Ratte auf Reise

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anbas

Mitglied
Ratte auf Reise *
(Ein Drama in sieben Kapiteln)



1. Der Plan

Die Ratte Alma lebt in Kiel
wo sie der Depression verfiel.
Sie hat es wirklich schwer auf Erden,
und will so gern gestreichelt werden.

Man weiß ja: Ratten sind verhasst.
Für Alma ist das eine Last.
Man hat sie immer nur vertrieben,
kein Leid ist ihr erspart geblieben.
Sie wünscht sich Liebe, wünscht sich Glück,
und sei es nur ein kleines Stück.
Ihr Leben aber bleibt so trist,
dass sie schier am Verzweifeln ist.
Das alles tut ihr ziemlich weh,
doch schließlich hat sie 'ne Idee:

Sie muss sich nur geschickt verkleiden,
um ab sofort nie mehr zu leiden.
Dann braucht sie noch den rechten Platz,
wo man sie kost wie einen Schatz.
Sie ist sich ihrer Sache sicher
und fährt tags drauf mit viel Gekicher
maskiert und ganz inkognito
als Meerschweinchen zum Streichelzoo.


2. Der Aufbruch

Ja, Alma fühlt sich wunderbar.
Ihr größter Traum wird jetzt bald wahr.
Von Kiel fährt sie mit Affenzahn
gen Süden auf der Autobahn,
um einen Streichelzoo zu suchen.
Doch bald schon hört man sie nur fluchen:
"Ich kenn gar keinen Streichelzoo
und fahr jetzt blind ins Nirgendwo!
Mein Gott, das ist doch wirklich öde.
Ich bin für all das viel zu blöde.
In Zukunft muss ich besser planen
anstatt mal schnell einem spontanen
Gedanken blindlings nachzujagen.
- Doch hilft jetzt auch kein lautes Klagen.
Ich glaube ab sofort daran,
dass es nur besser werden kann.
Den Glauben lass ich mir nicht nehmen."

- Schon steckt sie in 'nem Stau bei Bremen.

So langsam wird ihr das zu dumm
und darum dreht sie einfach um.
Ein Fehler – solch ein offenbarer –
macht sie sogleich zum Geisterfahrer.
Sie hat letztendlich sehr viel Glück
und fährt ein kurzes Stück zurück.
Per Bundesstraße geht es weiter.
Das findet sie dann doch gescheiter.


3. Unterwegs

Es zieht sie immer noch gen Süden,
doch nun beginnt sie zu ermüden
und schläft beim Fahren plötzlich ein,
fährt fast in einen Laster rein,
bleibt letztlich auf 'nem Feldweg stehen,
ihr Magen fängt sich an zu drehen.
Dann bricht das Elend auch schon raus,
und sie will einfach nur nach Haus.

Doch erst mal muss sie kurz pausieren,
da spürt sie plötzlich was vibrieren.
Das Handy ist's, ein Freund ruft an,
der ihr 'nen Hinweis geben kann.

Sogleich wird Alma wieder munter,
die triste Welt scheint wieder bunter.
Sie tritt aufs Gas und rast davon,
denn nun geht’s schnellstens nach Heilbronn.
Angeblich lebt dort Rosinante,
sie ist von diesem Freund 'ne Tante.
Die kam im Leben sehr viel rum
und ist angeblich auch nicht dumm.
Hier hofft sie einen Tipp zu kriegen,
wo denn die Streichelzoos nun liegen.


4. Der Rückschlag

Die Weiterfahrt ist dann recht leicht,
doch als sie nachts Heilbronn erreicht
ist Rosinante – ungelogen –
vor ein paar Stunden fortgezogen.
Wohin sie zog, kann niemand sagen.
So hört man Alma lauthals klagen,
das Leben sei so ungerecht.
- Es geht ihr wirklich furchtbar schlecht.

Sie ist am Tiefpunkt angekommen,
schleicht durch die Straßen, wie benommen.
Ihr scheint das Glück unendlich fern
und fragt sich: "Hat mich niemand gern?"
So hat sie dann die ganze Nacht
mit Grübeleien zugebracht.


