Passagier im November (geteilt)

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Nadja ist müde. In der Straßenbahn ist es voll.
Nur mit Mühe ergattert sie einen Sitzplatz, direkt vor der Kinderwagenzone.
Sowie sie sich hinsetzt, ist sie auf Augenhöhe mit dem Kleinkind im Buggy.
Warm hier drin. Die Fensterscheiben sind von außen mit Werbung beklebt und von innen beschlagen, außerdem dunkelt es draußen. Nadjas Blick schweift im hellerleuchteten Fahrgastraum zwischen den Passagieren umher.
Der Kleine im Kinderwagen trägt eine graue Strickmütze und lutscht halbherzig am Daumen. Seine Mutter kitzelt und liebkost ihn, als er wiederholt anfangen will mit unzufriedenem Wimmern. Mit Erfolg, es bleibt ruhig in der Straßenbahn. Kein Geschrei. Die Mutter ist aufmerksam, liebevoll.
Nach drei Stationen steigt ein weiterer Kinderwagen zu. Er wird neben den anderen geschoben, sodass der Kleine mit der grauen Strickmütze jetzt einen Sitznachbarn hat.
Kind 2 trägt ebenfalls eine graue Strickmütze. Auf den ersten Blick schaut es aus wie der Zwillingsbruder von dem anderen. In seiner Kinderhand hält der zugestiegene Bub ein Pufuleti, dieses längliche Maisgebäck, das man zu hunderten in der Tüte kaufen kann.
Die beiden Buben sind sich auf Anhieb sympathisch und sind sogleich aneinander interessiert, das merkt man. Wie ähnlich sie sich sehen mit ihren fast identischen Mützchen! Sie sind im selben Alter, zwei Jahre vielleicht. Die winzigen Hände greifen jeweils hinüber in den anderen Kinderwagen, als wollten sie sich begrüßen, abtasten. Sie sind gleichermaßen neugierig aufeinander und auf die Welt.
Alsbald beugt sich der Zugestiegene vor zu der stoffüberzogenen Haltestange vor seiner Nase. In regelmäßigen Abständen sind hier Nieten eingelassen, in die sich so ein kleiner Finger gut hineinbohren lässt, das macht ihm sichtlich Spaß. Augenblicklich ist auch Kind 1 bei der Sache und macht es dem anderen nach. Gemeinsam stecken sie nun ihre Fingerchen in die Vertiefungen und jauchzen.
Dann allerdings erspäht Kind 1 die Knabberei in der Hand von dem anderen und will nun auch danach grabschen. So weit geht die Freundschaft jetzt aber noch nicht, dass der Zugestiegene seine Knabberei teilen würde. Das Pufuleti gibt er nicht her! Fast kommt es zu einer Auseinandersetzung, sodass die Mütter eingreifen müssen.
Die Mutter von Kind 1 versucht ihrem Sohn zu erklären, dass er das Naschi-Naschi leider nicht haben kann, was natürlich nicht hilfreich ist für den Moment.
Zum Glück entpuppt sich die andere Mutter als nett und großzügig - und klug. Sie bietet Mutter 1 eine Maisstange aus der Packung an, damit diese, so sie es will, die Knabberei an ihr Kind weiterreichen kann.
Alsbald sitzen die Kinder wieder friedlich nebeneinander und mampfen gemeinschaftlich Pufuleti. Einmal schaut es so aus, als würden sie damit anstoßen wie mit einem Glas.
Die Mütter lächeln sich an. Im Gegensatz zu ihren Kindern sind sie gut zu unterscheiden. Die Zugestiegene ist blond und trägt einen beigefarbenen Wollmantel ohne Gürtel; dagegen die Mutter von Kind 1 trägt einen dunkelblauen Wollmantel, tailliert mit Gürtel und ein dazu passendes Kopftuch.
Nadja fragt sich, ob und wann sich die beiden Buben aus dem Kinderwagen in ihrem späteren Leben nochmal über den Weg laufen könnten. Sie werden sich wohl nicht daran erinnern, dass sie einmal zwei gleichermaßen neugierige Augen und Hände waren, die zusammen die Welt erkunden wollten.
Als die Blonde mit dem Kinderwagen aussteigt, fängt das Kind vom blauen Wollmantel an zu heulen.

