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John Wein

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Noticias
eine kurze Erklärung

2019 bin ich von Sevilla einen Abschnitt der Via de la Plata, ein Pilgerweg, nach Salamanca gegangen. Heute, am 13. September 2021, bin ich wieder in Salamanca, um diesen Weg nach Norden Richtung Santiago fortzusetzen.
In den Noticias werde ich in unregelmäßigen Abständen darüber berichten. Nun muss man dabei nicht unbedingt knallharte Prosa erwarten, dafür kann man aber halbwegs live meinen Weg mitgehen. Das schöne daran ist, dass ihr euch dabei keine Blasen lauft. So viel zum Einstieg, ich wünsche euch viel Lesevergnügen bei meinen Noticias.

13. September

Salamanca, lauter saftige Vokale, schon der Name klingt wie Musik. Es ist der 13., hoffentlich kein schlechtes Omen für meine Unternehmung.

Die Anreise war etwas mühsam, doch schließlich hat alles im Ablauf gut funktioniert. Um 12:00 Uhr mittags bin ich in Düsseldorf Richtung Madrid in den Flieger gestiegen und um 19:00 Uhr, nach einer langen Busreise durch die Mancha, war ich am Ziel in Salamanca.

Das Hotel Las Torres, mein Quartier, kenne ich noch gut vom letzten Mal. Es liegt zentral am wunderschönen Plaza Mayor mit seinen barocken Fassaden und Kolonnaden. In diesen Platz kann man sich verlieben, er ist die Krone im Weichbild Salamancas und geprägt von südländischem Flair und Trubel. Natürlich konnte ich hier nicht widerstehen am Abend noch einmal eine Runde zu drehen.

Das soll es nun fürs erste sein, jetzt heißt es auszuruhen für die kommenden Tage.
 
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John Wein

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Zweiter Tag

Heute ist Dienstag der 14. September. Ich sitze im Frühstücksraum des Hotels. Draußen vor den Fenstern ertrinkt ein Tag im Regen. Das köstliche Frühstück kann meine Stimmung auch nicht wesentlich heben. Im Hotel leiht man mir einen Regenschirm. Da kann ich wenigstens ein bisschen in der Stadt herumstrolchen.

In der Kathedrale hole ich mir den ersten Stempel für meinen Pilgerpass ab. Das eindrucksvolle Gotteshaus ist natürlich den Besuch wert, genau so wie die vielen anderen historischen Gebäude der Stadt, die ich wegen des unsäglichen Wetters nur aus den Augenwinkeln im Vorbeihuschen betrachten kann.

Die Universität, 1208 gegründet, ist der älteste Lehrstuhl der Alten Welt. Man hat auch heute noch den Eindruck, dass die Mehrzahl der Einwohner der Stadt die Studenten stellen. Junges Volk beherrscht Gassen und Plätze.

Ich vertreibe mir den Nachmittag unter den Arkaden am großartigen Geviert des Plaza Mayor. Gegenüber im Glockenturm des Rathauses schlägt es vier mal. Das Wetter könnte jetzt schlechter nicht sein, Schnürlregen wie der Wiener sagt. Es pladdert in einem fort, Musik wie ein schlechtes Konzert. Eine wenig stimmungsvolle Ouvertüre für den Weg.

Jetzt käme mir ein Kaffee mit einem Stück Kuchen gerade recht. Missmutig bringt mir der Camarero einen Milchkaffee. An mir kann man nicht viel verdienen. Kuchen nada!
Que decepción!

Am Abend entdecke ich im Westen über den Dächern zwischen den Wolkenfetzen einen Streifen blauen Himmels.
 
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John Wein

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15. September.
3. Tag

Pünktlich und rechtzeitig zu meinen ersten Schritten hat der Dauerregen nachgelassen. Am verstürmten Himmel über Salamanca segeln am Morgen dunkle Wolkenpakete dahin. Ich zwänge mich in den Rucksack und marschiere erst mal zum Busbahnhof. Am ersten Tag stehen 28 km auf dem Programm. Die 6 km aus der Industrie der Vorstadt spare ich mir auf bequeme Weise mit dem Bus. Den Erbsenzähler kann ich beruhigen, diese Kilometer hänge ich am Ende wieder dran. In der Weite Kastiliens mangelt es in diesen Zeiten an Übernachtunsmöglichkeiten und die Agentur hat mir ein Zimmer 2 km abseits des Weges in der Pampa reserviert.

