Miasma (gelöscht)

H

Heidrun D.

Gast
Jetzt scheint wieder die Phase der literarischen Hochform anzubrechen! :)

Ich denke, dass es dir vortrefflich gelungen ist, die Versuchungen des Banalen zu schildern, die sich zuweilen auch in wilder Lust äußern kann. Denn selbst die ist nicht eben rar und wird von vielen Tieren geteilt.

Wie oft verliert man sich auf seinem Weg und schändet sein Glück, seine Begabung, vielleicht seine Bestimmung.

In einer anderen Lesart geht es um Lüge, um Verrat oder um Versuchung und Angst - gibt halt viele Möglichkeiten, wie bei jedem guten Gedicht.

Beeindruckte Grüße
Heidrun


P.S.:
„Nun komm schon“, rief die Welt
und irre Worteklänge folgten.
„Was bahnt sich hier den Weg,
vorbei an allem, was wir je verzollten,
Tribut entrichten für ein Sein [blue]Komma weg [/blue]
zum Schein, dass man erblindet?“
„Nun komm schon“, rief die Welt.
„Ein Prost, [blue]dass[/blue] man sich findet!“
 
Heidrun, klasse Kommentar. Meine Verehrung!
Danke für Deine Zeit.
Das Bild herauslesen, bei einem solchen Wortgeflecht, ist ja nicht so einfach. Sich überhaupt die Mühe machen, ist schon mal, sagen wir es neudeutsch: "cool"

Ups, mit der Interpunktion ... Tja, mein ausgeprägter Schwachpunkt. (Einer unter so vielen!)
Das erste, falsch gesetzte Komma, war mir so durchgerutscht. Gedanklich sind an dieser Position für mich gleich zwei Fragen eingeflochten, daher diese Unwissenheit und Fälsche, *feix.
Die Änderung hab ich dankbar übernommen.

Für das fehlende "s" beim "dass", hab ich keine Ausrede, das war einfach nur Blödheit meinerseits.


LG
T.
 

presque_rien

Mitglied
Ja, das gefällt mir auch sehr gut! Ich lese hier vor allem eine Aufforderung, sich selbst und seinen Platz in der Welt, auch alle Widrigkeiten des Lebens, nicht so furchtbar ernst zu nehmen. Und auch, dass Glück ganz anders geartet ist, als man es oft denkt. Die Welt ruft dem Lyri zu, dass es ihn willkommen heißt, es soll sich in sie stürzen, ganz ohne nachzudenken: „Nun komm schon“. Lyri will das aber gar nicht glauben: „Wie kann das sein? Ich hatte mir genau überlegt, was wertvoll ist, habe immer den Preis dafür bezahlt, habe gelitten. Aber das ist anscheinend gar nicht das, was die Welt von mir will. Ich habe bisher nur zum Schein gelebt - aber kann mir die Welt das verzeihen?“ - „Nun komm schon“, rief die Welt. Das Lyri soll sich nicht so anstellen. Denn dass sie und diese eine, genau diese Existenz sich einmal gefunden haben, ist schon Grund zum Feiern. Das, was Lyri für Glück hielt, log bloß „auf der Seite“ - und dass, was Lyri für Leid hielt, ist das, was sein Leben in wirklichkeit reich macht.

Ganz toll finde ich hier ein paar Details: "irre Worteklänge" - der Leser ist geneigt, zuerst "ihre" zu lesen, sodass beim zweiten Lesen ein schöner Überraschungseffekt entsteht. Bei "auf der Seite log" gibt es die Assoziation zu "lag". Aber am geilsten sind die Letzten Verse, v.a. "ein schwarzer Fluss macht sich vergnügt gefährlich" - das Wechselspiel der Adjektive ist großartig: "gefährlich" greift das "schwarz" wieder auf - aber durch das vorangehende "vergnügt" wird die Bedeutung herumgedreht! In "aus Fiebertänzen blutet Lust" wird der Titel aufgegriffen. Das erinnert mich an den Spruch: "Leben ist eine ansteckende Krankheit, die auf dem Sexualweg übertragen wird und immer tödlich endet". Aber bevor der schwarze Fluss - Styx? - überquert wird, kann man noch jede Menge Spaß haben, wenn man seine blinden Vorstellungen von Glück auf der Seite liegen lässt. Das "ganz ehrlich" ist dann das i-Tüpfelchen und gibt dem Gedicht sehr viel Authentizität und Unmittelbarkeit.

Das Reimschema finde ich super!

Soweit also meine persönliche Interpretation,
LG J.
 
Was ist schon, ein Gedicht? Was wird daraus, wenn es sich Nebelschwadengleich durchs Universum windet? Es ist doch immer eine so kleine, so winzige Welt eines Einzigen, die an den Lebenszäunen herumhangelt und versucht drüberzuklettern. Dann gelingt es und es werden Bilder in die Welt hinaus getragen. Bilder die einst jemand sah und jener hofft nun, zittert, oder auch gar nichts von beiden, dass man ihm folgen kann. Vielleicht ist das ja so.

Manch ein Gedicht braucht keinen Inhalt. Allein der Klang, ein interessantes Wortgewebe reicht, um sich wohlzufühlen, für ein kleines Momentchen. Wenn das passiert, ist doch alles schön.
Kleine Momente haben, (leider sind sie noch so oft) manchmal ein großes Spektrum von Erlebtem. Man kann sein Empfinden, all die kleinen Details, gar nicht vernünftig aneinanderreihen. So nimmt man eben diese große Kiste bunter Smarties und schaut, ob sich nicht etwas Verbindendes daraus machen lassen kann. Sind sie bunt, kommt vielleicht etwas Lustiges heraus. Ist das nicht der Fall, geht’s andersrum und ist man unentschieden, dann passieren ganz sonderbare Dinge. Diese Momente sind mir die schönsten, weil alles offenbleibt und doch so geschlossen ist.

Diesem Gedicht liegen große, verwundert blickende Augen zugrunde. Ein einziger Schritt wäre noch zu wagen und dann …

Die Welt lächelt angetrunken. Sie klopft auf die Schulter und sagt natürlich: (Danke Julia)
„Wer kommt denn da?
Und wie?
Was?
Bestechung?
Mich?
Die Welt?
Damit ich nicht hinsehe?
Pah, komm her, Du Wanderer, lass uns was trinken und nimm das alles mal nicht so ernst!“

Dann ist er gemacht, -der Schritt und angesteckt bleibt die alte Welt zurück.
Und Klagelieder weiteten die Weiten, vorbei am Glück, das auf der Seite log,
ein schwarzer Fluss macht sich vergnügt gefährlich, aus Fiebertänzen blutet Lust.
Ganz ehrlich?!?!?!
Und der ganze Rest? Und all das Vergessene? Ist vergesslich, wie ich.
 
Dankeschön, Herbert, Rhea, für eure Zeit.

Herbert, ich denk drüber nach, bin aber im Moment noch vollkommen unentschlossen. Mal sehen ...

Liebe Grüße
S.s.
 



 
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