(Teil 1 Ende)

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(Umsteigen zu Teil 2)​

Später muss auch Nadja umsteigen.
Die Sache mit den Kindern hat sie bewegt irgendwie.
Die alte Frau neben ihr, die ebenfalls alles mitgekriegt hat, hat zwischenzeitlich mal einen Blick zu ihr rübergeworfen, der wohl sowas sagen wollte wie „Ist das nicht entzückend?“, aber da waren Nadja schon die Augen nass und sie konnte den Blick nicht erwidern. Sie ärgert sich, dass sie so leicht zu rühren ist. So wenig Anrührendes gibt es in der Welt, dass schon so eine kleine Begebenheit ausreicht, um ihr die Tränen in die Augen zu treiben.
In der anderen Straßenbahn sind keine Kleinkinder zugegen.
Nadja schafft es erneut, einen Sitzplatz zu kriegen.
Einen am Fenster, in einer dieser Zweierreihen. Das ist eine Plusminsus-Sache. Plus: Wenn man innen sitzt, kommt man nicht in die Verlegenheit, einer Oma den Platz anbieten zu müssen, dafür ist man (Minus) relativ eingesperrt, sobald sich ein Zweiter dazusetzt. Wenn man aussteigen will, muss man den Außensitzenden erst auffordern, den Weg frei zu machen, dann muss man sich an diesem Fremden vorbei winden.
Auch diese Bahn ist gut besetzt. Die Passagiere hier sind unauffällig, fast langweilig, denkt sich Nadja, aber dann kommt der Mann mit den vielen Taschen.
Der Mann mit den vielen Taschen lässt sich in der Zweierreihe vor Nadja nieder, sodass sie direkt hinter ihm sitzen muss.
Sie riecht es sofort: Dieser Mensch ist obdachlos. Der Geruch ist unverkennbar und unwillkürlich hält man die Luft an. Der Mann neben Nadja riecht es auch. Er steht auf, aber nicht etwa, um auszusteigen, sondern um sich weiter weg wieder hinzusetzen. Der Vater mit den Zwillingsmädchen in den zueinanderpassenden Schultaschen zieht seine Kinder ebenfalls weg, sagt: „Kommt, da vorne ist was frei…“, obwohl das gar nicht wahr ist. Rund um den Mann mit den vielen Taschen wird es leer.
Nadja bringt es nicht übers Herz, sich umzusetzen. Das kommt ihr falsch und unhöflich vor.
Gut, sie könnte so tun, als müsse sie aussteigen und für eine Weiterfahrt einfach die nächste Bahn nehmen, um ihre Absichten zu verschleiern, aber vor sich selbst müsste sie sich trotzdem schämen – und sie ist müde. So bleibt sie sitzen, direkt hinter dem Mann mit den vielen Taschen.
Unter einer seltsam bunten Wollmütze stehen borstige, fettige Haare ab.
Den Kopf hat der Mann zunächst an die Scheibe gelehnt, den Ellbogen am Fenstersims aufgestützt.
Nach einer Weile verbirgt er das Gesicht in den Händen und fängt an zu wimmern. Erst leise, dann lauter, bis es sich fast wie Geschimpfe anhört. Nadja glaubt, die Sprache des Mannes ist italienisch.
Sie vernimmt Worte wie „Pomodori“ und „Domani“. Ob der Mann morgen gern Tomaten essen würde?
Nadja fragt sich, was der Mann heute wohl gegessen hat und wo er später noch hingehen wird. Es ist Ende November, es ist schon Abend und der Wetterbericht hat Schnee angekündigt. Wohl wird der Mann Straßenbahn fahren, solange man ihn lässt. Solange niemand eine Fahrkarte kontrolliert oder sich aufregt. Wenn er weiter so wimmert und schimpft, wird sich vermutlich bald jemand aufregen.
Nadja starrt auf die schmutzigen, drallen Finger des Mannes direkt vor ihren Augen. Dicker schwarzer Rand unter den Nägeln.
