen, bzw. sich für seine Auslösung aus dem Totenreich geopfert. Das hat man dann ja auch öfter in der Literatur. Warum sollte diese Jenny jetzt aber immer noch einen weiteren Toten verlangen? Wenn überhaupt, müsste es dann wohl auch Jens Reich sein, in etwa so: damit die heilige Dreifaltigkeit aus Vater und Mutter und Kind wieder komplett ist, und sei’s auch im Reich der Schatten drüben.

Aber nein, hier will die Tote entweder noch ein Kind, wie Jens lange mutmaßt. Eventuell allerdings nur im Tausch, für ein fremdes Kind würde sie das eigene schon auch wieder herausgeben, lieb wie sie ist. Oder sie will einen Dritten, einen Mann, Jens’ Freund Marquard auch noch haben. Warum dieses denn? Weil, fantasiert Jens gegen Ende hin, Marquard ja ihr „Mörder“ ist. „Weißt du, ich weiß jetzt, was sie will. Sie will dich“, flüsterte er. „Sie wollte dich von Anfang an.“ Marquard hat ihr das Leben genommen, sie nimmt sich seines. Aha. Also ist die junge Frau definitiv nicht absichtlich in den Tod gerast... Also hatte ihr Tod nichts mit dem des Mädchens zu tun... Also könnte das Mädchen durchaus auch NACH dem Unfalltod erst verschollen sein?

Und ich jetzt wieder, ganz brutal und gefühllos: Dann ist es also nicht eine Scheidungsgeschichte, sondern es ist eine Ehebruchsgeschichte? Die Frau starb, weil sie ihren Mann (und ihr Kind ja dann wohl irgendwie auch) mit einem fremden Mann „betrogen“ hatte. Das Kind verschwand dann wohl sozusagen als Bild dafür, dass eine mit einem anderen Mann fremd gehende Mutter es „im Stich gelassen“ hat? Wie auch immer, es scheint mir wahrlich eine Rolle zu spielen, wann eigentlich dieses kleine Mädchen vom Feld verschluckt wurde, ob als erstes aller Ereignisse, von denen hier die Rede ist, oder erst nach dem schrecklichen Tod der Mutter als die zweite Katastrophe.

Der sich so liest: „Da war seine Frau schon durch Marquards Frontscheibe hindurch und überall auf den Sitzen und in Marquards Gesicht.“ Äh, bäh! Wenn man auf Splatter-Grotesk-Humor steht, mag dieser Satz angehen. Ansonsten würde ich da wirklich noch mal drüber gehen!

Überhaupt finde ich, dass Marcus mit den in derartigen Fiktionen gern bemühten, aber nie sehr ernst genommenen Opfer-Personen (ich sehe das im Kino, ich lese Derartiges nicht), nämlich den „wehrlosen“, den „unschuldigen“ Frauen und Kindern recht sorglos umspringt. Über einen anscheinend noch ganz kleinen, eben erst laufen gelernt habenden Jungen: „Der kleine Richard stapfte durch den noch feuchten Roggen; in gewisser Weise vertrottelt und hin und her schwankend, wie Kleinkinder das so an sich haben.“ In gewisser Weise vertrottelt. Sind das kleine Kinder? Ich, persönlich, habe wirklich keine Ahnung, da ich in meinem Leben mit Kindern nie viel Umgang hatte. Ich hab nur gewisse Zweifel... Seltsam auch, wie eines Abends Nachbarn (also Männer) und Frauen aufkreuzen: „Und ein Nachbar und ein zweiter kamen herüber und brachten ihre Frauen und guten Korn mit, weil es etwas zu feiern gab.“ Korn in der ausgestreckten Rechten, Frau links untern Arm geklemmt. Aber, begreifen wir jetzt, Korn, also Roggen, ist ja tatsächlich viel wässriger, als uns jemals kornklar war. Kann von Haifischen also schon auch durchpflügt werden.

Mehrmals bekomme ich Bauchschmerzen bei der Bildlichkeit dieses Textes, der sich vielleicht viel darauf zu Gute hält, wie literarisch er durch sie doch werde. Ich meine, ich selbst, in meinen eigenen Texten, mache mir ab und an schon so mein Späßchen daraus, unvereinbare Bilder aufeinander zu stapeln. Aber Späßchen scheinen mir so ziemlich das Letzte, was Marcus hier im Sinn hatte. Nämlich vor allem mit dem vermaledeiten „schwarzen Stroh“!

„Ich habe Hände gesehen, die sahen aus wie schwarzes Stroh.“

Ist Stroh überhaupt jemals schwarz gewesen? Ja, sagt der Landmann vermutlich, wenn es ganz, ganz lange ganz, ganz feucht aufeinander liegt und nicht gewendet wird, dann schimmelt es.

„Und plötzlich sah er eine Schneise und dann einen schwarzen Arm, der sich aus der Tiefe zu ihm empor reckte, aus schwarzem Stroh. In dieses schwarze Stroh rankten sich Adern und Blutgefäße, Muskelfasern breiteten sich wie ein Schimmel darauf aus, dann Haut und schließlich tauchte ein weißes, nacktes Gesicht aus den Ähren auf, dem im selben Augenblick die blonden Haare wie frisches Gras aus dem Schädel sprossen.“
So nah bei dem Vergleichsbegriff „Gras“ hätte ich das „Blond“ der Haare hier aber mal still schweigend unter meinen Tisch fallen lassen. Aber immerhin, hier haben wir den Schimmel! Also, da ist so ein räuberischer Arm. Der bewegt sich haigleich durch ein Feld von Roggen. Und ist schwarz wie der Hund. Nun gut, glauben wir. Zu dem schwarzen Arm gehört dann noch ein weißes Gesicht, ein nacktes, unbekleidetes. Klar, Totenkopf, hat 'nen Mantel an, Vogelscheuche, liegt doch nahe, wir sind auf dem Dorf! Der Arm dieser Horrorgestalt ist nicht „massiv“, sondern er ist aus Stroh, also aus Halmen, aus dünnen kleinen Röhrchen, ein zusammengesetztes Bündel. Hm? Na, das mag ich nicht so, aber nun denn... Und dieses Bündel, das schimmelt. Aber nicht überall, nicht flächig, vielmehr rankend, faserig, nämlich wie Adern und Muskeln. Ach was?