An der Landstraße nach Zamora verlasse ich als einziger Fahrgast den Bus. Die große Weite des Landes saugt mich förmlich in sich auf. Calzada de Valdunciel erscheint ausgestorben. Es ist der letzte Ort den ich heute sehe. Den Wegen durch die ausgedehnten Ländereien sieht man noch den großen Regen der letzten Tage an. Lehmboden ist Wasser undurchlässig, Pfützen und in den Senken die Schlammlöcher müssen umschifft werden. Rechts und links schwarz und reif stehen die Sonnenblumen vor der Ernte. Nach 5 km schmiegt sich der Weg geschmeidig an die Autobahn, die 20 km mit dem Lineal gezogen vor Langeweile in der Ferne stirbt. Ich setze in moderatem Tempo automatisch und gedankenlos meine Schritte. Über mir ist jetzt das Blau nicht mehr zu übersehen, aber dazwischen bestimmen noch immer zerfranste und dunkle Wolken die Dramaturgie. Es bekümmert mich nicht, es riecht nicht nach Regen. Die offene Landschaft weicht nun locker stehenden Steineichenbeständen. Bei km 26 lasse ich den Pilgerweg links liegen und überquere, wie ich es in der Beschreibung gelesen habe, nach rechts die Autobahn zu meinem Quartier. Flankiert von Steineichen führt eine kleine Straße gerade aus über 2 km ins Niemandsland.

Buen Amor was für ein anzüglicher Name für eine Ritterburg. Das trutzige Gemäuer hat man in eine Posada mit Hotelbertrieb umgewandelt.
Um Himmels Willen, ich kann es kaum beschreiben, das kleine doch große Paradies. Ich komme mir vor wie ein spanischer Grande im zweistöckig arkadenumkränzten quadratischeren Innenhof, das Interieur Mittelalter. Alles atmet zurückhaltende Würde und unten im ehemaligen Graben ein Schwimmbad.
Hier möchte man länger verweilen.

La cena, das Abendessen, ist um 21 Uhr im Kellergewölbe.
Da hat der Schlaf ein kleines Problem. Der Syrah zum Essen reift vor dem Haus mit dicken schwarzen Trauben. Er benebelt den Geist und lässt meine Gedanken ins Ungefähre entschweben.

Im Zimmerfenster, früher einmal Schießscharte in 2m dickem Mauerdurchbruch brennt der Abendhimmel Kastiliens sein Feuerwerk ab. Ein gutes Zeichen für den neuen Tag.

Hier hinter dicken Mauern fühle ich mich für die Nacht geborgen.

Buenas noches
 
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onivido

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Buenas noches, John. Man kann richtig mitwandern, oder auch ein bischen Neid verspueren. Ich glaube, ich habe etwas versaeumt. Ich war nur als ganz junger Mann laengere Zeit in Spanien und in diesem Alter ist ein Pilgerweg nicht gerade das Gefragteste. Um so lieber begleite ich dich jetzt .
Gruesse///Onivido
 

John Wein

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Donnerstag, 16. 09. Buen Amor - Villanueva de Campean

Heute morgen sog die Sonne bald alle Nebelschwaden auf. Weiße Wattewolken hat sich der Himmel ins Blau gemalt. Ich liebe den Himmel Kastiliens. Dieses klare Farbspektrum des Kosmos in seinen vielfältigen Abstufungen, ich kann gar nicht genug davon bekommen.
10 km hat das Lineal an der Autobahn nach Zamora angelegt, links verläuft ein ungemütlicher Schotterweg und zwingt den unschuldigen Pfad des Camino zwischen sich und die Schnellstaße.
In Cubo, genauer El Cubo de la Tierra del Vino, hat die Fron ihr Ende. In der Halbzeit der Etappe gönne ich mir in der Bar ein Mahou.
Dann besaufe ich mich wieder am Blau über der Landschaft und an den Aromen der Natur. Ich habe ein frisches Zweiglein wilden Rosmarins abgezwackt und in der Hemdtasche deponiert.
Wie so oft sind es in der Summe die kleinen unscheinbaren, unschuldigen und unaufgeregten Dinge, die einen Pilgerweg, wie die Via de la Plata zum klingen bringen.
Am späten Nachmittag, weitere 26 km sind auf dem Tacho, verschlucken mich die Gassen von Villanueva de Campeán.
 
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John Wein

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Freitag, der 17. September.