Als hätte er ihre Blicke gespürt, dreht sich der Mann unvermittelt zu ihr um und brabbelt unverständliche Laute. Er scheint überrascht, dass Nadja noch nicht vor ihm geflohen ist, dass da noch jemand sitzt.
Verlegen schaut Nadja weg und tut so, als müsse sie grad jetzt in ihrer Tasche kramen, um nur ja nicht in eine Interaktion mit dem Mann verwickelt zu werden.
Vielleicht würde er sie anbetteln oder auch aggressiv angehen, weil sie es besser hat als er. Darauf gibt es nicht viel zu sagen. Zum Glück macht der Mann keine Anstalten, Nadja anzusprechen, sondern dreht sich bald wieder um, während Nadja noch mit ihrer Handtasche beschäftigt ist. Beim Kramen in der Tasche sucht sie schon mal nach den Schlüsseln. Sie hat nicht mehr weit, bald muss sie aussteigen. Die paar Stationen will sie es auch noch hier aushalten. Aber schon nochmal dreht sich der Mann zu ihr um, diesmal wortlos, ein stummer Blick, dann sackt er auf dem schmalen Sims entlang der Fensterfront zusammen. Der Sims verläuft direkt zwischen Nadja und dem Mann. Wenn sie wollte und wenn es etwas helfen würde, könnte sie ihm tröstend die Hand auf die Schulter legen.
Zwei Stationen bis zum Ziel.
Wie sie grad in der Tasche gekramt hat, ist es Nadja just wieder eingefallen, dass sie noch so ein Pickup und ein Pocket Coffee da drin hat. Das ist noch von neulich, als sie in der Früh keine Zeit fürs Frühstück hatte, da hat sie sich das vorsorglich eingesteckt und dann aber vergessen.
Das Pickup, ein mit Schokolade gefüllter Butterkeks, ist seinerseits noch vom Halloween-Teller übrig, den sie extra für die Nachbarskinder mit Markenprodukten bestückt hatte; die Kaffeepralinen hatte ihr jemand geschenkt.
Ob sie die Nascherei an den Mann weitergeben sollte? Teilen, wie es die blonde Mutter vorhin getan hat? Einfach, um den Moment ein bisschen besser zu machen?
Nadja weiß nicht so recht.
Keine Ahnung, wie der Mann reagieren würde.
Möglicherweise unwirsch, weil die geringe Gabe nicht wirklich was besser macht für ihn, weil es das Unrecht der Welt eben nicht aufwiegen kann.
Möglicherweise auch dankbar und froh – aber selbst darauf hat Nadja keine Lust. Sie weiß, dass ein bisschen Schokolade das Unrecht der Welt ja doch nicht aufwiegen kann. Sie will nicht gönnerhaft wirken wegen so einer Kleinigkeit.
Auch möglich, das befürchtet sie ernsthaft, wird sich einer der anderen Passagiere aufregen. Der Nadelstreif-Typ schaut schon recht angewidert herüber und Nadja traut es ihm ohne weiteres zu, dass er sie anschnauzen wird, weil sie Ungeziefer anfüttert, das man dann nicht mehr loswird. Dass Menschen solcherart reden, hält sie durchaus schon für möglich. Je mehr Obdachlose in der Stadt sichtbar sind, umso weniger Herz können sie sich erwarten.
In ihrer Handtasche tastet Nadja unentschlossen nach dem Pickup. Sie spürt, der Keks ist schon ein bisschen zerbröselt. Das kleinere Pocket Coffee findet sie nicht sofort, aber da ist es, eingepackt in braunrote Folie, in Nadjas Hand.
Kurz bevor sie an ihrer Haltestelle rausspringt, legt sie die Süßigkeiten auf den schmalen Fenstersims, auf dem der Mann seinen Ellbogen aufgestützt hat. Bis an seinen Ärmel heran schiebt sie das kleine Geschenk. Er muss sich nur nochmal umdrehen.
 