Doch, frage ich mich die ganze Zeit, was ist denn Stroh? Juli kommt schon hin, da werden die Felder abgeerntet, meistens gewittert’s dann auch. Aber, das Stroh, ist das nicht das, was nachher übrig bleibt, wenn die Mähdrescher drüber waren? Ist Stroh nicht hart und brüchig und trocken? Deshalb früher auch zu Dächern und Matten verwendbar. Und nicht biegsam und grün und belebt und wogend im Winde? „Seine Hand begann zu bluten, als scharfe Ähren und Stroh wie Nadeln durch ihre weiche Haut stachen.“ Eben! An Stroh kann man sich stechen. An Roggenähren eher weniger. Und Stroh schimmelt wohl auch eben deswegen, weil das Leben nicht mehr in ihm „pulst“. (Uh, heikles Bild.)

Hier in diesem Text ist Stroh dann aber, wenn die Ähren noch voll im Saft stehen. Wenn sie ein wogendes Meer sind. „Reich hielt jetzt nur noch ein Bündel aus schwarzem Stroh in den Händen. „Anne“, flüsterte er keuchend und griff mit den Händen tief in die wogenden Halme hinein.“ Wogendes Stroh, schwarzes wogendes Stroh, von Adern beschimmelt!

„Stille; bis die Vögel wieder zu zirpen beginnen.“ Oder zu miauen. Oder zu blöken. Oder zu wiehern.

Auf den Schluss scheint der Autor womöglich etwas ZU sehr stolz zu sein. Ich dagegen, hatte ihn mir schon bei der Erstlektüre rauskopiert, um nachher dazu schreiben zu können: „Mann, nach so einer langen, durchaus einigermaßen professionell verfassten Geschichte, tut es schon weh, wenn man ausgerechnet den letzten kurzen Satz dermaßen vergeigt: „Reich öffnet den Mund, als wolle er sprechen. Dann bricht schwarzes Korn aus seiner Tiefe empor.“

Erstens bricht heutzutage nichts mehr „empor“, sondern „hervor“. Wenn man so ein altertümliches Wort wie „empor“ verwendet (hab ich bei mir übrigens auch hier und da mal), muss man schon einen Grund wissen, wieso man das tut. Zweitens ist eine unheimliche Masse, die aus einem Mund „bricht“, immer etwas Degoutantes, geht in die Richtung der erwähnten Splatter-Grotesk-Komik, was ich im allerletzten Satz einer Geschichte von mir jedenfalls nicht stehen haben wollte. Drittens, da es meines Wissens hier erstmalig erscheint, frage ich mich schon, ob das denn so gut ist, innerhalb der letzten paar Wörter noch so ein Rätsel zu bringen: Was, zum Teufel, ist „schwarzes“ Korn. Etwas wie Kaviar? Wie Schrot? Wie schwarzes Stroh? Oder wie Mutterkorn? Also eben auch von Schimmelpilzen verursacht.

Marcus aber vermeldet in einer dem Text hinterher geschickten Depesche:
„Der Schluss ist datürlich Finesse. Wir erwachen zusammen mit dem Erzähler, und stellen fest, dass der Protagonist in seinem Alptraum verloren gegangen ist, und dass es kein zurück mehr gibt. Jetzt die Pointe. "Schwarzes Korn bricht aus seinem Mund hervor". Ha, das ist jetzt nicht mehr der Erzähler, der da zu uns spricht. Dass sind wir, die wir glaubten, aus diesem Traum entkommen zu sein, während es der Prot. nicht geschafft hat. Aber ganz ehrlich, sind wir das? Oder gibt es auch für uns kein Entkommen?“

Äh? Wie bitte? Jens also hat es nicht geschafft, aus dem Kerker seiner Fantasie zu entkommen, der Therapeut hat ein „Gemüse“ auf der Couch liegen. Das hab ich schon begriffen. Jetzt sind es aber WIR, bin also u. a. ICH es, der schwarzes Korn brechen sieht aus seinem Mund. Ach ja, tu ich das? Wo ich doch überhaupt nicht verstehe, was das sein soll, wie das aussehen soll, schwarzes Korn! Und täte ich dieses schwarze Korn jetzt sehen, dann müsste ich es für immerdar sehen, ich wäre für den Rest meines Seins gefangen in dieser Story? Na, ist ja noch mal gut, dass ich es nicht gesehen hab.

Und im Übrigen, finde ich, dass jegliche Erklärung, die ein Autor einer Geschichte nachreicht, total belanglos ist. Nämlich entweder ist dann die Geschichte so schlecht, dass sie nicht aus sich alleine heraus funktionieren kann... Oder aber hat der Autor nicht begriffen, dass „seine“ Geschichte, die er zu schreiben geglaubt hat, und „meine“ Geschichte, also, die ein Leser sich zusammenliest, immer verschieden sein MÜSSEN und dass darum das, was ER als „die Geschichte“ versteht, nie wirklich ALLES sein kann, was sie tatsächlich IST, nachdem sie veröffentlicht und gelesen worden ist.

Zum Abschluss noch ein paar abenteuerliche Bild- bzw. Satzkonstruktionen, die Missfallen erregten bei mir. Das mehr als Zugabe, ist nicht so wichtig.

„Reichs Theorie fand seine Grundlage in einer einzigen Geschichte, in der jenes geheimnisumwitterte Weib ein Kleinkind gegen ein anderes eintauschte und es erst wieder frei gab, als der schreckliche Tausch bemerkt wurde und das falsche Kind zurück in das Feld gelegt wurde.“ Das ist ein logischer Satz? Dann übersteigt er meine intellektuellen Kapazitäten leider.

„Es war ein roter Frisbee, der über ihm an der Sonne vorbeigezogen war, wie der Mond zu einer Sonnenfinsternis, und der sich nun, um sich selbst drehend, auf einem Bett aus Ähren nieder senkte.“
Ich habe auch noch irgendwo eine Geschichte liegen, die an einem Sommerabend auf den Äckern draußen spielt, wo auch die Sonne höchst dramatisch und bedeutungsvoll und rot hinterm Horizont verschwindet... Bei mir ist es dann ein roter Ballon, der mit der Sonne korreliert. Hier ist es ein Frisbee. Ich bin mir also nicht ganz sicher, ob die Bildlichkeit sich nicht auch vielleicht bei mir so mysteriös verdrehen, versenken und verschwurbeln könnte: Ein roter Frisbee, sich um sich selbst drehend, senkt sich auf ein Bett und zieht währenddessen vorbei über einem Beobacher wie der Mond zu einer Sonnenfinsternis. (Hm, ach so, ja das.)

