Räuber

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Vera-Lena

Mitglied
Räuber

Wind zerrüttelt
willenloses Laub,
kämmt Wiesen leer,
trinkt heimlich Rinnsale,
ist auf Blöße aus
mit seiner Pfiffigkeit,
reißt den Sichelmond
aus dem gewölkten
Schamkleid
und droht mir lüstern,
meinen Schatten zu entwinden,
diesen Beleg meines Selbst –

gnadenlos
stürzt er mich
in ein ewiges Mit-Tag,
mir-nur-Leuchten.

Nicht Stern mehr
kann ich sein,
nicht Weggeleit,
ich bin in mich
verschlossen.
 
H

Heidrun D.

Gast
Peter Schlemihls wundersame Geschichte war & ist eines meiner Lieblingsbücher. Und natürlich kann mir "nur" dies einfallen und zwar sofort. ;)

Auch der konnte ja ausschließlich im ewigen Mittag über-leben, verfemt von der menschlichen Gesellschaft, verlassen und allein (nicht im Sinne von all-ein(s)).

Im der Übertragung verschließt sich die Protagonistin freiwillig (?!) in sich selbst, ein Zustand, der vielleicht nur den Erleuchteten vorbehalten ist oder nur für diese erträglich.

Liebe Grüße
Heidrun

P.S. Müsste es im letzten Vers nicht
ich bin in [blue]mir[/blue]
verschlossen
heißen?
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Heidrun,

wie es manchmal so kommt, an den Schlemihl dachte ich nicht, als ich heute um Mitternacht diesen Text geschrieben habe, dabei wäre es naheliegend gewesen.

Die Parallelen zu meinem Text sind ja auch gegeben. Da ist jemand mit Pfiffigkeit unterwegs und sucht, an sich zu reißen, was er nur bekommen kann.

Für das Lyri ist es aber eine Sache von großer Bedeutung, wenn es seinen Schatten und damit seine Identität verlöre,nämlich ein Mensch in einem physischen Körper zu sein.

Es könnte sein Leben nicht mehr selbst gestalten, sondern wäre auf ein Mitleben angewiesen.Es hätte selbst nur so viel an Leben, wie es imstande ist, mit anderen mit zu fühlen, mit zu denken.

Auch seine Fähigkeit, andere zu beschenken mit seinem inneren Licht, ginge ihm verloren, weil es ja immer nur besorgt sein muss, wie es ohne diese physische Komponente, die allen Menschen doch ganz selbstverständlich zu eigen ist, bestehen kann. Und wenn ein Mensch keine Zufriedenheit besitzt, dann strahlt er auch nichts aus. Er kann andere nicht beschenken und kann ihnen auch keine Wegweisungen mehr geben, weil er nur noch um sein eigenes unlösbares Problem kreist.

Zusammengefasst habe ich dann diese verzweifelte Situation mit dem Satz: [blue]ich bin in mich verschlossen.[/blue] womit ich meine, dass das Lyri, dadurch, dass es nichts mehr nach außen strahlen und geben kann, in sich selbst eingesperrt ist. Darum denke ich, dass da tatsächlich "mich" stehen sollte.

Zusammenfassend könnte man über ein solches Schicksal noch sagen, dass man es von zwei Seiten betrachten kann, wie Du das in Deinem Kommentar ja auch schon andeutest. Einerseits wird hier ein Leid durchlitten, aber andererseits kann bei gutem Willen auch ein Lernprozess in Gang kommen, so dass das Lyri durch Mitfühlen und Mitdenken mit den anderen Menschen Verständnis und Erkenntnisse über seine Mitmenschen gewinnt und von daher die Möglichkeit hat, beispielsweise Güte und Großmut zu entwickeln.

Hach, ich freue mich, dass Du einen Zugang zu diesen Zeilen gefunden hast und dass Du mich an den Schlemihl erinnert hast, der schon 50 Jahre hinter mir liegt.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Joh

Mitglied
Liebe Vera-Lena,

reißt den Sichelmond
aus dem gewölkten
Schamkleid
und droht mir lüstern,
meinen Schatten zu entwinden,
diesen Beleg meines Selbst –
diese Zeilen sind für mich der Kern, und wunderbar gedichtet! Der Übergang vom neckischen Windspiel, hin zu dem bedrückenden Gedankengang fließt scheinbar leicht dahin.

Mich erinnert es an viele Momente, in denen die Natur in mir einen ganz persönlichen Gedankengang auslöst, und je nach Stimmung bis in die Tiefen geht.

liebe Grüße, Johanna
 
H

Heidrun D.

Gast
Liebe Verena,

der Schlemihl bedeutet mir (auch) deshalb so viel, weil mir seinerzeit Daniel Cohn-Behndit daraus das Wesen des Kapitalismus schlüssig erläutert hat. - Tatsächlich verbirgt sich in der wundersamen Geschichte eine vehemente Kritik an dieser Wirtschaftsordnung. -

Wir alle "lebten" ja damals im Frankfurter Strandcafé und sahen uns täglich. - Gern denke ich an diese schöne & wilde Zeit zurück, die ich im Nachhinein als meine eigentliche Sozialisation empfinde.

Leicht gerührte Grüße
Heidrun
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Johanna,

da bewundere ich jetzt Dein Feingefühl. Genauso hat es sich beim Schreiben nämlich in mir abgespielt. Bei den ersten 4 Zeilen stand ich noch am Fenster und wusste nicht, wo dieser Text eigentlich hinwollte. Und genau an der von Dir bezeichneten Stelle war es mir dann deutlich.

Ich freue mich natürlich auch, dass Du diesen Übergang als gelungen empfindest.

Manchmal öffnet sich ein und dieselbe Tür in eine helle oder in eine dunkle Ecke. Diesmal war es eine dunkle Ecke, die zwar nichts so ganz direkt mit meiner Person zu tun hat, aber das Datum hat mich in diese schlimmen Erinnerungen gelockt.

Danke für Deinen Kommentar!

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Heidrun,

das ist ja fein, dass Du an etwas Angenehmes erinnert wurdest durch diesen Text. Ja, dass der Kapitalist seine Seele verkauft, denke ich auch. Es muss eine Mischung aus Kommunismus und Kapitalismus geben: Kapaitalist muss man sein, um etwas zu besitzen, damit man auch Kommunist sein kann, anderen etwas abgeben bzw so viel wie möglich mit ihnen zu teilen. Da ich bei Kriegsende immerhin doch schon 7 Jahre alt war und im zerstörten Berlin lebte, habe ich deutlich mitbekommen, wie so etwas funktionert. Wer etwas besaß, gab davon etwas demjenigen, der nichts mehr hatte. Da alle Menschen mehr oder weniger in Not waren, hat das wunderbar funktioniert. Erst wenn der Zustand "Je mehr er hat, je mehr er will", sich in einer Gesellschaft ausbreitet, funktioniert das Teilenwollen nicht mehr.

Danke dür diese interessante Mitteilung aus Deinem Leben!

Liebe Grüße
Vera-Lena
 



 
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