Hallo Dichter Erdling,

Teil 2 der Geschichte gefällt mir sehr gut. Teil 1 ist mir von der Handlung her ein wenig zu banal - wahrscheinlich, weil man kleine Kinder und deren Gezanke oft in der Straßenbahn bzw. im Bus sieht. Und auch Mütter, die sich bemühen, das in Grenzen zu halten.

Aber du hast ja aus einem bestimmten Grund die beiden Geschichten gegenüber gestellt. Ich kann ihn nicht so ganz nachvollziehen.

Erzählerisch sind Teil 1 und Teil 2 jedenfalls gelungen.

Schöne Grüße
SilberneDelfine
 
Die dezente Banalität, liebe SilberneDelfine, rührt vermutlich daher, dass der Co-Autor dieser Geschichte das banale Leben ist.
Wirklich ist das Geschilderte vor ein paar Tagen ziemlich genau so passiert. Ich fand es aufschreibenswert. Die kleinen Dinge sind es oft…

Deine gute Bewertung und dass du die Geschichte gelesen hast, freut mich sehr.

Liebe Grüße dir auch,


Erdling
 

Eulengeloet

Mitglied
Hmmm…ich finde die Handlung an sich gut. Spannung will sich bei mir jedoch nicht recht einstellen. Irgendwie fehlt mir was. Die innere Zerrissenheit der Protagonistin, die Befangenheit sich selbst als Teil der Gesellschaft zu sehen, jedoch trotzdem genau von dieser angewidert zu sein.
Vielleicht muss ich auch erst noch ein bisschen nachdenken. Grüße
 

Benn

Mitglied
Hallo Dichter Erdling.
Nadja ist müde. In der Straßenbahn ist es voll.
Nur mit Mühe ergattert sie einen Sitzplatz, direkt vor der Kinderwagenzone.
Sowie sie sich hinsetzt, ist sie auf Augenhöhe mit dem Kleinkind im Buggy.
Warm hier drin. Die Fensterscheiben sind von außen mit Werbung beklebt und von innen beschlagen, außerdem dunkelt es draußen. Nadjas Blick schweift im hellerleuchteten Fahrgastraum zwischen den Passagieren umher.
Der Einstieg in deine Geschichte ist so gewählt, dass ich ahnen kann, wie diese endet. Warum sollte man weiterlesen?
außerdem dunkelt es draußen
Wo sonst als draußen kann es dunkeln? Die Straßenbahn ist doch beleuchtet. Außer dem ist, (es dunkelt) schwerfällig beschrieben.
Entweder er lutscht am Daumen oder nicht. Aber halbherzig?
wiederholt anfangen will mit
Wieso wiederholt? Nadja ist doch erst zugestiegen.
Mit Erfolg, es bleibt ruhig in der Straßenbahn.
Sie hat mit Mühe einen Sitzplatz bekommen. Also kann es nicht ruhig in der Straßenbahn sein.
Nach drei Stationen steigt ein weiterer Kinderwagen zu
Ist zu Goldig. Seit wann kann ein Kinderwagen zusteigen.
Woher weiß sie, dass beide Kinder Buben sind?
Hunderten in der Tüte kaufen kann.
Hundert in einer Tüte?
Alsbald beugt sich der Zugestiegene vor
Umständlich formuliert.
Nieten füllen Löcher aus. Da kann man keine Finger hineinstecken.
Die Sache mit den Kindern hat sie bewegt irgendwie.
Warum?
Das ist eine Plusminsus-Sache. Plus: Wenn man innen sitzt, kommt man nicht in die Verlegenheit, einer Oma den Platz anbieten zu müssen, dafür ist man (Minus) relativ eingesperrt, sobald sich ein Zweiter dazusetzt. Wenn man aussteigen will, muss man den Außensitzenden erst auffordern, den Weg frei zu machen, dann muss man sich an diesem Fremden vorbei winden.
Kannst du streichen. Hat mit der Geschichte nichts zu tun.
Die Passagiere hier sind unauffällig, fast langweilig
Langweilig ist ein Wort, dass du meiden solltest, wie der Teufel das Weihwasser.
Also. Da höre ich mal auf, schildere dir meinen Gesamteindruck. Du fährst hier auf der sentimentalen Schiene, mit der Straßenbahnen. Es funktioniert für mich nicht. Warum? Deine Figuren sind farblos, zweidimensional. Es fehlt ihnen an Tiefe. Der Leser will mit deiner Nadja mitfiebern. In ihre Welt eintauchen. Aber es geht nicht, Nadja ist langweilig. Sie schluchzt und heult. Weiß nicht mal warum. Ich lerne keine deiner Figuren kennen. Du musst sie beschreiben. Was hat sie an? Wie sieht sie aus? Hat sie dunkle Geheimnisse? Einen Piercing an der Schamlippe oder am Brustnippel? Geht sie heimlich auf den Strich oder lernt sie die Predigten von Meister Eckhart auswendig? Hat sie jemand auf dem Gewissen und warum heult sie beim Anblick kleiner Kinder? War sie schwanger und musste sie ihr Baby der Adoption freigeben? Außerdem fehlt ein Konflikt. Ein Spannungsbogen in deiner Story. Nadja handelt nicht wirklich. Sie ist immer passiv. Ist alles nur Textarbeit und hat mit deiner Person nichts zu tun. Ich danke dir für deine Story, die du hier eingestellt hast. Ich habe einiges gelernt. Liebe Grüße Benn.
 