„Wenn er früher ein ohnehin spartanischer Charakter gewesen war, so war er jetzt wie ein Geist, dem man die Gefühle wie Federn ausgerissen hatte und der, wie ein nackter Vogel, weder zum Fliegen noch zum Brüten taugte.“ Was mag ein „ohnehin“ spartanischer Charakter wohl sein? Einer, der als Bub schon von den Eltern weg gegangen ist, auf den Fluren draußen mit anderen Buben Kampfspiele übte und dabei niemals zu flennen begonnen hat, wenn Stroh ihm die nackten Sohlen stach? Ein lakonischer, lakedaimonischer, arkadischer Charakter gar? Der nichts von attischer Demokratie und Dekadenz hält? Wer hat je einem Vogel, der noch lebte, alle Federn einzeln ausgerissen und überprüft, ob der anschließend weder zum Brüten noch zum Fliegen tatsächlich noch taugte? Und wie hat man sich einen Geist vorzustellen, dem man nicht die Federn, wohl aber die Gefühle alle ausgerupft hat?
 
Lieber Dominik,

natürlich weiß ich nicht ganz genau, warum ich bei deiner Kritik das Gefühl habe, als hätte ich dich mit meinem Text persönlich beleidigt und aus dem Elfenbeinturm "echter" Literatur in den Pfuhl "falscher", will heißen Unterhaltungs- Literatur hinabgestoßen. Solche direkten Angriffe oder Ankuscheleien liegen mir fern. Gleichwohl liebe ich eine gute Kritik, und es ist mir egal - wenn es nicht sogar wünschenswert ist, dass sie den Text bei der Gurgel greift und alles von ihm abschüttelt, was nicht fest angenäht ist. Trotzdem bevorzuge ich immer noch die sachliche Diskussion am Text und nicht ein Donnerwetter der Emotionen. Solche Emotionsausbrüche lassen mich immer glauben, der Text müsse von außerordentlicher Klasse sein, dass er mir fremde Menschen dazu bewegt, sich so lautstark zu äußern. Wäre ein Text tatsächlich so schlecht, wie manche Kritiker behaupten, würden sie wohl betreten und angewidert schweigen und ihre Meinung lieber für sich behalten. Eine Kritik steht dem Text immer Auge in Auge gegenüber.
Soviel dazu, wie schlecht meine Geschichte wohl sein kann.

Ich kann auch nichts damit anfangen, wenn jemand schreibt, er hätte von einer Sache keine Ahnung, aber...
Was soll das mir als Autor sagen? Dass alles, was folgen wird, naja, als möglicherweise falsch bestempelt wird? Natürlich beweist du mir das, indem du gleich im nächsten Atemzug erwähnst, dass Splatterelemente in dieser Geschichte etwas deplatziert seien und sozusagen von der literarischen Einfalt des Autors künden. Leider aber sind Splatterelemente seit Skipp und Spector aus der Horrorliteratur nicht mehr wegzudenken. Das hat heutzutage lange nichts mehr mit dem damals so betitelten Punk also Splatterpunk zu tun, sondern ist zu einem Genremittel geworden. Also bitte, lass einem Genre seine Werkzeuge, sonst werden wir alle demnächst nur noch Tagebuch schreiben und können uns den Rest schenken.

Genauso schnellschüssig machst du dich über das Märchen oder die Sage her, die ich für die Kurzgeschichte verwendet habe. Als ob´s nur Hänsel und Gretel auf der Welt gäbe, und du schließlich alle Märchen der Gebrüder Grimm gelesen hättest. Witzigerweise haben genau die beiden über die Roggenmuhme geschrieben, und zwar in "Deutsche Sagen". Dass ich mir die literarische Freiheit lasse, das Thema so zu bearbeiten, wie ich es für richtig halte, sei mir ja wohl noch erlaubt. Und wenn irgendwann mal eine Horrorgeschichte eine wissenschaftliche Arbeit sein sollte, melde dich bitte bei mir, ich füge dann die Fußnoten bei.
Soviel zum Thema, dass ein Autor einen Text immer erklären muss, weil manche ihr Wikipedia nicht benutzen können.

Ich weiß gar nicht, wo ich weiter machen soll?
Schwarzes Stroh? Dafür soll die Fantasie des Lesers nicht ausreichen? Nur weil ich in meinem Leben noch nie einen blauen Mercedes gesehen habe, sondern nur schwarze, kann ich mir keinen blauen Mercedes vorstellen? Da hakt es bei mir. Gehe er in den Baumarkt und hole sich viele Liter schwarze Farbe und fange an, die Dinge schwarz zu malen, die sonst nie schwarz sind. Sicher kann er nicht die Sonne schwarz malen oder den Himmel, aber für Stroh wird´s ja wohl noch reichen!
Ich will jetzt mal gar nicht weiter darauf eingehen, dass wir uns im Text in einer mystischen Welt befinden, in der eine Roggenmuhme wie ein weißer Hai den Boden pflügt, die eben noch in einem Bündel Stroh ist und dann schon fort. Wo, wenn nicht in einer solchen Geschichte, sollte es möglich sein, schwarzes Stroh aus der Luft zu schnippen?
Einer Horrorgeschichte vorzuwerfen, dass sie keine Liebesgeschichte ist, bleibt hier das Geheimnis des Kritikers.