Frühstück. Torben ist Däne und mit der einzige Gast in der Posada del Buen Camino in Villanueva de Campeán. Am Tisch sitzen zwei alte weise Männer und erzählen sich ihre Lebensgeschichten. Torben ist mit Zwischenstopp unterwegs nach Asturien. Auf dem Dach seines Autos sind zwei Surfbretter aufgezäumt.

In seinem Vorleben war er Schiffsingenieur hat die Welt bereist und versäumt eine Familie zu gründen. In seiner Lebensendfreizeit hat er sich nach Portugal abgesetzt. Er lebt, wie er betont, seit 20 Jahren in Sagres, einer Stadt an der äußersten Südwestecke Portugals. Torben reitet dort mit seinen über 70jährigen Knochen auf dem Brett, es bedeutet ihm die Weilt, die wildesten Atlantikwellen, die Europa zu bieten hat.

Um viertel vor Zehn schnüre ich die Schuhe, zurre die Rucksackbänder fest und mache mich frohgemut auf die Socken. Es ist frisch, aber die Luft ist klar und verspricht den warmen, sonnigen Tag. Auch heute quält sich der Camino über endlos lange Geraden an abgeernteten Feldern vorbei. Unterwegs ist kein Dorf, ist weder eine Wasserstelle noch ist da irgendein Stein, auf dem ich rasten könnte. Hier ist keines Menschen Seele außer der meinen.

Um 15:00 Uhr überquere ich auf der alten, römischen Bogenbrücke den Duero. Hinter dem Fluss wächst Zamora auf einem Felsen in die Höhe und wie könnte es anders sein, mit der Kathedrale als Schlusspunkt. Keine Kleinstadt aber auch noch nicht Großstadt, hat Zamora seine besten Zeiten im Mittelalter erlebt. Viele romanische Gebäude mit wuchtigen Mauern, prägen das Stadtbild.

Auf Plätzen und Gassen wird es nach der Siesta lebhaft und laut, wie man es aus südlichen Ländern kennt und weil die Restaurants die Tore erst ab 21 Uhr öffnen, habe ich zum Leidwesen der Füße, alle Zeit der Welt, sie mir ein bisschen zu vertreten. Nach 22 km kommt es eigentlich nicht mehr drauf an.

Zamora ist die letzte Stadt auf meinem Weg.
 
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G

Gelöschtes Mitglied 21924

Gast
@John Wein, alle Achtung für diesen Dänen, der mit siebzig noch die Wellen des Atlantiks reitet!

Lebensendfreizeit
Schön. Darf ich das adoptieren?
Hier ist keines Menschen Seele außer der meinen.
Weißt Du, dass ich Euch Männer dafür beneide? Ihr könnt einsame Landschaften durchstreifen - ohne permanent Angst davor haben zu müssen, dass man Euch in die Büsche zerrt und vergewaltigt ...
Ich würde so gerne auch so einen Weg gehen - aber als Frau, in meinem Alter ...?
Nun, auch deshalb bin ich froh, hier wenigstens mental hinter Dir herlatschen zu können!
Lieben Gruß,
Isbahan
 

John Wein

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Es ist Samstag der 18. September.

Über unbelebte Stadtstraßen verlasse ich Zamora, überquere die von Ost nach West verlaufende Autobahn Richtung Portugal und verschmelze dann wieder mit der Unendlichkeit der Meseta.

Heute hat der Wind seinen großen Auftritt.
Ein kalter aus Nord bläst mir ins Gesicht. Die spanische Wetterfee im Morgenmagazin von La Una hatte es erklärt: Über Escotia läge ein Hoch, das auf seiner Rückseite kalte Polarluft in die Biskaya schaufele. Die Feuchtigkeit regne sich dann an der Kantabrischen Kordilliere ab und kalte und trockene Fallwinde strömten dann ins kastilische Hochland. Daher also meine rote Nase, derweil hinten die Sonne für rote Waden sorgt.

Die langen Geraden, die die riesigen Anbauflächen durchschneiden, in Senken verschwinden und wieder auftauchen bevor sie wieder verschwinden und deren Ende am Horizont nicht mehr auszumachen sind, machen das Gehen stumpfsinnig. Stock, Schritt, Stock, Schritt tausendfach, alles läuft automatisch ab und nur gerichtet aufs Vorwärtskommen. Der Pilger wird zum Robotnik.

