Eleftheria
Mitglied
Wir wohnen nur im ersten Stock. Wenn ich bei diesem Fenster herunterspringe, muss mir eigentlich gar nichts passieren. Es kann. Aber es muss nicht. Ich kann mir ein Bein brechen, oder beide. Einen Arm vielleicht? Beide Arme – unwahrscheinlich. Aber ich könnte auch mit dem Kopf aufschlagen. Ich müsste mich dazu wahrscheinlich in der kurzen Zeit des freien Falls etwas drehen, oder gleich mit dem Kopf voran herausstürzen, was etwas Mut erfordern würde, und gleichzeitig hoffen, dass sich meine Lage in der Luft nicht mehr verändert. Das Risiko ist jedoch groß. Ich bin ja nicht geübt im irgendwo-runterspringen. Das Dreimeterbrett im Schwimmbad war mir bislang immer zu hoch! Und wenn ich mit dem Kopf gerade nur so aufschlage, dass eine Gehirnerschütterung die Folge wäre? Dann würde mir nämlich weiter nichts fehlen, sondern einfach nur schlecht werden….. Nicht auszudenken….!
Ich kann mich also nicht einmal einfach so hier herunterstürzen…..nicht einmal das kann ich. Ein gelungener Sprung, und so vieles müsste mir kein Kopfzerbrechen mehr bereiten. Aber ich bin schwach. Meine Angst ist so groß. Und sie wissen genau, warum sie mich nicht ernst nehmen können! Weil ich es ohnehin nicht schaffe. Nur den Grund, den wissen sie nicht. Was nicht sein darf, wird eben verdrängt. Damit lebt es sich leichter. Scheinbar.
Ich bin ungefähr vierzehn, mitten in der Pubertät. Mädchen seien da allgemein schwierig, sagt man. Also, gerüchteweise. Ich kann das nicht objektiv beurteilen.
Ich bin allerdings schwierig. Das höre ich immerhin oft genug. Es muss also was dran sein. Man wisse nicht, wie man mit mir umgehen solle, heißt es. Außerdem sei ich magersüchtig, sagen die Psychologen, zu denen ich seit Monaten geschleppt werde. Kein Psychologe der Welt wird mich jedoch verstehen, weil sie es gar nicht versuchen. Am entscheidenden Punkt kehren sie um. Ausnahmslos alle. Wenn es darum geht, was ich wirklich fühle, drängen sie mich in die Ecke, die ihnen gefällt, um mich als eine von Millionen magersüchtigen Jugendlichen abstempeln und zu den Akten legen zu können. Am nettesten ist es bei Renate, wo ich einmal mit Ton arbeiten darf, um mich selbst darzustellen, und einen Vulkan bastle. „Ich kann jederzeit ausbrechen, wenn ich möchte!“, sage ich als Erklärung. Wie passend. Ja, ich sei unberechenbar. Das sagten sie ja schon immer! Eine tickende Zeitbombe, von der man nie wisse, wann sie hochgeht. Und wenn, wisse man nicht, was dann passieren würde….allerdings, so richtig ernst nehmen könne man mich nicht. Weil ich so widersprüchlich sei. Mit mir zusammenzuleben, sei anstrengend, denn man könne sich nicht auf mich einstellen.
Auch Jahrzehnte später sollte ich genau diese Worte wieder hören. Allerdings nicht aus dem Mund meines Vaters, sondern dessen selbstberufenen Nachfolgers, meines Bruders, der sich zur Aufgabe gemacht hat, Vater nach dessen Tod so gut es geht zu ersetzen. Zumindest was die Loyalität zur Mutter und die innerfamiliäre Haltung mir gegenüber betrifft.
Nun aber zurück zu jenem sonnigen Samstagnachmittag, an dem ich auf dem Fensterbrett meines Zimmers sitze, bereit zum Sprung, sollte Vater mein Zimmer betreten. Ein Bein hängt bereits aus dem Fenster. Doch ich werde ohnehin nicht springen. Vater weiß das. Darum kann er sich auch anmaßen, mein Zimmer trotzdem zu betreten, mich unvernünftig und stur zu nennen, und in keinster Weise meine Verzweiflung und meine Wut wahrzunehmen; den Zorn darüber, dass mein Wunsch so wenig respektiert wird. Was muss man tun, um wahr- und vor allem ernst genommen zu werden?
Natürlich springe ich nicht. Ich klettere vielmehr auf die sichere Seite des Zimmers zurück, wissend, dass die „Liste Ella“ jetzt einen Idiotenpunkt mehr aufweist, und dass ich ganz gerne hätte, dass sich jemand meiner annimmt, mit mir liebevoll und vor allem ehrlich spricht, und mich womöglich noch in den Arm nimmt dabei. Doch wie so oft stirbt die Hoffnung zuletzt.