Sicher ist es so, dass da auch jede Menge Anmerkungen in deiner Kritik sind, die mir ein Lektor ebenfalls ans Herz legen würde. Also die Sonne als Frisbee usw.. Da gehe ich durchaus mit. Hier kann man geteilter Meinung sein, ob das nun ein Zuviel des Guten ist oder nicht. Inwieweit solche Veränderungen in den zwei Jahren, seit der Text hier auf dieser Seite steht, nicht schon eingeflossen sind, kann ich nicht mal genau sagen. Das steht auch gar nicht zur Diskussion. Entscheidend aber ist, dass die Geschichte, so wie ich sie damals geschrieben habe, anscheinend mehr positive als negative Resonanz gefunden hat. Gut, wird man sagen - das heißt aber nicht, dass sie nicht scheiße ist. Nee, sage ich, heißt es nicht. Aber ich werde denjenigen nicht ins Gesicht spucken, denen die Geschichte gefallen hat, so wie sie ist und sie jetzt so umschreiben, damit sie Dominik gefällt. Das eine geht nunmal nicht mit dem anderen.

Schlussendlich muß ich sagen, dass in jedem Wort eine Lüge steckt. Das ist so, das gilt ebenso für das Sachbuch oder den Roman, der sich für authentisch hält. Nein, besser noch, "jedes Wort" ist eine Lüge, und die Geschichten sind voll von Lügen, sage ich.
Ich sage nicht, dass die Geschichte gut ist. Denn was heißt das schon? Sie gefällt und sie gefällt nicht. So ist das mit Harry Potter und mit allem anderen auch.
Und so ist es auch mit meiner Geschichte. Hättest du mir nicht das Gefühl gegeben, mich rechtfertigen zu müssen, hätte man sich sogar wirklich über den Text unterhalten können.


Mit freundl. Grüssen,
Marcus Richter
 
D

Dominik Klama

Gast
Hallo Marcus,
ich kann nicht finden, dass ich schreie, auch nicht, dass ich damit die hehre Kunst gegen das Horror-Genre verteidigen wollte.

Dass ich selbst mich mit Horror überhaupt nicht auskenne, ist tatsächlich nicht sehr relevant für meine Einschätzung deines Textes. Nebenbei, es war für mich der Erste von den Leselupen-Texten, den ich mir aus diesem Genres zu Gemüte geführt habe. Das kam deshalb, weil ich eine Mail bekommen hatte, die ihn als „Werk des Monats“ empfahl. Ich finde, das kann doch eigentlich nur anregend sein, wenn Leute, die ganz anderen Sparten zugehören, über solche Hinweise sich zu neuen Horizonten „verirren“ und dort ihre ureigene, ganz andere Sichtweise einbringen können. Nur weil ich fürchtete, meine Argumentation „gegen“ einen Text, der ja offenbar schon seit längerer Zeit unisono für gelungen gehalten worden ist, könnte von Kennern der Genres leichthin abgetan werden, indem man mir nachweist gemäß der und der Aussage sei deutlich, dass ich von Horror oder Sagen keinerlei Ahnung habe, habe ich einen entsprechenden Hinweis selbst vorangestellt.

Weder habe ich Wikipedia bemüht, noch dämmerte mir auch nur die Spur einer Idee zu so etwas. Übrigens: Wo hätte ich nachschlagen sollen? Das Wort Muhme kommt im Text nicht vor. Ich hätte also wohl erst mal unter „Roggen“ nachlesen sollen. Ich gebe gerne zu, dass mir jene norddeutsche „Roggenmuhme“ bislang nicht bekannt gewesen ist. Mir kamen die von mir Erwähnten in den Sinn: Der Erlkönig als dämonischer Naturgeist, den es nach kleinen Kindern gelüstet. Der weiße Hai, der immer wieder höchst bedrohlich durch ein sanftes Planschgewässer streift, den man aber (von den Machern natürlich ganz bewusst so arrangiert) kaum einmal richtig zu Gesicht kriegt. Die Flussnixe, die sich, selbst kein Mensch, nach der Liebschaft mit einem Sterblichen wieder ins Wasser zurück verbannt, das gemeinsame Kind holen will.

Ich finde, man muss diese literarischen Muster gar nicht kennen, du machst schließlich was Eigenes. Weil es im Zusammenhang mit meiner grundsätzlichen Kritik an deinem Werk steht, habe ich diese Muster erwähnt. Nämlich - und ich finde, das kann auch sagen, wer Horror sonst nicht liest - werfe ich dem Text sein wenig reflektiertes Drauflos-Fabulieren vor, eine gewisse Sorglosigkeit dem gegenüber, was man mit der Sprache da eigentlich veranstaltet. Damit gehen dann auch die unglücklich verschränkten Bildlichkeiten einher. Veröffentlicht, ohne lange genug hingesehen zu haben, was man sich gebastelt hat.

Schreiben kannst du, was du willst, keiner kann dir das nehmen. Aber, so jedenfalls meine felsenfeste Überzeugung, bleiben wird davon nur, was eine Saite im Leser – und zwar nicht nur in einem Leser, sondern in sehr vielen – zum Klingen bringt. Auch SF, Horror, Fantasy findet nicht in einem Wolkenkuckucksheim statt. Sondern beeindruckt uns nur wirklich, wenn das in irgendeiner Form grundlegende Erfahrungen des Menschlichen aufgreift, auf eine, meinetwegen bizarr verformte, Weise widerspiegelt. Wenn ich zu Zeiten einer boomenden kapitalistischen Massenkonsum-Gesellschaft oder eines unseligen Dschungelkrieges eine Heerschar von Untoten aufstehen und sich epidemieartig fortpflanzen lasse, dann hat das eben etwas mit der Realität zu tun, selbst wenn ich das so gar nicht geplant haben sollte. Hat George A. Romero aber wohl durchaus. Und wenn diese Zombies in der englischen Parodie „Shaun of The Dead“ Jahrzehnte später dann mit schweinigelndem Splatter-Humor plötzlich wieder da sind, dann hat das nicht nur mit dem kommerziellen Erfolg des Vorgängers „28 Weeks“ von Danny Boyle zu tun, sondern ganz bestimmt auch mit der sozialen Aufsplitterung, die sämtliche neoliberalen Wirtschaftsordnungen in den letzten zehn, fünfzehn Jahren durchmachen mussten.

