Ich stehe auf dem alten, knorrigen Holzsteg, der hinaus auf die Ostsee führt und kann es erst allmählich begreifen. Es geht jetzt wirklich los. Vor mir schaukelt beruhigend mein Boot. Der weiße Rumpf spiegelt sich im Hafenbecken und produziert seltsame Formen. Die leichte Brise kräuselt das Wasser unter mir. Eine leichte Gänsehaut breitet sich auf meinen nackten Unterarmen aus. Ich schaue hoch zur Septembersonne und spüre, dass sie eine wohlige Wärme auf meinem Gesicht hinterlässt. Habe ich wirklich genügend Sonnenmilch eingepackt, denke ich plötzlich. Im Süden kann die aggressive Sonne für einen Segler gefährlich werden. Ich fühle erneut Zweifel in mir hochkommen. Kann ich das wirklich alleine schaffen. Zu meiner Freude auf das bevorstehende Abenteuer gesellen sich zunehmend Selbstzweifel und Versagensängste. Die Idee zu meiner Reise verfestigte sich vor ungefähr zwei Jahren. Mein Leben lief zu dieser Zeit auf einer vorhersehbaren Schiene in Richtung Ruhestand. Ich fragte mich immer häufiger, ob das alles war. Die Träume, in denen man bis zum Ende des Studiums schwelgte, verschwommen immer schneller. Kein Reichtum, keine Weltreisen, kein Ruhm, nichts Außergewöhnliches. Diese Einsicht traf mich nach 8 Jahren im Job mit ungeheurer Wucht. Dabei fühlte ich mich auch ein wenig schäbig, wenn ich solche Gedanken zuließ. Eigentlich lief doch alles bisher nach Plan, wie es sich eben für einen Ottonormalverbraucher gehört. Ich bin glücklich verheiratet, habe eine wundervolle Tochter, ein kleines Häuschen, welches zum größten Teil der Bank gehört, und arbeite als Bürohengst in einer Immobilienfirma. Ich kann nicht behaupten, dass ich unglücklich bin. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Heike ist die Frau meiner Träume und unsere Tochter bereichert mein Leben ungemein. Ich genieße es, Charlotte beim wachsen zuzusehen und ihr gleichzeitig eine Sicht der Dinge zu vermitteln, die Heike und ich moralisch vertreten können. Man könnte mein Verlangen nach einem Ausbruch aus dieser Idylle eine mittelschwere Midlifecrisis nennen, wenn der Begriff nicht schon so schrecklich abgegriffen wäre. Jeder Zweite hat heute offensichtlich irgendwann einen Burnout oder eine Midlifecrisis. Ich entschied mich also mit Ende Dreißig zu dieser Flucht aus der schönen Normalität. Nach einer intensiven Ansparphase kaufte ich vor einem Jahr ein Boot und nannte es Cleo. Cleo ist neun Meter lang, 3 Meter breit und soll laut Herstellerangaben unsinkbar sein. Das mit der Unsinkbarkeit würde ich, historisch bedingt, nicht unbedingt beschwören. Das Boot vermittelt mir aber dennoch ein sicheres Gefühl. Die Ausstattung lässt zudem keine Wünsche offen. Cleo verfügt über einen Ofen, zwei gasbetriebene Kochstellen, 4 Schlafplätze, einen Salon mit Tisch und eine große Toilette. Die Heizung muss ich wohl nicht erwähnen, denn wo ich hinfahre, benötige ich mit Sicherheit keinen zusätzlichen Wärmespender. Daneben kann das Boot mit einer umfangreichen Sicherheitsausstattung aufwarten. Es gibt Rettungswesten, eine Funkbarke, eine Rettungsinsel, ein GPS gesteuertes Navigationssystem, innen beleuchtete Außeninstrumente, AIS, usw. Alles in allem überließ ich nichts dem Zufall. So lange der ersehnte Aufbruch noch entfernt schien, so schnell ist er jetzt gekommen.