Hallo Benn,


Du musst sie beschreiben.
Falsch. Show, don't tell.

Was hat sie an? Wie sieht sie aus? Hat sie dunkle Geheimnisse? Einen Piercing an der Schamlippe oder am Brustnippel? Geht sie heimlich auf den Strich oder lernt sie die Predigten von Meister Eckhart auswendig? Hat sie jemand auf dem Gewissen und warum heult sie beim Anblick kleiner Kinder? War sie schwanger und musste sie ihr Baby der Adoption freigeben?
Das sind alles sinnlose Fragen, weil Dichter Erdling hier eine Geschichte über eine bzw. zwei Begebenheiten geschrieben hat und nicht über Nadja, (die nämlich nicht über sich selbst nachdenkt und nicht alles auf sich bezieht).

Auch wenn man kinderlos ist und nie abgetrieben hat, kann man beim Anblick von Kindern manchmal heulen.

Und selbst, wenn sie auf den Strich gehen würde, wäre es für die Geschichte vollkommen unwichtig. Ein Piercing sowieso.

Also die Geschichte muss dir ja nicht gefallen, aber du kannst nicht erwarten, dass ein Autor eine Geschichte, die er erzählen will, so schreibt, wie du sie gerne hättest.

Schöne Grüße
SilberneDelfine
 
Zuletzt bearbeitet:

petrasmiles

Mitglied
Danke Silberne Delfine,

da hast Du auf den Punkt gebracht, was mir jetzt an dem Kommentar von Benn überzogen schien.

Ich habe selbst noch keine Meinung, aber dass es hier um unterschiedliche Auffassungen geht, was eine Geschichte ausmacht, ob man einen Alltag zeigt oder 'dramatisiert', ist offensichtlich.

Ich werde es später noch einmal lesen.

Liebe Grüße
Petra
 

petrasmiles

Mitglied
Liebe Dichter Erdling,

ich fühle mich immer von diesen Alltagsbeobachtungen angezogen, teils, dass ich sie aufschreibe, auf jeden Fall aber, wenn ich sie lese.

Mir wird schon bei der ersten Geschichte klar: Der Betrachter macht die Geschichte! Zehn Personen nehmen - wenn überhaupt - zehn unterschiedliche Beobachtungen mit - das in der Begegnung in Teil 1 angelegte in die Zukunft weisende Moment werden sich die Wenigsten denken, aber es ist da.

