Pendler

4,00 Stern(e) 2 Bewertungen

Vitelli

Mitglied
Platon sagte sinngemäß, wir seien alle auf der Suche nach unserer anderen Hälfte, damit wir uns vollständig fühlen. Nur: Wie soll ich meine andere Hälfte finden, wenn ich selbst gespalten bin? Wenn ich selbst aus zwei Hälften bestehe, die sich einfach nicht vereinen lassen.

Früher habe ich gedacht, ich müsse nur mit mir selbst ins Reine kommen. Doch heute weiß ich, dass sich meine beiden Hälften nicht vereinen lassen. Das sage ich nicht wehmütig oder gar im Zorn, nein, es ist schlicht so.

Nun gut, es gibt da dieses weiße Kaninchen. Es ist immer da. Ich weiß es. Und manchmal folge ich ihm ... in diese bunte dunkle Welt. Lasse mich verführen. Bei Nacht ist alles anders - die Dunkelheit verändert den Charakter. Und nur zu gerne gebe ich mich dann meinen Dämonen hin. Lustvoll unterwerfe ich mich, bis sie immer mehr Besitz von mir ergreifen. Mich ganz auf ihre Seite ziehen. Mir alles Leben aussaugen.

Sie sagen mir ganz direkt, dass ich diese Welt nicht besuchen kann wie ein Tourist. Andere ja, du aber nicht. Du musst dich für eine Welt entscheiden. Und sie machen die Welt, in der du bisher gelebt hast, lächerlich. Und du gibst ihnen Recht. Sie lassen dich die Welt durch ihre Augen sehen.

Irgendwann gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit. Und du siehst, dass du selbst zum Dämon werden musst, um in dieser Welt zu existieren, du alles Weltliche hinter dir lassen musst. Und in einer letzten Umklammerung schreist du: "Ich brauche niemanden, solange wir uns haben ..." Doch der Alkohol ist eine gierige Schlampe: Er fordert immer mehr, gibt aber immer weniger. Du lebst auf verbrannter Erde. Die Welt, in der du vorher gelebt hast, entfernt sich immer weiter von dir. Und erst wenn sie fast schon nicht mehr greifbar ist, willst du sie zurück.

Dem Menschen sind neun Monate im Paradies vergönnt, bevor er sich auf lebenslange Suche nach eben diesem Gefühl der Geborgenheit begibt. Und ich glaube es sind diejenigen unter uns, die mit dem Leben am besten zurechtkommen, die dieses Scheitern akzeptieren können. Ich bin keiner von ihnen.
 
Zuletzt bearbeitet:
G

Gelöschtes Mitglied 19299

Gast
Hallo Vitelli,

inhaltlich und stilistisch interessant. Gern gelesen!

Das Siegen, das Scheitern und alles grau dazwischene. Das Yin und Yang, das Tier im Mensch ...
Ich bin, nach zahllosen Selbstversuchen hinsichtlich wirk-licher Klärung, an dem Punkt, an folgende Gegenüberstellung angelangt:
Sich mit eigener Kraft herauswinden wollen/können, nur, das Scheitern wird nicht vollends ausgemerzt (conditio humana etc.) oder:
von sich lassen, eingedenk des kosmischen Spieles auf dem Kalvarienberg, siehe auch Römerbrief (der alte Mensch).

Müssen wir uns als Reisende zwischen den Polen -final- verstehen? Sind wir lediglich Leib? Oder nicht?

Grüße in den Mittag
Keram
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:

Mimi

Mitglied
Hallo Vitelli,
ich kann mich dem Kommentar von Keram nur anschließen:

inhaltlich sowie stilistisch interessant geschrieben!
Der philosophische Touch gefällt mir sehr gut.
Nur dein Vergleich mit dem "Alkohol und einer gierigen Schlampe" hinkt ein wenig hinterher... da hätte ich mir vielleicht etwas einfallsreicheres gewünscht... aber das sind nur so klitzekleine Details...

Grüße
Mimi
 

Vitelli

Mitglied
Hallo.

Vielen Dank für eure Rückmeldungen; schön, dass es euch gefällt.

@Keram, da sprichst du ein paar interessante Punkte, insbesondere das Scheitern. Denn genau darum ging’s mir: Zu zeigen, dass im Scheitern eine gewisse Romantik liegt. Einerseits ist man seinen Dämonen hilflos ausgeliefert, andererseits hat man sie auch lieb gewonnen.

Und zu „sich aus eigener Kraft herauswinden wollen/können“: Selbstdarstellung ist ja auch immer ein bisschen Selbsttherapie. Will sagen, du musst dir dein eigenes Ich/Selbst vor Augen führen, um es vllt einmal überwinden zu können.

@Mimi, ich kann deinen Einwand sehr gut nachvollziehen, muss aber gestehen, dass ich bewusst ein pathetisches („ich brauche niemanden, solange wir uns haben“) und derbes („… gierige Schlampe …“) Ende gewählt habe, um den beschriebenen Widerspruch nochmal zu manifestieren, ihn auf’s Wesentliche zu reduzieren. Aber nichtsdestotrotz magst du recht haben. ;-)

Viele Grüße,
Vitelli
 
Ehrlich gesagt fände ich den Text nur dann interessant, wenn Du den Mut hättest, die Abgründe zu beschreiben. So bleibt alles im Vagen, ist harmlos und langweilig und raunend und bloße Behauptung
 

Vitelli

Mitglied
Lieber Jürgen,

du darfst gerne so empfinden, aber nicht fehlenden Mut ins Felde führen.

Frohe Weihnachten,
Vitelli
 



 
Oben Unten