Ich atme tief durch und setze meinen rechten Fuß, der in einen abgewetzten braunen Bootschuh gehüllt ist, aufs Boot. Cleo gibt leicht nach, als wollte sie mir den Einstieg erleichtern. Noch einmal alles durchgehen, denke ich, verwerfe den Gedanken aber, denn Angriff ist ja bekanntlich die beste Verteidigung. Dass ich nur Seekarten von Nord- und Ostsee dabei habe, stört mich nicht. Auf dem ersten Teilabschnitt meiner großen Reise befinde ich mich meist auf dem Atlantik und Untiefen, die meinem Boot gefährlich werden können, existieren dort nicht. Mein GPS-Navigator wird’s schon richten. Ich starte den Motor, schmeiße die Leinen los und gleite langsam aus dem Hafenbecken. Die erforderlichen Handgriffe laufen flüssig und koordiniert ab und ich merke, dass sich das Training in diesem Sommer gelohnt hat. Einige Clubmitglieder winken mir beim Herausfahren zu. Es gibt aber keine guten Wünsche oder Abschiedsgrüße. Alle denken, ich komme gleich wieder. Keiner weiß von meinem Unterfangen. Ein schlechtes Gewissen beschleicht mich. Was wird Heike sagen, wenn Sie in ein paar Tagen davon erfährt. Ich verwische den Gedanken aber schnell wieder, um mein lange geplantes Vorhaben nicht zu gefährden. Standhaft bleiben heißt die Devise. Draußen, außerhalb des Hafens, gehe ich in den Wind, schalte den Autopiloten ein und ziehe das Großsegel hoch. Es schlägt laut im Wind. Nachdem es oben angekommen ist, lenke ich das Boot aus dem Wind heraus, um Druck in das Segel zu bekommen. Cleo legt sich sanft auf die Seite. Danach rolle ich das Vorsegel aus. Alles läuft nach Plan. Die Geschwindigkeit beträgt 5 Knoten. In diesem Moment bemerke ich, dass ich mir noch keine Gedanken über den jetzigen Kursverlauf gemacht habe. Als erstes großes Etappenziel habe ich die Kanarischen Inseln auserkoren. Um dorthin zu gelangen, könnte ich durch den Nord-Ostsee Kanal fahren oder aber um die Nordspitze von Dänemark segeln. Ich entscheide mich für den langen Umweg um Kap Skagen. Auf diese Weise spare ich Geld und bekomme ein Gefühl für das Boot. Vielleicht habe ich sogar die Möglichkeit gleich die erste Nacht durchzusegeln. Der Wind weht moderat aus südlichen Richtungen. Einem Nachttrip würde also nichts im Wege stehen. Ich steige den Niedergang hinab ins Bootsinnere und setze mich an den Navigationstisch, um den Kurs abzustecken. Neben mir stehen viele Segelbücher in Ihrem Regal. Sämtliche Reiseberichte von den deutschen Segelpionieren habe ich in den letzten zwei Jahren verschlungen. Wilfried Erdmanns Weltumsegelung mit seiner Kathena Nui, einem Aluminiumboot von etwa 10 Metern Länge, hatte es mir besonders angetan. Er ist alleine und gegen die vorherrschende Windrichtung um die Welt gesegelt – eine unglaubliche Leistung. Angst beschleicht mich, als ich an die dort beschriebenen Stürme denke. Tagelang donnerten haushohe Wellen gegen sein Schiff, haben es sogar einmal um die eigene Achse gedreht, während er, zusammengekauert im Bootsinneren, ausharrte und auf eine Wetterbesserung hoffte. Alles muss bei dieser Drehung durcheinander geflogen sein, Töpfe, Pfannen, Konserven, Bücher. So etwas darf mir nicht passieren. Ausschließen kann ich es aber nicht. Schnell verwische ich den Gedanken. Ich schaue auf die vor mir liegende Karte und stecke den Kurs mit dem Geodreieck und dem Zirkel ab. Die Ostsee liegt wie ein Traumland vor mir auf dem Kartentisch. Ich war schon immer von der Vorstellung fasziniert, dass ich von hier aus die ganze Welt bereisen kann. Es finden sich keine Grenzen oder Barrieren. Diese Jahr entdeckten einige Segler und Fischer sogar Buckelwale in der Flensburger Förde. Ich erinnere mich an das Foto eines springenden Buckelwals, das durch die Lokalpresse ging. Kerzengerade schoss das Tier aus der Ostsee, um dann in einer riesigen Gischtfontäne wieder auf die Wasseroberfläche zu klatschen – unglaublich. Eigentlich müsste die Ostsee Ostmeer heißen. Ich merke, dass ich abschweife und berechne den genauen Kompasskurs zum nächsten Wegepunkt. Er liegt an der Südspitze von Aerö. Das Fischerdorf Marstal befindet sich dort und es gibt einige gefährliche Untiefen in dieser Gegend. Ich muss mich also konzentrieren. Insbesondere bei Nacht könnte es ansonsten gefährlich werden.
