Nichts Drittes gibt es nicht - in meist rührenden Reimen ...

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Sind zwei Sachen einer dritten gleich,
sagt man,
sie seien untereinander gleich.
Sagt man
sie seien untereinander gleich,
sagt man, sie seien untereinander gleich.

Aber ist eine Sache ihr Gegenteil,
ist also eine Sache ihr Gegenteil,
also ihr eigenes Gegenteil,
sagt man,
sie sei mit sich selbst nicht gleich.

Ist die Sache mit sich selbst nicht gleich
und die nicht gleiche Sache
mit sich selbst nicht gleich,
gleicht sie sich selbst.

Mist!
denn ein Drittes ist nicht gegeben.
Mist!

Ach könnte ich mir nur die Haare selber raufen,
dann müsste ich jetzt nicht zum Barbier laufen.

An dieser Stelle brach die Logik entzw
 
G

Gelöschtes Mitglied 21114

Gast
Dieser Beitrag steht in der Abteilung "Gereimtes" – die Reime muss der Leser mit der Lupe suchen. In der Abteilung "Experimentelle Lyrik" hätte er Unterschlupf finden können, obwohl Lyrik? Experimentell? Gegen Ende des Werks entschlüsselt sich die ganze Einfältigkeit dieses – ja, was? Gedichts? – Zitat:
Ach könnte ich mir nur die Haare selber raufen,
dann müsste ich jetzt nicht zum Barbier laufen.

Dem Dichter ist zu Gute zu halten, er hat – nach eigener Aussage – viel zu viel zu tun, das ihn am qualifizierten Dichten hindert.
JF
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Danke, Joe.

Den Begriff "Gerührter Reim" verstehst Du aber?
Es sind lediglich vier der Verse nicht gereimt.

und die nicht gleiche Sache
...
gleicht sie sich selbst.
...
denn ein Drittes ist nicht gegeben.
...
An dieser Stelle brach die Logik entzw



Reimschema: (Wenn ich nichts übersehen habe)

ABABAA CCCAB ADAE FGF HH I

Edit: Reimschema ergänzt


Zitat:
Ach könnte ich mir nur die Haare selber raufen,
dann müsste ich jetzt nicht zum Barbier laufen.
Du hast eine der Schlüsselstellen gefunden.
Die hat am Anfang des 20. Jahrhunderts Bertram Russell behandelt. (Es ist aber kein Zitat. Das Zitat wäre:

https://de.wikipedia.org/wiki/Barbier-Paradoxon
Man kann einen Barbier als einen definieren, der all jene und nur jene rasiert, die sich nicht selbst rasieren.Die Frage ist: Rasiert der Barbier sich selbst?
Der hat die Logik umgekrempelt.
 
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G

Gelöschtes Mitglied 21114

Gast
Ich zitiere aus dem Standardwerk, Wolfgang Kayser – Kleine deutsche Versschule:
"Wir nennen das rührenden Reim … der Eindruck auf uns heutige Leser ist vernichtend. … Heute aber dürfen wir als Regel angeben, dass der rührende Reim eine auffällige Unschönheit bedeutet."
Vielleicht sollte in der LL zusätzlich die Abteilung "Unschönheiten" eingebaut werden.
JF
 
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Bernd

Foren-Redakteur
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Also bestätigst Du, dass es Reime sind. Danke sehr.

In meinem Gedicht hat es eine Funktion.
Es wird in mehrfacher Hinsicht selbstbezüglich.

Viele Grüße von Bernd

PS: auch "Identischer Reim", das ist genauer eingegrenzt.

https://de.wikipedia.org/wiki/Identischer_Reim

Ein identischer Reim ist in der Verslehre eine Form des rührenden Reims, bei dem dasselbe Wort wiederholt wird. In der orientalischen Dichtung, zum Beispiel im Ghasel, gilt er als nicht fehlerhaft und wird sogar geschätzt, in der deutschen Dichtung ist er jedoch seit dem Barock verpönt. Philipp von Zesen monierte sogar das Reimpaar findenempfinden, „weil der laut fast nicht verändert wird, ob schon in einem das p hinzukömt“.[1]

Als zulässig gilt der identische Reim dann, wenn die dadurch bedingte Betonung der Reimworte Stilmittel ist, [...}
(Für die, die das von Joe zitierte Standardwerk nicht haben)
 
