Namibia

3,60 Stern(e) 9 Bewertungen

Ji Rina

Mitglied
Marta, einer gebürtigen Spanierin, waren alle Fremden ein Dorn im Auge. Allenfalls Deutsche waren noch akzeptiert. Zwar lachte sie über ihre Mentalität, aber wenigstens ließen sie ordentlich Geld im Land, wenn sie die Hotelzimmer bezogen, sich in den Geschäften, Bars und Restaurants aufhielten und großzügige Trinkgelder spendeten. Franzosen, Italiener und Engländer wurden auch noch geduldet. Obwohl die letzteren oft für Schlagzeilen wegen Schlägereien und Alkoholexzessen in den lokalen Nachrichten sorgten. Und dann waren da noch die anderer Hautfarbe.
>Sollen sie doch alle in ihren Ländern bleiben<, pflegte sie zu sagen. Und abends in der Kneipe, im Kreis mancher Freunde, sprach sie ihre Gedanken frei aus:
>Sind wir denn bei ihnen? Oder kommen sie zu uns? Wer will sie? Wer braucht sie? Von mir aus können sie das ganze Pack auf eine Insel treiben.<
Ihr Mann grinste dann verlegen; niemand am Tisch äußerte sich. Alle kannten ihre Einstellung und sie hatten jegliche Diskussion längst aufgegeben.
Rot sah sie, wenn es um Flüchtlinge ging.
>Die kommen hier nur in ihren Sandalen an, sprechen ihre eigene Sprache und haben nichts im Kopf. Beanspruchen aber Arbeit, Wohnung und Geld!<

Eine Arbeit suchte auch Marta.
Nachdem man aus Spargründen das Personal reduzieren wollte, wurde ihr Arbeitsvertrag als Reinigungskraft zu Jahresbeginn nicht verlängert. Sie schrieb unzählige Bewerbungen, ging zu Vorstellungsgesprächen, hatte aber kein Glück. Im Frühling dann entdeckte sie eine Anzeige, in der eine Verkäuferin für eine Billig-Supermarktkette gesucht wurde. Nach einem Telefonat bat man sie vorbeizukommen, und sie bat mich, sie zu begleiten.
Als wir den kleinen Laden betraten und sie sich nach dem Geschäftsführer erkundigte, zeigte die Angestellte auf einen Afrikaner, der gerade zur Tür hereinkam.
>Da ist er!<, sagte sie, >Herr Mbako!<
Nach dem erstem deutlich erkennbaren Schock zeichnete sich auf Martas Gesicht ein zuversichtliches Lächeln aus. Sie ging auf den Mann zu, stellte sich vor und gab ihm die Hand. Daraufhin verschwanden die beiden in einem Hinterraum. Nach kurzer Zeit tauchten sie wieder auf; und es schien, als wären sie sich einig geworden.
Dann hörte ich Marta fragen:
>Und wo kommen Sie denn her?<
Ich stand zwischen zwei Regalen, sah mir gerade einige der Reinigungsmittel an und streckte den Kopf hervor, um besser hören zu können.
>Afrika<, antwortete er, und warf ihr einen fragenden Blick zu.
>Jaja, Afrika<, sagte sie forsch, >aber woher in Afrika?<
>Namibia<, erwiderte er.
>Namibia?<, rief sie entzückt.
Sie schloss die Augen.
>Oh! …Namibia… Mit seinen sandigen Hügeln und diesen phantastischen Farben! ... Wissen Sie was? Sie kommen aus einem der schönsten Länder, die es gibt!<
Der Afrikaner sah sie überrascht an. Und er lächelte:
>Oh! Danke schön!<
In seinem Blick: ein Funken Stolz.
 

ThomasQu

Mitglied
Hallo Jirina,

eine schöne kleine Schmunzelgeschichte, die sogar ein wenig Tiefgang beinhaltet.
Du schaffst es, die traurigen Themen Arbeitslosigkeit und Fremdenfeindlichkeit auf witzige Art zu präsentieren.
Man ist deiner Protagonistin Marta noch nicht mal böse, weil der Schluss versöhnlich ist. Sie handelt nach dem Motto: Das Hemd ist mir näher als die Hose und als Leser hofft man am Ende, dass sich Marta bei der Beurteilung von Menschen zukünftig andere Bewertungsgrundlagen zu Eigen macht.

Viele Grüße,

Thomas
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Thomas,
Mh…Also witzig war eigentlich nicht in meinem Sinn. Auch nicht Schmunzelgeschichte…Hab irgendwas falsch gemacht? Ich find die Geschichte ganz schön traurig. Ist auch eine traurig, wahre Geschichte. Aber dazu sind Rückmeldungen ja gut.
Herzlichen Dank dafür!
Danke Dir, Hein und Otto auch für die Bewertungen!
Mit lieben Gruss, Ji
 

ThomasQu

Mitglied
Weiß nicht, mir kommt der Text ein wenig augenzwinkernd verschmitzt vor.
Diese Marta, die zuerst über Ausländer herzieht, ist am Ende froh, dass so einer sie einstellt.
(Die Moral von der Geschicht: Siehste mal, diese Ausländer sind doch zu gebrauchen.)