Mein Handy vibriert in meiner Hosentasche. Heike hat mir eine What’s App geschickt. Ich schaue auf die Nachricht und denke, Sie weiß es noch nicht.
Das Messer gleitet durch die Tomate. Heike und ich stehen am großen Küchenblock und bereiten mal wieder alles für einen griechischen Salat vor. Ich habe die Zutaten eingekauft, die sich Heike zuvor per What’s App gewünscht hatte. Charlotte schläft schon. Der Feta Käse liegt quadratisch neben den Tomaten und wartet darauf, von mir zerkleinert zu werden. Die zerklüftete Küste Griechenlands geht mir durch den Kopf. Ich müsste nur durch die Biskaya fahren und dann zwischen der Meerenge von Gibraltar hindurchschlüpfen. Der Rest wäre ein Klacks. „An was denkst Du gerade, Schatz?“, fragt mich meine Frau. „Nichts Wichtiges“, murmel ich, gebe ihr einen Kuss und schneide weiter an meiner Tomate.
Ich atme tief durch und setze meinen rechten Fuß, der in einen abgewetzten braunen Bootschuh gehüllt ist, aufs Boot. Cleo gibt leicht nach, als wollte sie mir den Einstieg erleichtern. Noch einmal alles durchgehen, denke ich, verwerfe den Gedanken aber, denn Angriff ist ja bekanntlich die beste Verteidigung. Dass ich nur Seekarten von Nord- und Ostsee dabei habe, stört mich nicht. Auf dem ersten Teilabschnitt meiner großen Reise befinde ich mich meist auf dem Atlantik und Untiefen, die meinem Boot gefährlich werden können, existieren dort nicht. Mein GPS-Navigator wird’s schon richten. Ich starte den Motor, schmeiße die Leinen los und gleite langsam aus dem Hafenbecken. Die erforderlichen Handgriffe laufen flüssig und koordiniert ab und ich merke, dass sich das Training in diesem Sommer gelohnt hat. Einige Clubmitglieder winken mir beim Herausfahren zu. Es gibt aber keine guten Wünsche oder Abschiedsgrüße. Alle denken, ich komme gleich wieder. Keiner weiß von meinem Unterfangen. Ein schlechtes Gewissen beschleicht mich. Was wird Heike sagen, wenn Sie in ein paar Tagen davon erfährt. Ich verwische den Gedanken aber schnell wieder, um mein lange geplantes Vorhaben nicht zu gefährden. Standhaft bleiben heißt die Devise. Draußen, außerhalb des Hafens, gehe ich in den Wind, schalte den Autopiloten ein und ziehe das Großsegel hoch. Es schlägt laut im Wind. Nachdem es oben angekommen ist, lenke ich das Boot aus dem Wind heraus, um Druck in das Segel zu bekommen. Cleo legt sich sanft auf die Seite. Danach rolle ich das Vorsegel aus. Alles läuft nach Plan. Die Geschwindigkeit beträgt 5 Knoten. In diesem Moment bemerke ich, dass ich mir noch keine Gedanken über den jetzigen Kursverlauf gemacht habe. Als erstes großes Etappenziel habe ich die Kanarischen Inseln auserkoren. Um dorthin zu gelangen, könnte ich durch den Nord-Ostsee Kanal fahren oder aber um die Nordspitze von Dänemark segeln. Ich entscheide mich für den langen Umweg um Kap Skagen. Auf diese Weise spare ich Geld und bekomme ein Gefühl für das Boot. Vielleicht habe ich sogar die Möglichkeit gleich die erste Nacht durchzusegeln. Der Wind weht