Gegen 16 Uhr und Kilometer 21stolpere ich über das Pflaster von Montamarta zur Herberge an der Landstraße N630. Ich greife schon zum Telefon, da öffnet sich doch noch die schwere Eichentür. Ein Maskierter greift nach meinen Stöcken und in der anderen Hand sehe ich im Dunkel des Eingangs ein Sprühflasche auf mich gerichtet. Pftt, pftt! Ich wehre ab. Don Alfonso: „Buenas Dias Senor!“ Er tut seine staatlich verordnete Pflicht, der Arme, ich muss es respektieren und wühle im Rucksack nach meinem Gesichtslappen. In Spanien jagt man den Menschen, noch mehr als bei uns daheim, Angst vor dem Virus ein. Nicht nur in Gebäuden oder Verkehrsmitteln sondern auch auf Straßen und Plätzen laufen und bummeln gesichtslose Gestalten herum.

Herr Alfons zeigt mir die Gemächer, erklärt die Gebrauchsanweisungen der Küche und zum Schluss lädt er mich draußen im Patio zum Wein ein. Ich hatte Durst! Jetzt dürfen wir auch nach staatlicher Verlautbarung die Masken lüften.
Ich erkenne einen untersetzten älteren Herrn, der mir seine Familiengeschichte ab Adam und Eva bis zu den Enkeln, natürlich mit Photo, die Kleinen, ausschweifend erzählt. Ich verstehe sowieso nix. Meine Augen ruhen derweil auf seiner Zahnlücke, Schneidezahn rechts.
Er gibt mir die Schlüssel, erklärt, wie ich sie am nächsten Morgen deponiere, dann ein: „Adios!“ und das Haus ist mein. Ich habe Don Alfonso und seine Zahnlücke nicht mehr wiedergesehen.

Das Abendessen habe ich in der Bar „Rosa Maria“ fünfzig Meter um die Ecke eingenommen.
Und jetzt pass auf!: Da begegne ich tatsächlich dem erste Pilger auf meiner Wanderschaft. Bisher waren es nur seine Fußabdrücke, die mich von ihm ahnen ließen. Kees ist Holländer, waschecht, nicht nur Niederländer. Mehr nicht soll aber nicht sein!

Es ist spät, ich muss ins Bett. Nur soviel kann ich verraten, es sollte eine wunderbarere Pigerfreudschaft für Tage werden und wer weiß, was wird ...

Gute Nacht!
 
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In Spanien jagt man den Menschen, noch mehr als bei uns daheim, Angst vor dem Virus ein. Nicht nur in Gebäuden oder Verkehrsmitteln sondern auch auf Straßen und Plätzen laufen und bummeln gesichtslose Gestalten herum.
Eine derart unreflektierte Äußerung hätte ich dir bislang nicht zugetraut. Eine Illusion weniger, John Wein.

Wer ist "man"? Wieso sind Menschen, die einen trotz Halbmaske aus zwei Augen anschauen können, "gesichtslos"?

Es ist dieses verantwortungslose Gerede, das eine Stimmung befördert, die im Extremfall zu Taten wie in Idar-Oberstein führen kann.

Gruß
Arno Abendschön
 

onivido

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"Es ist dieses verantwortungslose Gerede, das eine Stimmung befördert, die im Extremfall zu Taten wie in Idar-Oberstein führen kann."
Hallo Arno Abendschön , ein bischen arg weit hergeholt, finde ich. Ja, und wo man den Menschen mehr Angst einjagt, kann ich nicht beurteilen, aber ich weiss, dass man mit dem Angst Einjagen in Spanien nicht zimperlich ist. Vielleicht auch hat John Wein bei seiner Beurteilung Drosten, Spahn und Lauterbach vergessen.
Schoenen guten Morgen///Onivido
 
Onivido, Spanien war bisher von der Pandemie ungleich stärker als Deutschland betroffen. Insoweit kann es durchaus sein, dass die Maßnahmen der Regierung rigider sind und die Einstellung der betroffenen Bevölkerung von besonderer Vorsicht zeugt. Bei einem solchen Stand der Dinge finde ich es sehr befremdlich, wenn ein deutscher Tourist ein derart oberflächlich-abschätziges Urteil abgibt. Im Übrigen ist der gewählte Ausdruck "Angst einjagen", dem du dich jetzt auch noch angeschlossen hast, Ausdruck einer Haltung, die ich der Lage und Entwicklung in beiden Ländern nicht angemessen finde.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 

John Wein

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Heute ist Sonntag der 19. September

Wie ich Schotter hasse! Grobkörnige Kiesel sind das letzte, was der Longrange Pilgrim sich wünscht, es sei denn er wäre Masochist.

