Nach der OP

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Ich wache aus der Narkose auf und weigere mich sogleich, diese Realität anzuerkennen, den mich umgebenden Raum und die Tageszeit. Nein, ich liege natürlich nicht auf einem Operationstisch neben einer Sichtschutzwand, die mich von anderen Operationsplätzen abschirmt, ich liege da nicht halbnackt und leicht frierend, und es ist nicht irgendwann am späten Nachmittag – die Uhr hat man mir vorher abgenommen, wie alles andere auch, bis auf den Slip? Und der hauchdünne grüne Operationsmantel, hinten aufgeschlitzt, ist hochgerutscht, entblößt mich weitgehend? All das ist nicht wahr – ich weiß sofort, dass ich nur träume, dass ich binnen kurzem in einem der Betten aufwache, in denen ich zu Hause bin. In dieser Phase hilft es, sich zu rühren, mit den Beinen muss man anfangen, sie bewegen, dann fallen Restschlaf und Traumreste wie von selbst von einem ab.

Ich versuche es. Es bleibt kalt. Ich kann mir nicht so viel Bewegung verschaffen, dass mir wärmer wird. Ich höre jetzt zudem Geräusche, überall im Saal wird aufgeräumt, an Metallscharnieren hantiert. Ich sehe Krankenhauspersonal rasch im Raum hin- und hergehen. Mir fällt ein, dass ich der Letzte hier heute war … Dann stimmt es vielleicht doch, ich bin operiert worden?

Noch eine Zeitlang geht es im Bewusstsein hin und her wie bei Ebbe oder Flut, ablaufend das Gefühl von Traumbefangenheit, auflaufend die sich durchsetzende Gewissheit, ich sei eben hier. Und wie lange muss ich dann weiter so liegen? Sie räumen immer noch auf. Ich muss ab und zu husten. Eine Schwester tritt heran, fragt: Frieren Sie? Sie zupft meinen Kittel zurecht – als ob das was brächte.

Dann mache ich eine neue Erfahrung. Ich kann mich sonst in jede Lage finden, ihr anpassen, ihr standhalten, indem ich mich geistig vollkommen von ihr entferne. Da gibt es Bilder, die ich in mir wachrufe, Szenen, die ich nachspiele. Ich schlüpfe in fremde Identitäten, in Fiktionales und mache es real. Wie leicht das ist, Glück zu empfinden. Jetzt versagt die Methode. Ich bleibe mit allen Sinnen, allen Eindrücken, allen Gedanken in diesem Raum, auf diesem Tisch. Jede Flucht abgeschnitten. Und ich sehe zu, wie neben mir, von hoch oben, die Infusion Tropfen für Tropfen herabrinnt, ihren Weg in mich findet.

Die Schwester bringt viel später meine Sachen, stützt mich beim Aufstehen, ich verspüre etwas Schwindel, dann geht es. Es ist halb sechs. Gegen drei habe ich das Bewusstsein verloren, ausgeknipst wie ein Schalter. Merkwürdig, wie leicht das war und wie schwierig der umgekehrte Vorgang.

Sie rollen mich hinaus ins Freie, auf das Bettenhaus zu. Ein sympathischer junger Krankenpfleger ist drüben gleich zur Stelle. Ich staune: Er ähnelt ja einer Figur aus einem meiner Lieblingsfilme, Pfleger wie er hier. Jetzt bin ich wieder vollständig zurück.
 
U

USch

Gast
Hallo Arno,
klingt sehr authentisch und ist gut geschrieben.
Wie leicht das ist, Glück zu empfinden.
Ja, Glück fängt immer im Kopf an und kann nicht festgehalten werden. Muss immer wieder neu kreiert werden.
Ich versuche es. Es bleibt kalt.
Zweimal es so dich beieinander klingt nicht gut. Würde ich mal umformulieren.
LG und gute Besserung für deinen Prot :)
USch
 

Ofterdingen

Mitglied
Na ja, Arno, habe schon Besseres von dir gelesen. Von einem Text erwarte ich mir, dass er mir Neues bringt, inhaltlich und/oder sprachlich, oder eine neue, erfrischend andere Sichtweise auf die Dinge bietet. Eigentlich nichts davon finde ich hier eingelöst.

Solltest diesen Text vielleicht als Versuch betrachten, der nicht so besonders gelungen ist, als Vorübung für etwas Besseres.
 
Ich wache aus der Narkose auf und weigere mich sogleich, diese Realität anzuerkennen, den mich umgebenden Raum und die Tageszeit. Nein, ich liege natürlich nicht auf einem Operationstisch neben einer Sichtschutzwand, die mich von anderen Operationsplätzen abschirmt, ich liege da nicht halbnackt und leicht frierend, und es ist nicht irgendwann am späten Nachmittag – die Uhr hat man mir vorher abgenommen, wie alles andere auch, bis auf den Slip? Und der hauchdünne grüne Operationsmantel, hinten aufgeschlitzt, ist hochgerutscht, entblößt mich weitgehend? All das ist nicht wahr – ich weiß sofort, dass ich nur träume, dass ich binnen kurzem in einem der Betten aufwache, in denen ich zu Hause bin. In dieser Phase hilft es, sich zu rühren, mit den Beinen muss man anfangen, sie bewegen, dann fallen Restschlaf und Traumreste wie von selbst von einem ab.