Aber nichts desto trotz finde ich die Geschichte stark. Ungewöhnlich, dass die Ich-Erzählerin nicht Protagonistin, sondern Nebenfigur ist.
Dass alles realen Hintergrund hat, hab ich mir schon gedacht.
 

Ji Rina

Mitglied
Weiß nicht, mir kommt der Text ein wenig augenzwinkernd verschmitzt vor.
Naja, der Text steht ja “offen” – Eine beschriebene Szene: nichts wird beurteilt, nichts bewertet. Somit kann sich der Leser ein eigenes Bild machen.
Und wenn diese Geschichte als Ich-Erzählerin geschrieben wäre, dann wäre sie flach. Findest Du nicht? Doof finde ich allerdings immer, wenn die Geschichten in Spanien spielen. Kann man das dann richtig einschätzen? Hier bei dieser Geschichte, zum Beispiel, wirkt der erste Satz dann nicht erstmal verwirrend? Du weisst ja wo ich lebe.:)
 

ThomasQu

Mitglied
Ich glaube, das versteht man schon, dass die Handlung in Spanien spielt. Spanien wurde ja gleich erwähnt und später ist von Tourismus die Rede.
Wenn du die Geschichte aus der Ich-Perspektive geschrieben hättest, weiß nicht, ob die dann flach gewesen wäre, vielleicht wäre sie dann etwas weniger amüsant (bei mir) angekommen. Aber dass die Ich-Erzählerin nur eine Nebenfigur ist, gefällt mir richtig gut.
Es ist halt einfach am Ende lustig, dass Marta, die am Tag zuvor alle Afrikaner auf eine einsame Insel schicken wollte, plötzlich so schön mit ihm tut.
 

steyrer

Mitglied
Ich halte diesen Text weniger für eine Kurzgeschichte, als für eine recht sorgfältig ausformulierte Frage: „Warum verhält sich die Frau derart widersprüchlich?“

Ein einfacher und ein komplexer Deutungsversuch: Die Frau war zuerst einfach uninformiert. Erst nachdem sie die nötige Information bekommen hatte, war sie fähig vernünftig zu handeln.

Oder: Die Aufregung über die Flüchtlinge und die Reaktion auf den neuen Chef speisen sich aus unterschiedlichen Quellen und können so problemlos vereinbart werden, auch wenn dies für einen Beobachter widersprüchlich erscheinen mag.

Schöne Grüße
steyer
 

YolliMate

Mitglied
Habe auch eher ein bisschen geschmunzelt. Denke aber nicht, dass du etwas "falsch" gemacht hast wie du in einer antwort sagst. Könnte einfach an der distanz welche ich als leser habe liegen. Wäre die geschichte in einem anderen kontext zu lesen, wäre das schmunzeln etc ausgeblieben.
Was ich mich jedoch frage, ob ein in der regel eher stolzer afrikaner lediglich den kontinent als herkunft nennen würde oder ob dies nicht eine typisch westliche denkensweise ist.
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo YolliMate!, Vielen Dank fürs reinschauen!
Ja, dann ist es wohl eine Schmunzelgeschichte…
Immer wieder interessant, was man sich beim Schreiben so denkt, und was der Leser so denkt.

Was ich mich jedoch frage, ob ein in der regel eher stolzer afrikaner lediglich den kontinent als herkunft nennen würde oder ob dies nicht eine typisch westliche denkensweise ist.
Mh…Gute Frage! Ich habe ein afrikanischen Schwager in Paris und der kommt irgendwo aus der Nähe von Quéllessébougou. Aber wenn man ihn fragt, wo er herkommt, sagt er Mali. Kann sein, dass Mbako aus Otjiwarongo, Okakarara oder Khorixas, oder wer weiss woher kommt. Aber bei solch einem uns nicht ganz geläufigen Namen, hätte Marta ihn wohl etwas dumpfig angesehen.
Denk ich jetzt mal.
Freu mich auf Deine nächste Geschichte!
Mit Gruss, Ji
 

Ilona B

Mitglied
Hallo Ji Rina,
ich finde die Geschichte nicht lustig. Mir verursacht sie eher ein mieses Gefühl, da ich Marta den Gesinnungswandel nicht abnehme. Freunde und Bekannte diskutieren schon nicht mehr mit ihr, weil ihre Hetzerei wohl bekannt und nicht zu ändern ist und da sollen ein paar Wochen Arbeitssuche diese Einstellung ändern. Wohl kaum. Also muss ich davon ausgehen, dass Marta perfekt schauspielert, was auf Dauer bestimmt nicht gut geht.
 