Vor dem Haus wartet ein Sonntag mit frischer Morgenkühle, wie aus dem Bilderbuch. Ich ziehe die Tür ins Schloss und stupse die Hausschlüssel durch das vergitterte Fensterchen. Es ist 10 Uhr in Montamarta und Sonntags Ruhe, Lebenszeichen dringen nur aus der Bar neben der Kirche.

Schnell komme ich wieder in den gewohnten Gang. Die Meseta geht jetzt allmählich über in eine hügelige mit Büschen und Bäumen durchsetzen Landschaft. Das Auge braucht Objekte, auf dem es verweilen und ausruhen kann und will nicht immer nur über einen Horizont kriechen, der Erde und Himmel trennt.

Bald stellt sich die Schnellbahntrasse nach Santiago und A66 mit Ab- und Anfahrten in den Weg. Auch das noch! Der Fußwanderer gegen dem rastlosen Verkehr keine Chance und muss Umwege in Kauf nehmen. 4 km, rund eine Stunde kostet mich die Unbill und zeitweise auch die Orientierung.
Wenn das aber alles nicht schon genug wäre, streut man dem Fußgänger zusätzlich den Schotter auf die Bahn, Grobkiesel wie bestellt und nicht ein Randstreifen mit ein paar Grashalmen bleibt ausgenommen. Ich stolpere Kilometer um Kilometer elende Geraden vorwärts. Die Stöcke sind gefragt wie sonst nie und die Schuhe leiden.

Heute werde ich nach Granja de Moruela die 100 km knacken. Mit ein paar ungesunden Umwegen strande ich um 16 Uhr und nach 22 km Frohn, gleich in der ersten Bar von Granja. Ich schnalle den Rucksack ab, ziehe die Schuhe aus und: „una cana, por favor!“, bestelle ein frisch gezapftes Mahou.

Drüben neben der Kirche lungert Kees, der Holländer und ohne, dass ich lange suchen müsste, hat mich schon der Betreiber der privaten Herberge im Visier.
Viktor Luna, ja er heißt wirklich so, betreibt sein Geschäft mit den Jakobspilgern. Mit seiner karierten Schiebermütze, ein Dandy. Kumpelhaft und einschmeichelnd schiebt er mich ins Haus. Innen zeigt sich das Gebäude durchgängig offen, geschmackvoll und dezent farbig gestaltet. Zeichnungen mit leichtem Strich gesetzt, zieren die Wände, alles aufeinander abgestimmt und in Szene gesetzt. Ja, dieses Haus, das sich von außen so bescheiden in die Zeile einfügt, hat was!

Hinten im Garten, in der von Weinranken umschlungenen Loggia, empfängt uns ein heiteres Völkchen, alles Pilger in meinem Tagesrhythmus von denen ich nur durch die Fußabdrücke wusste. Wir sind sogleich in die heitere Runde aufgenommen. Die Verständigung bei gleicher Gemütslage klappt auf Anhieb auch ohne Sprachkenntnisse im spanischdeutschniederländischen Kauderwelsch mit englischen Tupfen darin.

„Sorry!In der Dorfkneipe von Granja de Moruela, man feiert ein lokales Fest, gibt’s heute kein Abendessen. Viktor Luna, sein umfassendes Englisch beschränkt sich auf „sorry“, hat vorgesorgt und kocht uns eine Brotsuppe, „es tipico, schmeichelt er, sorry, es picante!“ In Ordnung, es muy picante!

Nach gefühlten hundert „sorrys“, ach Victor ich liebe dich, setzt er sich ab zum Dorfschwof und überlässt, hopplahopp, das Haus seinen Gästen.
 

John Wein

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Heute ist Montag, der 20. September.

Die Nacht in Granja de Moruela war kurz aber erholsam. Es ist 8 Uhr, Kees und die Spanier sind längst ausgeflogen. Mein Frühstück ist dürftig, spanisch eben. Ich tröpfele eine Träne Honig auf die eine Hälfte trockenen Baguettescheibe vom Samstag, damit ich sie überhaupt über die Gurgel kriege. Wie soll ich da die 25 Tageskilometer nach Tábara schaffen?! Ich habe noch ein paar Nussplätzchen in der Brotdose und ein paar Scheiben Salchichón, die werde ich unterwegs mit der anderen Hälfte des Weißbrotes vertilgen. Um diese Zeit ist in dem 280 Seelen Dorf noch kein Laden auf und unterwegs gibt es außer auf Brombeerranken nichts Essbares.