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G

Gelöschtes Mitglied 21114

Gast
Oh, du so sehr Unverstandener, habe ich bestritten, dass es Reime sind, wenn auch unschöne? Ein schöner Reim, um dir ein Beispiel zu geben, ist: auf Redakteur – Frisör zu reimen. Ein paar Reime dieser Qualität hätten nach meinem Empfinden den Eintrag in der Abteilung "Gereimtes" rechtfertigt. Ich habe dir die Abteilung "Experimentelle Lyrik" als Alternative vorgeschlagen. Da kannst du noch immer zugreifen, das Verrschieben von Texten gehört zu deinen Fertigkeiten.
JF
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ja, Du hast es bestritten.
Dieser Beitrag steht in der Abteilung "Gereimtes" – die Reime muss der Leser mit der Lupe suchen....
... Ein paar Reime dieser Qualität hätten nach meinem Empfinden den Eintrag in der Abteilung "Gereimtes" rechtfertigt. Ich habe dir die Abteilung "Experimentelle Lyrik" als Alternative vorgeschlagen. ...
Die beiden Foren überschneiden sich. Ich habe es in "Gereimtes" gestellt, um diese Reime zu zeigen.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Das mit dem "Barbier" am Ende war für diejenigen, die sich schon seit zwei/drei Leben mit Paradoxien beschäftigt haben, und die das bei Russell kennengelernt haben. Denn es ist hier im Gedicht nicht vollständig zitiert, so daß die Selbstwidersprüchlichkeit klar geworden wäre; das vervollständigt erst Dein Kommentar, Bernd.

Ist in meiner Leseerfahrung schon lange her, aber wenn man das einmal gelesen hat, und wer in diese Nuß (das Kernproblem aller Wissenschaften, die eine solche Fundamentalparadoxie in sich entdeckt haben und dadurch wieder von vorne neu anfangen mußten, weil die Grundlage kaputt ist) gebissen hat - der erinnert sich bei der bloßen Erwähnung des "Barbiers" an Russells Beispiel.

Hier in der Lelu gibt es inzwischen schon ein ganzes Genre von Paradoxienlyrik, dear Joe, Du erinnerst Dich gewiß an die Identität von Nicht-Ich und Nicht-Ich.
Das berührt dieses rührend reimende Gedicht von Bernd hier, und das springt zum nächsten Problem, das in der letzten Zeit häufig in der Lelu erörtert wurde: Was macht überhaupt den ästhetischen Reiz von Lyrik und Kunst an und für sich aus? Überraschende Momente und Koans, unknackbare Nüsse und absurde Scherze, "the crack in the buskuit is the apostrophe" (Zappa) - - vielleicht.

grusz, hansz
 
G

Gelöschtes Mitglied 21114

Gast
Shakespeare hat da ein schönes Stück geschrieben: Much adoe about Nothing. Ich meine (weiß es nicht genau), der Zappa hat dazu eine schöne Muiknummer hinterlassen.
JF
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Vielen Dank für die Kommentare, Mondnein und Joe. Ich habe das Barbierbeispiel nicht komplett in das Gedicht übernommen. Das war auch Absicht. Es muss immer etwas Rätselhaftes, Unausgesprochenes bleiben.

Insbesondere interessant für mich, in welche Richtungen es noch ausstrahlt - bzw. ausgreift.
Viel Lärm um Nichts - ein tolles Stück.

Paradoxien um Nichts und fast nichts sind mit die Interessantesten.

Trotzdem ist ja mein Gedicht kein Leergedicht geworden.

Das kürzeste aller Gedichte dehnt sich am Weitesten aus.
 
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Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Es ist ja aber auch kein Paradoxon um nichts, wie Hansz schon richtig angemerkt hat. Frege ist danach in Depressionen verfallen, weil es seine gesammte Forschung in Frage gestellt hat. Den Barbier habe ich auch schonmal (sich rasierend) in einem Gedicht auftauchen lassen. Es ist ein reizvolles Bild.

K.G
Patrick
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das stimmt auch. Frege dachte, er hätte es geschafft.
Gödel fand später, dass er es nicht schaffen konnte, weil niemand es schaffen kann.

Und alles nur wegen eines Barbiers.

Ich habe den Barbier aber absichtlich hier in einer Nebenrolle auftreten lassen, wenn auch einer sehr wichtigen. Aber auch für Nebenrollen gibt es Preise.
 

James Blond

Mitglied
Der Barbier in einer Nebenrolle als Preis? Wofür?

Ich habe selten ein Gedicht gelesen, das in ermüdend toter Sprache seine eigenen Leerstellen betrachtet. Soll das Lyrik sein?

Sicher ist aber auch, dass man mit einem Rückzug aufs Formale sich allen Anfechtungen, sei es nun im Juristischen, sei es nun im Stilistischen, gegen Anfeindungen und Kritik zur Wehr setzen kann. Das trifft auch auf den Vorwurf der Nichtlyrik zu. Ein Elfchen enthält 11 Silben, ein Anagramm besteht aus einer vorgegebenen Buchstabenmenge, ein Akrostichon nimmt die Buchstabenfolge eines Wortes, um Verse damit beginnen zu lassen, einPalindrom lässt sie vorwärts wie rückwärts lesen, ein Reimgedicht enthält Reime, ein Gedicht enthält Verse, ein Dada-Gedicht sinnlose Wortfolgen. Diese Formspielereien lassen sich beliebig fortsetzen, sie legitimieren eine Zusammenstellung (un)bestimmter Wörter als lyrisches Werk und bauen zugleich Referenzen zu lyrischen Traditionen auf.

Aber ist das schon alles? Ich denke nicht. Hier wird nicht einmal der Kern der Lyrik berührt.