Die Flussnixe holt sich ihr Kind nicht nur mal so eben, weil es schön schaurig ist, sondern weil in der Gesellschaft der Zeit Standeskonflikte brodeln, weil die Rolle der Frau und Mutter allmählich nicht mehr als gottgegeben empfunden wird. Der Rattenfänger hat was mit der agrarischen Lebensweise des Publikums zu tun, dem in Winternächten am Ofen solche Märchen erzählt wurden. Deine Roggenmuhme, vermute ich, ist in etwa der heidnische Fruchtbarkeitsmythos, wonach Fruchtbarkeit und Sterblichkeit einander bedingen. Wer reiche Ernte in seine Scheuer einfährt, wird irgendwann was hergeben müssen dafür.

Nach der sehr beschränkten Erfahrung, die ich beim Lesen von Fantasy- oder Horrorgeschichten in Internet-Schreibwerkstätten sammeln konnte, bekam ich den Eindruck, dass unter diesen Schreibern immer ein gewisser Stephen King der absolute Gott anscheinend darstellt. „Einmal so gut schreiben können wie Stephen King, einmal auch nur halb so viel Erfolg haben wie der King!“ Ich habe bis heute von King überhaupt nur ein einziges Buch gelesen (genauer gesagt: als Hörbuch gehört, aber ungekürzte Fassung): „Brennen muss Salem“. Und danach dachte ich: Handwerklich und als Spannungsschreiber ist der Typ ein Super-Profi. Unheimlich fleißig ist er anscheinend auch. Aber mögen tu ich das Zeug überhaupt nicht. Und lesen werde ich davon auch nie wieder etwas. Aber, was ich eigentlich sagen wollte: Dieser Stephen King in dem Buch, der tut nicht, was du tust, sich ein Motiv des Schaurigen schnappen und es dann mit Bedacht in jede mögliche Richtung wenden und mehrmals neu abwandeln, damit der Schrecken wieder und wieder kommt und möglichst so spät erst endet, wie das nur geht... Ja, das tut der schon auch, aber er hat auch seinen tieferen Gehalt, den er abhandelt, er weiß genau um die menschlichen Sehnsüchte und Grundkonflikte, bei denen er unser Seelenleben zu packen kriegt. Ich behaupte, es geht bei ihm um „die guten alten amerikanischen Werte“, er ist ein extrem konservativer Autor, der sich gegen die modernen Auswüchse der puritanischen Auswanderer-Gesellschaft von Neu-England wendet: die Gier nach Macht, die Gier nach Geld, die Gier nach Sex, die Scheinheiligkeit vorgeblich religiös Erweckter.

So einen Gehalt vermisse ich bei dir. Auf schelmische, etwas un-ernste Art habe ich dir mögliche Kerne deiner Geschichte angeboten. Es könnte eine agrarische, meinetwegen ökologische Geschichte sein: die rächende Macht im Getreideacker. Es könnte, nicht dass ich das vermissen würde, wie du unterstelltst, eine Liebesgeschichte sein, eher wohl eine Trennungsgeschichte: das geschiedene Paar, das um die Tochter kämpft, oder der Mann, der einen Nebenbuhler entdeckt hat... Such dir was aus, gibt sicher auch noch mehr.

Gäbe es von etwa dieser Art einen „tieferen Sinn“ in der Geschichte (wodurch sie unsterblicher würde als eine, die so etwas nicht besitzt, vergleiche „Dracula“, mein Gott, wie gut das zur viktorianischen Gesellschaft passte!), dann wäre es nicht beliebig, in welcher Reihenfolge die Schrecknisse erfolgen, dann hätte es durchaus was zu bedeuten, wen „sie“ holen will und wen nicht. Darum habe ich danach gefragt.

Ganz leicht hättest du meinen Einwand so kontern können: Die ganze Geschichte ist von Anfang an nicht real, sondern eine Vision, die ein Mensch hat, der krank im Kopf ist, der unsere Wirklichkeit unumkehrbar hinter sich gelassen hat. Wenn einer eben so „verrückt“ ist, dann kann er sich dauernd neue Gefahren einbilden, ständig neue Gegner „entlarven“ und sprunghaft mal diese mal jene Person vor dem Monster „retten“ zu müssen glauben. Dann will die Muhme halt zuerst die junge Frau. Dann ist sie mit der jungen Frau mit einem Mal identisch. Dann will sie noch die Tochter und holt sie sich. (Oder umgekehrt, das Mädchen zuerst, das dann, als Muhme, die Frau zur Amokfahrt motiviert.) Dann legt sie es auf einen fremden kleinen Jungen an, nicht aber auf dessen Eltern. Da Kinder als Opfer eben mehr hermachen. Irgendwie könnte sie ja auch einen Tauschhandel im Sinn haben: ein Kind wieder hergeben, um ein Anderes zu nehmen. Als Nächstes verlangt sie Marquard als Opfer. Weil Action nun mal weiter sein muss, weil es der Held nicht sein kann, denn ist der weg, ist die Geschichte doch aus. Marquard ist aber einer, den die Frau schlicht nicht kennen konnte, Reich lernt ihn durch den fatalen Unfall erst kennen. Es gibt da keinerlei innere Logik, dass dieser Marquard geopfert werden müsste, es sei denn als „Mörder“ der Frau, dann aber kann sie sich nicht selbst ermordet haben, weil das Kind fort war.

Solche Schlüssigkeit muss auch nicht sein, sagst du wahrscheinlich, da die Muhme ja eine Fantasie des Verrückten ist. Er wählt sich die Opfer aus denen, mit denen er noch Kontakt hat. Wodurch die Sache aber an Gehalt verliert. Sie wird zu einer x-beliebigen Kranken-Fallgeschichte, sie hängt mit nichts mehr zusammen außerhalb dieses Personals! Jens „erkennt“ das dann als Irrtum: Sie hat Marquard ebenso wenig gewollt wie den kleinen Jungen, sie hat immer schon nur Einen gewollt, nämlich ihn selbst. Nun gut, das ist schön gemacht. Das ist fast wie von Edgar Allan Poe. Am Ende ist der Leser rettungslos eingesperrt im Kopf eines Irren. Ja, nicht übel das.