Heute werde ich mich von der Via de la Plata verabschieden, auf der ich auf dem Weg von Sevilla so viel Schönes, Interessantes und Unterschiedliches erleben konnte, so viele verschiedene Orte und Menschen kennenlernen durfte, Erfahrungen, Entdeckungen und Abenteuer gemacht habe, aber auch Mühsal und Unwägbarkeiten erdulden musste. Dieser großartige Weg mündet nach weiteren 3 Etappen nördlich bei Astorga in den umtriebigen und lauten Pilgerstrom des Camino Fancés. Meine Reise aber geht weiter Richtung Nordwest, sozusagen auf der Hypotenuse, der Via Sanabres, die über die westlichen Ausläufer der Kantabrischen Kette nach Galicien und Santiago führt.

Im Osten liegt schon der goldene Streifen über dem Horizont, es ist noch frisch, aber der wolkenlose Himmel verspricht Temperaturen über 20 Grad für die Mittagszeit. Leichtfüßig mache ich mich auf den Weg. Ich bin guter Dinge, marschiere durch die menschenleeren Gassen und immer auf der Hut, nicht den Abzweig zu übersehen. Hier soll in der Dunkelheit schon der ein oder andere unaufmerksame Pilger den falschen Weg gewählt haben. Hinter der Kirche, an einem Lichtmast, finde ich die Stelle, wo beide Richtungen angezeigt werden, Astorga rechts, Ourense links, mein Weg.

Das ockerfarbige, von einem Bach begleitete Band des Sanabres führt mich nach Westen, das vertrocknete, feuchte Gras am Wegrand riecht modrig. Die Sonne über dem östlichen Horizont streckt den scharf umgrenzten Schatten vor meinen Füßen zu einem Riesen. Lustig! Ich bin guter Dinge und komme gut voran.

Nach einer Stunde Marsch wird die Landschaft welliger und von oben her erkenne zwischen Felsen eingezwängt den weiten, blauen Spiegel des Rio Esla. Unter mir windet sich die Schlange der Landstraße malerisch durch die grüne Dehesa zum Fluss hinunter und überquert in schwindelnder Höhe auf 10 Brückenbögen die Schlucht, um auf der gegenüberliegenden Seite in den Fels gehauen wieder nach oben zu klettern. Was für ein großartiges Schauspiel!

Ich reibe mir die Augen, mein Weg über die Brücke mündet im Gegenüber in einen kaum wahrzunehmenden Kletterpfad am Rand der Felsen und nur knapp oberhalb des breit gestauten Flusses. Atemberaubend, meine Stöcke sind hier unabdingbar! Jetzt erlebe ich den abenteuerlichsten und reizvollsten Teil der Via auf meiner bisherigen Tour. Oben, auf einem imposanten Felsklotz, entscheide ich mich für eine verdiente Pause und krame nach den Plätzchen. Wie königlich ist doch diese Aussicht, durchaus vergleichbar mit der Lorelei.

Die Fortsetzung auf der Höhe führt durch den schattigen Steineichenwald einer Finca und mündet schließlich in staubigen, öden Geraden ohne belebte Natur in der Unendlichkeit. Hin und wieder überholen mich Radpilger, die sich mit Fußpilgern den Weg teilen. Oben kreisen vereinzelt Raubvögel, die in der abgeernteten Flur nach Nahrung suchen. Es sind 7 km bis Faramontanos de Tábara, der einzige Ort unterwegs auf dieser Etappe. In diesen kleinen Weilern muss man, zerstreut und abwesend oft, aufpassen, um die gelben Richtungspfeile nicht zu übersehen; mal sind sie überwachsen, mal mit Nachrichten überklebt und manchmal sogar verwittert. Die Ortskirche ist dann oft neuer Ausgangspunkt und Richtungsweiser.

Noch einmal 7 km und fast 2 Stunden in der schattenlosen Natur, dann stehe ich in Tábara vor der privaten Herberge des El Roble. Kees, mein niederländischer Pilgerfreund und die spanische Armada sind natürlich schon da. Längst trocknet ihre Tageswäsche auf der Leine.

Der kleine Laden quer über den Plaza Mayor, öffnet um 17 Uhr. Mein leerer Magen mahnt. Noch einmal rapple ich mich auf und latsche schlappenbarfuß hinüber und versorge mich mit Proviant und allerlei Knabberglück für die kommenden Tage.
 
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