Pfannkuchenförmige Mystagogik für Brautigan

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sufnus

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Pfannkuchenförmige Mystagogik für Brautigan

Jeder kommt nach Hause (außer Captain Martin)

Also ehrlich, was könnte besser sein,
als beim Ontologenlunch mit
Pastor Jeff das Zeitliche zu segnen?

Stattdessen hast du dich an
deinem vierzehnstöckigen
Stonehengehaiku überfressen,

während Marcia an Bord
einer Nähmäschine ihr
Fliegennickerchen machte.

Wehmut wie Waldmeister:
Farben. Vermutung.
Viel Glück, Captain Martin.
 
Hallo Sufnus,

mal wieder ein schönes kniffliges Rätsel (jedenfalls für mich).

Meine erste Reaktion war: Hat was, aber ich habe keine Ahnung, um was es geht. Dann dachte ich, etwas mehr Mühe könnte ich mir schon machen.

Jetzt weiß ich immerhin:
Brautigan ist ein Schriftsteller, Captain Martin ist ein Spielercharakter aus einem Videospiel (ich tippe mal darauf, dass dieser Captain gemeint ist) und Ontologie ist die „die Lehre vom Sein“.

Interessant, ein Gedicht und ich bin gleich um eine Menge Begriffe reicher.
Höchst interessant gestaltet.

Stattdessen hast du dich an
deinem vierzehnstöckigen
Stonehengehaiku überfressen,
Mit einem vierzehnstöckigen Haiku bin ich allerdings überfordert.

während Marcia an Bord
einer Nähmäschine ihr
Fliegennickerchen machte.
Ich denke, Marcia ist eine Fliege ...

Wehmut wie Waldmeister:
Farben. Vermutung.
Viel Glück, Captain Martin.
Wunderbar poetisch. Hier frage ich mich dann, ob mit Captain Martin nicht doch jemand anderes gemeint ist als ein Charakter aus einem Videospiel.

Und jetzt bin ich auf deine Antwort gespannt.

LG SilberneDelfine
 

sufnus

Mitglied
Hey SilberneDelfine!
Das ist aber schön, dass Du Dich meines Durcheinandertextes angenommen hast! :)
Du hast genau richtig erfasst, dass es hier um den amerikanischen Dichter Richard Brautigan geht, den ich jedem an moderner oder zeitgenössischer Lyrik interessierten Menschen ans Herz legen wollen würde. :) Von Hoffmann & Campe ist (noch) ein hübsches gebundenes Bändchen aus 2012 mit deutschen Übersetzungen (wenn ich richtig gelesen habe: Neu für 3 EUR (!!!) ) erhältlich.
Brautigan hat Gedichte geschrieben, die sich meist einer relativ einfachen Sprache bedienen, sich aber i. d. R. einer inneliegenden "Botschaft" hartnäckig verweigern, wobei sie ein bisschen in der langen Tradition "dadaistischer" Gedichte stehen (etwa den mittelalterlichen Fatrasien oder den frühneuzeitlichen Leberreimen usw.) und in vielen Fällen sowohl humoristische als auch sehr melancholische Elemente enthalten.
Die Begriffe und Wendungen in meiner Verbeugung vor R. B. sind größtenteils Anspielungen auf Gedichte von ihm. So trägt eines seiner bekanntesten Gedichte den Titel "The Amelia Earhart Pancake" (was wiederum einen coolen Sammelband von Timo Brandt und Petrus Akkordeon inspiriert hat). Auch die Figur das Captain Martin kommt in seinen Gedichten wiederholt vor. Ebenso wie Marcia, der er viele großartige Liebesgedichte widmet. In einem dieser Gedichte reibt Marcia mit einer unerhörten Erotik ein Stück Fleisch mit Knoblauch ein, auf Anweisung des lyr. Ichs, welches daraus anschließend eine "Art Stonehenge Stroganoff" zubereiten möchte. Übrigens war eine Ex-Freundin Brautigans namens Marcia die vermutlich letzte Person mit der er vor seinem Suizid telefoniert hat.
Am Ende meiner Zeilen wechselt der Tonfall vom Albernen eher ins Wehmütige - meine Pastiche für Brautigan ist eben auch ein verspäteter Abschiedsgesang (Brautigan hat Mitte der 80er-Jahre Selbstmord begangen).
Ein weiteres sehr bekanntes Gedicht Brautigans ist übrigens sein Erdbeerhaiku, welches zwar keineswegs 14-stöckig ist (vielmehr spielen her 12 Erdbeeren eine wichtige Rolle), aber ein vielstöckiges Haiku hätte Brautigan sicher gefallen, da er ein begeisterter Fahrstuhlfahrer war.
Ich hoffe, damit habe ich ein paar Begriffe angedeutet und ungefähr ein Gefühl dafür vermittelt, worum es mir hier geht. Im Sinne R. B. aber auch nicht um eine "Botschaft" sondern um melancholischen Unsinn. :)
LG!
S.
 