Womit ich aber wieder auf meine recht schlichten Eingangsfragen komme: Wer wurde zuerst vom Feld geschluckt? Frau oder Mädchen? Wenn der ganze Horror in Wirklichkeit seine Wurzel in der Seele des Mannes hat, wenn es keine naturmythologische und keine gesellschaftsreflektierende, sondern eine modern-individualpsychologische Mär ist, dann läge für mich eigentlich näher, dass der Tod der Frau vom Mann zuerst „verursacht“ wurde (meinetwegen, indem er sie mit zu viel Wut und zu wenig Liebe behandelt hat). Konsequent nun, dass er sein „Opfer“ zur kinderfressenden Muhme dämonisiert, um sich selbst zu entlasten von einer Schuld (welcher?).

Aber das stimmt leider nicht zur Stringenz der von dir erfundenen Ereigniskette: Dass die Frau gegen ein Auto rast, mit Absicht, wie vermutet wird, aber wieso wird das vermutet?, macht nur Sinn, wenn das Mädchen vorher starb, also nicht die Frau zuerst. Und ich bin sicher, Edgar Allan Poe hätte mir dann auch erzählt, auf welche Art und Weise der Mann das erste (und dann bestimmt auch das zweite) Opfer auf sein Gewissen geladen hat, meinetwegen „tragisch“, das heißt gegen seinen ausdrücklichen Willen. Und Stephen King auch. Zum Beispiel wäre bei Poe der junge Mann ein Trunksüchtiger gewesen (wie Poe selbst), der seine Familie nicht ernähren konnte. Bei King hätte er einen Deal mit dem Teufel gemacht, um den Umsatz seines Ladens zu verzehnfachen oder er hätte mit der Frau des Nachbarn gebumst oder er hätte das eigene Töchterlein lüstern angefasst. Es wäre der Schrecken nicht einfach nur so gekommen und wahllos in einer Tour fort, damit man sich beim Lesen schön ein wenig gruseln kann.

Gegen die Frisbeescheibe kann ich so viel gar nicht haben, dann müsste ich auch gegen meinen eigenen roten Ballon was haben, der in meiner (bei Leselupe bislang nicht hinterlegten) Story die Abendsonne doubelt. Wogegen ich was habe, ist deine Sorglosigkeit bei der Arbeit. So wie du den Inhalt nicht genau abwägst, achtest du auch nicht genug auf die äußere Form, das sprachliche Kleid. Ein Frisbee kann sich nicht „wie der Mond zu einer Sonnenfinsternis“ bewegen, da es nicht mal der Mond selbst tun kann, der kann sich allenfalls „zu“ (?) einer Sonne bewegen. Und mir persönlich wäre es mit drohender Sonne der Astronomie wahrlich genug gewesen, den Mond würde ich die Sonne nicht verfinstern lassen, ich würde ihn streichen.

Und jetzt erzähl mir bitte doch noch, dass in der getreidereichen Magdeburger Börde mit „Stroh“ auch die Stiele, die Halme der Roggenpflanze benamst werden. Schon begriffen, du wolltest einfach Abwechslung. Nicht ständig die Halme, die schon im Titel stehen, mal ein anderes Wort. Aber Stroh, kann ihn sich der Fantasievolle auch schwarz malen, ist nun mal Stroh, also Geschnittenes. Er ist kein Stroh, wenn er noch Ähren trägt, die nicht reif sind, noch nicht geschnitten deshalb.

Ich weiß nicht, ob bei euch die Deutschlehrer auch solche Orgasmen der Kunstandächtigkeit bekamen, wenn sie von Paul Celans „schwarzer Milch der Frühe“ sprachen. Wie toll das doch sei, wenn der Morgen mit Milch gleichgesetzt werde, diese Milch aber, da im KZ ausgeschenkt, farbnegativ, nämlich schwarz sei! Doch, das ist schon okay. Das kann man machen. Celan war ja nicht irgendwer, dieses Gedicht ist nicht irgendeines. Und ich konnte das sprachlich immer akzeptieren, bzw. mir vorstellen. Aber bei deinem schwarzen Stroh weigere ich mich. Das kriegt bei mir den Beigeschmack des Lächerlichen, den Celans Milch nicht hat. (Übrigens, wie „genial“ ist das, den Frühnebel als Milch zu sehen, diese Milch dann aber schwarz zu nennen? Na, ich weiß nicht...) Lächerlich wird es schon allein dadurch, dass hier knöcheriges Stroh ständig sanft und schmiegsam im Wind fließt wie Gras im Mai. Und dann ist es auch noch schwarz! Manchmal. Danach ist es dann wieder grün oder gelblich-braun. Dann wieder schwarz. Und überhaupt: Warum muss das Grauen immer schwarz sein oder weiß wie Eis und Schnee? Schreib mir doch mal ein mauves oder lindgrünes Grauen, das fände ich spannender!

Jetzt probier das mal aus, all die inkriminierten Satzkonstruktionen und Bilder rauszunehmen, ohne das Wort Stroh auszukommen, plausibler zu machen, welches Familienmitglied nach welchem abtritt und wo das Mädchen sein könnte, wenn es nicht nur allein in der Fantasie eines Irren im Roggen versank, begreifbarer machen, warum ein Todesfahrer erst zum Freund und dann zum Opfer dieses Jens Reich wird. Und du wirst merken, da wird dann eine ganz, ganz andere Geschichte daraus.
 
OK, OK,

ich verstehe, dass du von der Geschichte mehr willst, als sie zu liefern versteht. Und du erwartest so etwas wie eine zweite Handlungsebene, ein darüber hinaus so sein. Ich gebe zu, dass ich solche Konstruktionen selten mache und sie nur verarbeite, wenn sie sich anbieten. Was du meinst, ist die Frage, Was will mir der Autor damit sagen? Was wird mir als Leser eigentlich vermittelt? Da sind wir bei einer ganz schwierigen Geschichte. Will oder soll der Autor eigentlich etwas vermitteln? Vermittelt er nicht sowieso? Ist das, was vermittelt wird, vom Autor festgelegt worden oder legt es der Leser fest? Waren die Körperfresser von Anfang an mehr als Körperfresser oder waren sie es eben nur und die zweite Handlungsebene ergab sich erst durch das im Nachhinein betrachten. Einen nachträglich beigemengten Sinn könnte man es nennen, wenn eine Geschichte, die ursprünglich nichts anderes als von unterhaltsamer Natur war, plötzlich durch soziale Wandlungen eine tiefere Bedeutung gewinnt. Natürlich könnte man behaupten, dass Körperfresser oder Zombies ohnehin von tieferer Bedeutung wären, also Bild der Urangst vor Veränderung und Lüge im sozialen Umfeld. Aber ist das tatsächlich so? Ist es ein Spiegel? Ist der Autor ein Spiegel, oder besser der Text, in dem sich reale Vorkommnisse gebrochen widerspiegeln? Natürlich könnte man unterstellen, dass Literatur „nur so“ einen Sinn macht. Aber das ist eben nur eine Unterstellung. Literatur kommt eben auch ohne eine Sinn aus, oder wartet auf „seinen“ Sinn, denn es braucht ja eben nur jenen Leser, der noch nicht da ist und die Erfahrung mitbringt, die den Text anfüllt mit Sinn. Bis dahin bleibt der Text eine Geschichte, eine erzählte, fiktive Handlung, die in einer möglichen Zeit spielt, die unserer Zeit ähnlich erscheint aber niemals identisch ist.

