Normal
„Diese Frage müssen Sie eindeutig beantworten,“ sagte der ältere schwarzgekleidete Herr streng. Der schmale weiße Kragen gab ihm etwas animalisches.
„Ich wiederhole sie gern noch einmal,“ Klaus – Dieter Keller schlug die Augen nieder und konzentrierte sich, „Ist die Verwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu Christi , die Transsubstantiation, ein Wunder, das in der heiligen Messe vollzogen wird ? Essen und trinken wir, Sie und ich, während der heiligen Zeremonie nicht nur symbolisch, wie die Lutheraner glauben machen wollen, sondern tatsächlich Leib und Blut unseres Herren ? Glauben Sie an die Realität übersinnlicher Erfahrung ? Ja oder Nein ?“
K. - D. K. hob den Kopf, sah in die fordernden Augen seines Gegenübers und zuckte die Schultern:
„In diesen eindeutigen Kategorien vermag ich nicht zu antworten.“
Der Ältere konnte seine Ungeduld nicht verbergen: „Ich bin nicht hier, um mit Ihnen zu diskutieren. Ja oder Nein !“
„Sowohl als auch...“
„Nun gut,“ man erhob sich, „Sie verlassen noch heute das Kloster. Gott mit Ihnen.“
Die Tür fiel ins Schloss. K. - D. K. war allein.
Er hatte keinen konkreten Plan, doch bis hierhin, fand er, lief es sehr gut.
Zwei Stunden später in der geräumigen Kabine eines Lastwagens neben einem schweigsamen Fahrer sah er auf die staubige Straße und hätte schreien können vor Glück. Im Fußraum lagen sein Rucksack und die Gitarre, in der Hosentasche fühlte er die Scheine, die der Abt beim Abschied wortlos dort hineingeschoben hatte und vor ihm lag die Welt, verheißungsvoll, verführerisch und er war bereit, ihren sinnlichen Reichtum zu genießen.
Die Mühen und Entsagungen der mönchischen Askese hatten in den letzten Jahren seine Zweifel genährt an dem eingeschlagenen Weg und nicht zufällig galt die inquisitorische Befragung des Abtes der Transsubstantiation. Dieses zentrale theologische Theorem erschien ihm zunehmend fragwürdig und der kannibalische Aspekt der sakralen Handlung weckte seinen aktiven Widerwillen. Derart ketzerische Gedanken lassen auf der Führungsebene die Alarmglocken schrillen und schwarze Schafe sortierte man aus, schon immer. Er konnte von Glück sagen, nicht geschlachtet worden zu sein wie in früheren Jahrhunderten.
Er war kein Träumer. Die Welt wartete nicht auf ihn, im Zweifel und besonders den Naiven zeigte sie sich grausam und brutal. Noch vor kurzem war ihm ein Leben außerhalb der behütenden klösterlichen Gemeinschaft unvorstellbar. Er spürte das Unwiderrufliche seiner Entscheidung, den grundsätzlichen Bruch mit allem Bisherigen und ein vages Gefühl des Verlorenseins beschlich ihn. Er ließ es zu, empfand es der Situation angemessen.
„Normal,“ dachte K. - D. K., „wer keine Angst vor dem Unbekannten hat, kennt seine Defizite nicht. Ich hingegen weiß, was mir fehlt: Tango tanzen, Klavier spielen, mich im Französischen vervollkommnen, Gedichte schreiben, guten Wein trinken, Auto fahren. Vor allem aber will ich lernen, ein gefühlvoller, begehrter Liebhaber zu werden. Das Zölibat war eine schwere, sinnlose Prüfung, die viel Zeit gekostet hat. Jetzt beginnt etwas Neues, ich bin achtundzwanzig, es ist nicht zu spät.“
Unterdessen hatte der Fahrer seinen Zielort, eine große Stadt, erreicht und hielt auf einem zentralen Platz. Der Mann erwieß sich trotz des ersten mürrischen Eindrucks als freundlich, gab nützliche Tipps und so fand K. - D. K. rasch ein billiges, ruhig gelegenes Hotel. Nach einem ersten kleinen Imbiss nahm er seine Gitarre und ging mit einbrechender Dämmerung gut gelaunt in einen nahegelegenen Park.