5. Die Weiterfahrt

Der Frust bei Alma ist zwar groß,
doch fährt sie morgens wieder los.
Sie sucht ihr Glück nun ganz verbissen.
Im Grunde sollte sie zwar wissen:
Es lässt das Schicksal völlig kalt,
sucht man die Liebe mit Gewalt.
Nur das kann Alma jetzt nicht sehen
(und irgendwie kann man's verstehen).

Die Weiterfahrt ist, wie man ahnt,
natürlich auch nicht durchgeplant.
Erneut versäumt sie es komplett
mit ein paar Klicks im Internet
nach Streichelzoos zu recherchieren.
Nein, sie ist nur am Spekulieren
und jagt durch Deutschland kreuz und quer
dem Traum der Träume hinterher.
Egal sind ihr die Reisekosten,
zum Schluss fährt sie dann auch gen Osten.


6. Ziel in Sicht

In Sachsen-Anhalt angekommen,
da stoppt sie plötzlich wie benommen
vor einem scharfen Rattenmann,
wie man ihn sich nur träumen kann.
Sofort ist es um sie geschehen,
die ganze Welt scheint sich zu drehen.
Sie ist total auf ihn erpicht,
nur er beachtet Alma nicht.
Doch diese wird nun immer kesser.
Ein Kerl statt Streichelzoo ist besser.
Sie spürt, jetzt muss sie alles geben,
und flirtet so, wie nie im Leben.

Der Rattenmann jedoch bleibt cool.
Und sie durchfährt's: "Der Typ ist schwul!".
Dann fällt ihr ein, dass sie – welch Mist –
als Meerschweinchen verkleidet ist.
Und so beendet sie noch grade
zur rechten Zeit die Maskerade.


7. Das Ende vom Lied

Der Rattenmann staunt nun nicht schlecht,
doch ist er selber auch nicht echt.
Er ist ein Meerschwein und verkleidet,
weil er stets unter Ratten leidet.
Anstatt jetzt einfach nur zu klagen,
begann er mit dem Rattenjagen.

Eh Alma diesen Trick versteht,
da ist es leider schon zu spät.
Sie denkt grad noch: "Das kann nicht sein!"
Da fängt er sie schon locker ein.
So landet sie ganz nah bei Halle
in Meerschweinmännchens Rattenfalle.

Weil all das viel zu schnell passiert
und sie's Bewusstsein kurz verliert,
kann sie die Lage nicht mehr klären
und sich vor allem auch nicht wehren.

Das letzte, was man von ihr hört,
ist, wie sie sich sehr laut empört,
das Meerschwein raube ihr das Glück,
sie will sofort nach Kiel zurück.

Doch Ratte Alma bleibt gefangen.
Sie wird auf einer Farm für Schlangen
und ein paar anderen Exoten
als Lebendfutter angeboten.

Dort endet dann auch Almas Spur
und damit die gesamte Tour.






* entstanden im Rahmen von "Komische Lyrik III" (Schreibwerkstatt, Fingerübungen)
 
Bin tief bewegt, erschüttert. Oder durchgeschüttelt vom Lachen? Jedenfalls ist es höchst amüsant und zugleich ein wenig Melancholie erzeugend, auch nicht ohne Analogien zum Leben höherer Säugetiere.

Es ist mir peinlich: Ich kann weder etwas kritisieren noch Vorschläge zur Verbesserung machen. Gestandene Lyriker können evtl. noch punktuelle Korrekturen anregen.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 
O

orlando

Gast
Ja,
Arno hat recht.

Das ist allerköstlichst: poetisch, melancholisch und überaus witzig zugleich. Glückwunsch, mein Lieber, du erweist der Komischen Lyrik große Ehre. :)

Am besten finde ich (natürlich!) die Liebesszene, gerade weil sie schief geht ... das trägt fast antike Züge.

Heftig applaudierende Grüße
Heidrun
 

molly

Mitglied
Hallo Andreas,

Gern gelesen, Deine Rattengeschichte. Ich könnte sie mir gut als Comic vorstellen.

Liebe Grüße

molly
 

anbas

Mitglied
Hallo Arno,

ich danke Dir für Deine geschüttelte Rückmeldung :D. Auch freue ich mich, dass, so wie es aussieht, beide Seiten - also die humorige als auch die ernstere, melancholische - rüberkommen.