Vollends im zweiten Teil wird es zu einem stummen Sozialdrama. Ja, solche Gedanken macht man sich, wenn auch Deine Protagonistin sehr skrupolös ist - der Anblick trifft jeden mitten ins Herz - wenn er es zulässt. Aber wir wollen nicht. Viel können wir nicht tun - die Grenzen werden schon in der Sozialarbeit herausgefunden - aber das Wenige, was man tun kann, und mehr, hat deine Protagonistin getan. Das Wichtigste, was man tun müsste, ist, wahrnehmen, anerkennen, dass nicht alle Menschen die gleichen Chancen habe. Wir müssen uns nicht schämen, wenn es uns gut geht und vieles gelingt, aber wir dürfen uns nicht für die schämen, bei denen es nicht so ist. Das wird leider vergessen.

Mir haben Deine Geschichten gut gefallen!

Liebe Grüße
Petra
 
Hallo Benn!

Du liest sehr kritisch, das ist an sich gut.

Deinen Einwänden habe ich dann aber doch ein bisschen was entgegenzusetzen bzw. finde ich diese ein bisschen gar zu streng.

„Der Einstieg in deine Geschichte ist so gewählt, dass ich ahnen kann, wie diese endet. Warum sollte man weiterlesen?“
Du ahnst also schon am Anfang, dass später noch ein Obdachloser zusteigen wird und was alles so passiert? Na dann Glückwunsch zu deinen hellseherischen Fähigkeiten.


„Sie hat mit Mühe einen Sitzplatz bekommen. Also kann es nicht ruhig in der Straßenbahn sein.“
In einer gut besetzten Straßenbahn muss es nicht zwangsläufig laut sein. Um 7:00 Uhr morgens, wenn aufgekratzte Schüler die Tram bevölkern, ist das anders als am Abend, wenn die meisten müde von der Arbeit nach Hause tingeln. Da kann es schon relativ ruhig zugehen, sofern nicht ein Kleinkind zu schreien anfängt.


„Ist zu Goldig. Seit wann kann ein Kinderwagen zusteigen.“
Der Text ist ja kein exaktes Polizeiprotokoll. Der Leser wird wohl aus der flapsigen Formulierung schließen können, dass es sich vermutlich nicht um einen selbstfahrenden Kinderwagen handelt.


„Woher weiß sie, dass beide Kinder Buben sind?“
Zweijährigen sieht man das manchmal schon an, darüber hinaus gibt wohl auch die immer noch typische Bekleidung und Kinderwagenausstattung Auskunft.
Sowieso ist das Geschlecht der Kinder für den Fortgang der Geschichte unerheblich.


„Hundert in einer Tüte?“
Habe noch nicht nachgezählt, aber schätzomativ sind da schon mal 100 Stück drin. Gemeint ist dieses Produkt: https://www.dm.at/gusto-pufuleti-das-original-p5941868200087.html


„Nieten füllen Löcher aus. Da kann man keine Finger hineinstecken.“
Wo die Nieten im Stoff eingelassen sind, ergibt sich eine Vertiefung. Ich glaube, auch das kann man sich vorstellen.


Zu deinem Gesamteindruck:
Erst im letzten Akt, im letzten Moment wird Nadja als Protagonistin aktiv.
Bis dahin ist sie eben nur Passagier und beobachtet und andere Figuren stehen im Vordergrund. Sie sind denn auch die eigentlichen Hauptpersonen. Diese habe ich, finde ich, ausreichend beschrieben.
Ob Nadja ein Brustwarzenpiercing unterm BH trägt oder jemanden um die Ecke gebracht hat, tut hingegen nicht wirklich was zur Sache.

Das eigentliche Thema, das mir am Herzen lag, ist wohl leider an dir vorbeigegangen.
Das mag daran liegen, dass ich schlecht erzählt habe.
Vielleicht ist es aber auch so, dass du das Bewegende und Besondere nicht erkennst, wo Menschen wie beschrieben ein bisschen was teilen und einander zugewandt agieren.

Aber danke fürs aufmerksame Lesen und liebe Grüße,


Erdling
 
Hallo Petra!

Schönes und ergiebiges Feedback von dir.

Besonders dein letzter Satz hat mir gut gefallen.

„Wir müssen uns nicht schämen, wenn es uns gut geht und vieles gelingt, aber wir dürfen uns nicht für die schämen, bei denen es nicht so ist.“
Den nehme ich gerne mit.

Mit liebem Gruß,


Erdling
 



 
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