Auf einer Bank stimmte er das Instrument.
Neben kirchlich – meditativer Musik umfasste sein Repertoire eine Reihe weltlicher Songs, die er heimlich außerhalb des Klosters geübt hatte. Sein Spiel war nicht virtuos, eher akzeptabel, doch seine Stimme war gut, gefühlvoll und sicher auch in den höheren Lagen.
Anfangs sang er zurückhaltend, gewann allmählich Sicherheit, auch weil er die positiven Reaktionen der Vorbeigehenden registrierte und schließlich, bei seinen favourites, hatte er das vertraute Niveau erreicht.
Sein Lieblingssong war der `No Pussy Blues`, das Stück hat einen hypnotischen off – beat und fordert Emotion im Vortrag. Er stand auf und ließ es fließen.
Immer mehr Leute blieben stehen, wippten im Takt, gestikulierten, klatschten, schrien euphorische Kommentare, einige brüllten ekstatisch „Halleluja !“, es war verwirrend, explosiv, berauschend: eine große show. Die ließ er ausklingen mit einem Instrumentalstück, nickte den Umstehenden zu und legte die Gitarre in den Koffer.
Eine Frau hatte sich neben ihn gesetzt, sein Alter, langes, schwarzes Haar, schlank. Sie sagte, die Musik habe ihr gut gefallen, fragte nach seinem Woher und Wohin, er antwortete weitgehend wahrheitsgemäß, fragte zurück. Sie hieß Angi und arbeitete in einem Supermarkt.
Die beiden merkten, dass sie Hunger hatten, Angi kannte ein Restaurant, dort redeten sie weiter. Irgendwann fragte Angi, ob er noch Lust habe, auf einen letzten Drink mit zu ihr zu kommen, es sei nicht weit. „Ja,“ sagte er, sie zahlten und draußen fühlte er seinen Herzschlag und spürte einen unbekannten, leicht pelzigen Geschmack im Mund.
„Normal,“ dachte K. - D. K.
„Diese Frage müssen Sie eindeutig beantworten,“ sagte der ältere schwarzgekleidete Herr streng. Der schmale weiße Kragen gab ihm etwas animalisches.
„Ich wiederhole sie gern noch einmal,“ Klaus – Dieter Keller schlug die Augen nieder und konzentrierte sich, „Ist die Verwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu Christi , die Transsubstantiation, ein Wunder, das in der heiligen Messe vollzogen wird ? Essen und trinken wir, Sie und ich, während der heiligen Zeremonie nicht nur symbolisch, wie die Lutheraner glauben machen wollen, sondern tatsächlich Leib und Blut unseres Herren ? Glauben Sie an die Realität übersinnlicher Erfahrung ? Ja oder Nein ?“
K. - D. K. hob den Kopf, sah in die fordernden Augen seines Gegenübers und zuckte die Schultern:
„In diesen eindeutigen Kategorien vermag ich nicht zu antworten.“
Der Ältere konnte seine Ungeduld nicht verbergen: „Ich bin nicht hier, um mit Ihnen zu diskutieren. Ja oder Nein !“
„Sowohl als auch...“
„Nun gut,“ man erhob sich, „Sie verlassen noch heute das Kloster. Gott mit Ihnen.“
Die Tür fiel ins Schloss. K. - D. K. war allein.
Er hatte keinen konkreten Plan, doch bis hierhin, fand er, lief es sehr gut.
Zwei Stunden später in der geräumigen Kabine eines Lastwagens neben einem schweigsamen Fahrer sah er auf die staubige Straße und hätte schreien können vor Glück. Im Fußraum lagen sein Rucksack und die Gitarre, in der Hosentasche fühlte er die Scheine, die der Abt beim Abschied wortlos dort hineingeschoben hatte und vor ihm lag die Welt, verheißungsvoll, verführerisch und er war bereit, ihren sinnlichen Reichtum zu genießen.