Was aber wäre das? Das ist natürlich nicht leicht und allgemein verbindlich zu sagen. Ich äußere hier meine persönliche Ansicht, was über die Formgestaltung hinaus unverzichtbarer Bestandteil einer Lyrik ist, die diesen Namen auch verdient. Dies ist die Fähigkeit, über Sprache mein inneres Empfinden anzusprechen, es mir selbst zu erschließen, indem es mich allein durch seine Sprache gewahr werden lässt, wie sich die äußere Welt auch in meinem Innersten wiederfindet und umgekehrt.

Ich bin mir allerdings auch darüber im Klaren, dass derartig enge Auffassungen von Lyrik als "Rührig" hier nicht unbedingt auf breite Zustimmung stoßen werden, auch wenn sie wohl immer noch den Mainstream markieren. Manche scheinen hier ja auch Anhänger der "Rebuslyrik" zu sein, eine Art intellektueller Schnitzeljagd mit verfremdeten Bildungsbegriffen.

Wenn allerdings ein Gedicht mit "gerührten Reimen" auf sich aufmerksam macht, ich aber große Schwierigkeiten habe, beim Lesen nicht einzuschlafen (ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich es in einem Zug vollständig lesen könnte) und vor meinen Augen ein Bild ensteht, bei dem zwei Spiegel sich gegenseitig betrachten, dann sehe ich mich in meinen schlimmsten Befürchtungen über Ingenieurslyrik bestätigt. Darin zieht die Gedankenfreiheit der mathematischen Logik ihre Rekursionen bis in die Leere von Paradoxien, um daraus Substanz zu gewinnen.

Bestimmte Leute mögen das "interessant" finden, ich auch, denn ich verwende den Begriff meist, um bei aller Ablehnung höflich zu bleiben. Letztlich aber lässt mich das pseudolyrische Sprachgefrickel entsetzlich kalt und "interessant" wird dabei (für mich) eine ganz andere Frage: Was sind das für Menschen, die sich für so etwas begeistern können? Anscheinend sind wir alle doch sehr verschieden.

Grüße
JB
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wenn Du dabei eingeschlafen bist, ist die Wirkung stärker als ich dachte.

Man muss es langsam lesen. Das ist klar.

Sehr gut, dass wir alle verschieden=unterschiedlich sind.
Für mich hat Lyrik eine fraktale Struktur und einen magischen Klang.

Interessant ist kein Euphemismus, es sei denn, Du sagst es, James, denn Du hast mich darüber aufgeklärt, dass Du Deine Meinung versteckst.

Lyrik versteckt auch, aber sie verwendet Metaphern statt Euphemismen. Aber auch hier gilt die zehnte Regel der Lomographie:
Vergiss alle Regeln.
Quelle der Regeln

Ich habe alle Regeln vergessen, auch die zehnte und dass ich sie vergaß.
 

James Blond

Mitglied
Nein, es war meine verkürzte Formulierung. Ich wollte eingangs fragen: Wofür erhält der Akteur dieser Nebenrolle des Barbiers einen Preis? Von wem?

Aber eigentlich ist es gar nicht so wichtig. Es war nur als Einstiegsfrage gedacht und zielte auf deine Bemerkung:

"Es muss immer etwas Rätselhaftes, Unausgesprochenes bleiben." , die mich angesichts der Banalität der Verse
Ach könnte ich mir nur die Haare selber raufen,
dann müsste ich jetzt nicht zum Barbier laufen.
zum Schmunzeln brachte. Wohlgemerkt: Nicht als Schlusspointe, sondern durch die nachträgliche Erhöhung.

Aber wie gesagt, eigentlich nur eine Nebensächlichkeit.

Grüße
JB
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Gut: Der Barbier erhält den Preis dafür, dass er unmöglich ist, weshalb es ihn nicht gibt, und dass er trotzdem existiert.
 

James Blond

Mitglied
Für mich hat Lyrik eine fraktale Struktur und einen magischen Klang.
Ja ja, die Selbstähnlichkeit, die Autologie, die Paradoxie, die Rekursion, die Menge, die sich selbst als Menge enthält - usw. Das ist für mich Logik, aber Lyrik? Diese Magie erschließt sich mir nicht. Die Schlaftablettenwirkung kann es auch nicht sein, die ist aus der Ermüdung beim Lesen zu erklären.

Gruß
JB
 

James Blond

Mitglied
Gut: Der Barbier erhält den Preis dafür, dass er unmöglich ist, weshalb es ihn nicht gibt, und dass er trotzdem existiert.
Auch wieder so ein paradoxes Scherzlein, das im Gedicht nicht einmal korrekt beschrieben wird. Kein Barbier rauft anderen die Haare, er schneidet oder rasiert. ;)

Grüße
JB
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das Barbier-Paradoxon ist sehr bekannt und gehört eigentlich zur Allgemeinbildung.
Es reicht, es anklingen zu lassen.
Der Barbier aus dem Gedicht lässt auch noch zur Ader und heilt. Das spielt für das Paradoxon keine Rolle. Und für ihn auch nicht.
Eine Rolle spielt, dass es erkannt wurde, bevor ich es konkretisiert habe.
 



 
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