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sufnus

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Ah... sorry revilo... Deine Antwort, während ich eben am Tippen war, hab ich grad nicht mitbekommen.
Das ist wirklich schön, dass es sich für Dich so gut liest... ich hätte befürchtet, dass Du womöglich die etwas dadaistische Grundhaltung dieses Textes nicht so sehr schätzt.
Hoffentlich werden aus meinen obigen Andeutungen für SilberneDelfine ein paar Aspekte des Bahnhofs etwas nahbarer. :)
LG!
S.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Sufnus,

das freut mich, dass ich mit dem Schriftsteller richtig lag. :) Ich hatte mir auch schon Bücher von ihm angeschaut, das waren allerdings Romane, aber auch die fand ich interessant. Die Gedichtbände werde ich noch suchen.

Die Begriffe und Wendungen in meiner Verbeugung vor R. B. sind größtenteils Anspielungen auf Gedichte von ihm. So trägt eines seiner bekanntesten Gedichte den Titel "The Amelia Earhart Pancake" (was wiederum einen coolen Sammelband von Timo Brandt und Petrus Akkordeon inspiriert hat). Auch die Figur das Captain Martin kommt in seinen Gedichten wiederholt vor. Ebenso wie Marcia, der er viele großartige Liebesgedichte widmet.
Klingt sehr interessant. Also Captain Martin ist kein Spielcharakter aus einem Video-Game, dachte ich es mir doch.
Amelia Earheart ist die berühmte Fliegerin, die in den 40er Jahren von einem Flug nicht mehr zurückkehrt und deren Flugzeug verschollen bleibt, wenn ich mich recht erinnere.

Vielen Dank für dieses Gedicht und deine Anmerkungen!
Albern fand ich übrigens gar nichts.

LG SilberneDelfine
 

revilo

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kein problem, liebe(r) sufnus......stonehengehaiku war sofort mein favourit.......ich habe das patent auf nicht verstehende bahnhöfe, wurde es mir doch in einem bahnbrechenden werk, für das sich allerdings keine sau interessiert testiert....es gibt gute und schlechte bahnhöfe......auf schlechten trittst du in hundescheiße, während du an einer verkohlten bratwurst mümmelst....auf guten schwingst du dich ins erste klasse abteil, schlägst deine zeitung auf und und eine geradezu verboten gut aussehende frau fragt dich mit strahlendem lächeln, ob der platz neben dir noch frei ist......bei diesem gedicht bin ich definitiv auf einem guten bahnhof gelandet........LG
 

sufnus

Mitglied
Hey Ihr!
Wenn Ihr antesten wollt, ob Euch das Brautigan-Fieber packen könnte, wäre die HP von Arne Rautenberg vielleicht einen Versuch wert - da gibt es einen kurzen Essay über Richard Brautigan (https://arnerautenberg.de/Text/Essays/Richard_Brautigan) mit einigen Proben seiner Gedichte (eine Fliege, die ein Nickerchen macht, kommt auch vor ;) ). Abgesehen davon, ist Rautenberg selbst als Dichter eine (mehrere) Lektüre(n) wert - er ist mein liebster Kinderlyriker unter den noch Lebenden (na... vielleicht neben Paul Maar) und mein liebster Verfasser von konkreter Poesie (siehe die "Optischen Gedichte" auf seiner Seite). :)
Und lieben Dank nochmal, revilo, dass Du einen so liebreizenden Vergleich über meine Bahnhofspoesie breitest!).
LG!
S. (XY)
 

sufnus

Mitglied
Gerngeschehen @SilberneDelfine ! :)
... und: Guter Punkt, lieber Hansz... hab mich die ganze Zeit gefragt, warum es partout 14 Stockwerke sein mussten & stand doch auf dem Schlauch. Aber ich denke, Deine Idee könnte hinkommen. :)
LG!
S.
 



 
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