Die Mühen und Entsagungen der mönchischen Askese hatten in den letzten Jahren seine Zweifel genährt an dem eingeschlagenen Weg und nicht zufällig galt die inquisitorische Befragung des Abtes der Transsubstantiation. Dieses zentrale theologische Theorem erschien ihm zunehmend fragwürdig und der kannibalische Aspekt der sakralen Handlung weckte seinen aktiven Widerwillen. Derart ketzerische Gedanken lassen auf der Führungsebene die Alarmglocken schrillen und schwarze Schafe sortierte man aus, schon immer. Er konnte von Glück sagen, nicht geschlachtet worden zu sein wie in früheren Jahrhunderten.
Er war kein Träumer. Die Welt wartete nicht auf ihn, im Zweifel und besonders den Naiven zeigte sie sich grausam und brutal. Noch vor kurzem war ihm ein Leben außerhalb der behütenden klösterlichen Gemeinschaft unvorstellbar. Er spürte das Unwiderrufliche seiner Entscheidung, den grundsätzlichen Bruch mit allem Bisherigen und ein vages Gefühl des Verlorenseins beschlich ihn. Er ließ es zu, empfand es der Situation angemessen.
„Normal,“ dachte K. - D. K., „wer keine Angst vor dem Unbekannten hat, kennt seine Defizite nicht. Ich hingegen weiß, was mir fehlt: Tango tanzen, Klavier spielen, mich im Französischen vervollkommnen, Gedichte schreiben, guten Wein trinken, Auto fahren. Vor allem aber will ich lernen, ein gefühlvoller, begehrter Liebhaber zu werden. Das Zölibat war eine schwere, sinnlose Prüfung, die viel Zeit gekostet hat. Jetzt beginnt etwas Neues, ich bin achtundzwanzig, es ist nicht zu spät.“
Unterdessen hatte der Fahrer seinen Zielort, eine große Stadt, erreicht und hielt auf einem zentralen Platz. Der Mann erwieß sich trotz des ersten mürrischen Eindrucks als freundlich, gab nützliche Tipps und so fand K. - D. K. rasch ein billiges, ruhig gelegenes Hotel. Nach einem ersten kleinen Imbiss nahm er seine Gitarre und ging mit einbrechender Dämmerung gut gelaunt in einen nahegelegenen Park.
Auf einer Bank stimmte er das Instrument.
Neben kirchlich – meditativer Musik umfasste sein Repertoire eine Reihe weltlicher Songs, die er heimlich außerhalb des Klosters geübt hatte. Sein Spiel war nicht virtuos, eher akzeptabel, doch seine Stimme war gut, gefühlvoll und sicher auch in den höheren Lagen.
Anfangs sang er zurückhaltend, gewann allmählich Sicherheit, auch weil er die positiven Reaktionen der Vorbeigehenden registrierte und schließlich, bei seinen favourites, hatte er das vertraute Niveau erreicht.
Sein Lieblingssong war der `No Pussy Blues`, das Stück hat einen hypnotischen off – beat und fordert Emotion im Vortrag. Er stand auf und ließ es fließen.
Immer mehr Leute blieben stehen, wippten im Takt, gestikulierten, klatschten, schrien euphorische Kommentare, einige brüllten ekstatisch „Halleluja !“, es war verwirrend, explosiv, berauschend: eine große show. Die ließ er ausklingen mit einem Instrumentalstück, nickte den Umstehenden zu und legte die Gitarre in den Koffer.
Eine Frau hatte sich neben ihn gesetzt, sein Alter, langes, schwarzes Haar, schlank. Sie sagte, die Musik habe ihr gut gefallen, fragte nach seinem Woher und Wohin, er antwortete weitgehend wahrheitsgemäß, fragte zurück. Sie hieß Angi und arbeitete in einem Supermarkt.
Die beiden merkten, dass sie Hunger hatten, Angi kannte ein Restaurant, dort redeten sie weiter. Irgendwann fragte Angi, ob er noch Lust habe, auf einen letzten Drink mit zu ihr zu kommen, es sei nicht weit. „Ja,“ sagte er, sie zahlten und draußen fühlte er seinen Herzschlag und spürte einen unbekannten, leicht pelzigen Geschmack im Mund.
„Normal,“ dachte K. - D. K.