Ji Rina

Mitglied
ich finde die Geschichte nicht lustig. Mir verursacht sie eher ein mieses Gefühl, da ich Marta den Gesinnungswandel nicht abnehme. Freunde und Bekannte diskutieren schon nicht mehr mit ihr, weil ihre Hetzerei wohl bekannt und nicht zu ändern ist und da sollen ein paar Wochen Arbeitssuche diese Einstellung ändern. Wohl kaum. Also muss ich davon ausgehen, dass Marta perfekt schauspielert, was auf Dauer bestimmt nicht gut geht.
Genau so ist es. Du hast den Sinn erfasst!
Ein ganz großes Dankeschön dafür! ;)
(Lustig finde ich die Geschichte - genau aus diesem Grund- auch nicht. Aber das habe ich ja bereits in jedem Kommentar oben klargestellt).
Mit Gruss, Ji
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo JiRina,

eine sehr kurze Kurzgeschichte, deren Thema traurig ist. Du hättest Martas Sinneswandel, ihren Opportunismus, noch viel härter und deutlicher herausstellen können. Nach dem Motto "Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing".

Deine sanfte Variante ging eher als "Schmunzelgeschichte" durch.

Und ich finde den Schluss ganz schlimm, dass Herr Mkabo "stolz" ist. Insofern ist der Schluss gelungen, da er so hart rüberkommt. Vermutlich hast Du es nicht beabsichtigt. Aber die Formulierung finde ich grausam-gelungen.

Viele Grüße,

DS
 
Hallo Ji Rina,

ich stimme Thomas zu (auch wenn es anscheinend nicht in deiner Absicht lag):

. Du schaffst es, die traurigen Themen Arbeitslosigkeit und Fremdenfeindlichkeit auf witzige Art zu präsentieren.
Sehe ich auch so. Finde ich übrigens auch gut so.

Und ich finde den Schluss ganz schlimm, dass Herr Mkabo "stolz" ist. Insofern ist der Schluss gelungen, da er so hart rüberkommt. Vermutlich hast Du es nicht beabsichtigt. Aber die Formulierung finde ich grausam-gelungen.
Was ist daran schlimm, wenn jemand mit einem Funken Stolz sagt, wo er herkommt?

Manchmal denke ich, vor lauter political correctness darf man gar nichts mehr schreiben, was dem Mainstream nicht genehm ist.

Ich finde den Schluss gut so.

LG SilberneDelfine
 

Ji Rina

Mitglied
"Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing".
Hallo DocSchneider,
Noch deutlicher herausstellen als: “>Sie kommen aus einem der schönsten Länder, die es gibt!<?
Ich dachte, dieser Satz würde reichen, um jenen Opportunismus, Schmeichelei, Schleimerei, etc…deutllich werden zu lassen. Aber die Leser können diesen “Schnellen Wandel” nicht nachvollziehen. Und somit hätte ich ihre Verzweiflung, ihre Lage, Ihre Jobsuche, wohl ausführlicher beschreiben müssen. Da hab ich ordentlich daneben gehauen.

Diesen Satz habe ich garnicht verstanden:

Und ich finde den Schluss ganz schlimm, dass Herr Mkabo "stolz" ist. Insofern ist der Schluss gelungen, da er so hart rüberkommt. Vermutlich hast Du es nicht beabsichtigt. Aber die Formulierung finde ich grausam-gelungen.
Herr Mbako ist stolz, weil sein Land als das schönste beschrieben wird. Was ist daran schlimm? Nach diesem Satz fragt er nichts, sondern pfeift sich einen drauf, weil ihm dieser Stolz auf sein Land soweiso niemand nehmen kann. Was ich beabsichtigt habe, ist sein Lächeln und sein Danke, nicht wissend, dass das gesagte, eine Fassade ist. Aber nun….grausam? Diese Schmeichelei erleben wir alle tagtäglich in allen möglichen Situationen. Oder: Wie oft lügen wir am Tag?
Weiss nicht, so hat mein Kopf es mir gesagt.

Auf jedenfall, vielen Dank dass Du vorbeigeschaut hast!
Auch vielen Dank für die Bewertung! Die erste in fünf Jahren! (Da freut man sich doch)
Mit Gruss, Ji
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo SilberneDelfine!

"""Du schaffst es, die traurigen Themen Arbeitslosigkeit und Fremdenfeindlichkeit auf witzige Art zu präsentieren."""
Naja, wie ich schrieb, witzig war nicht meine Absicht….


""""vor lauter political correctness darf man gar nichts mehr schreiben, was dem Mainstream nicht genehm ist."""

Davor fürchte ich mich auch manchmal….Ich komme aus einem Land, wo dass alles ein bisschen lockerer verläuft. Bei einem andren Text erfuhr ich, dass ich nicht “Zigeuner” sagen darf. Hier bei uns nennen die Zigeuner sich selbst so, und wehe wenn du sie anders nennst. Denn sie sind stolz drauf. Es gibt unzählige Lieder, wo sie singen: "Ich bin ein Zigeuner aus dem Süden"....;)Und so weiss ich auch manchmal nicht genau, was man darf und was nicht.

Dir ein Dankeschön für die aufbauenden Worte und die hohe Bewertung – wo ich garnicht mehr weiss, ob der Text die verdient.
Wie dem auch sei. Ich hab diesen Text jetzt als “nicht gelungen” abgehakt und arbeite an einem neuen.
Vielleicht gehts ja da besser….:rolleyes:

Allen nochmal ein Dankeschön für den schönen Austausch.
 



 
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