.. und peinlich braucht Dir gar nix zu sein.



Liebe Monika,

auch Dir danke ich. Dein Hinweis hinter den Kulissen hat ja auch ein wenig zur "Formvollendung" beigetragen.

Was die Comic-Idee betrifft, so bin ich für alles offen - kenne allerdings keine Comic-Zeichner.



Hallo Cellist, hallo anonyme(r) Werter(in),

danke für die Punkte!



Liebe Grüße an Euch alle

Andreas
 

anbas

Mitglied
Liebe Heidrun,

herzlichen Dank! Ohne die von Dir geschaffene Plattform "Komische Lyrik" wäre dieses und viele andere meiner Gedichte nicht entstanden.

Dank auch für Deine Wertung!


Liebe Grüße

Andreas
 

anbas

Mitglied
Und noch ein Dankeschön an Patrick und eine(n) weitere(n) anoynme(n) Werter(in) :D.


Liebe Grüße

Andreas
 
Hallo anbas,
obwohl ich dein Gedicht in "Komische Lyrik" schon gelesen habe, musste ich es mir hier noch einmal zu Gemüte führen.
Leider ist das Ende von Alma so traurig. Sie war einem während des langen Gedichtes so richtig ans Herz gewachsen.

Viele Grüße,
Marie-Luise
 

wüstenrose

Mitglied
Hi anbas,

oh, vor längeren Gedichten drücke ich mich immer gern, mir fehlt die Ausdauer.
Aber hier hat sich das Durchhalten gelohnt: nichts ist ermüdend und die Story wird zurecht in dieser Länge ausgebreitet, ist dabei kurzweilig, amüsant und erfreulicherweise sprachlich top!

lg wüstenrose
 

anbas

Mitglied
Liebe Marie-Luise,

ich danke Dir für Deine Rückmeldung und die Wertung. Auch mir ist Alma beim Schreiben ans Herz gewachsen. Sie dann in die Schlangenfarm zu schicken, war schon eine Herausforderung - habe eine leichte Schlangenphobie. Aber irgendwie spielte hier so das Leben ;).



Hallo wüstenrose,

auch Dir einen herzlichen Dank. Da ich ebenfalls lange Gedichte scheue, weiß ich den Ruck, den Du Dir geben musstest, um überhaupt mit dem Lesen zu beginnen, sehr zu schätzen.



Liebe Grüße an Euch beide

Andreas
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
gelungene narrative Matrix

Schon die Anfangsidee der streichelbedürftigen Ratte, sich als Meerschweinchen zu verkleiden, ist köstlich. Aber dann ist das Beste, daß diese Idee dann auch in die Pointe einmündet und dort so konsequent rückgespiegelt und "beantwortet" wird.
 

anbas

Mitglied
Hallo Mondnein,

ich danke Dir für Dein Lob und dafür, dass Du auf diese - wie Du es nennst - "Spiegelung" der Anfangs- und Schlusspointe noch einmal hervorhebst.

Liebe Grüße

Andreas
 
M

Metino

Gast
Hi, hihihi ne Ratte im Auto, als Meerschwein verkleidet :D

Ziel in Sicht, in Zeile 4 würde ich zur Verbesserung des Redefluss

"den man sich nur erträumen kann" nehmen.

Wenn das aus deiner Sicht nicht gelungen ist, sorry!
 
M

Metino

Gast
Mit der richtigen Betonung ist das, was Du geschrieben hast, doch viel besser, also bitte meine Verschlimmbesserung vergessen!
Spitzenmäßigr Reim mit ebenso spitzenmäßiger Pointe.
Me
 

anbas

Mitglied
Hallo Metino,

sooo schlecht ist der Gedanke gar nicht ;). "Erträumen" gefällt mir. Allerdings überzeugt mich Dein Vorschlag auch noch nicht ganz. Ich werde mir die Stelle sicherlich noch das eine oder andere Mal ansehen.

Auf jeden Fall danke ich Dir für Deine Rückmeldung!


Liebe Grüße

Andreas




Vielen Dank auch für die anonyme 10! :)
 
M

Metino

Gast
Freut mich, wenn Du den Vorschlag zumindest in Gedanken lässt !
LG
Me
 



 
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