So will ich das mal auf meinen Text übertragen. Es geht um eine Person, die in einer Traumwelt lebt, nicht wahr? Was wir erfahren, ist einerseits ein Bericht, den ein Patient von sich gibt, andererseits haben wir einen Erzähler, der natürlich außerhalb steht, trotzdem aber vom gleichen Ereignis berichtet, von der die Hauptfigur erzählt. Der Erzähler berichtet tatsächlich nicht darüber, was geschehen ist, sondern was die Hauptfigur, während sie hypnotisiert ist erlebt, wie sie das Vergangene erinnert. Und ist es überhaupt das Vergangene oder etwas völlig anderes? Am Ende der Geschichte bricht sogar diese Scheinwelt in die Wirklichkeit zu Tage. Das was nicht real ist, wird real. Nun könnte man diese Geschichte ganz einfach als so eine Traumgeschichte abtun und sagen, da kann man ja träumen, was man will. Kann man aber eben nicht. Weil man nicht weiß, was aus den Träumen kommen kann. In meiner Geschichte, ist es eine verbitterte Frau, die irgendwie zu einem Felddämon wird, die erst ihre Tochter holt und schließlich denjenigen, der an ihrem Unfall schuld ist. Und natürlich denjenigen, der uns indirekt davon berichtet. Er wird zur Leiter, um aus dem Traum in die Wirklichkeit aufzusteigen. Also, hat das etwas mit den Stimmen, die aus der Seele kommen, zu tun, oder nicht? Welche Dämonen schlummern in uns, geweckt durch ein furchtbares Ereignis vielleicht, das uns früher oder später ereilen könnte? Weiß ich denn, wer da noch in mir ist, sollte mich das Schicksal irgendwann mal auf die Probe stellen?

Jetzt kannst du natürlich sagen, dass das nicht im Text steht. Und na klar, ich habe das da keinem in den Mund gelegt, weil es so nun mal nicht funktioniert. Auch wäre es eine ganz andere Geschichte geworden. Und sie hätte völlig anders geschrieben werden müssen.
Aber das wollte ich nicht, ich wollte das Rauschen der Halme, die großen Worte und das ganze Tam, Tam, Tam. So wie es sich für eine Geschichte gehört, die nach meinem Geschmack ist. Erst wird das Gerüst hochgezogen, bis das Ding steht.
Hier also das Gerüst.
Und irgendwann dreht man den ganzen Kram durch den Fleischwolf und raus kommt ganz weiches Mus. Und nichts bleibt mehr zwischen den Zähnen hängen.
Dann sagt man, fertig – das war´s.

Dass deine Kritik nicht ohne Echo bleiben wird, soll hier mal festgehalten werden. Aber ich kann eine Geschichte nicht anders schreiben, als ich sie geschrieben habe, wohl aber wenn ich sie schreiben werde.
Bis dahin, und stürz dich nicht gleich auf mein nächstes Werk, du könntest ebenfalls enttäuscht werden, aber das heißt ja nicht, dass ein Text kein Reibeisen braucht.



Mit freundl. Grüssen,
Marcus Richter
 

brain

Mitglied
Hut ab! Dafür musste ich einfach 10 Punkte geben, denn MEER DER HALME gehört ohne Zweifel zu den besten Kurzgeschichten, die ich je gelesen habe. Da stimmt einfach ALLES, von vorn bis hinten!
Ich finde die Idee, ein Weizenfeld mit einem Meer zu vergleichen, sehr gelungen. Die ganze Geschichte hat einen tollen surrealen Touch und ist nie vorhersehbar, so wie viele Deiner Geschichten.
Du MUSST Meer der Halme, Feuerhaut, Unbefleckte Empfängnis, Schwarzer Gott, Die Alte und Der Dunkle veröffentlichen!!! Also gedruckt! Haste schon was beim FESTA-Verlag eingereicht? Würde mich wundern, wenn das nix wär!
Gruß:)
Alex
 
Hallo Brain,

also bei Meer der Halme bin ich mir nicht sooo sicher, wie gut sie wirklich ist. Ich hab auch keinen Bezug mehr dazu, wie zu anderen Gesichten. Vielleicht liegt das ja daran, dass sie einfach erzählt ist und es nichts mehr zu erzählen gibt. Ich bin irgendwie immer wieder fasziniert, welch gute Kritiken die Geschichte bekommt. Vielleicht ist sie einfach das Kondensat dessen, was ich zur Zeit so abliefern kann. Ich persönlich würde zwar gern mehr erreichen, muß mich aber gedulden und mich weiterentwickeln.
Was die Veröffentlichungen angeht, da mußt du dir keine Sorgen machen. Ich verwende gerade den Großteil meiner Freizeit(die immer weniger wird) darauf drei düstere Novellen für eine Novellensammlung zu schreiben, die irgendwann ende nächsten Jahres in Druck gehen soll. Alles Neu und deshalb umso anstrengender, nervenaufreibender und aufregender. Da müssen die alten Geschichten eben zurück stehen. Aber wer weiß, es ist vielleicht so wie mit dem Feuerdämon - irgendwann sitzen wir wieder zusammen am Kamin und reden über alte Zeiten.

