Mein schöner Garten

wüstenrose

Mitglied
Aber die Seele ist ein dunkler Garten, darin nichts gedeiht außer den Moosen und Farnen der Nacht. Ihr kalter Wuchs säumt die Straße zu unserem Herzen, die sich, schwach beleuchtet, als wäre sie ein vergessener Gedanke aus vergessener Zeit, in uns windet in quälender Stille. Wir gehen, den Mund verschlossen, ohne zu wissen, woher und wohin, ohne Kenntnis der Richtung und Bestimmung, getrieben nur vom Entsetzen, das uns umhüllt, geblendet von einem fahlen Schein, dem Nichts, das vorgibt, unser Leitstern und Kompass zu sein und uns führen will aus der Zeit, die nie unsere eigene war, nicht einmal eine geborgte, sondern immer nur ein kaltblütiges Loch, eine Mördergrube, in der wir unausweichlich versanken am Tage unserer Geburt, diesem Tag der Schande und Beklemmung, der unser Sein in einen Schatten stellte, aus dem es nie wieder heraustrat und der unsere Sehnsucht auf eine Probe stellte, an der sie naturgemäß zu scheitern, zu zerschellen und in tausend leere Splitter, in tausend nie wieder tönende Sprachlosigkeiten zu zerspringen hatte.
 
Zuletzt bearbeitet:

Ofterdingen

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Dieser nur wenige Zeilen lange Text wendet sich in poetischer Sprache und mit starken Bildern großen Themen zu von der Geburt bis zum Tod, unerfüllter Sehnsucht, der Leere und den Schrecken der Existenz.

Du musst nichts korrigieren, doch du könntest dir ein paar Sachen nochmal daraufhin ansehen, ob sie für dich wirklich stimmig sind:
" geblendet von einem Hauch von Nichts, der vorgibt, unser Leitstern und Kompass zu sein"
Dass ein Hauch blendet, scheint mir keine glückliche Fügung, auch meinst du ja wohl eher, dass das Nichts vorgibt, ein "Leitstern und Kompass" zu sein - und nicht der Hauch. Unverbindlicher Vorschlag:
`geblendet von einem fahlen Schein, dem Nichts, das vorgibt, unser Leitstern und Kompass zu sein´

"nur ein entsetzliches Loch" Das Entsetzen erscheint bereits eine Zeile drüber, es gäbe da viele andere Möglichkeiten, diese unschöne Wiederholung zu vermeiden z.B. grauenhaftes, grässliches
 

wüstenrose

Mitglied
Danke, Ofterdingen, für deine stimmige Einordnung des Textes, dein genaues Lesen und deine hilfreichen Hinweise, denen ich gerne gefolgt bin.
 

James Blond

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Lieber wüstenrose,

meist geht es hier in der LeLu um Prosa, die als Lyrik getarnt daherkommt – hier ist es endlich einmal umgekehrt! Einen so schönen Text kann ich einfach nicht als schnöden Block stehen lassen, der Text schreit geradezu nach Versen und so habe ich kurzerhand und recht spontan Umbrüche eingefügt, neben ein paar klitzekleinen Änderungen in Blau. Einfach nur aus Lust und für dich zur Anregung.

Aber die Seele ist ein dunkler Garten,
darin nichts gedeiht
außer den Moosen und Farnen der Nacht.

Ihr kalter Wuchs säumt die Straße
zu unseren Herzen,
schwach beleuchtet,
als wäre sie ein vergessener Gedanke
aus vergessener Zeit
und sich in uns windet
in quälender Stille.

Wir gehen, den Mund verschlossen,
ohne zu wissen, woher und wohin,
ohne Kenntnis der Richtung und Bestimmung,
getrieben nur
vom Entsetzen, das uns umhüllt,
geblendet von einem fahlen Schein,
dem Nichts, das vorgibt,
unser Leitstern und Kompass zu sein
und uns führen will aus der Zeit,
die nie unsere eigene war,
nicht einmal eine geborgte,
sondern immer nur ein kaltblütiges Loch,
eine Mördergrube,
in dier wir unausweichlich versanken
am Tage unserer Geburt,
diesem Tag der Schande und Beklemmung,
der unser Sein in seinen Schatten stellte,
aus dem es nie wieder heraustrat.

Und der unsere Sehnsucht
auf eine Probe stellte,
an der sie naturgemäß
zu scheitern, zu zerschellen
und in tausend leere Splitter,
in tausend nie wiedertönende Sprachlosigkeiten
zu zerspringen hatte.


Viele Grüße
JB
 

wüstenrose

Mitglied
Lieber James,
danke für deinen Beitrag! Zunächst einmal freut es mich, dass du im Text lyrische Schönheit zu finden vermagst.
Der Text wurde weniger nach und nach montiert, hübsch gemacht und ausgebreitet, sondern eher schwallartig erbrochen. Das Schwallartige fühlt sich für mich gut an, hat auch was von Wutrede. Hier darf gerne, nach einem moderaten Einstieg, mit (zunehmend) scharfem Tempo und ohne Sprechpausen gelesen werden.
Dieses "lauter-werden" des Textes geht eher verloren, wenn der Text in Verse gesetzt wird.
Aber auch hier mag gelten: Zwingend ist das nicht (was ich eben sagte); mag sein, manch einer findet eher in den Text hinein, wenn er in Versen ausgebreitet wird.
Ich fühle mich bei diesem Text freier und wohler, wenn ich ihn als Kurzprosa oder Prosa-Miniatur betrachte.