Ich soll doch bitte einmal in meinem Leben vernünftig sein. Ein Vorbild. Irgendwie ist mir das ein bisschen zu viel Verantwortung, denke ich. Es fängt ja eigentlich schon viel früher an, mit der Verantwortung, welche ich in mir trage, obwohl ich nie gefragt wurde, ob ich überhaupt bereit wäre, diese zu übernehmen. Die Verantwortung der älteren Schwester. Und das ist eine Verantwortung! Sich selbst gegenüber wohl am Meisten. Man muss Vorbild sein, man muss mitdenken, mitfühlen, sich in den kleinen Bruder hineinversetzen können, die Gedanken dessen und der Eltern erraten können, und alles nur, um nicht am Ende des Tages mit Vaters Fingerabdrücken im Gesicht in einer Ecke des Kinderzimmers zu sitzen und sich wiederum zu fragen – was muss man tun, um wahr- und vor allem ernst genommen zu werden?
Ich kann mich also nicht einmal einfach so hier herunterstürzen…..nicht einmal das kann ich. Ein gelungener Sprung, und so vieles müsste mir kein Kopfzerbrechen mehr bereiten. Aber ich bin schwach. Meine Angst ist so groß. Und sie wissen genau, warum sie mich nicht ernst nehmen können! Weil ich es ohnehin nicht schaffe. Nur den Grund, den wissen sie nicht. Was nicht sein darf, wird eben verdrängt. Damit lebt es sich leichter. Scheinbar.
Ich bin ungefähr vierzehn, mitten in der Pubertät. Mädchen seien da allgemein schwierig, sagt man. Also, gerüchteweise. Ich kann das nicht objektiv beurteilen.
Ich bin allerdings schwierig. Das höre ich immerhin oft genug. Es muss also was dran sein. Man wisse nicht, wie man mit mir umgehen solle, heißt es. Außerdem sei ich magersüchtig, sagen die Psychologen, zu denen ich seit Monaten geschleppt werde. Kein Psychologe der Welt wird mich jedoch verstehen, weil sie es gar nicht versuchen. Am entscheidenden Punkt kehren sie um. Ausnahmslos alle. Wenn es darum geht, was ich wirklich fühle, drängen sie mich in die Ecke, die ihnen gefällt, um mich als eine von Millionen magersüchtigen Jugendlichen abstempeln und zu den Akten legen zu können. Am nettesten ist es bei Renate, wo ich einmal mit Ton arbeiten darf, um mich selbst darzustellen, und einen Vulkan bastle. „Ich kann jederzeit ausbrechen, wenn ich möchte!“, sage ich als Erklärung. Wie passend. Ja, ich sei unberechenbar. Das sagten sie ja schon immer! Eine tickende Zeitbombe, von der man nie wisse, wann sie hochgeht. Und wenn, wisse man nicht, was dann passieren würde….allerdings, so richtig ernst nehmen könne man mich nicht. Weil ich so widersprüchlich sei. Mit mir zusammenzuleben, sei anstrengend, denn man könne sich nicht auf mich einstellen.
Auch Jahrzehnte später sollte ich genau diese Worte wieder hören. Allerdings nicht aus dem Mund meines Vaters, sondern dessen selbstberufenen Nachfolgers, meines Bruders, der sich zur Aufgabe gemacht hat, Vater nach dessen Tod so gut es geht zu ersetzen. Zumindest was die Loyalität zur Mutter und die innerfamiliäre Haltung mir gegenüber betrifft.
Nun aber zurück zu jenem sonnigen Samstagnachmittag, an dem ich auf dem Fensterbrett meines Zimmers sitze, bereit zum Sprung, sollte Vater mein Zimmer betreten. Ein Bein hängt bereits aus dem Fenster. Doch ich werde ohnehin nicht springen. Vater weiß das. Darum kann er sich auch anmaßen, mein Zimmer trotzdem zu betreten, mich unvernünftig und stur zu nennen, und in keinster Weise meine Verzweiflung und meine Wut wahrzunehmen; den Zorn darüber, dass mein Wunsch so wenig respektiert wird. Was muss man tun, um wahr- und vor allem ernst genommen zu werden?
Natürlich springe ich nicht. Ich klettere vielmehr auf die sichere Seite des Zimmers zurück, wissend, dass die „Liste Ella“ jetzt einen Idiotenpunkt mehr aufweist, und dass ich ganz gerne hätte, dass sich jemand meiner annimmt, mit mir liebevoll und vor allem ehrlich spricht, und mich womöglich noch in den Arm nimmt dabei. Doch wie so oft stirbt die Hoffnung zuletzt.
Ich soll doch bitte einmal in meinem Leben vernünftig sein. Ein Vorbild. Irgendwie ist mir das ein bisschen zu viel Verantwortung, denke ich. Es fängt ja eigentlich schon viel früher an, mit der Verantwortung, welche ich in mir trage, obwohl ich nie gefragt wurde, ob ich überhaupt bereit wäre, diese zu übernehmen. Die Verantwortung der älteren Schwester. Und das ist eine Verantwortung! Sich selbst gegenüber wohl am Meisten. Man muss Vorbild sein, man muss mitdenken, mitfühlen, sich in den kleinen Bruder hineinversetzen können, die Gedanken dessen und der Eltern erraten können, und alles nur, um nicht am Ende des Tages mit Vaters Fingerabdrücken im Gesicht in einer Ecke des Kinderzimmers zu sitzen und sich wiederum zu fragen – was muss man tun, um wahr- und vor allem ernst genommen zu werden?