S
Stoffel
Gast
Meine Mona Lisa
Fernand liebte sie, mit jeder Faser seines Körpers.
Und jede dieser tat ihm weh, als er sie so da liegen sah. Nur noch auf die Hälfte ihrer selbst abgemergelt, blass und mit eingefallenen Augen.
Doch sie lächelte immer und dieses Lächeln brannte sich noch tiefer in sein Herz.
Sie war so rein, so schön, als er ihr zum ersten Mal begegnete. Lange schon hatte er nach einem perfektem Modell gesucht und dann trat sie in sein karges Zimmer. Es war für Fernand, als wäre die Sonne, nach langer Zeit der Finsternis, aufgegangen. Er konnte von Weitem schon ihr, nach Frühling und Sommer duftendes Haar riechen und sie lächelte ihn einfach nur an. Ja, sie war die Frau, nach der er, als Maler und Mann, immer schon gesucht hatte.
Während er ihre zarte, fast leblose Hand hielt, spürte Fernand noch immer diese unbändige Kraft, die sie ihm stets gab. All die gemeinsamen Tage, Abende und Nächte und all die Morgen, an denen er vor ihr wach war und in ihr schlafendes Gesicht blickte. Selbst im Schlaf lächelte sie.
Fernands Herz krampfte sich zusammen.
Sie atmete schwer, hustete Blut und der Arzt schüttelte mitleidsvoll den Kopf. Seit dem lag sie dort und beide wussten, das Ende ihrer Liebe war nah. Doch keiner von beiden sprach darüber. Fernand mied die Gesellschaft anderer, obwohl sie ihm dazu riet, ihn sogar anflehte. Denn es würde seinem Fortkommen als beflissenen Maler weiterhelfen, wenn er sich unter all die anderen mischte. Er aber hatte Angst, sie allein zu lassen.
Immer öfter sprach sie von den Blumen und Bäumen, schaute zum Fenster hinaus und lächelte.
"Fernand" sagte sie leise. "Wenn die letzte Blume vergangen, das letzte Blatt vom Baum gefallen ist, werde auch ich gehen."
Dann ließ er von seiner Staffelei ab, schnellte zu ihr hin und griff nach ihrer Hand und küsste sie sanft. Und immer lächelte sie.
Wie oft waren sie übermütig durch die Strassen gefegt, hatten mit ihrer guten Laune und dem Lachen die Menschen in ihrem Viertel angesteckt. Jeder, der sie kannte, schien geradezu auf sie zu warten. Sie beide hatten eine besondere Gabe, die Menschen fröhlich zu machen.
Fernand sammelte einige Dinge zusammen, die er nicht mehr benötigte, um sie zu Geld zu machen. Er brauchte noch mehr Farben, es war September und er hatte Angst, so wie auch schon im August, und noch mehr fürchtete er den Oktober.
Jeden Abend, wenn er an ihr Bett kam, lächelte sie wieder und ihre matte Hand strich ihm über die Stirn.
"Fernand" sagte sie wieder "sei nicht gram, wenn ich gehe. Wenn die letzte Blume verblüht, das letzte Blatt..." Weiter kam sie nicht, denn Fernand legte seinen Finger energisch auf ihre bleichen Lippen.
"Nein, so wird es nicht sein, so wird es nicht sein!" sagte er und eilte wieder hinaus.
Die Tage vergingen und manchmal schien Fernand am Ende seiner Kräfte. Doch immer, wenn er zu ihr trat und sie ihn anlächelte, lächelte er optimistisch zurück. "Du wirst sehen, mein Lieber Schatz, du wirst schon sehen" sagte er dann geheimnisvoll.
Der Arzt konnte nicht mehr viel tun, er kam nur noch, um zu sehen, ob sie noch lebte. Und sie, sie lächelte. Manchmal wollte Fernand es verfluchen, dieses Lächeln, zeigte es ihm doch, wie schwach er selbst immer noch war. Und dann, ging er wieder raus in die Kälte.
An diesem Tag kam er schon am Nachmittag und er war fröhlich, wie schon lange nicht mehr. Er machte einen Tee, legte ein Croissant mit auf das Tablett und redete wie ein Wasserfall. "Du weisst nicht, was für ein Wunder heute geschehen ist!" rief er von Weitem zu ihr. Dann riss er den schweren Vorhang des Fensters auf. Die Sonne schien und draußen, draußen war es Sommer. Der Baum strahlte in seinem saftigem grün Lebendigkeit und Unvergänglickeit aus und in des Himmels Blau zogen wunderschöne Paradiesvögel ihre Bahnen. Ein Blumenmeer umrankte dieses atemberaubend Kunstwerk der Natur.
Doch es kam keine Antwort und als er an ihr Bett trat, lag sie da, als ob sie schlief. Ein kleines Lächeln umspielte ihren Mund.
"Ein gelungenes Werk Fernand!" flüsterte sein Galerist ihm über die Schulter zu, bevor er zurück zu den Gästen der Vernissage ging. "Das ewige Leben, die Unvergänglichkeit auf einer Leinwand, von nur 6x8 Metern und das Bildnis ihrer Freundin, es erinnert mich ...irgendwie an... Mona Lisa".