Gruß, wüstenrose
 

James Blond

Mitglied
Lieber wüstenrose,

ich weiß die Schwallästhetik durchaus zu schätzen, sofern mir ein Text den Eindruck vermittelt, dass sich darin jemand auskotzen wollte. Doch sehe ich hier keinen Wutausbruch, eher eine ernüchternde Enttäuschung, die sich in einem ziselierten Text niederschlägt.
Soviel zu Absicht und Wirkung.

Liebe Grüße
JB
 

wüstenrose

Mitglied
Soviel zu Absicht und Wirkung.
Absicht?
Nein, lieber James, ich wollte nicht wirklich eine Absicht kundtun.
Und ich teile übrigens völlig deine Einschätzung:
Ernüchternde Enttäuschung trifft das Wesen der Zeilen deutlich besser als wütender Vomitus.
Es ist nur, ich wollte sagen, ich meine, also ich bin der Ansicht, dass mir dieser langgezogene Seufzer eher entfahren ist, rausgekotzt ist ja der falsche Ausdruck, eher entfahren ist, als dass ich Hand daran angelegt, als dass ich ihn in irgendeiner Weise geformt habe, Ziselierung hin oder her, weniger geformt als vielmehr entfahren ist er und dabei war mir, als enthielte er die Komponenten Tempo und Steigerung, Komponenten, die mir in eigenen lyrischen Ergüssen mithin fremd sind, da mich in der Lyrik mehr das Statische quält und peinigt, während ich es plötzlich als äußerst wohltuend empfand, dass hier im Prosatext die Dynamik Einzug hält.
Die Dynamik hatte was Befreiendes, vielleicht in einem eher verdeckten Sinne dann doch das Motiv des Schwalles, eine Überwindung der lyrischen Statik, die mir nicht erst seit gestern zum Halse raushängt, die ich komplett über habe und von der ich mich, mit Verlaub, fundamental und zur Gänze und für immer abwenden möchte.

entspannt grüßend, wüstenrose
 

James Blond

Mitglied
Hm, ein interessanter Gedanke.
Seltsamerweise vermittelt mir die lyrische Gestaltung, also das optische "Aufbrechen" eines Textes in Verse und Strophen den Eindruck einer weit stärkeren Dynamik als ein monolitischer Blocksatz.

Wir scheinen darüber konträre Sichtweisen zu haben. Hätte ich einen Text "dynamisch" vorzutragen, würde es mir in der Versform wohl eher gelingen. Lyrik heißt ja nicht unbedingt statisch skandieren und herunterleiern, auch wenn es häufig so gemacht wird.

Liebe Grüße
JB
 

wüstenrose

Mitglied
Lyrik heißt ja nicht unbedingt statisch skandieren und herunterleiern, auch wenn es häufig so gemacht wird.
Auch da will ich nicht widersprechen!
Will aber nochmal von meinen eigenen lyrischen Ambitionen ausgehen: Für eigene lyrische Produktion reizt mich insbesondere: mit Worten den Moment einzufrieren. Die Konzentration auf eine Wahrnehmung, einen Zustand und der Versuch, diesen mit Worten einzufangen. Das reizt mich, das fordert heraus.
Du setzt da gewiss wieder etwas andere Schwerpunkte, aber ich erinnere mich, aus deinem Munde so was in die Richtung vernommen zu haben (darfst mich gerne korrigieren): sich in der Lyrik formal zu beschränken, das stellt eine echte Herausforderung dar. Eben nicht in jeglicher Richtung frei zu sein und an-eine-Form-gebunden-sein, das fodert die eigenen schöpferischen Fähigkeiten heraus. Konzentration und Beschränkung können eine Fülle erzeugen, welche die Weitschweifigkeit und Unverbindlichkeit nimmermehr zu erzielen vermögen.
Aber jetzt zurück zur Kurzprosa, denn hier befinden wir uns ja gerade. Die Prosa im Allgemeinen (und da schließe ich jetzt einfach die Kurzprosa mit ein) erscheint mir freier als die Lyrik. Hemmungslose Schwafelei mit doppeltem Boden, da denke ich zum Beispiel auch an die Kurzprosa, wenngleich sich anspruchsvolles Schwafeln bestimmt auch lyrisch gestalten lässt, aber mein Ding ist das nicht.
Meine ganz persönliche Assoziation mit Prosa ist Ungebundenheit, während ich mit Lyrik Gebundenheit assoziiere, selbstverständlich auch bezüglich ungereimter Lyrik, die dann zwar nicht an Reime etc. gebunden ist, aber da gibt es ja noch andere Möglichkeiten, den Strauß zu binden.

Bewusst überdreht formuliert, da mich augenblicklich mehr die Prosa anzieht:
Die Lyrik ist ein erbarmungsloser und gestrenger Sprachkerker, während die Prosa mit fließender Ungebundenheit lockt. Die Prosa ist ein falsches Versprechen, aber immerhin gewährt sie Raum und es darf auch mal ein Wort neben die Goldwaage gelegt werden.
 



 
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