Warum verlangt dein Text, Hera, gerade das, was er verlangt? Existieren nicht unzählige Individuen unter den Milliarden Menschen, die gleichsam Anspruch auf diese Forderung erheben könnten? Jene Ausgestoßenen der Gesellschaft, die Jahr für Jahr Weihnachten oder Silvester in einsamer Isolation verbringen, keinerlei Freunde, Familie, Kinder haben; gefangen in der Spirale der Angst. Und was ist mit denjenigen, die unter schwerwiegenden Krankheiten leiden? Oder Jugendlichen, die aufgrund ihrer Körperfülle, oder jungen Frauen und Kindern, die dem vorherrschenden Schönheitsideal nicht entsprechen, stigmatisiert werden? Menschen in Krisengebieten, die unermessliches Leid ertragen, oder jene, deren Alltag einem Krisengebiet gleicht? Oder gar die, die an den Folgen eines Traumas leiden? Die Aufzählung dieser Missstände scheint schier unendlich.
Angenommen, ich wäre ein durchschnittlicher und unauffälliger Mensch, der in der Masse unterginge: Existieren Bewegungen, die sich für meine Exklusivität und Normalität einsetzen? Oder muss ich jeden lauttönend unter die Nase reiben wie ordinär ich sei? Oftmals erscheint es mir, als gehe es nicht um Akzeptanz, Integration oder Toleranz, sondern um einen pathologischen Narzissmus, der aus einer histrionischen Empfindung emporsteigt und das Bestreben hat, über die allgemeine Norm hinauszugehen und dort auf einem Olymp wie Zeus zu thronen. Das soll keineswegs ein dogmatisches Feuer sein. Diese Forcierung und Radikalisierung eines spezifischen Individualismus befindet sich weit jenseits dessen, was man sich unter wahrer Philanthropie vorstellt.
Wenn du also einen leidenschaftlichen Appell zur Freiheit formulierst, solltest du dies für all jene tun, und gedenken, an jeden gedenken, an jene, die das Gefühl haben, sie nicht zu besitzen. Und ich wage zu behaupten, dass fast jeder seine eigenen Begrenzungen und Einschränkungen spürt. Im Christentum verhält es sich ähnlich: Einige sagen: "Ja, ich bin Christ, aber ich lebe nach meinen eigenen Vorstellungen, andere lasse ich unbehelligt", während es auch heißt: "Ja, ich bin Christ. Du musst nun meiner Gemeinde beitreten, sonst erwartet dich das ewige Feuer Satans!". Und schlussletztlich muss ich mich auch fragen, ob ich in jedem Satz "Jesus" hören will und ich muss mich fragen: Ist das eigentlich schlimm, dass ich das nicht will?
Natürlich existieren zwischen Variante eins und zwei millionenfache Abstufungen. Jeder Mensch ist anders. Auch in der "LBGTQ".
Mache doch einfach aus "Set us free"... "Set me free"... Dann bekäme es eine persönlichere und differenziertere Note.
So aber... Ich weiß nicht.
Lg!