Grüße aus Magdeburg, der verbrannten Stadt,
Marcus
 

brain

Mitglied
Servus:)

"Was die Veröffentlichungen angeht, da mußt du dir keine Sorgen machen. Ich verwende gerade den Großteil meiner Freizeit(die immer weniger wird) darauf drei düstere Novellen für eine Novellensammlung zu schreiben, die irgendwann ende nächsten Jahres in Druck gehen soll."

Na dann ... sag Bescheid, wenns soweit ist!

LG:)

Alex
 

Jutta Wölk

Mitglied
Hallo Marcus,

auch ich musste die Geschichte zweimal und deinen Kommentar lesen, bevor ich sie komplett begriff. Vielleicht solltest du besser beschreiben, was im Moment vor sich geht.
Aber als Horror- und Gruselgeschichtenfan muss ich dir sagen, dass ich mich in die »Creep-Show« versetzt fühlte. Deine Story ist wirklich gut, ich konnte den Ablauf vor meinem geistigen Auge sehen, beim zweiten Mal.
Dafür möchte ich dir auch eine gute Bewertung geben und bitte weiter so!

Gruß Jutta
 
Dankschön Jutta,

ja, die Geschichte ist, wie ich immer sage, ganz nett. Aber es ist eben alles eine Frage der Entwicklung. Da kann man ganz gut sehen, wie man was zu einem bestimmten Zeitpunkt geschrieben hat. Ich hatte die Story auch nochmal für Zwielicht überarbeitet. Aber irgendwann war ich dann damit durch. Man muss eine Geschichte eben auch mal loslassen können.

Also, danke für Deine wohlwollende Kritik und die gute Bewertung,
bis bald, Marcus
 

brain

Mitglied
Surreal

Mmmmmmmmmmmhhhh, komische Kritiken, die da reinflattern. Und so lang, und das bei Nichtgefallen? Wirkt wenig glaubhaft.
Da sind 2 Dinge, die mich besonders stören: die Kritik an der Frisbee-Sonne und dem schwarzen Stroh!
Als langjähriger und begeisterter Leser phantastischer Literatur finde ich eben diese beiden Aspekte besonders gelungen. Die Momente, in denen Jens Reich (toller Name, weil glaubhaft und weit weg vom Einheitsbrei) nicht mehr zwischen der realen und der phantastischen Welt, die da auf ihn einstürmt, unterscheiden kann, also wenn die Frisbee auf eineml zur Sonne wird oder das Stroh sich schwarz färbt, wirken auf mich sehr flüssig und surreal, ähnlich wie der leuchtende Ring in diesem Horrorfilm, der in Wahrheit ein Brunnen aus der Sicht eines Ertrinkenden ist, der durch eine Steinplatte verschlossen wurde und an dessen Rändern noch ein Rest Tageslicht durchscheint.

Hier ist die Wahrnehmung des Protagonisten eine subjektive Erfahrung, die der Leser teilt.

Jens kann seiner Wahrnehmung nicht trauen und die allgemein gültigen Naturgesetze, werden einfach ausgehebelt, was ihn mehr als hilflos zurücklässt. Er ist dem teuflischen Treiben völlig ausgeliefert und er weiß zu keiner Zeit (der Leser auch nicht), ob er seinen Verstand verloren hat oder ein Opfer der Frau aus dem Roggen ist.

Gerade diese "Ausgeliefert-sein" ist für mich der wahre Horror der Geschichte, denn was immer Jens auch tut: es gibt kein Entkommen vor dem sich zusammenbrauenden Unheil.

Was das Ändern von Geschichten allgemein angeht, kann ich nur sagen, dass der Autor damit zufrieden sein sollte. Aus diesem Grund habe ich mich auch entschlosse, "Das Zimmer unter dem Dach" so zu lassen, wie es ist, wohingegen ich Deine Kritik an "Die Geister der Vergangenheit" angebracht finde.

:)
Alex
 
Naja, Alex,

manchmal braucht man einen Augenöffner, um zu sehen, dass eine Geschichte noch Arbeit oder wenigstens Zeit benötigt. Das nenne ich dann eine gute Kritik, die einem genau diesen anderen Blickpunkt vermittelt, den man als Autor eben manchmal nicht hat oder haben kann. Kritik kann aber auch ein subjektives Wunschdenken sein. Also wie sich der Rezipient die Geschichte gewünscht hätte - oder besser, wie er sie selbst geschrieben hätte. Da kommen wir dann ans Eingemachte, also den Widerstreit zwischen Leser und Autor - jener unübersichtlichen Stelle, die mir auch schon immer beim Literaturstudium Kopfschmerzen bereitet hat. Wer schreibt hier eigentlich für wen? Wenn man genau darüber nachdenkt, dann ist das so etwas wie der tote Winkel bei einem Rückspiegel, alle wissen, dass er da ist und trotzdem begibt man sich auf die halsbrecherische Fahrt.

Ich geh mal davon aus, dass ein Autor in erster Linie für sich selbst schreibt. Da fängt alles an und hört auch alles auf. Aber ohne den Rezipienten ist er am Ende nichts, und auch das Werk ist nichts. Ohne die Kommunikation oder wenigstens die Gewissheit der gegenseitigen Existenz von Autor und Rezipient ist Schriftstellerei ohnehin sinnlos oder höchstens zur Eigentherapie gedacht (wer weiß, ob das nicht sogar ihre wichtigste Funktion ist).

Da also der Rezipient so wichtig und heilsbringend für die Literatur ist, muss sich der Autor einfach eingestehen, dass er es bei dem Leser mit einem Gott zu tun hat oder wenn er Glück hat mit zigtausenden Göttern, die wie in der griechischen Mythologie alle irgendwas anderes wollen.

Sich in diesem Durcheinander zurecht zu finden, ist die wahre Glückseeligkeit, die ein Autor erreichen kann.

Also, sei guten Mutes, Alex, jede Kritik ist auch immer so etwas wie eine göttliche Erscheinung. Und wenn der eine mal grollt und mit seinen Blitzen und Donnern nach einem wirft, es bestärkt einen nur in der Gewissheit, dass irgendwo da draußen eine göttliche Vernunft existiert oder mehrere.

Außerdem, heißt es nicht, viel Feind, viel Ehr?
Deshalb schimpfe nicht auf die schlechten Kritiken. Sie sind das Salz der Erde.

Grüsse, Marcus
 



 
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