Ich versuche es, doch es bleibt kalt. Ich kann mir nicht so viel Bewegung verschaffen, dass mir wärmer wird. Ich höre jetzt zudem Geräusche, überall im Saal wird aufgeräumt, an Metallscharnieren hantiert. Ich sehe Krankenhauspersonal rasch im Raum hin- und hergehen. Mir fällt ein, dass ich der Letzte hier heute war … Dann stimmt es vielleicht doch, ich bin operiert worden?

Noch eine Zeitlang geht es im Bewusstsein hin und her wie bei Ebbe oder Flut, ablaufend das Gefühl von Traumbefangenheit, auflaufend die sich durchsetzende Gewissheit, ich sei eben hier. Und wie lange muss ich dann weiter so liegen? Sie räumen immer noch auf. Ich muss ab und zu husten. Eine Schwester tritt heran, fragt: Frieren Sie? Sie zupft meinen Kittel zurecht – als ob das was brächte.

Dann mache ich eine neue Erfahrung. Ich kann mich sonst in jede Lage finden, ihr anpassen, ihr standhalten, indem ich mich geistig vollkommen von ihr entferne. Da gibt es Bilder, die ich in mir wachrufe, Szenen, die ich nachspiele. Ich schlüpfe in fremde Identitäten, in Fiktionales und mache es real. Wie leicht das ist, Glück zu empfinden. Jetzt versagt die Methode. Ich bleibe mit allen Sinnen, allen Eindrücken, allen Gedanken in diesem Raum, auf diesem Tisch. Jede Flucht abgeschnitten. Und ich sehe zu, wie neben mir, von hoch oben, die Infusion Tropfen für Tropfen herabrinnt, ihren Weg in mich findet.

Die Schwester bringt viel später meine Sachen, stützt mich beim Aufstehen, ich verspüre etwas Schwindel, dann geht es. Es ist halb sechs. Gegen drei habe ich das Bewusstsein verloren, ausgeknipst wie ein Schalter. Merkwürdig, wie leicht das war und wie schwierig der umgekehrte Vorgang.

Sie rollen mich hinaus ins Freie, auf das Bettenhaus zu. Ein sympathischer junger Krankenpfleger ist drüben gleich zur Stelle. Ich staune: Er ähnelt ja einer Figur aus einem meiner Lieblingsfilme, Pfleger wie er hier. Jetzt bin ich wieder vollständig zurück.
 
Danke, USch, auch für den Hinweis auf Störendes. Ich habe es schon zu verbessern versucht.

Es war eine harmlose Operation, nur ein Tag Krankenhausaufenthalt. Mir ging's allein darum, die Desorientierung nach der Vollnarkose zu skizzieren.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 
Ja, Ofterdingen, das mag schon so sein, dass ich schon Aufregenderes im Angebot hatte. Die Frage ist nur, welches Ziel hatte ich hier überhaupt? Nur dieses: die Phase der Desorientierung nach einer Vollnarkose und das Wiedererlangen des normalen Bewusstseins so konkret wie möglich und so nah wie möglich am realen Ablauf darzustellen. Insoweit bin ich nicht unzufrieden.

Ich neige nicht zu ausgeklügelten literarischen Kunstturnübungen und schätze sie selbst auch bei anderen eher weniger.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 
Danke, Doc. Nein, ein gütiges Geschick hat mich vor der Lektüre jenes OP-Artikels von dir bewahrt - vor der OP. (Hab ich damals überhaupt schon mein Unwesen hier getrieben?) Aber jetzt lache ich entspannt über deine Scherze dort (falsches Besteck, kein Blut sehen können usw.). Bei mir war's jetzt so: die Chirurgen alle Männer, die Gehilfen alle weiblich.

Vor vielen Jahren bin ich mal bei kieferchirurgischer OP vorzeitig aus der Vollnarkose erwacht, ohne dass sie's merkten, und hörte mit an, wie der Operateur die Schwester zur Schnecke machte - übel.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 

Ofterdingen

Mitglied
Nur so noch: Habe keine Punkte gegeben. Halte von der Punkterei nichts, besonders, wenn sie anonym ist. Äußere mich lieber direkt.
 

Vera S

Mitglied
Lieber Arno, ich bin begeistert und habe diese Miniatur ebenso gern gelesen wie deine Kurzgeschichten. Die Gewandtheit deiner Sprache gefällt mir z.B. bei solchen Kombinationen: "den mich umgebenden Raum und die Tageszeit" oder "Restschlaf und Traumreste". Und über die Infusion "...ihren Weg in mich findet".
Liebe Grüße
Vera
 
Danke, Vera, fürs Lob. Umgekehrt habe auch ich aus den wenigen deiner Texte, die ich schon kenne, den Eindruck sprachlicher Versiertheit gewonnen. (Das ist umständlich, unschön formuliert, ich bin nach langem, anstrengendem Tag müde.)

Schönen Abendgruß
Arno Abendschön
 



 
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