Old County Diner

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Pennywise77

Mitglied
Durch Staub der Fensterscheiben fällt der Mondschein schwach ins Diner.
Nur ich und Nancy, die kaum spricht und manchmal Kaffee bringt,
sind einsam hier am Highway und auch draußen rührt sich keiner.
Der Mond spielt jetzt Verstecken und die Leuchtreklame blinkt.

Der Speck brät in der Pfanne, mir betört sein Duft die Sinne.
Im Dunkeln in der Ferne schneidet Licht ins schwarze Nichts.
Da nähert sich ein Auto und es seilt sich eine Spinne
vor meiner Nase von der Decke ab auf meinen Tisch.

Der Dodge des fremden Mannes rollt bedächtig vor den Laden,
das Glöckchen klingelt leise als er stumm ins Diner tritt.
Der Mond bleibt noch verborgen hinter dichten Wolkenschwaden,
es brutzelt weiterhin der Speck und jetzt sind wir zu dritt.

Er stoppt nur kurz am Tresen, scheint bei Nancy zu bestellen,
dann fragt er mich ob mir womöglich nach Gesellschaft sei.
Er kann sich wohl ein viertel Stündchen gern zu mir gesellen,
ich deute auf den Stuhl und sage ihm, der Platz ist frei.

Die Zeit ist rar, erzählt er mir, sein Job nimmt viele Stunden.
Im Außendienst, da ist man schließlich lange auf der Pirsch.
Er reist sehr weit und freut sich über potenzielle Kunden,
von Einsamkeit berichtet er mir müde und zerknirscht.

Dann steht er auf, nimmt seinen Hut und hält nochmal kurz inne.
Er sagt es war sehr nett mit mir, und dass er mich sehr mag,
verspeist dann kurzer Hand noch schnell die kleine Krabbelspinne
und wünscht mir einen wunderschönen, allerletzten Tag.
 

sufnus

Mitglied
Hey Pennywise! :)

Eine bemerkenswerte Ballade, die eine wilde Mischung aus Film Noir mit Gothic fiction bietet, Polidori trifft Mid Century-Feeling.

Der offenkundig im Auftrag von Freund Hein (oder gar als selbiger in persona) agierende FREMDE zeigt dabei mit der Spinnenschnabulierung (dem Höhepunkt des Gedichts!) eine Verwandtschaft mit dem gruseligen Renfield aus Bram Stokers Dracula. Auch bei Renfield geht es ja um die Frage nach der Sterblichkeit, welche der überwinden will, in dem er allerlei Getier bei lebendigem Leibe verspeist. Gerade im Hinblick auf die Spinne, die im Gedicht ja im Wortsinn am seidenen Fädchen hängt, kommt natürlich auch die antike Atropos ins Spiel, die dem Lebensfaden mit der Schnippschnappschere zu Leibe rückt. Schön auch, dass der Bursche in einem Dodge vorfährt. Ein Dodger ist ein Schwindler oder Ganove, jedenfalls ist er trickreich-zwielichtig unterwegs. Der Spinnenfressertyp bekommt so auch ein ein bisschen Trickster-Aura mit auf den Weg.

Formal ist die Überlänge der Zeilen auffallend. Sieben Hebungen pro Zeile sprengen normalerweise den Melodierahmen und überdehnen i. d. R. die Verklammerung durch die Endreime. Hier funktioniert es aber - ohne dass Du die Zeilen mit störend heraushörbarer Füllwatte künstlich auf die Akzentlänge trimmen musst, was wirklich virtuos ist! Sehr nice! Wobei ich persönlich ja bei der letzten Zeile auf 6-Hebigkeit ginge, da wäre dann quasi schonmal ein bissel was weggeschnibbelt.

Und dann hab ich ja grad andernorts noch grundsätzlich-bedenkliches zur Pointe geäußert - das könnte man hier sicher auch diskutieren. Aber ein Pointenverbot kann dabei natürlich keinesfalls auch nur zur Debatte stehen, wär ja schlimm, wenn wir noch noch in raunige Offenheit auslaufende Kunsttexte lesen könnten. Gerade die komische Lyrik ist ja ohne Pointe gar nicht denkbar. Was meine letzte Frage anschließen lässt: Ist dies hier nun ein Vertreter der komischen Dichtung oder handelt es sich eher um gedankenmelancholische Lyrik? Wie würdest Du es selbst einordnen, Pennywise?

LG!

S.
 
Zuletzt bearbeitet:

Pennywise77

Mitglied
Moin Sufnus,
erstmal danke für Deinen ausgiebigen Kommentar, den ich leider erst ein paar Tage später beantworten kann.
Deine Anmerkung zur Länge der Zeilen ist absolut nachvollziehbar. Ich denke auch, dass 15 bzw. 14 Silben im Kreuzreim das absolute Maximum sind. Und ich kann gar nicht genau sagen, warum es hier zu funktionieren scheint. Ich habe mir bei diesem Gedicht am Korsett von "Im Klabautereck" bedient. Ein Text, der hier ganz gut ankam, zu dem ich aber immer ein ambivalentes Verhältnis hatte. Eben wegen der von mir gewählten Form.
Ich muss diese Form aber wählen, wenn ich eine Geschichte so komprimiert erzählen will. In den meisten Fällen mache ich das in Amphibrachys, aber wer will schon immer das Selbe machen? Das wäre zu einfach. Wenn ich ein Gedicht über eine Landschaft schreibe (ich nenne das immer "Bilder schreiben"), dann fasse ich mich ganz selten auch schon mal kürzer, weil da die richtige Wahl der Schlagworte ausschlaggebend ist. Genauso wie die Wahl der Metaphern. Erzähle ich zum Beispiel eine kleine Gruselgeschichte, dann brauche ich entsprechende Sätze. Da mir das Ungereimte gar nicht liegt, bin ich natürlich noch mehr auf die Form angewiesen. Aber ich mag das so.
Deinen Vorschlag mit der 6-Hebigkeit muss ich mal antesten und schauen wie das klingt. Aber ich denke, das könnte auch ein reizvolles Stilmittel sein, die letzte Zeile jeweile etwas zu kürzen.

Eine Pointe sehe ich hier eigentlich gar nicht. Denn niemand weiß ja so genau, was an diesem "wunderschönen, allerletzten Tag" passiert. Und da soll sich jeder sein eigenes Bild machen. Ich lasse die Türe also meiner Meinung nach einen Spalt weit offen. Deine Deutung zum "Gast" im Diner ist da ja schon auf der richtigen Spur. Zumindest nach meiner Auffassung und mit der Intention, mit der ich den Text geschrieben habe.
Zum Genre noch...
Definitiv soll es düster sein. Ich hoffe nicht, dass es komisch wirkt. Denn das war nicht der Plan. Eine vermeintlich freundliche Gestalt betritt nachts in der Einöde ein nahezu leeres Diner und quatscht das lyrische Ich an und verlässt es nach einer Weile mit einer sehr nebulösen Andeutung, die eigentlich nichts Gutes verheißen kann. Einen Dachschaden könnte man gegebenenfalls auch diagnostizieren, wenn der gute Mann dabei eine zufällig vorbeilaufende Spinne verspeist. Also definitiv die Kategorie "Unheilvoll".

Gruß

Pennywise
 



 
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