moderat aus südlichen Richtungen. Einem Nachttrip würde also nichts im Wege stehen. Ich steige den Niedergang hinab ins Bootsinnere und setze mich an den Navigationstisch, um den Kurs abzustecken. Neben mir stehen viele Segelbücher in Ihrem Regal. Sämtliche Reiseberichte von den deutschen Segelpionieren habe ich in den letzten zwei Jahren verschlungen. Wilfried Erdmanns Weltumsegelung mit seiner Kathena Nui, einem Aluminiumboot von etwa 10 Metern Länge, hatte es mir besonders angetan. Er ist alleine und gegen die vorherrschende Windrichtung um die Welt gesegelt – eine unglaubliche Leistung. Angst beschleicht mich, als ich an die dort beschriebenen Stürme denke. Tagelang donnerten haushohe Wellen gegen sein Schiff, haben es sogar einmal um die eigene Achse gedreht, während er, zusammengekauert im Bootsinneren, ausharrte und auf eine Wetterbesserung hoffte. Alles muss bei dieser Drehung durcheinander geflogen sein, Töpfe, Pfannen, Konserven, Bücher. So etwas darf mir nicht passieren. Ausschließen kann ich es aber nicht. Schnell verwische ich den Gedanken. Ich schaue auf die vor mir liegende Karte und stecke den Kurs mit dem Geodreieck und dem Zirkel ab. Die Ostsee liegt wie ein Traumland vor mir auf dem Kartentisch. Ich war schon immer von der Vorstellung fasziniert, dass ich von hier aus die ganze Welt bereisen kann. Es finden sich keine Grenzen oder Barrieren. Diese Jahr entdeckten einige Segler und Fischer sogar Buckelwale in der Flensburger Förde. Ich erinnere mich an das Foto eines springenden Buckelwals, das durch die Lokalpresse ging. Kerzengerade schoss das Tier aus der Ostsee, um dann in einer riesigen Gischtfontäne wieder auf die Wasseroberfläche zu klatschen – unglaublich. Eigentlich müsste die Ostsee Ostmeer heißen. Ich merke, dass ich abschweife und berechne den genauen Kompasskurs zum nächsten Wegepunkt. Er liegt an der Südspitze von Aerö. Das Fischerdorf Marstal befindet sich dort und es gibt einige gefährliche Untiefen in dieser Gegend. Ich muss mich also konzentrieren. Insbesondere bei Nacht könnte es ansonsten gefährlich werden.
Mein Handy vibriert in meiner Hosentasche. Heike hat mir eine What’s App geschickt. Ich schaue auf die Nachricht und denke, Sie weiß es noch nicht.
Das Messer gleitet durch die Tomate. Heike und ich stehen am großen Küchenblock und bereiten mal wieder alles für einen griechischen Salat vor. Ich habe die Zutaten eingekauft, die sich Heike zuvor per What’s App gewünscht hatte. Charlotte schläft schon. Der Feta Käse liegt quadratisch neben den Tomaten und wartet darauf, von mir zerkleinert zu werden. Die zerklüftete Küste Griechenlands geht mir durch den Kopf. Ich müsste nur durch die Biskaya fahren und dann zwischen der Meerenge von Gibraltar hindurchschlüpfen. Der Rest wäre ein Klacks. „An was denkst Du gerade, Schatz?“, fragt mich meine Frau. „Nichts Wichtiges“, murmel ich, gebe ihr einen Kuss und schneide weiter an meiner Tomate.
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